Bundespatentgericht, Urteil vom 14.04.2016, Az. 7 Ni 2/15

7. Senat | REWIS RS 2016, 13023

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Gurtstraffer" – zum Verspätungseinwand


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das [X.] Patent 199 27 731

hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Rauch, [X.] und [X.], der Richterin [X.] und des [X.] Dr.- Ing. Großmann

für Recht erkannt:

[X.] Die Klage wird abgewiesen.

I[X.] Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

II[X.] [X.] ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klage richtet sich gegen das [X.] Patent 199 27 731, das auf eine Anmeldung vom 17. Juni 1999 zurückgeht und die Priorität der internationalen Anmeldung [X.]/[X.]/11140 vom 20. Mai 1999 in Anspruch nimmt. Das mit „Gurtstraffer“ bezeichnete Patent umfasst 27 Ansprüche, von denen mit der vorliegenden Klage der [X.] und die darauf unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen [X.] 2, 3, 5, 19 und 21 (mit entsprechenden [X.]en) angegriffen werden.

2

Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

3

1. Gurtaufroller mit einer an einem Rahmen um eine Achse drehbar gelagerten [X.] für einen Sicherheitsgurt, einer Triebfeder, welche die [X.] in Aufwickelrichtung antreibt, einer Blockiereinrichtung zum Blockieren der [X.] gegen einen Bandauszug, einem Elektromotor, welcher von der Triebfeder bewirkte Funktionen beeinflusst, und einem Rotor, welcher um einen in axialer Richtung an der [X.] sich erstreckenden Fortsatz an der [X.] des [X.] angeordnet ist und zur Verstellung [X.] der Triebfeder in Drehverbindung mit wenigstens einem der beiden Enden der Triebfeder steht,

4

dadurch gekennzeichnet,

5

dass zwischen dem Rotor (2; 32) und der [X.] (4) eine schaltbare Kupplung (14; 15) angeordnet ist, welche in Abhängigkeit von einem in einer Unfallvorstufe abgegebenen Signal ein vom Elektromotor (1) geliefertes Drehmoment vom Rotor (2; 32) auf die [X.] (4) zur Vorstraffung des Sicherheitsgurtes überträgt.

6

Wegen des Wortlauts der Ansprüche 2, 3, 5, 19 und 21 wird auf die [X.] 199 27 731 C2 Bezug genommen.

7

Die Klägerin macht den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) geltend und stützt sich hierbei auf die bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Publikationen

8

D1 [X.] 198 44 092 A1

9

D2 [X.] 198 04 365 A1

D3 [X.] 197 31 689 A1

D4  [X.] 196 47 841 A1

D5 [X.] 196 40 842 A1

D6 [X.] 43 02 042 A1

D7 [X.] 41 12 620 A1

D8 [X.] 35 31 856 A1

D9 [X.] 27 42 676 A1

D10 [X.] 296 05 200 U1

und darüber hinaus auf folgende Druckschriften:

D11 [X.] 43 32 205 A1

D12 [X.] 196 36 448 A1

[X.] US-Patentschrift 4,579,294

D14 [X.] 28 28 297 A1

[X.] [X.] 92 08 518 U1

[X.] [X.] 36 16 900 A1

Außerdem hat die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 den [X.] der unzulässigen Erweiterung (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.]) geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 199 27 731 im Umfang der Ansprüche 1, 2 und 3, im Umfang des Anspruchs 5 in [X.] auf einen der Ansprüche 1 bis 3, im Umfang des Anspruchs 19 in [X.] auf einen der Ansprüche 1, 2, 3 oder 5 und im Umfang des Anspruchs 21 in [X.] auf einen der Ansprüche 1, 2, 3, 5 oder 19 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage insgesamt abzuweisen.

Sie tritt den Ausführungen der Klägerin entgegen und hält den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit nicht für gegeben. Das Streitpatent sei sowohl neu als auch erfinderisch. Die Geltendmachung des [X.]s der unzulässigen Erweiterung beantragt die Klägerin als verspätet zurückzuweisen.

