Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2005, Az. IV ZR 113/04

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 1725

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL [X.]/04

Verkündet am:

21. September 2005

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

[X.]Z: ja

[X.]R: ja _____________________

MB/KK 94 § 1 Abs. 2 Satz 1

Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten einer auf die Geburt eines zweiten Kindes [X.] homologen In-vitro-Fertilisation ([X.]) mit intracytoplasmatischer [X.] (ICSI) in der privaten Krankenversicherung.

[X.], Urteil vom 21. September 2005 - [X.]/04 - OLG München

LG München I

- 2 -

[X.] hat durch den [X.], [X.], [X.], die Richterin Dr. [X.] und [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2005

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des [X.] und unter ihrer Zu-rückweisung im Übrigen werden das Urteil des 25. Zivil-senats des [X.] vom 23. März 2004 aufgehoben und das Urteil der 25. Zivilkammer des [X.] vom 16. September 2003 unter Zurückweisung der Berufung der [X.] geän-dert:

[X.] Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.171,88 • nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 5.743 • seit dem 18. April 2002 und auf 3.428,88 • seit dem 24. September 2002 zu zahlen.
I[X.] Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 83% und die Beklagte 17%. Von Rechts wegen - 3 -

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte private Krankenver-sicherer dem Kläger, der zusammen mit seiner Ehefrau mit Hilfe künstli-cher Befruchtung bereits ein erstes Kind gezeugt hat, die Kosten für [X.]e Behandlungszyklen einer homologen In-vitro-Fertilisation ([X.]) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) zu ersetzen hat.

Der Kläger ist bei der [X.] zu einem Tarif privat [X.], der abgesehen von einer jährlichen Selbstbeteiligung des Versi-cherten für ambulante Behandlungen eine Kostenerstattung zu 100% vorsieht. Dem [X.] liegen [X.] für die [X.] ([X.]/KK) der [X.] zugrunde, welche in den hier maßgeblichen Bestimmungen § 1 (1) lit. a und § 1 (2) Satz 1 der [X.] 1994 des [X.] für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherungen (MB/KK 94) entsprechen.

Der Kläger leidet an einer Kryptozoospermie und einem hochgra-digen Oligo-Astheno-Teratozoospermie-Syndrom (OAT-Syndrom), das heißt einer verminderten Spermiendichte bei gleichzeitig verminderter Spermienbeweglichkeit und erhöhter Spermienfehlformenrate. Er kann deshalb auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen. Im Januar 1997 ge-lang es im seinerzeit dritten Behandlungszyklus einer kombinierten [X.]/ICSI-Behandlung, deren Kosten die Beklagte getragen hat, mit Spermien des [X.] bei seiner am 4. Oktober 1960 geborenen Ehefrau eine Schwangerschaft herbeizuführen, die mit der Geburt eines gesun-- 4 -

den [X.] endete. Bei der [X.]/ICSI-Behandlung werden der Frau [X.] entnommen, in welche extrakorporal Spermien des Mannes injiziert werden. Nach etwa zwei Zellteilungen wird der so erzeugte Embryo in die Gebärmutter eingesetzt.

Die Eheleute wünschen sich ein zweites Kind. Zu diesem Zweck unterzogen sie sich im Oktober/November 2000 und im Juni 2002 zwei weiteren Behandlungszyklen, welche nicht zu einer Schwangerschaft führten.

Der Kläger fordert von der [X.] - unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung - die Erstattung der Kosten für diese erneuten Behand-lungen in Höhe von noch 5.743 • (1. Zyklus) und 3.428,88 • (2. Zyklus); er begehrt darüber hinaus die Feststellung, dass die Beklagte auch die Kosten für weitere acht in Aussicht genommene [X.]/[X.] erstatten müsse.

Die Beklagte meint, sie müsse die Kosten für die künstliche Zeu-gung eines zweiten Kindes nicht tragen. Die Krankheit des [X.] sei bereits mit Geburt seines [X.] gelindert; im Übrigen seien die [X.]en weiterer Behandlungsversuche in Anbetracht des Alters der Ehefrau des [X.] gering.

