Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 5 StR 491/10

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10641

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Gegenstand

Körperverletzung: Strafbarkeit der Teilnahme eines Arztes an selbstgefährdendem Handeln im Falle der Überlassung von Betäubungsmitteln an Patienten im Rahmen einer therapeutischen Sitzung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Mai 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen einer tateinheitlichen Tat der Körperverletzung mit Todesfolge und der Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge (zwei tateinheitliche Fälle) sowie der gefährlichen Körperverletzung und der vorsätzlichen Überlassung von Betäubungsmitteln (fünf tateinheitliche Fälle) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn mit einem dauerhaften Berufsverbot für eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt und als Psychotherapeut belegt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s führte der Angeklagte, ein auf psychotherapeutische Behandlungen spezialisierter Arzt, sogenannte psycholytische Sitzungen durch. Bei diesen Gruppensitzungen werden die Patienten – so der Ansatz der [X.] – durch Drogen in ein Wachtraum-erleben der Objektumgebung versetzt. Ziel dieser in [X.] wissenschaftlich nicht anerkannten Methode soll es sein, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen.

3

Am 19. September 2009 führte der Angeklagte mit einer Gruppe von zwölf Personen eine Intensivsitzung durch. Nach einer "Einstimmungs- und Befindlichkeitsrunde" stellte er die zur Einnahme bereitgehaltenen Substanzen Neocor und [X.] vor. Nachdem der Angeklagte an neun der Gruppenmitglieder zunächst eine Tablette des nicht als Arzneimittel zugelassenen Neocor verabreicht hatte, fragte er, wer von den Anwesenden [X.] einnehmen wolle. Daraufhin meldeten sich sieben Mitglieder der Gruppe, darunter die später verstorbenen [X.] und [X.]. . Von dem [X.], das von dem Nebenkläger [X.] beschafft worden war, sollten sechs Mitglieder der Gruppe, die sich zur Einnahme entschlossen hatten, 120 mg, der Nebenkläger [X.] 140 mg erhalten. Der Angeklagte übernahm das Abwiegen des Rauschgifts. Dabei wunderte er sich zwar über das Volumen der abgewogenen Menge, verließ sich aber auf die Anzeige seiner Waage. Tatsächlich übergab er an die zum Drogenkonsum bereiten Gruppenmitglieder jedoch mindestens die zehnfache Menge. Etwa zehn bis 15 Minuten nach der Einnahme kam es bei diesen zu heftigen körperlichen Reaktionen. Einige erlitten Spasmen und waren unfähig, sich zu bewegen, mussten sich übergeben oder fingen an, um sich zu schlagen. Die körperlichen Ausfälle aufgrund der Vergiftung verstärkten sich zunehmend. Trotz der vom Angeklagten und der herbeigerufenen Notärztin veranlassten Hilfsmaßnahmen verstarben [X.]. und [X.] an Multiorganversagen aufgrund der Überdosis [X.]. Der Nebenkläger [X.] war lebensgefährlich erkrankt, konnte jedoch nach Intensivbehandlung gerettet werden; die übrigen vier Gruppenmitglieder wurden nach einigen Tagen stationärer Behandlung wegen Vergiftungserscheinungen wieder entlassen.

4

2. Das [X.] hat in der Verabreichung des [X.] eine vorsätzliche Körperverletzung gesehen. Der Angeklagte habe die Tatherrschaft über den Vorgang innegehabt, indem er das [X.] abgewogen und den Gruppenmitgliedern zur Verfügung gestellt habe. Eine Einwilligung fehle, weil er die Gruppenmitglieder nicht ausreichend aufgeklärt habe. Der durch diese Körperverletzungshandlung herbeigeführte Todeseintritt sei für ihn voraussehbar gewesen. Dies führe zugleich zu einer Strafbarkeit wegen des Überlassens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge, weil der Angeklagte den Tod von [X.] und [X.]. auch leichtfertig verursacht habe.

II.

5

Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.]s, das der Einlassung des Angeklagten im Hinblick auf eine versehentliche Überdosierung gefolgt ist, erweist sich die Revision des Angeklagten als begründet. Die Annahme einer vorsätzlichen Körperverletzung zu Lasten der [X.] konsumierenden Gruppenmitglieder begegnet durchgreifenden Bedenken.

6

1. Das [X.] grenzt allerdings im Ansatz zutreffend die strafbare Körperverletzung von der [X.] Beteiligung an einer Selbstgefährdung ab. Nach der Rechtsprechung des [X.] unterfällt die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines [X.] oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines [X.] oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist ([X.], Urteile vom 14. Februar 1984 – 1 [X.], [X.]St 32, 262; vom 11. Dezember 2003 – 3 [X.], [X.]St 49, 34, 39; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, [X.]St 53, 288, 290).

7

Da sämtliche Mitglieder der Gruppe das Betäubungsmittel [X.] eigenhändig und wissentlich zu sich nahmen, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor. Dies schließt eine Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung aus.

8

2. Eine strafrechtlich relevante [X.] wäre dem Angeklagten nur dann zugewachsen, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des [X.] der Gruppenteilnehmer beeinträchtigt gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, namentlich wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt (vgl. [X.], Urteile vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, [X.]St 53, 288, 290; vom 9. November 1984 – 2 [X.], [X.], 319, 320), oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist ([X.], Urteil vom 27. November 1985 – 3 [X.], [X.], 266). Eine solche besondere Situation belegen die Urteilsgründe nicht.