Der Senat hat den Parteien mit Schreiben vom 15. Dezember 2015 einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 [X.] übersandt.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die beiderseits eingereichten Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung mit seiner Anlage Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die auf den [X.] der mangelnden Patentfähigkeit (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.]) gestützte Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 vorgebrachte, den [X.] der unzulässigen Erweiterung (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 1. Halbsatz [X.]) betreffende Angriff der Klägerin ist gemäß § 83 Abs. 4 [X.] als verspätet zurückzuweisen. Das Streitpatent erweist sich somit als bestandsfähig, weshalb die Klage insgesamt abzuweisen war.

[X.]

1. Die vorliegende Erfindung geht nach der Beschreibung in der Streitpatentschrift (Abs. [0002]) von einem aus der Schrift [X.] 41 12 620 [X.] (= [X.]) bekannten [X.] aus. Bei diesem werde die Aufwickelfeder durch einen Elektromotor so beaufschlagt, dass nach dem Anlegen des Sicherheitsgurtes die auf das Gurtband ausgeübte [X.] geringer werde als die auf das in die Parkposition ausgezogene Gurtband. Hierzu wirke der Elektromotor auf das drehbar gelagerte [X.] am [X.]. Bei einem weiteren aus der [X.] Patentschrift 27 42 676 (= [X.]) bekannten [X.] sei an der [X.] des [X.]s ein Elektromotor vorgesehen, welcher über eine Kupplung auf die Triebfeder wirke. Hierdurch könne die Rückstellkraft der Triebfeder eingestellt werden. Die Kupplung könne als Rutschkupplung ausgebildet sein, um das vom Elektromotor (Stellmotor) übertragene Drehmoment auf einen Höchstwert zu begrenzen (Streitpatentschrift Abs. [0003]). Aus [X.] 296 05 200 [X.] sei ein [X.] mit einer Lastbegrenzungseinrichtung bekannt, die aus einem in der Achse der [X.] angeordneten Torsionsstab bestehe. Der Torsionsstab besitze einen axialen Fortsatz, an welchem ein Rotor zur Übertragung eines von einem Linearstrafferantrieb erzeugten Drehmoments zur Leistungsstraffung des [X.] übertragen werde (Streitpatentschrift Abs. [0004]).

Aufgabe der Erfindung sei es, einen [X.] der eingangs genannten Art zu schaffen, bei welchem der mit dem Elektromotor ausgestattete [X.] mit kompaktem Aufbau weitere Funktionen erfülle (Streitpatentschrift [0005]).

Diese Aufgabe soll erfindungsgemäß durch ein Erzeugnis mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 gelöst werden. Die Merkmale dieses Anspruchs können wie folgt gegliedert werden:

1.1. [X.] mit

1.2 einer an einem Rahmen um eine Achse drehbar gelagerten [X.] für einen Sicherheitsgurt,

1.3 einer Triebfeder, welche die [X.] in Aufwickelrichtung antreibt,

1.4 einer Blockiereinrichtung zum Blockieren der [X.] gegen einen [X.],

1.5 einem Elektromotor, welcher von der Triebfeder bewirkte Funktionen beeinflusst, und

1.6 einem Rotor, welcher um einen in axialer Richtung an der [X.] sich erstreckenden Fortsatz an der [X.] des [X.]s angeordnet ist und zur Verstellung [X.] der Triebfeder in [X.] mit wenigstens einem der beiden Enden der Triebfeder steht, wobei

1.7 zwischen dem Rotor und der [X.] eine schaltbare Kupplung angeordnet ist,

1.8 welche in Abhängigkeit von einem in einer Unfallvorstufe abgegebenen Signal ein vom Elektromotor geliefertes Drehmoment vom Rotor auf die [X.] zur Vorstraffung des Sicherheitsgurtes überträgt.

2. Als zuständiger [X.], auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für die Interpretation des Standes der Technik ankommt, ist im vorliegenden Fall ein Maschinenbau-Ingenieur (FH) mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Insassenrückhaltesystemen anzusehen.

