Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.09.2012, Az. 2 AZR 811/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 2704

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Gegenstand

Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung - Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers bei ärztlicher Untersuchung - Bedenken gegen die Voreingenommenheit des Betriebsarztes


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Juli 2011 - 18 [X.] - im [X.] und insoweit aufgehoben, wie es das Urteil des [X.] vom 8. Februar 2011 - 38 Ca 15552/10 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das [X.] zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der [X.]eklagten und über Vergütungsansprüche des [X.].

2

Der 1974 geborene Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad von 70 anerkannt. Er war bei der [X.]eklagten seit dem 31. Juli 2000 als [X.]usfahrer beschäftigt. Sein durchschnittlicher [X.]ruttomonatsverdienst betrug 2.100,00 Euro. Die [X.]eklagte ist ein Unternehmen im [X.] ([X.]) - einer Anstalt des öffentlichen Rechts - und führt für diese Fahrdienstleistungen durch, unter anderem im Linienbusverkehr mit Fahrzeugen der [X.]. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer [X.]erufsausbildung [X.]eschäftigten.

3

Der Kläger war seit dem [X.] wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, zuletzt durchgängig seit dem 8. November 2007. In einem vorausgegangenen Rechtsstreit ist rechtskräftig entschieden, dass eine wegen der Arbeitsunfähigkeit des [X.] ausgesprochene Kündigung der [X.]eklagten vom 27. März 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.

4

Mit Schreiben vom 16. März 2010 forderte die [X.]eklagte den Kläger auf, am 19. März 2010 einer Untersuchung bei der [X.]etriebsärztin der [X.] zur Feststellung seiner Fahrdiensttauglichkeit nachzukommen. Der Kläger nahm den Termin nicht wahr. In einem Personalgespräch erklärte er, seine Tauglichkeit sei bereits am 11. Dezember 2009 durch eine von ihm aufgesuchte Fachärztin festgestellt worden.

5

Mit Schreiben vom 24. März 2010 erteilte die [X.]eklagte dem Kläger eine Abmahnung und forderte ihn erneut zu einer Untersuchung zur Feststellung der [X.]etriebsdiensttauglichkeit bei dem betriebsärztlichen Dienst der [X.] am 30. März 2010 auf. Der Kläger nahm auch diesen Termin nicht wahr. Deshalb erteilte die [X.]eklagte ihm mit Schreiben vom 8. April 2010 eine weitere Abmahnung und forderte ihn zur Wahrnehmung eines Termins beim betriebsärztlichen Dienst der [X.] am 13. April 2010 auf. Der Kläger kam auch dieser Aufforderung nicht nach. Die [X.]eklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst mit Schreiben vom 20. April 2010. Nachdem der Kläger die fortbestehende Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachgewiesen hatte, hielt sie an dieser Kündigung nicht fest. Sie beantragte beim [X.] die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung, welche dieses am 9. September 2010 erteilte. Mit Zustimmung auch des [X.]etriebsrats kündigte die [X.]eklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 23. September 2010 zum 31. Januar 2011.

6

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben und Vergütungsansprüche für die [X.] vom 1. Oktober 2009 bis 31. Januar 2011 geltend gemacht. Er hat gemeint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe der Aufforderung zur Untersuchung nicht Folge leisten müssen, da es hierfür keine Veranlassung gegeben habe. Aufgrund der fachärztlichen [X.]egutachtung vom 11. Dezember 2009 hätten keine Zweifel an seiner Fahrdiensttauglichkeit bestanden. Er habe auch [X.]edenken gegen eine Untersuchung durch die [X.]etriebsärzte der [X.], da diese „im Lager der [X.]eklagten“ stünden. Diese Zweifel habe er stets geäußert und angeboten, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen. Am 1. Juni 2010 habe er sich außerdem zu einer Untersuchung durch den [X.]etriebsarzt bereit erklärt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die [X.]eklagte zu verurteilen, an ihn 23.329,91 Euro brutto abzüglich 1.635,26 Euro netto nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

8

Die [X.]eklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für wirksam gehalten. Gemäß § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei [X.] im Land [X.]erlin ([X.]) sei sie bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer wahlweise durch den [X.]etriebs- oder den Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sei. Es hätten berechtigte Zweifel bestanden, dass dies bei dem Kläger der Fall gewesen sei. Seiner Mitwirkungspflicht sei dieser trotz mehrfacher Abmahnung schuldhaft nicht nachgekommen. Die [X.]etriebsärztin der [X.] sei jedenfalls als Vertrauensärztin iSd. § 3 Abs. 4 [X.] anzusehen. Während der arbeitsmedizinische Dienst des [X.] für sie die betriebsärztlichen Aufgaben in [X.]ezug auf die Regeluntersuchungen nach dem [X.] ([X.]) wahrnehme, führe der betriebsärztliche Dienst der [X.] für sie die Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen durch. Zudem sei nach der Verordnung über den [X.]etrieb von [X.] im Personenverkehr ([X.]O-Kraft) der [X.]etriebsleiter berechtigt, jeden fachlich geeigneten Arzt mit der Feststellung der Eignung zu beauftragen.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das [X.] hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die [X.]eklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.]eklagten ist hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Zahlung der begehrten Vergütung unzulässig. Im Übrigen ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Die Revision ist unzulässig, soweit mit ihr die Entscheidung des [X.]s über den [X.] angegriffen ist. Es fehlt an der erforderlichen [X.]egründung.