Das [X.] hat die Beklagte zur Erstattung der Kosten für den ersten Behandlungszyklus (Oktober/November 2000) verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Unter Zurückweisung der Berufung des [X.] hat das [X.] auf die Berufung der [X.] - 5 -

der Klage insgesamt den Erfolg versagt. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg, soweit der Kläger die [X.] der Kosten für die bereits durchgeführten [X.]/[X.] aus den Monaten Oktober/November 2000 und Juli 2002 begehrt.

[X.] Das Berufungsgericht hat sowohl den Leistungs- als auch den Feststellungsantrag zurückgewiesen, weil kein Versicherungsfall vorlie-ge. Zwar sei die Fertilitätsstörung des [X.] eine grundsätzlich be-handlungsbedürftige und behandlungsfähige Krankheit; insoweit dienten die hier in Rede stehenden ärztlichen Bemühungen dem Versuch der Linderung einer Krankheitsfolge, nämlich der Kinderlosigkeit. In ständi-ger Rechtsprechung gehe das Berufungsgericht aber davon aus, dass diese Linderung eingetreten sei, wenn eine gleichartige Behandlung des Versicherten bereits zur Geburt eines Kindes geführt habe. Bei schon er-fülltem Kinderwunsch könne dem Selbstbestimmungsrecht von [X.] gegenüber den gleichfalls zu berücksichtigenden Interessen des [X.] und der Versichertengemeinschaft angesichts der teuren, vital aber nicht notwendigen Behandlung nicht eine derartige Bedeutung [X.], die es erlauben würde, es der alleinigen Entscheidungsgewalt des Versicherten zu überlassen, wann eine endgültige Linderung einge-treten sei. Dass Kinder erwünscht seien, führe zu keiner anderen [X.] 6 -

teilung. Auf die Erfolgsaussichten der Behandlung komme es nicht mehr an.

I[X.] Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht Stand.

Versicherungsfall in der hier in Rede stehenden Krankenversiche-rung ist gemäß § 1 (2) Satz 1 MB/KK 94 die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfall-folgen. Was den Versicherungsfall ausmacht, wird zum einen durch die Bezeichnung eines die Behandlung auslösenden Ereignisses oder [X.] (Krankheit oder Unfallfolgen) ausgefüllt, zum anderen dadurch festgelegt, dass es sich bei der Behandlung um eine medizinisch not-wendige Heilbehandlung handeln muss ([X.]Z 158, 166, 170).

1. Krankheit im Sinne der Bedingungen ist ein objektiv nach ärztli-chem Urteil bestehender anomaler, regelwidriger Körper- oder Geistes-zustand. Die Krankheit des [X.] ist seine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. [X.] stellt die Kinderlosigkeit des [X.] und seiner Ehefrau [X.] Krankheit im Sinne der Bedingungen und auch keine die Erkrankung des [X.] derart kennzeichnende Krankheitsfolge dar, dass davon ge-sprochen werden könnte, mit dem Ende der Kinderlosigkeit sei auch eine endgültige Linderung der Krankheit eingetreten (vgl. dazu [X.]Z 99, 228, 230; ferner Senatsurteile vom 3. März 2004 [X.]O und vom 12. November 1997 - [X.] - [X.], 87 unter 2 a). Vielmehr besteht die Sterilität des [X.] auch nach der Geburt seines [X.] fort. Deshalb kann der Wunsch nach einem weiteren Kind auch erneut den Bedarf [X.] 7 -

lösen, die gestörten Körperfunktionen durch medizinische Maßnahmen zu ersetzen. Aus der Entscheidung [X.]Z 99, 228, 233 ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der Senat dort im Rahmen der Untersuchung, inwie-weit die künstliche Befruchtung eine Linderung der Unfruchtbarkeit einer Frau herbeiführen könne, die Frage aufgeworfen, ob nach eingetretener Mutterschaft nach allgemeinem Sprachgebrauch noch davon gesprochen werden könne, die Frau sei unfruchtbar, oder ob nicht eine Heilung ein-getreten sei. Er hat aber zugleich deutlich gemacht, dass die Sterilität als Krankheit auch nach Geburt eines ersten Kindes fortbestehe und sich deshalb die Frage der erneuten Anwendung der Technologie der homo-logen In-vitro-Fertilisation weiter stellen könne ([X.]O [X.], 233).