3. Der Fachmann geht bei der Auslegung des Anspruchs 1 von folgendem Verständnis aus:

a) Die dem Oberbegriff des Anspruchs zuzuordnenden Merkmale 1.1 bis 1.5 weisen dessen Gegenstand als eine gattungsgemäße Aufrollvorrichtung für Sicherheitsgurte aus, bei der der Sicherheitsgurt gegen [X.] einer Feder von der [X.] abgezogen bzw. durch die Federkraft wieder auf die [X.] aufgewickelt wird, und die mit einer Blockiereinrichtung und einem Elektromotor ausgestattet ist.

b) Ferner ist ein Rotor vorhanden, für den Merkmal 1.6 mehrere - aus dem Stand der Technik ebenfalls bekannte - Festlegungen trifft.

Der Rotor ist zum einen an der [X.] des [X.]s angeordnet, und zwar um einen in axialer Richtung an der [X.] sich erstreckenden Fortsatz. Dies bedeutet, dass der Rotor diesen Fortsatz umgibt; eine Anordnung lediglich neben dem Fortsatz oder in dessen Nähe wäre nicht anspruchsgemäß.

Zum anderen steht der Rotor zur Verstellung [X.] der Triebfeder in [X.] mit wenigstens einem der beiden Enden der Triebfeder, d. h. mit dem äußeren oder dem inneren Ende. Hierbei handelt es sich um eine permanente, insbesondere von einer Abgabe des in Merkmal 1.8 angesprochenen Signals unabhängige Verbindung, durch die ein von dem Motor erzeugtes Drehmoment die Rückstellkraft der Feder in der einen oder anderen Richtung beeinflussen kann. Laut Streitpatentschrift (Spalte 1, Zeilen 60 bis 64) handelt es sich bei der [X.] insbesondere um eine starre Verbindung, ohne Zwischenschaltung einer Rutschkupplung, wobei ein (Planeten-) Getriebe zwischen dem Rotor und dem Angriffspunkt an der Feder vorgesehen sein kann.

c) Die gemäß Merkmal 1.6 dauerhaft bestehende [X.] zwischen dem Rotor und einem Ende der Triebfeder wird erfindungsgemäß ergänzt um eine zwischen dem Rotor und der [X.] bestehende Verbindung. Hierfür ist gemäß Merkmal 1.7 zwischen Rotor und [X.] eine schaltbare Kupplung angeordnet.

Entsprechend dem eindeutigen Anspruchswortlaut trifft Merkmal 1.6 zum einen eine räumliche Festlegung, d. h. die Kupplung muss außerhalb des Rotors angesiedelt sein. Eine lediglich im Kraftfluss zwischen Rotor und [X.] befindliche, räumlich hingegen extern angesiedelte Kupplung wäre nicht anspruchsgemäß.

Die Kupplung muss außerdem schaltbar sein, d. h. es handelt sich nicht etwa um eine starre Kupplung zur dauerhaften Verbindung des Rotors mit der [X.], sondern um eine Kupplung, durch die zwischen verschiedenen Betriebsarten hin- und hergeschaltet werden kann.

d) Gemäß Merkmal 1.8 dient die Kupplung zur Übertragung eines Drehmoments vom Rotor auf die [X.]. Dadurch soll unterhalb der [X.] für die Leistungsstraffung (d. h. in einer sog. Pre-Crash-Situation) eine Gurtvorstraffung bewirkt und dem Fahrzeuginsassen ein Sicherheitsgefühl bei starken Bremsungen, in der Vorstufe eines Unfalls oder bei unfallträchtigen Fahrsituationen vermittelt werden. Hierzu kann z. B. die Triebfeder durch den Elektromotor auf Block gewickelt werden, wobei die Feder sodann das weitergehende Drehmoment über die eingerückte Kupplung auf die [X.] zum Vorstraffen des Sicherheitsgurtes überträgt. Es soll aber auch möglich sein, diese Drehbewegung nur über eine eingerückte Kupplung auf die [X.] zu übertragen (Streitpatentschrift, Spalte 1, Zeilen 37 bis 48).

Die Kupplung soll zum Zwecke der Vorstraffung durch ein in einer Unfallvorstufe abgegebenes Signal geschaltet werden und dann ein von dem Elektromotor geliefertes Drehmoment vom Rotor auf die [X.] zur Vorstraffung des Sicherheitsgurtes übertragen.

