Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.09.2014, Az. 2 B 23/14

2. Senat | REWIS RS 2014, 2573

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Gegenstand

Disziplinarklage; Sachaufklärungspflicht; Minderung der Schuldfähigkeit


Tenor

Das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2013 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1

Die allein auf Verfahrensfehler gestützte [X.]eschwerde des [X.]n hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 69 [X.] i.V.m. § 133 Abs. 6, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist.

2

1. Der 1969 geborene [X.] steht als Polizeiobermeister ([X.]esoldungsgruppe [X.]) im Dienst der Klägerin und wird im Grenzschutz verwendet. Durch rechtskräftigen Strafbefehl verurteilte ihn das [X.] wegen 22 tatmehrheitlich begangener Fälle des [X.]etrugs zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl hatte der [X.] im [X.] Mobiltelefone versteigert, obwohl er weder willens noch in der Lage war, diese auch zu liefern. Nach Zahlung zweier Raten hat der [X.] Privatinsolvenz angemeldet und den Strafrest als Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt.

3

Im nachfolgenden Disziplinarverfahren wurde der [X.] wegen dieses Pflichtenverstoßes sowie der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt. Der Verwaltungsgerichtshof ging dabei zwar davon aus, dem [X.]n müsse zugute gehalten werden, dass er zur [X.] der Tathandlungen an einem depressiven Symptom gelitten habe. Die entlastenden Gesichtspunkte hätten in ihrer Gesamtwürdigung aber kein ausreichendes Gewicht, um von der Verhängung der [X.] absehen zu können.

4

2. Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hätte den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, den behandelnden Facharzt als sachverständigen Zeugen zum Schweregrad des angenommenen depressiven Symptoms zu vernehmen, nicht mit der [X.]egründung ablehnen dürfen, hierüber liege bereits ein gerichtliches Sachverständigengutachten vor, das der [X.] nicht mit Argumenten in Frage stellen könne.

5

Nach § 58 Abs. 1 [X.] hat das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. [X.]estehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldfähigkeit des [X.]eamten bei [X.]egehung der Tat erheblich gemindert war, so darf das [X.] im Rahmen seiner [X.]emessungsentscheidung diesen Aspekt nicht offen lassen oder zu Gunsten des [X.]etroffenen unterstellen und sogleich auf die Einsehbarkeit der betreffenden Pflicht abstellen. Vielmehr muss es die Frage einer Minderung der Schuldfähigkeit des [X.]eamten aufklären. Hat der [X.]eamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StG[X.] gelitten oder kann eine solche Störung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.]eamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der [X.]ewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. [X.]ei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit kann die [X.] regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden (Urteil vom 25. März 2010 - [X.]VerwG 2 C 83.08 - [X.]VerwGE 136, 173 = [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 11, jeweils Rn. 29 ff.; [X.]eschlüsse vom 20. Oktober 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] - juris Rn. 9 und vom 11. Januar 2012 - [X.]VerwG 2 [X.] - juris Rn. 5).

6

Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich" war, ist zwar eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte in eigener Verantwortung zu beantworten haben (Urteil vom 29. Mai 2008 - [X.]VerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 30 ). Als Vorfrage muss indes geklärt werden, ob der [X.]eamte im Tatzeitraum an einer Krankheit gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen ([X.]eschluss vom 4. Juli 2013 - [X.]VerwG 2 [X.] 76.12 - juris Rn. 20 = [X.] 2014, 32).

7

Hierzu bedarf es in der Regel besonderer ärztlicher Sachkunde. Für die in Rede stehenden medizinischen Fachfragen gibt es keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde des Richters (vgl. Urteil vom 25. Juli 2013 - [X.]VerwG 2 C 12.11 - [X.]VerwGE 147, 244 = [X.] 232.01 § 9 [X.]eamtStG Nr. 1, jeweils Rn. 11 und zuletzt etwa [X.]eschluss vom 26. Mai 2014 - [X.]VerwG 2 [X.] 69.12 - juris Rn. 10 = [X.] 2014, 172). Demgemäß hat der Verwaltungsgerichtshof seine Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand des [X.]n und einer hieraus folgenden Einschränkung seiner Schuldfähigkeit auf die Feststellungen und Erläuterungen eines gerichtlich bestellten Gutachters gestützt.