2. Wird eine In-vitro-Fertilisation in Kombination mit einer intracy-toplasmatischen Spermieninjektion vorgenommen, um die organisch [X.] Unfruchtbarkeit eines Mannes zu überwinden, so ist die [X.] eine insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehand-lung, die darauf gerichtet ist, die Unfruchtbarkeit des Mannes zu lindern ([X.]Z 158, 166 [X.]O). Dabei wird die Linderung mittels der Ersetzung der gestörten Körperfunktion durch medizinische Maßnahmen erzielt.

3. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung war hier nur für die beiden bereits durchgeführten Behandlungszyklen im Oktober/No-vember 2000 und Juli 2002 gegeben. Die Beklagte hat deren Kosten zu ersetzen.

Demgegenüber lässt sich eine bedingungsgemäße medizinische Notwendigkeit für weitere in Aussicht genommene Behandlungszyklen nicht mehr begründen, weil diese angesichts des Alters der Ehefrau des - 8 -

[X.] keine ausreichenden Erfolgsaussichten mehr bieten. Der Fest-stellungsantrag des [X.] erweist sich deshalb jedenfalls als unbe-gründet, so dass es auf dessen Zulässigkeit und damit die Frage, ob und inwieweit in der Krankenversicherung die Feststellung der [X.] künftiger Heilbehandlungskosten begehrt werden kann (vgl. dazu Senatsurteile vom 13. Mai 1992 - [X.] - [X.], 950 unter [X.] und vom 23. September 1987 - [X.] - [X.], 1107 unter 2), hier nicht mehr ankommt.

a) Mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbe-handlung wird - für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkenn-bar - zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom [X.] zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt ([X.]Z 133, 208, 212 f.; 154, 154, 166 f.; Senatsurteil vom 14. Dezember 1977 - [X.] - VersR 1978, 271 unter [X.]). Insoweit hängt die Beurtei-lung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab ([X.]Z 133 [X.]O m.w.[X.]), sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung.

Steht danach die Eignung einer Behandlung, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern, nach medizinischen Erkenntnissen fest, folgt [X.] grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers ([X.]Z 133 [X.]O). Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen ([X.]Z 133 [X.]O; 154, 154, 166 f.; Senatsurteile vom 29. [X.] 9 -

vember 1978 - [X.] - VersR 1979, 221 unter III; vom 29. Mai 1991 - [X.] - VersR 1991, 987 unter 2 a). Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichts-punkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden (vgl. [X.]Z 133, 208, 215). So kann es bei unheilbaren lebensbedrohlichen Erkran-kungen vertretbar sein, auch Behandlungsversuche als notwendig anzu-sehen, die mit nicht nur ganz geringer Wahrscheinlichkeit ihr Ziel errei-chen und denen notwendigerweise Versuchscharakter anhaftet ([X.]Z 133 [X.]O). Liegt hingegen - wie hier - eine leichtere, insbesondere keine lebensbedrohende oder -zerstörende Krankheit vor, erweist sich die in Aussicht genommene Heilbehandlung also als nicht vital lebensnotwen-dig und sind ihre Erfolgsaussichten in Abhängigkeit von bestimmten Vor-aussetzungen bereits umfangreich erforscht, so lässt erst ein höherer Grad der Erfolgswahrscheinlichkeit es als vertretbar erscheinen, die Maßnahme als bedingungsgemäß notwendig anzusehen.

b) Der in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gefasste Ent-schluss von Ehegatten, ein gemeinsames Kind zu haben, ist jeder recht-lichen Nachprüfung auf seine Notwendigkeit entzogen. Auch im Rahmen der Prüfung der [X.] Notwendigkeit einer Heilbehand-lung - hier der künstlichen Befruchtung - ist es daher schon im Ansatz verfehlt, die Frage nach der "Notwendigkeit" der Erfüllung des [X.] zu stellen ([X.]Z 99, 228, 234, vgl. auch [X.] VersR 2004, 1546 f.). Die Erwägung des Berufungsgerichts, dem vom Kläger geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch stehe entgegen, dass bereits sein erstes Kind mittels einer gleichartigen Behandlung ge-zeugt worden sei, lässt besorgen, dass das Berufungsgericht, das einen - 10 -

Versicherungsfall verneint, insoweit Maßstab und Prüfungsgegenstand der Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit verkannt hat. Diese Prüfung hat von dem Kinderwunsch des Versicherten und seines [X.] ohne Einschränkungen auszugehen und auf dieser Grundlage danach zu fragen, ob die medizinische Behandlung notwendig ist.

c) Maßgeblich für die bedingungsgemäße Notwendigkeit der [X.]/ICSI-Behandlung ist zunächst, dass diese eine medizinisch aner-kannte Methode zur Überwindung der Sterilität des [X.] darstellt (vgl. dazu auch [X.]Z 99, 228, 234; [X.]Z 158, 166, 174).

