Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2009, Az. 1 StR 518/08

1. Strafsenat | REWIS RS 2009, 3784

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 518/08 vom 29. April 2009 Nachschlagewerk: ja [X.]St: ja Veröffentlichung: ja ______________________ StGB § 222 BtMG § 29, § 30 Zu der die Art und Zusammensetzung eines Betäubungsmittels betreffenden Sorg-faltspflicht desjenigen, der dieses einem anderen unerlaubt zum unmittelbaren Verbrauch überlässt. [X.], [X.]. vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08 - [X.] in der Strafsache gegen - 2 - wegen fahrlässiger Tötung u.a. - 3 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 29. April 2009, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] [X.] und [X.] am [X.] Dr. Wahl, Dr. Graf, Prof. Dr. [X.], Prof. Dr. Sander, Staatsanwalt als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwälte als Vertreter der Nebenkläger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 4 - Die Revision des Angeklagten gegen das [X.]eil des [X.] vom 30. Mai 2008 wird verworfen. Er hat die Kosten der Revision sowie die den [X.] durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tra-gen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten (wahlweise) wegen Diebstahls oder Hehlerei (Tat II. 1. der [X.]eilsgründe) sowie wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittel-baren Verbrauch in zwei tateinheitlichen Fällen (Tat II. 2. der [X.]eilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hier-gegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Re-vision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. 1 1. Die Überprüfung des [X.]eils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung nicht zu bean-standen. Den von der Revision geltend gemachten Widerspruch zwischen den Erkenntnissen der beiden Sachverständigen zum Todeszeitpunkt hat das 2 - 5 - [X.] plausibel ausgeräumt. Der näheren Erörterung bedarf daher allein der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Insofern hat auch der [X.] beantragt, die Strafbarkeit entfallen zu lassen. Das [X.] hat aufgrund einer rechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zur Tat II. 2. der [X.]eilsgründe festgestellt: In der Nacht zum 21. Januar 2006 kamen [X.]und Ü.

Y. überein, —gemeinsam [X.] zu konsumierenfi. B. K.
wandte sich deshalb an den u.a. wegen [X.] Erwerbs von Betäubungsmitteln vorbestraften Angeklagten, —von dem er wusste, dass man bei ihm Kokain erhaltenfi konnte. Dieser erklärte sich be-reit, [X.]und [X.]