I[X.]

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist neu. In keiner der von der Klägerin als neuheitsschädlich angesehenen Druckschriften war am [X.] ein Gurtstraffer mit allen anspruchsgemäßen Merkmalen offenbart.

1. Die [X.] [X.] 43 32 205 [X.] ([X.]) betrifft gemäß dortigem Patentanspruch 1 ein Dreipunkt-Sicherheitsgurtsystem mit einem Gurtstraffer, bei dem zur Milderung der Federrückzugskraft bei angelegtem Sicherheitsgurt ein gesteuertes Gegendrehmoment für die [X.] (= [X.]) vorgesehen ist. Außerdem wird bei Überschreitung einer kritischen Geschwindigkeitsänderung eine Leistungsstraffung des [X.] ausführt, wobei hierfür der Gurtstraffer am Gurtschloss angreift.

Aus dieser Entgegenhaltung gehen die Merkmale 1.1 bis 1.5 mit ausreichender Deutlichkeit hervor; auch wenn Teilmerkmale (wie das Vorhandensein eines Rahmens gemäß Merkmal 1.2, die Funktion der Feder als einer Triebfeder gemäß Merkmal 1.3 sowie die Wirkungsweise des Elektromotors gemäß Merkmal 1.5) nicht ausdrücklich beschrieben sind.

Bei dem in [X.], Figur 2 (mit Beschreibung Spalte 3, Zeilen 55 ff.), gezeigten Ausführungsbeispiel ist die [X.] mit einer Rückstellfeder verbunden. Außerdem ist ein von einem Elektromotor angetriebenes Antriebsrad (= Rotor) vorgesehen. Dieses ist jedoch nicht i. S. d. Merkmals 1.6 um einen sich in axialer Richtung an der [X.] erstreckenden Fortsatz an der [X.] des [X.]s angeordnet. Vielmehr befindet es sich neben der [X.] 10, was für die Verwirklichung des Merkmals nicht ausreicht (s. o. [X.]3.b). Dies gilt unabhängig davon, ob die Ausgestaltung nach [X.] eine ausreichende [X.] zwischen dem Rotor und einem Ende der Triebfeder ermöglicht.

Auch die Merkmale 1.7 und 1.8 sind in[X.] nicht verwirklicht. Zwar besteht dort zwischen dem Elektromotor 8 über ein [X.] (= Rotor) 13 ein ständiger Kontakt mit der [X.] (= [X.]) 10, wobei es auch als möglich angesehen wird, den [X.] nur dann herzustellen, wenn eine Betätigung auf die [X.] 10 ausgeübt werden soll (vgl. [X.], Spalte 4, Zeilen 50 bis 54). Aber auf diese Weise kommt keine schaltbare Kupplung i. S. d. Merkmals 1.7 zustande. Hierfür fehlt es bereits an der räumlichen Anordnung zwischen [X.] und [X.]. Auch wird durch das bloße An- bzw. Ausschalten des Elektromotors nicht zwischen zwei Betriebsarten hin- und hergeschaltet (s. o. [X.]3.c). In [X.] findet der Fachmann ferner keinen Hinweis darauf, dass die [X.] zwischen dem [X.] und der Reibfläche der [X.] dazu benutzt wird, um entsprechend Merkmal 1.8 in Abhängigkeit von einem in einer Unfallvorstufe abgegebenen Signal ein von dem Elektromotor geliefertes Drehmoment zu übertragen.

2. Aus der [X.] [X.] 196 36 448 [X.] ([X.]) ist eine Sicherheitsgurt-Aufrolleinrichtung bekannt, bei der jedenfalls die Merkmale 1.7 und 1.8 ebenfalls nicht verwirklicht sind.