Das besagt aber noch nicht, dass die Maßnahme auch in jedem Einzelfall ausreichend Erfolg versprechend ist, um ihre bedingungsge-mäße Notwendigkeit zu bejahen (vgl. dazu [X.]Z 133, 208, 215; 99, 228, 235). Die Beurteilung der ausreichenden Erfolgsaussicht hat grundsätz-lich der Tatrichter vorzunehmen, der sich dazu regelmäßig [X.] Hilfe bedienen muss, um die Einschätzung des behandelnden [X.] zu überprüfen (vgl. dazu [X.]Z 133 [X.]O m.w.[X.]). Dafür gelten unter Berücksichtigung des [X.]-Registers und der dazu vom gerichtlichen Sachverständigen gegebenen, insoweit unstreitigen Erläuterungen die folgenden Maßstäbe:

[X.]) Auszugehen ist von der durch dieses Register (vgl. [X.]-Register, Jahresbericht 2003, [X.], veröffentlicht im [X.] unter [X.]) seit 1982 umfassend dokumentierten Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlungen in Abhän-gigkeit vom Lebensalter der Frau. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, inwieweit individuelle Faktoren ihre Einordnung in die ihrem Lebensalter - 11 -

entsprechende Altersgruppe rechtfertigen, ob also ihre persönlichen [X.]en höher oder niedriger einzuschätzen sind, als die im [X.]-Register für ihre Altersgruppe ermittelten Durchschnittswerte es auswei-sen.

Bedeutsam für diese Beurteilung kann unter anderem sein, ob eine [X.]/ICSI-Behandlung bei denselben beteiligten Personen bereits früher einmal erfolgreich war (vgl. zur Aussagekraft früherer erfolgreicher [X.]en allgemein auch [X.]Z 133, 208, 216), ob dafür viele oder nur wenige Behandlungszyklen benötigt wurden, ferner die Zahl und Qualität der beim zuletzt vorgenommenen Behandlungsversuch gefunde-nen Spermien, Eizellen und übertragenen Embryonen. Eine Vielzahl ver-geblicher Behandlungsversuche in der Vergangenheit kann die individu-elle Erfolgsaussicht verringern. Für die Prognose von Bedeutung ist [X.] die Stimulationssituation beim letzten Behandlungszyklus ([X.] und Gonadotropinart), schließlich auch die Frage, inwieweit der allgemeine Gesundheitszustand der beteiligten Frau vom [X.] abweicht.

[X.]) Von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsaussicht - und [X.] von einer nicht mehr gegebenen [X.] medizinischen Notwendigkeit der [X.]/ICSI-Behandlung - ist dann auszugehen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Embryotransfer (Punktion) zur gewünschten Schwangerschaft führt, signifikant absinkt und eine Erfolgswahrschein-lichkeit von 15% nicht mehr erreicht wird (vgl. dazu [X.]Z 99, 228, 235, wo eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15-20% als noch ausreichend er-achtet worden ist). Das ist nach den von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen referierten Daten aus dem [X.] [X.]-Register im - 12 -

Durchschnitt bei Frauen nach Vollendung des 40. Lebensjahrs der Fall, kann aber aufgrund der vorgenannten individuellen Faktoren im Einzelfall früher oder später eintreten.

d) Bei Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass für den Kläger und seine am 4. Oktober 1960 geborenen Ehefrau bei Durchführung der Behandlungszyklen im Oktober/November 2000 und im Juni 2002 noch ausreichend große Erfolgsaussichten bestanden und es deshalb im Zeit-punkt dieser Behandlungen vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen.