—Kokain zu überlassenfi, holte aus seinem Vor-rat Rauschgift und portionierte dieses in zwei zusammengerollten Zehn-Euro-Scheinen, die er [X.]und [X.] zum [X.] übergab. —In diesem Moment wusste er jedoch nicht, dass es sich bei dem von ihm mitgeführten Rauschgift nicht um Kokain handelte, sondern um reines Heroin. Tatsächlich hielt er das mitgebrachte Rauschgift für eine Mischung aus Kokain, Ampheta-min und gekochtem Marihuana. Entweder hatte er das Heroin von seinem [X.] als das entsprechende [X.] erhalten oder er hatte sowohl reines Heroin als auch die entsprechende Mischung vorrätig und sorgfaltswidrig die Mengen bei Herausnahme aus seinem Vorrat verwechselt.fi [X.] konsumierte das Heroin und verstarb wenige Stunden später infolge eines aus-schließlich hierdurch verursachten zentralen Regulationsversagens. Diese Fol-ge hätte der Angeklagte bei pflichtgemäßem und sorgfältigem Handeln erken-nen und vermeiden können. 3 2. Der [X.] meint, diese Feststellungen würden die Verurteilung wegen - tateinheitlich zum Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6b [X.]. BtMG begangener - fahrlässiger Tötung nicht tragen. Der Angeklagte habe sich 4 - 6 - lediglich an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung [X.]s beteiligt und [X.] nicht gemäß § 222 StGB strafbar gemacht. Der [X.] vermag dieser [X.] nicht zu folgen. a) Allerdings trifft es zu, dass eigenverantwortlich gewollte, mithin zumin-dest in Kauf genommene Selbsttötungen, -verletzungen und -gefährdungen nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts unterfallen. Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts geht - keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB darstellt. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann nach [X.] Rechtsprechung des [X.] infolgedessen nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden. Wer das zumindest selbst gefährdende, eigen-verantwortliche Verhalten eines anderen fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann zur Vermeidung eines [X.] nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen Handelns nicht strafbar machen würde (grundlegend [X.]St 32, 262, 263 ff.; s. auch [X.] NStZ 2001, 205). 5 b) Hieran gemessen hat sich der Angeklagte auch wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht. 6 aa) Denn die Straflosigkeit eines Beteiligten setzt voraus, dass der [X.] sich —frei und eigenverantwortlich gewolltfi selbst gefährdet (vgl. [X.] NStZ 1985, 25, 26; NStZ 1985, 319). Die Freiverantwortlichkeit des [X.] begrenzt die Strafbarkeit (vgl. [X.] in [X.]. § 222 Rdn. 21). An dieser fehlt es aber nicht nur, wenn ein autonomes Handeln bei-spielsweise infolge einer Intoxikationspsychose ausgeschlossen ist ([X.] NStZ 1983, 72), sondern auch bei einem die Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum (vgl. [X.] NStZ 1986, 266, 267). 7 - 7 - Einem derartig rechtserheblichen Irrtum war [X.] unterlegen. Zwar hat der [X.] in seiner Zuschrift zutreffend darauf hingewiesen, dass den sich am illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln beteiligenden Per-sonen die Wirkstoffkonzentration und der Gehalt eventuell beigemengter Stoffe regelmäßig nicht bekannt sind und [X.]enten daher riskieren, nicht nur eine zu hohe Dosierung des von ihnen gewünschten Rauschgifts, sondern zusätzlich unbekannte, möglicherweise ebenfalls gesundheitsgefährdende Stoffe zu sich zu nehmen. Das vom [X.] festgestellte Geschehen lag aber außerhalb eines solchen üblichen Gefahrenbereichs, so dass [X.] das von ihm ein-gegangene Risiko grundlegend verkannte. Denn er erhielt vom Angeklagten nicht - wie gewünscht und ihm zugesagt - Kokain, das lediglich einen höheren Wirkstoffgehalt hatte, als von ihm angenommen, und dem weitere Substanzen beigegeben waren, sondern Heroin. Dieses ist nicht nur generell gefährlicher als Kokain, wie die deutlich divergierenden Grenzwerte für die jeweils nicht [X.] Menge erkennen lassen (vgl. [X.]St 32, 162: 1,5 g [X.]; [X.]St 33, 133: 5 g [X.]), sondern war vorliegend —reinfi und damit von weit überdurchschnittlicher Gefährlichkeit (vgl. den [X.] betreffenden Bericht 2007 des nationalen Knotenpunkts des [X.] zu Drogen und Sucht [[X.]] an die [X.] für Drogen und Drogensucht, S. 122, 125, wonach im Jahr 2006 der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Heroin im Straßenhandel 15,6 % und im Großhandel 38,1 % betrug). 8 bb) Das [X.] hat angesichts dessen im Ergebnis zutreffend [X.], dass [X.]s Tod auf einem sorgfaltswidrigen Verhalten des Angeklagten beruht und diesem zuzurechnen ist. Die im Rahmen der rechtli-chen Würdigung für die Bejahung des § 222 StGB gegebene Begründung, der 9 - 8 - Angeklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, [X.] —über die Tatsache aufzuklären, dass er ihm statt reines Kokain eine Mischung überließfi, erweist sich jedoch als nicht tragfähig. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten war für die Erhöhung des für [X.] bestehenden Risikos ohne Bedeutung; eine entsprechende Mitteilung hätte diesem keine realistischere Beurteilung des [X.] ermöglicht. Als der Angeklagte das Rauschgift zum [X.]ieren zur Verfügung stellte, verhielt er sich aber insofern sorgfaltswidrig, als er dabei unter Berück-sichtigung des Vorverhaltens der Beteiligten (konkludent) zum Ausdruck brach-te, dem Wunsch [X.] s und seiner Zusage entsprechend handele es sich um Kokain. Denn eine solche Erklärung durfte der Angeklagte nur abgeben, wenn er sich zuvor vergewissert hätte, dass er tatsächlich dieses Rauschmittel aushändigt. In diesem Fall hätte er das tatsächliche Risiko und die daraus er-wachsenden Folgen ebenso erkennen können (vgl. Hardtung in [X.] § 222 Rdn. 22) wie den Umstand, dass [X.] sein sich selbst gefährden-des Verhalten falsch einschätzen würde (s. auch [X.] in [X.]. § 222 Rdn. 21). 10 Einer solchen Prüfungspflicht steht nicht entgegen, dass der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln generell und hier konkret das Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6b [X.]. BtMG) unter Strafe gestellt ist. Denn anderenfalls würde derjenige, der sich in ohnehin strafbarer Weise verhält, gegenüber demjenigen besser gestellt, der grundsätzlich erlaubt [X.] risikobehaftete Stoffe an andere weitergibt. Beispielsweise haben Ärzte und Apotheker zuvor zu prüfen, ob sie dem Kunden das richtige Medikament [X.]. Eine solche Auslegung würde darüber hinaus dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel zuwiderlaufen, gerade die durch unerlaubte Betäubungsmittel 11 - 9 - verursachten Gefahren einzudämmen. Ob sich eine solche Prüfungspflicht auch auf den jeweiligen Wirkstoffgehalt des von den Beteiligten (qualitativ und quanti-tativ) zutreffend eingestuften Rauschmittels erstreckt, braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Bei solchen Konstellationen wird jedenfalls zumeist - worauf der [X.] zu Recht hingewiesen hat - keine relevante Abweichung von der Vorstellung des Rauschmittelkonsumenten hinsichtlich des von ihm eingegangenen Risikos und damit ein eigenverantwortliches Verhalten vorliegen. 3. a) Gegen die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung spricht ferner nicht die [X.], ob der Angeklagte bei vorsätzlichem Verhalten straflos geblieben wäre. Dies wäre nicht der Fall. Denn hätte der Angeklagte dem lediglich Kokain erwartenden [X.] vorsätzlich reines Heroin zum [X.]ieren ausgehändigt, ohne ihn darüber aufzuklären, wäre er wegen ei-nes in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 [X.]. StGB) begangenen vorsätzli-chen Tötungsdelikts zu verurteilen gewesen, wobei die Annahme eines Heimtü-ckemordes nahe gelegen hätte. Das sog. Teilnahmeargument geht somit fehl, weil [X.] irrtumsbedingt das tatsächliche Risiko verkannte. 12 b) Einer Bestrafung nach § 222 StGB steht schließlich auch nicht eine privilegierende Spezialität des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit daraus ggf. folgender Sperrwirkung entgegen. [X.] Spezialität als besondere Form der Ge-setzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die [X.] privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da hierdurch die [X.] - 10 - vilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen ([X.]St 49, 34, 37). Die anhand dieser Kriterien vorgenommene Prüfung ergibt zwar, dass § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG hinsichtlich des herbeigeführten Todes leichtfertiges Verhalten verlangt und dieses zudem gegenüber der offenen Tathandlung beim § 222 StGB konkretisiert, diesem gegenüber also lex specialis ist (ebenso [X.] in [X.] § 30 BtMG Rdn. 173). Da aber im Hinblick darauf sein Strafrah-men deutlich erhöht ist, sperrt er die Anwendung des § 222 StGB nicht, wenn dieser, jedoch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht erfüllt ist (s. auch [X.]St 19, 188, 190; 30, 235, 236; 49, 34, 38). 14 Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der neuen [X.], die durch das [X.] des [X.] vom 28. Juli 1981 ([X.]) geändert worden sind, bestätigt. Wie sich aus den Materialien ergibt (BTDrucks. 8/3551 S. 37; auch 7/4141, S. 5 f.), sollte wegen der steigenden Zahl der Drogentoten durch die 15 - 11 - Einfügung des Merkmals der (nicht mehr vorsätzlichen, sondern nur noch) leichtfertigen Herbeiführung des Todes eines Menschen das diesbezügliche Strafrecht verschärft werden. [X.] Wahl Graf [X.] Sander

Meta

1 StR 518/08

29.04.2009

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2009, Az. 1 StR 518/08 (REWIS RS 2009, 3784)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 3784

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Ss 414/96 - 142- (Oberlandesgericht Köln)


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