Das in [X.] beschriebene [X.] hat einen Gurtspannungs-Mechanismus zur Steuerung der Drehung der [X.], wobei die Gurtspannungs-Steuerung auf Grund von Detektionssignalen eines Objektdetektors von statten geht (vgl. [X.], Patentanspruch 1). Dieses System verfügt über einen Motor und ein Getriebe, das die Antriebskraft des [X.] auf die [X.] überträgt (vgl. [X.], Patentanspruch 11). In [X.], Figur 1, sind der [X.] und dessen Antriebswelle parallel zur [X.] 4 angeordnet. Über eine Getriebekupplung 32 und einen zweiten Getriebemechanimus 39 wird die Antriebskraft auf Zähne 26a eines [X.]s, dort als Getriebehalter 26 bezeichnet, übertragen (vgl. [X.], Seite 8, Zeilen 8 bis 14). Die [X.] liegen seitlich vom [X.] und damit nicht zwischen Rotor und [X.].

3. In der [X.] ([X.]) ist ein [X.] (seat belt retractor 10) beschrieben, der unstreitig die Merkmale 1.1 bis 1.4 aufweist. Dieser [X.] hat eine erste, der Triebfeder 5 im Streitpatent entsprechende Feder 20, die eine bestimmte Drehrichtung aufweist und ein ständiges Vorspannen der Spule und damit des Gurtes bewirkt (vgl. [X.], Patentanspruch 1). Weiter ist eine zweite, mit größerer Federkraft als die erste ausgestattete Feder 26 vorgesehen, die als Spiralfeder mit dem inneren Ende an der Antriebswelle und mit dem äußeren Ende an einem Rückspulantrieb 32 befestigt ausgebildet ist (vgl. [X.], Patentanspruch 1, und Figur 1). Ein Motor 32 steht in [X.] mit dem Rückspulantrieb 32 (vgl. Figur 1), beeinflusst aber nicht, wie Merkmal 1.5 es fordert, von der Triebfeder (erste Feder 20) bewirkte Funktionen.

Zwischen der ersten Feder 20 und der zweiten Feder 26 sind zum einen eine Reibplatte 52 und zum anderen eine Drehscheibe 50 vorgesehen, die im Notfall zur Übertragung eines Torsionsmoments kuppelbar sind (vgl. Patentanspruch 1, Merkmal g und Figur 1). Auch wenn man die Drehscheibe 52, die ein Teil der Kupplung darstellt, als Rotor auffasst, befinden sich die Kuppelteile 50, 52 nicht zwischen Rotor und [X.], wie Merkmal 1.7 fordert, sondern zwischen der ersten Feder 20 und der zweiten Feder 26.

4. Die [X.] [X.] 28 28 297 [X.] ([X.]) zeigt unstreitig die Merkmale 1.1 bis 1.5.

Die dortige Sicherheitsgurtanordnung hat eine von einem Elektromotor 7 angetriebene Gurtaufwickelvorrichtung, wobei der Elektromotor 7 in Abhängigkeit von der Stellung das [X.] des Fahrzeugs steuerbar ist (vgl. [X.], Patentanspruch 1, und Figur 1). Der Elektromotor 7 ist über eine Kupplung mit der Gurtaufwickelvorrichtung 2 verbindbar (vgl. [X.], Patentanspruch 4). Zur genauen örtlichen Anordnung der Kupplung sind [X.] keine weitergehenden Angaben zu entnehmen. Das Merkmal 1.7 - eine schaltbare Kupplung ist zwischen dem Rotor und der [X.] angeordnet - geht daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht unmittelbar und eindeutig aus [X.] hervor.

II[X.]

Dem durch Patentanspruch 1 geschützten Gegenstand kann auch die erforderliche [X.] nicht abgesprochen werden, weil er dem Fachmann am [X.] durch die insoweit von der Klägerin in Betracht gezogenen Entgegenhaltungen nicht nahegelegt war.

1. Als möglichen Ausgangspunkt für Überlegungen des Fachmanns, die ihn zur Lehre des Streitpatents führen könnten, sieht die Klägerin die [X.] [X.] 197 31 689 [X.] ([X.]) an.

Diese Druckschrift zeigt in Figur 2 einen [X.], der eine an einem Rahmen 3 um eine dort als [X.]nachse 19 bezeichnete Achse drehbar gelagerte [X.] 2 für einen Sicherheitsgurt 32 aufweist. Eine Triebfeder 9 treibt dort die [X.] 2 in Aufwickelrichtung an. Auch ist eine Blockiereinrichtung 43, 48 zum Blockieren der [X.] gegen einen [X.] vorgesehen. Ein Elektromotor 2 beeinflusst von der Triebfeder 9 bewirkte Funktionen. Somit sind durch [X.] die Merkmale 1.1 bis 1.5 offenbart.

