Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. 2 BvL 3/12, 2 BvL 4/12, 2 BvL 5/12, 2 BvL 6/12

2. Senat | REWIS RS 2016, 10431

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

R-Besoldung Sachsen-Anhalt: Anträge auf Vollstreckungsanordnung gem § 35 BVerfGG unzulässig - Vollstreckungsanordnung bzgl der Umsetzung eines Normenerlassauftrags nur bei Untätigkeit des Gesetzgebers


Tenor

Die Anträge auf Erlass von [X.] werden verworfen.

Gründe

I.

1

Gegenstand des Verfahrens sind Anträge auf Erlass von [X.] nach § 35 [X.] im Nachgang zum Urteil des Senats vom 5. Mai 2015 zur [X.] ([X.] 139, 64). Der Entscheidung lagen unter anderem vier [X.] des [X.] nach Art. 100 Abs. 1 GG zugrunde. Den Klagen in den Ausgangsverfahren wurde mit bislang unveröffentlichten rechtskräftigen Urteilen des [X.] vom 8. Juli 2015 stattgegeben. Die hiesigen Antragsteller sind die Kläger der Ausgangsverfahren vor dem [X.].

2

1. Das [X.] hatte dem Gesetzgeber des [X.] mit Ziffer 3 des Tenors der Senatsentscheidung vom 5. Mai 2015 aufgegeben, verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Januar 2016 an zu treffen ([X.] 139, 64 <71>).

3

Der Gesetzgeber des [X.] hat daraufhin das Gesetz zur Änderung besoldungs- und richterrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 2015 ([X.]) erlassen, welches am 30. Dezember 2015 in [X.] getreten ist.

4

2. Die Kläger der Ausgangsverfahren vor dem [X.] haben unter dem 4. März 2016 die Anträge gestellt, "eine Vollstreckungsanordnung gem. § 35 [X.] zu erlassen, in der dem Gesetzgeber des [X.] aufgegeben wird, eine verfassungskonforme Regelung für die Besoldungsgruppe [X.] für die Jahre 2008 bis 2010 zu erlassen."

5

Zur Begründung wird angeführt, die vom Landesgesetzgeber gewählte Minimallösung führe nicht zu verfassungskonformen Regelungen. Der Besoldungsgesetzgeber habe für jedes der Jahre 2008 bis 2010 punktuell lediglich einen der drei beanstandeten Parameter repariert (1. Prüfungsstufe), und zwar lediglich bis zur Abweichung von 4,99 % sowie lediglich isoliert für ein Jahr und nicht als Basis für die Folgejahre. Er habe durch eine einmalige Brutto-Nachzahlung einen Steuerschaden bei den Betroffenen herbeigeführt und somit die relevante [X.] nicht hinreichend verbessert. Weiterhin habe er allenfalls die evidente Unteralimentation beseitigt, nicht jedoch die einfache Rechtswidrigkeit der Besoldung. Schließlich habe er die erforderliche Gesamtabwägung (2. Prüfungsstufe) gänzlich unterlassen, womit sich die Verfassungswidrigkeit seiner Regelung bereits aus der Verfehlung der prozeduralen Anforderungen ergebe.

II.

6

Die Anträge werden verworfen, weil sie unzulässig sind.

7

1. Nach § 35 [X.] kann das [X.] in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln. Danach trifft das Gericht alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen verfahrensabschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen. Grundsätzlich kann das [X.] auch nachträglich [X.] auf der Grundlage des § 35 [X.] treffen. Allerdings darf die Vollstreckungsanordnung die Sachentscheidung, deren Vollstreckung sie dient, nicht ändern, modifizieren, ergänzen oder erweitern (vgl. [X.] 6, 300 <303 f.>; 68, 132 <140>; 100, 263 <265>).

8

2. Die Anträge sind nicht statthaft, da die begehrten [X.] über diese Grenze hinausgingen. Die beantragten - die Ziffer 3 des Tenors des Urteils vom 5. Mai 2015 lediglich [X.] - [X.] enthielten, sofern sie ergingen, die (inzidente) Feststellung, dass das Gesetz zur Änderung besoldungs- und richterrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 2015 keine verfassungskonformen Regelungen treffe. Eine solche Feststellung setzte eine Prüfung der durch das Gesetz geschaffenen neuen Rechtslage voraus. Ein derartiger Beschluss erschöpfte sich daher nicht in der Vollstreckung der Sachentscheidung vom 5. Mai 2015, sondern ergänzte und erweiterte sie.

