Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2013, Az. XII ZB 167/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8724

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

XII [X.] 167/11

vom

23. Januar 2013

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG § 117 Abs. 5; ZPO §§ 233 Fd
a)
Wird dem Rechtsanwalt die Handakte zur Wahrung der Beschwerdefrist vor-gelegt, hat er stets auch die korrekte Notierung der Begründungsfrist zu [X.] (im [X.] an [X.]sbeschluss vom 2.
November 2011
XII
[X.] 317/11
amRZ 2012, 108).
b)
Die Sorgfaltspflicht in [X.] verlangt von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von [X.] zu gewährleisten. Über-lässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass
die Fristen zu-verlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung [X.] erforderlichen Vorkehrungen genügt es, wenn die Ar-beitsanweisung vorschreibt, dass die Fristen zunächst im [X.] zu notieren sind und erst
dann in der Akte.
[X.], Beschluss vom 23. Januar 2013 -
XII [X.] 167/11 -
OLG [X.]

[X.]
-
2 -

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 23. Januar 2013
durch [X.] und [X.], Dr.
Klinkhammer, Schilling und Dr. Ne[X.]en-Boeger
beschlossen:
Auf die
Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der
Be-schluss des 11.
Zivilsenats und [X.]s für
Familiensachen
des [X.]s [X.]
vom 21.
Februar
2011
aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsge-richts

Familiengericht

Fürth vom 7.
September 2010 Wiederein-setzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Ober-landesgericht zurückverwiesen.
[X.]: 10.143

Gründe:
I.
Die Beteiligten
streiten um die Abänderung eines Urteils, nach dem der Antragsteller nachehelichen Ehegattenunterhalt
an die Antragsgegnerin zu [X.] hat. Der dem Abänderungsantrag teilweise stattgebende Endbeschluss des Amtsgerichts
ist
der Antragsgegnerin am 15.
September 2010
zugestellt
wor-den. Am
12.
Oktober 2010 hat sie hiergegen Beschwerde eingelegt. Mit [X.]
-
3 -

satz vom 16.
November 2010 (einem Dienstag), der am selben Tag beim Ober-landesgericht eingegangen ist, hat die Antragsgegnerin die Beschwerde [X.] und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der [X.] beantragt. Zur Begründung des [X.] hat sie ausgeführt, die sonst stets zuverlässige Kanzleiangestellte
ihres [X.]n, eine ausgebildete Rechts-fachwirtin,
habe versehentlich die Begründungsfrist nur in der Handakte einge-tragen, nicht jedoch im elektronischen [X.]. Daher sei die Akte dem Rechtsanwalt nicht zur Bearbeitung vorgelegt worden. Der Antrag auf [X.] von Verfahrenskostenhilfe vom 10.
November 2010, der am 12.
November 2010 eingegangen ist,
sei routinemäßig nach Eingang der [X.] ohne Vorlage der Handakte gestellt worden. In diesem Antrag hatte der [X.] klargestellt, dass die Beschwerde unabhängig von der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe durchgeführt werden solle. Am 7.
Januar 2011 hat die Antragsgegnerin den [X.] wieder zurück-genommen, nachdem ihr am 29.
November 2010 ein größerer Geldbetrag zu-geflossen war.
Das [X.] hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewie-sen und zugleich die Beschwerde
verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechts-beschwerde der Antragsgegnerin.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach §
117 Abs.
1 Satz
4 FamFG i.V.m. §§
574 Abs.
1 Nr.
1, 522 Abs.
1 Satz
4, 238 Abs.
2 Satz
1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung 2
3
4
-
4 -

erfordert eine Entscheidung
des [X.]s (§
574 Abs.
2 Nr.
2 ZPO),
denn der angefochtene Beschluss verletzt die Antragsgegnerin in ihrem
Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. dem Rechtsst[X.]tsprinzip), welcher
es den Gerichten verbietet, den Beteiligten
den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in [X.], aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. hier-zu [X.]Z 151, 221 = NJW 2002, 3029, 3031 und [X.]sbeschluss vom
2.
April 2008

XII [X.] 189/07

FamRZ 2008, 1338 Rn.
8
mwN).

2. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung aus-geführt, die Antragsgegnerin sei nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen, die am 15.
November 2010 ablaufende [X.] einzuhalten. Sie müsse sich das Verschulden ihres [X.]n zurechnen lassen. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe spiele keine Rolle, da das Verfahren unabhängig davon betrieben worden sei. Ob dem [X.]n ein Organisationsverschulden bei der Überwa-chung seiner Sekretärin vorzuwerfen sei, könne dahin stehen, da ihm ein eige-nes Verschulden zur Last falle. Spätestens bei der Unterzeichnung des Antrags auf Verfahrenskostenhilfe am 10.
November 2010 hätte für ihn [X.], sich selbst über den Fristablauf kundig zu machen.
3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht hat der Antragsgegnerin die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt. Die Antragsgegnerin hat die Begründungsfrist unverschul-det versäumt (§
117 Abs.
5 FamFG i.V.m. §
233 ZPO).
a) Allerdings
ist das Beschwerdegericht zutreffend
davon ausgegangen, dass die Versäumung der [X.] nicht auf einem wirt-schaftlichen Unvermögen der Antragsgegnerin beruht hat und daher nicht des-halb ohne Verschulden (§
233 ZPO) eingetreten ist. Versäumt ein mittelloser 5
6
7
-
5 -

Beteiligter eine Frist, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe nur
in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist. Dass dies hier nicht der Fall war, hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler dem Umstand ent-nommen, dass der [X.] der Antragsgegnerin die voll-ständige Beschwerdebegründung noch vor der Entscheidung über den Verfah-renskostenhilfeantrag gefertigt und noch vor dem unerwarteten Zahlungsein-gang, der zur Rücknahme des Antrags geführt hat, bei Gericht eingereicht hat. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin
in
ihrem
[X.] bereits klargestellt hatte, dass sie das Verfahren unabhängig von der [X.] von
Verfahrenskostenhilfe
durchführen wollte.

b) Die Antragsgegnerin
kann sich jedoch mit der Begründung
entlasten, die Fristversäumung beruhe allein auf einem Büroversehen in der Kanzlei ihres [X.]n. Die
Büroangestellte des Verfahrensbevollmächtig-ten hat es nämlich versäumt, die Rechtsmittelbegründungsfrist im elektroni-schen [X.] einzutragen. Sie hat die entsprechende Frist und eine Vorfrist lediglich in der Handakte vermerkt, so dass die Akte nicht rechtzeitig vor Ablauf der Begründungsfrist vorgelegt
wurde. Auf diesem Büroversehen beruht die Fristversäumnis auch;
dem [X.] fällt kein eigenes [X.] zur Last.
[X.]) Entgegen der Auffassung des [X.] liegt ein [X.] des [X.]n der
Antragsgegnerin nicht bereits darin, dass
er den [X.] gestellt
hat, ohne sich zugleich die Handakte vorlegen zu lassen. Denn der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe ist kein fristgebundener Antrag. Die an die Sorgfalt des Anwalts zu stellenden An-forderungen würden überspannt, wenn man von ihm verlangen würde, den Fristablauf oder die Erledigung von [X.] stets auch dann selbst zu 8
9
-
6 -

prüfen, wenn ihm die Sache ohne Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird oder ohne dass Anhaltspunkte dafür bestehen, die zur Fristwahrung getroffenen Maßnahmen könnten versagt haben ([X.]s-beschlüsse vom 2.
November 2011

XII [X.] 317/11

FamRZ 2012, 108 Rn.
9; vom 12.
Dezember 2007

XII [X.] 69/07

FamRZ 2008, 503
Rn.
12 und vom 25.
November 1998

XII [X.] 204/96

FamRZ 1999, 649, 650).
bb) Die Sorgfaltspflicht in [X.] verlangt von einem Rechtsanwalt allerdings alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von [X.] zu ge-währleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete [X.] Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (vgl. [X.] Beschlüsse vom 10.
März 2011

VII [X.] 37/10
NJW 2011, 1597 Rn.
12 und vom 8.
Februar 2010 II
[X.] 10/09
MDR 2010, 533). Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen [X.] im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die [X.] in der Handakte notiert werden und die Handakte durch ent-sprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den [X.] eingetragen worden sind ([X.] Beschlüsse vom 10.
März 2011 VII
[X.] 37/10
NJW 2011, 1597 Rn.
12; vom 26.
Januar 2009
II
[X.]
6/08
NJW 2009,
1083 Rn.
11 und [X.]sbeschluss vom 9.
Dezember 2009II
[X.] 154/09
DR 2010, 400).
[X.]) Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] den Ablauf von [X.] immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden ([X.]sbeschlüsse vom 2.
November
2011