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. [X.]ei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des [X.]s so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., z[X.] [X.] 16. November 2011 - 4 [X.] - Rn. 15; 6. Januar 2004 - 9 [X.] - zu II 2 a der Gründe mwN, [X.]E 109, 145). [X.]ei mehreren [X.] muss bei einer unbeschränkt eingelegten Revision für jeden eine solche [X.]egründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig([X.] 16. November 2011 - 4 [X.] - aaO; 15. März 2006 - 4 [X.] - Rn. 17, [X.] ZPO § 551 Nr. 63 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 2; 12. November 2002 - 1 [X.] - zu [X.] der Gründe mwN, [X.]E 103, 312). Eine eigenständige [X.]egründung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt, so dass mit der [X.]egründung der Revision über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen unrichtig ist ( [X.] 9. April 1991 - 1 [X.] - [X.]E 68, 1).

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die [X.]eklagte hat das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt. Die Revisionsbegründung setzt sich lediglich mit der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 23. September 2010 auseinander. Auf die Verurteilung der [X.]eklagten zur Zahlung von Vergütung geht sie nicht ein und erhebt insoweit auch keine [X.]. Dessen hätte es aber bedurft. [X.]ei dem [X.] handelt es sich gegenüber dem Feststellungsbegehren um einen eigenständigen Streitgegenstand. Die Entscheidung über diesen hängt nicht notwendig von derjenigen über die Wirksamkeit der Kündigung ab. Die Kündigung wurde zum 31. Januar 2011 erklärt. Vergütungsansprüche hat der Kläger für die [X.] vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2011, mithin ausschließlich für die [X.] bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geltend gemacht.

[X.]. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie begründet. Mit der vom [X.] gegebenen [X.]egründung kann eine Verpflichtung des [X.], sich der von der [X.]eklagten geforderten Untersuchung bei dem betriebsärztlichen Dienst der [X.] zu unterziehen, nicht verneint werden. Ob die Kündigung vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

I. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.

1. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 34, [X.] KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA [X.]G[X.] 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 [X.] - Rn. 12, [X.] KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78).

2. Auch der Verstoß gegen eine tarif- oder einzelvertraglich geregelte Pflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, kann je nach den Umständen geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen (vgl. zu § 7 Abs. 2 [X.]AT [X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 103, 277; 6. November 1997 - 2 [X.]  - zu II 3 der Gründe, [X.] [X.]G[X.] § 626 Nr. 142 = EzA [X.]G[X.] § 626 nF Nr. 171; Lepke NZA 1995, 1084, 1090 ; [X.]ezani Die krankheitsbedingte Kündigung S. 72 f.). Die [X.]eklagte macht hier die Verletzung einer solchen, sich aus § 3 Abs. 4 [X.] (idF vom 9. Mai 2006) ergebenden Mitwirkungspflicht des [X.] geltend. Nach dieser [X.]estimmung ist der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer durch den [X.]etriebsarzt oder den Vertrauensarzt dahingehend untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

II. Die Würdigung des [X.]s, der Kläger sei - bei unterstellter Geltung des [X.] - nicht verpflichtet gewesen, den Aufforderungen der [X.]eklagten zur Untersuchung bei der [X.]etriebsärztin der [X.] Folge zu leisten, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die [X.]eklagte konnte die betreffende Ärztin grundsätzlich als Vertrauensärztin mit der [X.]egutachtung beauftragen. Die getroffene Wahl widerspricht - ausgehend von den bisherigen Feststellungen des [X.]s - nicht Grundsätzen billigen Ermessens.

1. Das [X.] ist von der Anwendbarkeit des [X.] auf das Arbeitsverhältnis des [X.] ausgegangen, ohne Feststellungen zu einer beiderseitigen Tarifbindung iSv. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG oder einer einzelvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags getroffen zu haben. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. In der [X.]O-Kraft (in der maßgebenden Fassung vom 16. November 2007) ist - anders als die [X.]eklagte möglicherweise meint - keine Pflicht zur Mitwirkung der Arbeitnehmer an ärztlichen Untersuchungen zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit geregelt.