Das Merkmal 1.6 geht aus der Entgegenhaltung [X.] nur teilweise hervor. Ein als [X.] bezeichneter Rotor ist um einen in axialer Richtung an der [X.] sich erstreckenden Fortsatzangeordnet und steht zur Verstellung [X.] der Triebfeder in [X.] mit wenigstens einem der beiden Enden der Triebfeder. Das Vorhandensein eines Fortsatzes kann dabei der Vorrichtung gemäß [X.] nicht abgesprochen werden. Die Achse der [X.], dort als [X.]nachse 19 bezeichnet, geht - wie der Fortsatz 7 gemäß Streitpatent - über in die Motorwellenachse 11, und der Teil, der über die [X.]nbreite hinausgeht (in Figur 2 auf der linken Seite ersichtlich), bildet im Sinne des Streitpatents den Fortsatz. Entgegen Merkmal 1.6 ist jedoch bei [X.] der Rotor nicht auf der [X.] des [X.]s vorgesehen, sondern auf der der [X.] gegenüber liegenden Seite.

Die Merkmale 1.7 und 1.8 sind in [X.] ebenfalls nicht verwirklicht. Gemäß [X.], Spalte 4, letzter Absatz, und Spalte 5, erster Absatz, ist zur Erzielung der Strafferwirkung ein Elektromotor 3 vorgesehen, der sein Drehmoment über ein Getriebe 4 auf die [X.] 1 überträgt. Auch wird dort eine Kupplung angesprochen, aber entgegen der Auffassung der Klägerin geht aus dieser Dokumentenstelle nicht hervor, wo die Kupplung genau angeordnet ist, und ebenfalls nicht, dass sie in Abhängigkeit von einem in einer Unfallvorstufe abgegebenen Signal ein vom Elektromotor geliefertes Drehmoment vom Rotor auf die [X.] zur Vorstraffung des Sicherheitsgurtes überträgt.

Der Entgegenhaltung [X.] fehlt auch jeglicher Hinweis, der den Fachmann veranlassen könnte, die Feder auf die [X.] zu verlegen und zwischen dem Rotor und der [X.] eine schaltbare Kupplung vorzusehen. Denn in [X.] wird eine andere Lösung verfolgt, die den Grad der Gurtstraffung über ein kuppelbares Getriebe mit unterschiedlichen Schaltstellungen und über einstellbare Gurtkraftbegrenzer 5 mit mehreren Lamellen vorsieht (vgl. [X.]).

2. Auch ausgehend von der [X.] [X.] 36 16 900 [X.] ([X.]) konnte der Fachmann nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents gelangen, ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen.

Die Entgegenhaltung [X.] zeigt in den Figuren 1 und 2 eine Gurt-Aufrollvorrichtung mit einem als Gehäuse 1 bezeichneten Rahmen, an dem eine um eine Achse drehbar gelagerte [X.] (= [X.]) für einen Sicherheitsgurt 5 drehbar gelagert ist. Eine dort als Feder 4 bezeichnete Triebfeder treibt die [X.] 2 in Aufwickelrichtung an. Auch ist eine Blockiereinrichtung 6 zum Blockieren der [X.] gegen einen [X.] vorgesehen. Ein Elektromotor 25 beeinflusst von der Triebfeder 4 bewirkte Funktionen. Somit gehen auch aus dieser Druckschrift die Merkmale 1.1 bis 1.5 hervor.

Das Merkmal 1.6 ist bei [X.] wiederum nur teilweise verwirklicht. Ein dort als Zahnrad 26 bezeichneter Rotor ist um einen in axialer Richtung an der [X.] sich erstreckenden Fortsatz angeordnet und steht zur Verstellung [X.] der Triebfeder 4 in [X.] mit wenigstens einem der beiden Enden der Triebfeder. Der Rotor befindet sich allerdings nicht auf der [X.] des [X.]s, sondern auf der der [X.] gegenüberliegenden Seite.