9

a) Sämtliche Mitglieder der Gruppe nahmen das Betäubungsmittel [X.] willentlich zu sich. Ungeachtet der Tatsache, dass der Angeklagte die Dosierung bestimmte und die Betäubungsmittelportionen auch selbst abwog, verblieb ihnen ohne jede Einschränkung die letzte Entscheidung über die Einnahme.

b) Auch der von der [X.] angeführte Gesichtspunkt, der Angeklagte als Arzt und ehemaliger Suchtberater habe das Risiko besser erfasst als seine Gruppenmitglieder, die ihm vertraut hätten, begründet noch keine strafrechtlich relevante [X.] (vgl. [X.], Strafrecht [X.], 4. Aufl., § 11 Rdn. 111; vgl. sehr weitgehend [X.], Urteil vom 18. Juli 1978 – 1 [X.], [X.] 1979, 429). Alle Gruppenmitglieder kannten die Illegalität der Droge. Bei der [X.] handelt es sich um eine in [X.] wissenschaftlich nicht anerkannte Therapiemethode. Folglich mussten sie mit besonderen medizinischen Risiken rechnen. Darüber hinaus verfügten alle bereits über Erfahrungen mit der Droge; der später Verstorbene [X.]. hatte nach der Einnahme von [X.] überdies bereits früher Spasmen und Halluzinationen erlitten. Die Droge wurde vom Nebenkläger [X.] aus nicht näher geklärten – notwendigerweise jedoch illegalen – Quellen beschafft.

c) Angesichts dieser Umstände liegt eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vor, selbst wenn der Angeklagte die einzelnen Gruppenmitglieder nicht über sämtliche – auch die eher seltenen – Risiken der [X.]-Einnahme bei gängiger Verbrauchsdosierung, insbesondere nicht über ein bestehendes Todesrisiko, aufgeklärt hat, zumal sich diese Risiken im vorliegenden Fall nicht realisierten. Es bestehen zudem grundlegende Bedenken dagegen, die Grundsätze der Aufklärungspflicht bei ärztlicher Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche Personen auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter ärztlicher Heilkunst überschreitet (vgl. auch § 13 BtMG).

3. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender Umstand wäre allerdings die Überdosierung mit der mindestens zehnfachen Menge des [X.], weil hierdurch die Konsumenten der Drogen über einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt im Unklaren gelassen wurden. Die wesentlich höhere Dosis hatte nämlich eine erhebliche Vergrößerung des Risikos zur Folge, das die Konsumenten nicht einschätzen konnten und auch tatsächlich verkannten.

Diese Fehldosierung durfte dem Angeklagten jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht als vorsätzliche Körperverletzung zugerechnet werden. Das [X.] folgt nämlich der Einlassung des Angeklagten, aufgrund einer Fehlfunktion seiner Waage sei es zur Überdosierung gekommen. Demnach fehlt es an einer Vermittlung der Tatherrschaft durch [X.], die bei der vorsätzlichen Körperverletzung nur durch ein vorsätzliches Handeln bewirkt werden kann. Wenn der Angeklagte die maßgebliche Risikoerhöhung durch die Falschdosierung nicht erkannt hat, liegt lediglich ein durch [X.] herbeigeführter Irrtum der Gruppenmitglieder vor. Der Angeklagte hätte deshalb auf der Basis der nach seiner Einlassung getroffenen Feststellungen – abhängig von den Folgen der Überdosierung bei den einzelnen Gruppenmitgliedern – lediglich wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) verurteilt werden können.

III.

Der Rechtsfehler nötigt angesichts der tateinheitlichen Verknüpfung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände zu einer umfassenden Aufhebung des Schuldspruchs (vgl. [X.], Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 [X.], [X.]St 49, 34, 45).

Abgesehen davon begegnet auch die Annahme einer Strafbarkeit wegen Überlassens der Betäubungsmittel mit Todesfolge (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen Bedenken. Die Tatbestandsverwirklichung setzt im Hinblick auf die Todesfolge Leichtfertigkeit voraus (§ 18 StGB). Hierfür ist das Maß der Pflichtwidrigkeit im Moment des [X.] entscheidend, weil der vom [X.] angenommene Wiegefehler die den [X.] auslösende Bedingung gesetzt hat. Das [X.] hätte sich deshalb mit der Frage der Erkennbarkeit des Wiegefehlers vor dem Erfahrungshintergrund des Angeklagten als Arzt näher auseinandersetzen müssen.

Von einer Aufrechterhaltung von Teilen der Feststellungen sieht der Senat ab, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Das neue Tatgericht wird sich dabei kritisch mit der Einlassung des Angeklagten auseinandersetzen müssen, dass er infolge eines Fehlers der Waage die zehnfache Überdosierung des [X.] nicht erkannt habe (vgl. [X.], Beschluss vom 15. April 2010 – 5 [X.], [X.], 503).

Raum                                                   Brause                                            Schaal

                         Schneider                                                [X.]

Meta

5 StR 491/10

11.01.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 10. Mai 2010, Az: (535) 1 Kap Js 1885/09 Ks (3/10), Urteil

§ 222 StGB, § 227 StGB, § 229 StGB, § 30 Abs 1 Nr 3 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 5 StR 491/10 (REWIS RS 2011, 10641)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10641

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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