2. Nach den Feststellungen des [X.]s handelte es sich bei der von der [X.]eklagten zur Untersuchung des [X.] bestimmten Ärztin nicht um die [X.]etriebsärztin der [X.]eklagten, sondern um die von der [X.], dh. einem anderen Unternehmen bestellte [X.]etriebsärztin. Die [X.]eklagte hat damit nicht, wovon § 3 Abs. 4 Alt. 1 [X.] ausgeht, ihren eigenen [X.]etriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt. Das sieht die Revision, die hiergegen keine Einwände erhebt, ersichtlich auch so.

3. Als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 [X.] kann der Arbeitgeber einen Arzt seines Vertrauens für die Untersuchung bestimmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen nach seinem [X.]elieben von Fall zu Fall bestellten Arzt handelt, sondern - zumindest in größeren Unternehmen und [X.]ehörden - um einen solchen Arzt oder einen ärztlichen Dienst, der vom Arbeitgeber allgemein für derartige [X.]egutachtungsaufgaben bestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 [X.]AT [X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 3 b bb der Gründe, [X.]E 103, 277). Hierbei kann es sich auch um einen Arzt handeln, der beim Arbeitgeber selbst angestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 [X.]AT [X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 3 b cc der Gründe, aaO). § 3 Abs. 4 [X.] enthält insoweit ebenso wenig eine [X.]eschränkung wie § 7 Abs. 2 [X.]AT. Dafür, dass dem [X.]egriff des Vertrauensarztes in § 3 Abs. 4 [X.] ein anderes Verständnis zugrunde läge, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Interessenlage ist grundsätzlich nicht anders als im Anwendungsbereich des [X.]AT. Hinzu kommt, dass gemäß § 3 Abs. 4 [X.] - anders als nach § 7 Abs. 2 [X.]AT - ausdrücklich der eigene [X.]etriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt werden kann. Danach kann grundsätzlich auch ein Arzt, der bei einem mit dem Arbeitgeber rechtlich verbundenen Unternehmen angestellt oder von diesem als [X.]etriebsarzt iSd. Arbeitssicherheitsgesetzes bestellt ist, Vertrauensarzt iSd. § 3 Abs. 4 Alt. 2 [X.] sein.

4. Die in § 3 Abs. 4 [X.] geregelte Pflicht des Arbeitnehmers zur Mitwirkung an einer vom Arbeitgeber verlangten ärztlichen Untersuchung beeinträchtigt nicht übermäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Dieses schließt zwar die Freiheit der Arztwahl ein. Der Arbeitgeber kann die Mitwirkung des Arbeitnehmers aber zum einen nur aus gegebener Veranlassung, also nur bei berechtigten Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters verlangen. Zum anderen steht es mit [X.]lick auf die schutzwürdigen [X.]elange des Arbeitnehmers trotz des Wahlrechts des Arbeitgebers nicht etwa in dessen [X.]elieben, wer die [X.]egutachtung durchführt. Die Auswahl hat vielmehr nach billigem Ermessen ( § 315 Abs. 1 [X.]G[X.] ) zu erfolgen. Macht der Arbeitnehmer rechtzeitig vor oder während der [X.]egutachtung begründete [X.]edenken etwa gegen die Fachkunde oder Unvoreingenommenheit des begutachtenden Arztes geltend, so kann es je nach den Umständen allein billigem Ermessen entsprechen, dass der Arbeitgeber einen anderen Arzt mit der [X.]egutachtung beauftragt (vgl. zu § 7 Abs. 2 [X.]AT [X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 3 b dd der Gründe, [X.]E 103, 277). Mit dieser Einschränkung ist es zur Gewährleistung gleichmäßiger Untersuchungsstandards grundsätzlich [X.], das [X.]estimmungsrecht dem Arbeitgeber einzuräumen. Eine übermäßige [X.]eeinträchtigung berechtigter [X.]elange des Arbeitnehmers liegt darin nicht. Dieser muss das Ergebnis nicht hinnehmen, es wäre vielmehr in einem gerichtlichen Verfahren vollumfänglich nachzuprüfen ([X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - aaO).

