Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2021, Az. StB 9/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 7555

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Gegenstand

Pflichtverteidigerwechsel: Störung des Vertrauensverhältnisses auf Grund mangelnder Kontaktaufnahme zum inhaftierten Beschuldigten


Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 10. Februar 2021 wird verworfen.

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

1

Das [X.] Düsseldorf führt gegen die Angeklagte ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in mehreren Fällen, teils in Tateinheit mit weiteren Delikten. Die Angeklagte hat beantragt, die Bestellung ihrer Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin [X.] und ihr als neuen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt [X.]    zu bestellen, da sie kein Vertrauen zu ihrer Pflichtverteidigerin habe. Den Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des [X.] abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Beschwerde. Diese begründet sie damit, dass die Pflichtverteidigerin die Anklageschrift nicht mit ihr besprochen sowie sie [X.] in der Untersuchungshaft besucht habe und daher das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört sei.

II.

2

Das als sofortige Beschwerde nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO auszulegende, zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Das [X.] hat den Antrag auf [X.] zu Recht abgelehnt.

3

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung liegen nicht vor, wie vom insoweit zuständigen Vorsitzenden des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Februar 2020 - StB 4/20, [X.], 60 Rn. 3) zutreffend angenommen. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Pflichtverteidigerin und der Angeklagten endgültig im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zerstört, noch besteht ein sonstiger Grund, die Verteidigerbestellung aufzuheben.

4

a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Februar 2020 - StB 4/20, [X.], 60 Rn. 6 f. mwN). Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 11. November 2010 - [X.], NStZ-RR 2011, 48; [X.], Beschluss vom 6. September 2012 - [X.], [X.], 719; [X.], Beschluss vom 2. Juni 1972 - 2 Ws 195/72, [X.] 1972, 799; weitergehend für eine Jugendliche [X.], Beschluss vom 2. Februar 2007 - 2 Ws 51/07, [X.], 157). Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (KG, Beschluss vom 9. August 2017 - 4 Ws 101/17, juris Rn. 12; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 - [X.]. 107-IV-12 [HS], juris Rn. 11, 32 f.). Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (s. [X.], Beschlüsse vom 30. September 2008 - 5 StR 251/08, [X.], 465; vom 18. Januar 2018 - 4 [X.], NStZ-RR 2018, 84 mwN).

5

Daran gemessen ist nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Nach dem Vorbringen der Angeklagten hat die Pflichtverteidigerin sie nach der Festnahme am 28. Juli 2020 bis zum 16. Februar [X.] - im August, September und Dezember 2020 - in der Untersuchungshaft besucht. Hinzu kommt, dass die Angeklagte selbst keinen weitergehenden Kontakt zu ihrer Verteidigerin aufgenommen oder einen solchen erbeten hat. Dass die Verteidigerin nach Zustellung der Anklageschrift im Januar 2021 nicht sofort von sich aus das Gespräch mit der Angeklagten gesucht hat, führt nach den konkreten Umständen zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen entspricht die Anklageschrift im Wesentlichen dem im Haftbefehl ausgeführten Tatvorwurf (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Februar 2021 - AK 7/21, juris Rn. 2). Zum anderen hat die Angeklagte unabhängig davon bereits im Januar 2021 bei Gericht um einen [X.] gebeten. Soweit sie im Folgenden erklärt hat, keine Besuche mehr durch ihre Pflichtverteidigerin zu wünschen, kann sie deren Austausch hierdurch nicht einseitig erzwingen (s. allgemein [X.], Beschluss vom 31. März 2009 - 2 Ws 89/09, juris Rn. 16 mwN). Im Übrigen berührt es das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und der Pflichtverteidigerin nicht, dass ein weiterer Verteidiger mit dieser zusammen eine Verteidigung für "unmöglich" hält.

6

b) Ein [X.] aus einem anderen Grund kommt ebenfalls nicht in Betracht. Insbesondere sind die Voraussetzungen für einen "konsensualen" [X.] nicht ersichtlich (vgl. dazu BT-Drucks. 19/13829 [X.], 49; [X.], Beschluss vom 12. November 2020 - StB 39/20, juris Rn. 7), zumal die Angeklagte selbst nun nicht mehr, wie ursprünglich beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt [X.]   , sondern vorrangig von Rechtsanwalt [X.]begehrt.

7

c) Schließlich ist das ergänzende Vorbringen der Beschwerdeführerin zu der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO für die hier zu entscheidende Frage des [X.]s nach § 143a StPO ohne Belang, da letztere allein Gegenstand des angefochtenen Beschlusses und der Prüfung im vorliegenden Rechtsmittelverfahren ist (vgl. zur Maßgeblichkeit des beschiedenen Antrags [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2020 - StB 41/20 Rn. 11).

Spaniol                    [X.]                   Anstötz

Meta

StB 9/21

24.03.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 140 StPO, § 143a Abs 2 S 1 Nr 3 Alt 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2021, Az. StB 9/21 (REWIS RS 2021, 7555)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7555

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4 StR 610/17

2 Ws 51/07

2 Ws 89/09

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