XII [X.] 317/11

10
11
-
7 -

FamRZ
2012, 108 Rn.
11; vom 19.
Oktober 2011

XII [X.] 250/11

FamRZ 2012, 106 Rn.
9; vom 11.
Februar 2004

XII [X.] 263/03

FamRZ 2004, 696
und vom 1.
Dezember 2004

XII [X.] 164/03

FamRZ 2005, 435, 436 jeweils mwN). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Be-schwerdebegründungsfrist nach
§
117 Abs.
1 Satz
3 FamFG ist ihm dies schon ab der Zustellung des Beschlusses möglich und zumutbar, weil die [X.] mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses be-ginnt. So ist ihm die Fristenüberprüfung insbesondere bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich.
Dabei darf der Anwalt sich allerdings grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken ([X.] Beschlüsse vom 10.
März 2011

VII [X.] 37/10

NJW 2011, 1597 Rn.
12;
vom 8.
Februar 2010

II [X.] 10/09

MDR 2010, 533
und vom 22.
Januar 2008

VI
[X.] 46/07
NJW 2008, 1670 Rn.
6). Soweit die Rechtsprechung [X.] zu den jeweils in den Handakten eingetra-genen Fristen fordert, soll sichergestellt werden, dass die Fristen auch in den [X.] eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende Kontrolle anhand der Handakten möglich ist ([X.] Beschluss vom 10.
März 2011

VII
[X.]
37/10
W 2011, 1597 Rn.
13).
[X.]) Diesen Anforderungen wird die Organisation der Fristenkontrolle
in der Kanzlei des
[X.]n
der Antragsgegnerin gerecht. Nach
der vorgelegten schriftlichen Organisationsanweisung
zur
Fristnotierung im "Handbuch

Organisationsanweisung"
hat die Sekretärin die Frist zu errech-nen, dann im Kalender als Vornotfrist und als Notfrist und
erst danach
auf dem Frist mitteilenden/auslösenden Schriftstück mit dem [X.] zu notieren. Die Organisationsanweisung
schreibt
damit eine Rei-henfolge
vor, nach der die Sekretärin vorzugehen hat. Sie verlangt zwar keinen ausdrücklichen Erledigungsvermerk, jedoch ist sie dadurch, dass
sie
die [X.]
-
8 -

henfolge, nach der die Sekretärin bei der Fristenerfassung vorzugehen hat, vor-schreibt, geeignet, sicherzustellen, dass nur solche Fristen in der Akte notiert werden, die zuvor in den elektronischen [X.] eingetragen wurden.
Dass die Kanzleiangestellte des [X.]s versehentlich eine Arbeitsanweisung nicht befolgt hat, kann der Antragsgegnerin
nicht als [X.] zugerechnet
werden

III.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung gemäß §
117 Abs.
1 Satz
4 FamFG in Verbindung mit §§
238 Abs.
2 Satz
1, 522 Abs.
1 Satz
4, 574 Abs.
1 Nr.
1, 577 Abs.
4 Satz
1 ZPO aufzuheben.
Soweit es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anbelangt, konnte der [X.] selbst abschließend entscheiden (vgl. §
577 Abs.
5 Satz
1 ZPO), weil die hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen sind und die Frage der Ur-sächlichkeit des Verschuldens lediglich noch auf einer rechtlichen Bewertung beruht.
13
14
-
9 -

In der Sache selbst ist es dem [X.] allerdings verwehrt, abschließend zu entscheiden, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist. Insoweit war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß §
577 Abs.
4 Satz
1 ZPO zurückzuverweisen.

Dose

[X.]

Klinkhammer

Schilling

Ne[X.]en-Boeger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.09.2010 -
203 F 1795/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 21.02.2011 -
11 UF 1452/10 -

15

Meta

XII ZB 167/11

23.01.2013

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2013, Az. XII ZB 167/11 (REWIS RS 2013, 8724)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8724

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 317/11

VII ZB 37/10

XII ZB 250/11

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