5. Von diesen Grundsätzen ist auch das [X.] ausgegangen, soweit es angenommen hat, die [X.]eklagte habe im Grundsatz den betriebsärztlichen Dienst der [X.] als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 [X.] bestimmen dürfen. Von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen wird hingegen die Würdigung, die [X.]etriebsärztin der [X.] sei im Streitfall deshalb nicht als Vertrauensärztin iSv. § 3 Abs. 4 [X.] anzusehen, weil der Kläger [X.]edenken gegen ihre Unvoreingenommenheit erhoben und angeboten habe, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen.

a) Das [X.] meint zu Unrecht, es komme nicht darauf an, ob die [X.]edenken des [X.] gegen die Unvoreingenommenheit der [X.]etriebsärztin der [X.] berechtigt gewesen seien oder nicht. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, nicht an dem von ihm bestimmten Arzt für die Untersuchung festzuhalten, kann sich nur dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer begründete Einwände gegen ihn erhebt (vgl. zu § 7 Abs. 2 [X.]AT [X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 3 b dd der Gründe, [X.]E 103, 277). Aus der Luft gegriffene oder in der Sache unbeachtliche [X.]edenken gegen den vom Arbeitgeber bestimmten Arzt sind dagegen nicht ausreichend. So liegt gerade kein begründeter Einwand darin, der vom Arbeitgeber bestimmte Arzt stehe „in dessen Lager“, wie der Kläger geltend gemacht hat.

b) Ob der Kläger - rechtzeitig - andere, begründete Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder ausreichende Fachkunde der von der [X.]eklagten bestimmten Ärztin geltend gemacht hat, hat das [X.] nicht festgestellt.

III. Die angegriffene Entscheidung erweist sich weder aus anderen Gründen als richtig noch ist die Sache zur Endentscheidung reif. Eine abschließende [X.]eurteilung, ob die Kündigung der [X.]eklagten vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, ist dem Senat - weil es an erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt - nicht möglich.

1. Das [X.] hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht geprüft, ob für die von der [X.]eklagten geforderte Untersuchung eine Veranlassung iSv. § 3 Abs. 4 [X.] gegeben war. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine solche Veranlassung bestand. Der Kläger war seit dem 8. November 2007 arbeitsunfähig erkrankt. Daraus konnten sich Zweifel ergeben, ob er zu der vertraglich geschuldeten Tätigkeit wieder in der Lage war. Diese Zweifel müssen nicht schon durch das vom Kläger vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 11. Dezember 2009 ausgeräumt gewesen sein. Zum einen darf nach § 3 Abs. 4 [X.] grundsätzlich der Arbeitgeber den für die Feststellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers seines Erachtens geeigneten Arzt bestimmen. Zum anderen bezieht sich das vom Kläger beigebrachte Gutachten ausschließlich auf eine Untersuchung des Leistungsvermögens gemäß Anlage 5 Nr. 2 und des Sehvermögens gemäß Anlage 6 Nr. 2.1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Eine solche verkehrsmedizinische Eignungsfeststellung sagt nichts über die Fähigkeit des Arbeitnehmers aus, die konkrete arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die [X.]egutachtung nach der FeV dient allein dem Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung - einschließlich des Sehvermögens - für das Führen von Fahrzeugen bestimmter Klassen und die Personenbeförderung (vgl. § 48 Abs. 4 iVm. § 11 Abs. 9 und § 12 Abs. 6 FeV). Aus der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit eines [X.]usfahrers können sich aber weitere Anforderungen, wie etwa bei besonderen [X.]elastungen aufgrund von Schichtdienst, ergeben.

2. Das [X.] wird ggf. ferner zu prüfen haben, ob der Kläger rechtzeitig berechtigte Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder Fachkunde des betriebsärztlichen Dienstes der [X.] für die Untersuchung nach § 3 Abs. 4 [X.] geltend gemacht hat. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, der Kläger habe sich pflichtwidrig geweigert, den Aufforderungen der [X.]eklagten nachzukommen, sich zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit der Untersuchung durch den betriebsärztlichen Dienst der [X.] zu unterziehen, wird es unter [X.]erücksichtigung der relevanten Umstände des Streitfalls eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen haben, ob der [X.]eklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zumutbar war oder nicht. Hierbei kann insbesondere von [X.]edeutung sein, ob der Kläger sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum über seine Mitwirkungspflichten befand (vgl. [X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 4 der Gründe, [X.]E 103, 277) und ob er sich, wie von ihm behauptet, noch vor Ausspruch der Kündigung bereit erklärt hat, sich „vom [X.]etriebsarzt“ untersuchen zu lassen, wie dieses Angebot ggf. zu verstehen war und ob es - sollte es nicht ihrem Verlangen entsprochen haben - der [X.]eklagten zumutbar gewesen wäre, darauf einzugehen.

        

    [X.]erger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

Meta

2 AZR 811/11

27.09.2012

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 8. Februar 2011, Az: 38 Ca 15552/10, Urteil

§ 72 Abs 5 ArbGG, § 551 Abs 3 S 1 Nr 2 ZPO, § 1 Abs 2 S 1 KSchG, § 1 TVG, § 3 Abs 1 TVG, § 4 Abs 1 S 1 TVG, § 7 Abs 2 BAT, § 315 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.09.2012, Az. 2 AZR 811/11 (REWIS RS 2012, 2704)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2704

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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