Zwar hat sich die Ehefrau des [X.] diesen Behandlungen erst im Alter von 40 und noch 41 Jahren unterzogen, für eine Erfolgsaussicht über 15% sprach aber in beiden Fällen ganz wesentlich die frühere, schon beim dritten Behandlungszyklus erfolgreiche [X.]/ICSI-Behand-lung, die zur Geburt des ersten Kindes geführt hatte.

[X.]) Hinsichtlich des im Alter von 40 Jahren durchgeführten [X.]szyklus hat der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht zu-letzt auch mit Hinsicht darauf eine Erfolgswahrscheinlichkeit von "sicher-lich gut über 15%" angenommen, was sich für ihn auch bei [X.] insoweit bestätigt hat, als vier Eizellen entnommen und zwei Embryonen übertragen werden konnten.

[X.]) Soweit der Sachverständige - und ihm folgend das [X.] in erster Instanz - den zweiten Behandlungszyklus im Juni 2002 mit einer Erfolgsaussicht von lediglich noch 10% bewertet hat [(Gutachten S. 10 oben)], beruht dies allein darauf, dass sich erst bei Durchführung der - 13 -

Behandlung herausgestellt hat, dass nur noch eine Eizelle befruchtet und nur noch ein Embryo übertragen werden konnte. Dieser Rückblick auf den konkreten Behandlungsverlauf kann aber die Frage der medizini-schen Notwendigkeit einer Heilbehandlung nicht beantworten, denn [X.] wäre dem Versicherungsnehmer das Kostenrisiko für Behandlungs-maßnahmen aufgebürdet, die sich erst im Nachhinein als erfolglos [X.]. Entscheidend für die Beantwortung der Frage nach der bedin-gungsgemäßen Notwendigkeit ist allein die Prognose vor Beginn der [X.].

Dazu hat der Sachverständige ausgeführt, bei 42-jährigen [X.] reduziere sich die durchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeit ei-ner klinischen Schwangerschaft pro Embryotransfer auf ca. 13-14%. Die früher erfolgreiche [X.]/ICSI-Behandlung zeige, dass keine weiteren [X.] für eine Schwangerschaft bei der Ehefrau des [X.] vorgele-gen hätten. Angesichts dessen habe man erwarten dürfen, dass die indi-viduellen Schwangerschaftschancen gegenüber den Durchschnittswerten des [X.]-Registers etwas höher gelegen hätten. Die ovarielle [X.] sei altersgemäß, die beim vorangegangenen Behandlungsversuch eingesetzte Hormondosierung sogar noch deutlich steigerbar gewesen. Diese Ausführungen zeigen, dass der Sachverständige, hätte er nicht den nachträglich bekannt gewordenen konkreten Behandlungsverlauf in seine Betrachtung einbezogen, für die Ehefrau des [X.] auch hin-sichtlich des Behandlungszyklus vom Juni 2002 noch eine Erfolgswahr-scheinlichkeit von jedenfalls 15% prognostiziert hätte.

e) Künftige Behandlungszyklen sind angesichts des fortgeschritte-nen Alters der Ehefrau des [X.] nicht mehr ausreichend Erfolg [X.] -

sprechend, um die bedingungsgemäße Notwendigkeit der Behandlung zu begründen. Der Sachverständige hat - gestützt auf die Zahlen des Deut-schen [X.]-Registers - überzeugend dargelegt, dass ab einem Lebensal-ter der behandelten Frau von 45 Jahren die Erfolgsaussichten einer [X.]/ICSI-Behandlung praktisch nicht mehr zu beziffern sind. Bei der Ehe-frau des [X.] kommt entscheidend hinzu, dass auch schon bei dem letzten, im Alter von knapp 42 Jahren durchgeführten Behandlungszyklus nur noch die Übertragung eines Embryos möglich und damit - rückblickend betrachtet - schon damals eine unterdurchschnittliche Er-folgswahrscheinlichkeit gegeben war.

Schon aus diesem Grunde kann der Einwand des [X.] nicht durchdringen, die Beklagte könne sich nach [X.] und Glauben nicht auf die eingetretene Zeitverzögerung bei der Fortsetzung der Behandlungs-zyklen berufen, weil sie diese Verzögerung durch ihre Weigerung, die Kosten zu tragen, selbst verursacht habe. Die mangelnden Erfolgsaus-sichten für künftige Behandlungen beruhen nach den Ausführungen des Sachverständigen hier nicht allein auf dem Zeitablauf seit der letzten Behandlung, sondern sind bereits durch deren Verlauf zusätzlich indiziert und hätten damit auch schon zeitnah nach dem zweiten Behandlungs-zyklus vorgelegen. Im Übrigen kann der Grundsatz von [X.] und Glau-ben nicht dazu führen, dass der Krankenversicherer die Kosten aus-sichtsloser Behandlungen tragen muss.