8

Über die Einholung eines weiteren Gutachtens entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (§ 3 [X.], § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO). Die unterlassene Einholung zusätzlicher Gutachten kann deshalb nur dann [X.] sein, wenn die vorliegenden Gutachten ihren Zweck nicht zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die [X.]ildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegen dem Gericht bereits sachverständige Äußerungen zu einem [X.]eweisthema vor, muss es ein zusätzliches Gutachten deshalb nur ausnahmsweise einholen ([X.]eschluss vom 29. Mai 2009 - [X.]VerwG 2 [X.] - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 5 Rn. 7 m.w.N.).

9

Angesichts der Tatsache, dass nur der behandelnde Facharzt zeitnah zum maßgeblichen Tatzeitraum April/Mai 2008 persönlichen Kontakt mit dem [X.]n hatte, der sich am 11. Juni 2008 erstmals bei ihm vorstellte, hätte sich dem Verwaltungsgerichtshof eine persönliche Vernehmung des Facharztes als sachverständigen Zeugen indes aufdrängen müssen ([X.]eschluss vom 4. Juli 2013 - [X.]VerwG 2 [X.] 76.12 - a.a.[X.] Rn. 24; vgl. zur [X.]edeutung der persönlichen [X.]efragung durch den Gutachter auch [X.]eschluss vom 3. Juni 2014 - [X.]VerwG 2 [X.] 105.12 - juris Rn. 43). Dies gilt umso mehr, als der Sachverständige im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens angegeben hatte, Aussagen über den Verlauf des depressiven Syndroms vor dem ersten Vorstellungstermin seien aufgrund des schriftlichen [X.] nicht möglich. Die Stellungnahme sage nichts über den Schweregrad der depressiven Erkrankung in diesem [X.]raum aus (Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof [X.]). Denn damit lag eine ausreichende Tatsachenbasis für die vom Verwaltungsgerichtshof zu treffende Einschätzung der „Erheblichkeit" einer vorhandenen Minderung der Steuerungsfähigkeit im maßgeblichen [X.]punkt nicht vor.

Auch der Sachverständige hat nicht ausgeschlossen, dass eine Vernehmung des den [X.]n damals (und im Folgenden) behandelnden Facharztes weitere Erkenntnisse erbringen könnte. Die Einschätzung, regelmäßig könne sich ein Facharzt für in der Vergangenheit liegende Anamnesen auch nur auf seine schriftlichen Unterlagen stützen, bedeutet nicht, dass dies auch im vorliegenden Fall so sein muss. Die prognostizierte Wahrscheinlichkeit des voraussichtlichen Ergebnisses einer [X.]eweisaufnahme rechtfertigt indes nicht deren Unterlassung ([X.]eschluss vom 15. März 2013 - [X.]VerwG 2 [X.] 22.12 - NVwZ-RR 2013, 557 Rn. 11). Im Übrigen erscheint durchaus naheliegend, dass der behandelnde Facharzt über den dem Sachverständigen vorliegenden Arztbrief hinaus weitere schriftliche Unterlagen zum damaligen [X.]efund besitzt.

Jedenfalls durfte der Verwaltungsgerichtshof nicht von der Erfolglosigkeit weiterer Aufklärungsbemühungen ausgehen, ohne den behandelnden Facharzt - ggf. zumindest zunächst in einer schriftlichen Voranfrage - hierzu um Auskunft gebeten zu haben. Ohne eine entsprechende Aussage des behandelnden Arztes kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch ihn weitere Erkenntnisse zum Ausmaß der im Tatzeitpunkt bestehenden seelischen Störung gewonnen werden können. Die Ablehnung des [X.]eweisantrages verletzt daher sowohl den Anspruch des [X.]n auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) als auch die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Meta

2 B 23/14

26.09.2014

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 22. Oktober 2013, Az: 16b D 10.2314, Urteil

§ 98 VwGO, § 58 Abs 1 BDG, § 20 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.09.2014, Az. 2 B 23/14 (REWIS RS 2014, 2573)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2573

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