Vorrangig soll bei [X.] situationsbedingt und in Abhängigkeit von der Fahrzeuggeschwindigkeit mittels der Gurtlockerungsvorrichtung 21, 22, 23, 24, 25 eine angemessene Gurtlose eingestellt werden. Durch [X.], wie am Beispiel „Rückwärtsgang ein“ erläutert ([X.], Seiten 21 ff.), wird der Sicherheitsgurt zu einem gewissen Grad zwangsweise aus der Aufrollvorrichtung nach beschriebener Betriebsart 4 ausgezogen. Über entsprechende Steuerungsschritte 62, 63, 64 wird ein spannungsloser Zustand des Sicherheitsgurtes hergestellt, um den Fahrer beim Rückwärtsfahren nicht durch unangenehme Spannungen zu beeinträchtigen. Wenn der Schalthebel wieder in die Normalstellung zurückgestellt ist, wird die registrierte Auszugslänge durch den Motor wieder verringert. Der Motor kann auch ausgestellt bleiben; der Sicherheitsgurt wird dann unter Wirkung der Rückholfeder 4 aufgerollt.

An eine Vorstraffung des Sicherheitsgurtes, die in Abhängigkeit von einem in einer Unfallvorstufe abgegebenen Signal durch Übertragung eines vom Elektromotor gelieferten Drehmoments vom Rotor auf die [X.] bewirkt wird (Merkmal 1.8), ist in der Druckschrift [X.] nirgendwo die Rede.

Auch eine Verlegung des Rotors auf die [X.] wird der Fachmann, ausgehend von [X.], nicht in Betracht ziehen, weil nach dem Aufbau der dortigen Vorrichtung ganz bewusst zwischen Feder- und [X.] getrennt wird.

Ebenso war der Fachmann durch [X.] nicht angeregt, eine schaltbare Kupplung so zwischen dem Rotor und der [X.] einzubauen, dass sie i. S. d. Merkmals 1.8 in Abhängigkeit von einem in einer Unfallvorstufe abgegebenen Signal ein vom Elektromotor geliefertes Drehmoment vom Rotor auf die [X.] zur Vorstraffung des Sicherheitsgurtes überträgt. Denn die Entgegenhaltung [X.] verfolgt ein völlig anderes, aus einem motorbetriebenen Gurtlockerungsmechanismus mit einem Planetengetriebe bestehendes Konzept (vgl. [X.], Patentansprüche 1, 5 und 7).

Auch wenn strittige Einzelmerkmale bei isolierter Betrachtung der Entgegenhaltung [X.] entnehmbar sind, so führt dennoch von dieser Schrift - ohne rückschauende Betrachtung - kein Weg zum Gegenstand des Streitpatents, insbesondere zu dessen Aufbau mit Anordnung der schaltbaren Kupplung auf der [X.] und dem Zusammenwirken von Rotor und [X.] in einer Unfallvorstufe.

3. Der weitere Stand der Technik ist von der Klägerseite nicht weiter aufgegriffen worden und ist weder allein noch in einer Zusammenschau relevant.

IV.

Der auf den [X.] der unzulässigen Erweiterung (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.]) gestützte, erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 vorgebrachte Angriff der Klägerin bleibt für die im vorliegenden Verfahren zu treffende Entscheidung unberücksichtigt. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob die hiermit verbundene Klageänderung, der die Beklagte nicht zugestimmt hat, als sachdienlich i. S. d. § 99 [X.] i. V. m. § 263 ZPO anzusehen wäre. Denn jedenfalls liegen hier die Voraussetzungen des § 83 Abs. 4 [X.] für eine Zurückweisung des neuen Angriffsmittels vor:

1. In dem frühen gerichtlichen Hinweis vom 15. Dezember 2015 hat der Senat den Parteien für sachdienliche Anträge und ergänzendes Vorbringen eine Frist bis zum 19. Februar 2016, zur Erwiderung auf Stellungnahmen der jeweiligen Gegenpartei eine weitere Frist bis zum 24. März 2016 gesetzt. Diese Fristen hat die Klägerin überschritten, als sie den zusätzlichen [X.] erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 geltend gemacht hat.