4. Die Beklagte kann den Anspruch des [X.] auf Erstattung der Kosten für die beiden [X.]/[X.] aus den Jahren 2000 und 2002 nicht mit Erfolg den Einwand aus [X.] und Glauben entgegen-- 15 -

halten, der Kläger verletze die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die [X.] und der Versichertengemeinschaft.

a) Allerdings hat der Senat in der Entscheidung [X.]Z 99, 228, 235 ausgeführt, der Versicherungsnehmer müsse bei Inanspruchnahme dieser besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen Behandlung in angemessener Weise Rücksicht auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft nehmen, da das private [X.] in besonderem Maße den Grundsätzen von [X.] und Glauben un-terstehe. Der Versicherer müsse deshalb ganz unverhältnismäßige Kos-ten für eine In-vitro-Fertilisation nicht erstatten. Abgesehen von der Vor-aussetzung, dass diese Behandlung das einzige Mittel zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sei und bei der beteiligten Frau eine deutliche [X.] bestehen müsse, seien einer Kostenerstattung für wieder-holte Fertilisationsversuche Grenzen gesetzt. Der Versuch könne nicht auf Kosten der Versichertengemeinschaft beliebig oft wiederholt werden.

b) Daran ist im Grundsatz festzuhalten.

[X.]) Allerdings ist das Risiko des Versicherers nach der Systematik der MB/KK 94 vorwiegend dadurch begrenzt, dass der Versicherungsfall als medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (§ 1 (2) Satz 1 MB/KK 94) [X.] wird. Dabei dient vor allem das Merkmal der Notwendigkeit der Heil-behandlung dazu, den Versicherer davor zu schützen, dass er die Kos-ten für überflüssige oder nicht aussichtsreiche Behandlungen tragen muss (vgl. dazu [X.]Z 154, 154, 166 ff.). Die Notwendigkeit einer [X.]/ICSI-Behandlung besteht nach den oben stehenden Ausführungen - 16 -

nur dann, wenn unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der an der Behandlung beteiligten Partner eine ausreichende Erfolgsaussicht gegeben ist. Dabei trägt der geforderte Grad der Erfolgsaussicht bereits dem Umstand Rechnung, dass eine vital lebensnotwendige Behandlung nicht in Rede steht. Schon hierdurch ist die Erstattung der Kosten für be-liebig oft wiederholte erfolglose Behandlungen regelmäßig ausgeschlos-sen. Denn eine ungewöhnliche Häufung erfolgloser Behandlungszyklen muss sich zwangsläufig negativ auf die individuelle Erfolgsprognose für weitere Behandlungen auswirken.

[X.]) Ist - wie hier - nach erfolgreicher früherer Behandlung die Wie-derholung von [X.]/[X.] durch den Wunsch von [X.] nach einem weiteren Kind veranlasst, so kann dieser [X.] im Rahmen der von § 242 BGB geforderten Abwägung der ge-samten Umstände des Einzelfalles nicht zu Lasten der versicherten Per-son ins Gewicht fallen, denn er ist einer Kontrolle und auch einer negati-ven Bewertung durch die Gerichte entzogen. Die mit fortschreitendem Lebensalter der beteiligten Frau sinkenden Erfolgsaussichten der [X.] bieten auch insoweit regelmäßig ausreichenden Schutz davor, dass der Versicherer die Kosten für beliebig oft wiederholte Behandlun-gen zu tragen hat.
- 17 -

Der Bereich, in dem eine Leistungsfreiheit des Versicherers nach [X.] und Glauben in Betracht zu ziehen ist, bleibt nach allem auf beson-dere Einzelfälle beschränkt.

[X.] [X.] [X.]

Dr. [X.]

[X.]

Meta

IV ZR 113/04

21.09.2005

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2005, Az. IV ZR 113/04 (REWIS RS 2005, 1725)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1725

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