9

Die verfassungsrechtliche Würdigung der geänderten Gesetzeslage könnte Gegenstand eines eigenständigen verfassungsgerichtlichen Verfahrens sein, sei es im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens aufgrund fachgerichtlicher Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, sei es im Rahmen einer - nach Erschöpfung des Rechtswegs erhobenen - Verfassungsbeschwerde. Es kann indes nicht Zweck des § 35 [X.] sein, den Begünstigten eines früheren verfassungsgerichtlichen Verfahrens neben einem neuen verfassungsgerichtlichen Verfahren einen zusätzlichen wahlweisen Rechtsbehelf in Form eines Antrags auf Erlass einer Vollstreckungsanordnung zu gewähren (vgl. - im Hinblick auf eine vorangegangene Verfassungsbeschwerde - [X.] 68, 132 <141>).

Andernfalls würden die funktionell-rechtlichen Grenzen zur [X.] missachtet. Die Aufbereitungs-, Vorprüfungs- und Entlastungsfunktion der Fachgerichte wiegt vorliegend mit Blick auf die - auch von den Antragstellern eingeforderte - Komplexität der vorzunehmenden mehrstufigen verfassungsrechtlichen Prüfung besonders schwer. Wie im Urteil vom 5. Mai 2015 dargelegt, erschöpft sich die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Alimentation nicht in der bloßen Berechnung, ob die durch Zahlenwerte konkretisierten Parameter eingehalten wurden. Vielmehr tritt zu dieser ersten - allenfalls eine Vermutung evident verfassungswidriger Alimentierung begründenden - Prüfungsstufe eine zweite hinzu, welche eine komplexe Gesamtabwägung erfordert und daher - spätestens - jedes Vollstreckungsverfahren überfordern würde. Die Anträge nach § 35 [X.] zuzulassen, hieße daher, das Verhältnis von fachgerichtlichem und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz zu verkehren (vgl. zu diesem Aspekt [X.] 100, 263 <265>).

Die Unstatthaftigkeit von Anträgen auf Erlass von [X.], die eine Würdigung in der Sachentscheidung noch nicht berücksichtigter Normen erforderten, gilt auch, wenn der Vollzug der Sachentscheidung - wie hier - gerade im Erlass von Normen besteht. Sofern der Gesetzgeber ein ([X.] erlässt, welches seinerseits Gegenstand eigenständiger Prüfung in einem konkreten Normenkontroll- oder Verfassungsbeschwerdeverfahren sein kann, ist der Weg über § 35 [X.] versperrt. Etwas anderes dürfte allenfalls dann gelten, wenn der von der ausgesprochenen Gesetzgebungspflicht betroffene Gesetzgeber gar nicht tätig geworden ist oder nur in einer Weise, die so offensichtlich hinter den sich aus der Sachentscheidung ergebenden Anforderungen zurückbleibt, dass dies materiell einer Untätigkeit gleichkommt. Eine solche Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Der [X.] Besoldungsgesetzgeber verfolgte mit seinem Änderungsgesetz in Auseinandersetzung mit dem Urteil vom 5. Mai 2015 das Ziel, eine amtsangemessene Besoldung anhand der dort genannten Anforderungen herzustellen, und hat dieses Ziel jedenfalls nicht in einer der Untätigkeit gleich zu achtenden Weise verfehlt.

Meta

2 BvL 3/12, 2 BvL 4/12, 2 BvL 5/12, 2 BvL 6/12

07.06.2016

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend BVerfG, 5. Mai 2015, Az: 2 BvL 3/12, Urteil

§ 35 BVerfGG, § 80 BVerfGG, Bes/RiRÄndG ST 2015

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. 2 BvL 3/12, 2 BvL 4/12, 2 BvL 5/12, 2 BvL 6/12 (REWIS RS 2016, 10431)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10431 BVerfGE 142, 116-122 REWIS RS 2016, 10431

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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