2. Die Berücksichtigung des neuen Vortrags hätte eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht (§ 83 Abs. 4 Nr. 1 [X.]). Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin den Vorwurf der unzulässigen Erweiterung auf die Merkmale 1.6 und 1.7 des Gegenstands von Patentanspruchs 1 bezieht, d. h. insbesondere auch auf das Merkmal der „schaltbaren Kupplung“, das für die Patentfähigkeit des [X.] von maßgeblicher Bedeutung ist.

Sollte etwa dieses, den Anspruchsgegenstand einschränkende Merkmal in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen nicht als zur Erfindung gehörig offenbart sein, so hätte dies zur Folge, dass es zwar im Patentanspruch verbliebe, jedoch nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden dürfte ([X.], 40, 42 - Winkelmesseinrichtung). Grundlage der Prüfung wäre dann ein [X.], bei dem zwischen Rotor und [X.] keine schaltbare Kupplung vorgesehen ist. Ein solcher, gegenüber der erteilten Anspruchsfassung erweiterter Patentgegenstand hätte vom Senat erstmals auf seine Patentfähigkeit geprüft werden, und das Ergebnis der Prüfung hätte mit den Parteien - nach Einräumung einer ausreichenden Überlegungsfrist - erörtert werden müssen. [X.]. hätte der [X.] auch eine Frist zur ([X.]) Vorlage einer geänderten Anspruchsfassung eingeräumt werden müssen.

Auf Grund der dadurch hervorgerufenen Verzögerungen hätte das Verfahren nicht mehr an dem vorgesehenen Sitzungstag zu Ende gebracht werden können. Insbesondere wäre es für die Beklagte nicht zumutbar gewesen, sich aus dem Stand zum neuen [X.] zu äußern, so dass eine Vertagung erforderlich gewesen wäre (vgl. [X.], 354, 355 - Crimpwerkzeug).

3. Die Klägerin hat die verspätete Geltendmachung des [X.]es der unzulässigen Erweiterung nicht genügend entschuldigt (§ 83 Abs. 4 Nr. 2 [X.]). Ein Grund, weshalb die (angebliche) unzulässige Erweiterung bzgl. der Merkmal 1.6 und 1.7 nicht rechtzeitig gerügt worden ist, wurde von der Klägerin nicht genannt und ist auch nicht erkennbar.

4. Die Parteien wurden in dem frühen gerichtlichen Hinweis vom 15. Dezember 2015 über die Folgen einer Fristversäumung belehrt (§ 83 Abs. 4 Nr. 3 [X.]).

5. Es besteht im vorliegenden Fall auch kein Anlass, trotz Vorliegens der in § 83 Abs. 4 [X.] genannten Voraussetzungen von einer Zurückweisung des verspätet vorgebrachten Angriffsmittels abzusehen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Zurückweisung auf Seiten der Klägerin zu einer besonderen Härte führt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass diese nicht gehindert ist, den [X.] der unzulässigen Erweiterung im Rahmen einer erneuten Nichtigkeitsklage geltend zu machen.

IV.

Somit hat Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung Bestand, und mit ihm die auf ihn rückbezogenen, mit der Klage angegriffenen [X.], 3, 5, 19 und 21, weshalb die Klage insgesamt abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 ZPO.

Meta

7 Ni 2/15

14.04.2016

Bundespatentgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

§ 263 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 14.04.2016, Az. 7 Ni 2/15 (REWIS RS 2016, 13023)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13023

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X ZR 63/16 (Bundesgerichtshof)


X ZR 115/20 (Bundesgerichtshof)


6 Ni 22/19 (Bundespatentgericht)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Gurtaufroller" - unzulässige Erweiterung - keine zulässige Verallgemeinerung der Ursprungsoffenbarung


X ZR 50/16 (Bundesgerichtshof)

Patentanspruch: Sachanspruch mit Zweck- oder Funktionsangaben für die beanspruchte Vorrichtung; Bejahung der Patentfähigkeit bei Inkaufnahme …


X ZR 50/16 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

X ZR 63/16

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.