Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.06.2012, Az. 2 StR 112/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 5658

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 112/12

vom
13. Juni
2012
[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Veröffentlichung:
ja
____________________________

StPO §§
52, 251 Abs.
2 Nr.
3, 252, 273 Abs.
1

1.
Die Zulässigkeit der Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen §
252 StPO setzt nicht den Vortrag voraus, der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge habe nicht
nach qualifizierter Belehrung auf das Verwertungsverbot verzichtet.

2.
Die qualifizierte Belehrung über Möglichkeit und Rechtsfolgen eines Ver-zichts auf das Verwertungsverbot gemäß §
252 StPO sowie die daraufhin [X.] Verzichtserklärung eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen sind als wesentliche Förmlichkeiten des Verfahrens in das [X.] aufzunehmen (§
273 Abs.
1 StPO).

3.
Ist auf das Verwertungsverbot aus §
252 StPO wirksam verzichtet [X.], ist die frühere Aussage des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen nach allgemeinen Regeln verwertbar; dies schließt eine Verlesung gemäß §
251 Abs.
2 Nr.
3 StPO ein.

[X.], Beschluss vom 13.
Juni 2012 -
2 StR 112/12 -
LG Gera

in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung
des General-bundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 13.
Juni 2012
gemäß §
349 Abs.
4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10.
November 2011 aufgehoben, soweit der An-geklagte verurteilt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer -
Jugendschutzkammer
-
des Land-gerichts zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] in 111
Fällen, jeweils in Tateinheit mit
sexuellem [X.], zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13
Jahren verurteilt und ihn im Übrigen -
vom Vorwurf einer Vielzahl weiterer Fälle
-
frei-gesprochen. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg; auf die eben-falls ausgeführte Sachrüge kommt es nicht an.
1.
Der Verfahrensrüge einer Verletzung von §
252 StPO liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:
1
2
-
3
-
Das [X.] hat am 3.
Tag der Hauptverhandlung die Zeuginnen S.

L.

und M.

L.

, die nach den Urteilsfeststellungen geschädig-
ten Töchter des Angeklagten, vernommen.
Beide Zeuginnen wurden gemäß §
52 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und verweigerten so-dann unter Berufung auf dieses Recht die Aussage.
Nach Entlassen der Zeuginnen ist im [X.] jeweils vermerkt: "Der Vorsitzende erläutert den Verfahrensbeteiligten die Sach-
und Rechtslage sowie den weiteren Verfahrensfortgang."
Im Anschluss daran er-klärten der Angeklagte, sein Verteidiger sowie der [X.] der [X.] jeweils, sie seien mit der Verlesung der richterlichen Vernehmung der Zeuginnen einverstanden. Dies wurde jeweils durch Beschlüsse des Land-gerichts angeordnet. Die Verlesung wurde ausgeführt; auf den Inhalt der [X.] ist die Verurteilung des Angeklagten gestützt.
In den Urteilsgründen hat das [X.] ausgeführt:
"Die richterlichen Aussagen wurden im Einvernehmen aller Beteiligten [X.] Gebrauch gemacht haben. Beiden Zeuginnen war dabei sehr wohl bewusst und bekannt, dass dann gleichwohl ihre Angaben, die sie zuvor vor dem jeweiligen Ermittlungsrichter gemacht hatten, in die Hauptverhandlung eingeführt werden können und auch eingeführt wer-den."
2.
Die
hiergegen gerichtete Verfahrensrüge einer Verletzung des §
252 StPO ist entgegen der Ansicht des [X.] nicht unzulässig. Dieser hat ausgeführt, §
344 Abs.
2 Satz
2 StPO hätte den Vortrag des Revisi-3
4
5
6
-
4
-
onsführers verlangt, dass die Zeuginnen auf
das Beweisverwertungsverbot des §
252 StPO nicht
wirksam verzichtet hatten. Der Senat teilt diese Ansicht nicht.
Aus §
252 StPO ergibt sich, wenn ein Zeuge unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht in der Hauptverhandlung die Aussage verweigert,
grundsätzlich ein umfassendes Verwertungsverbot (vgl. [X.]St 29, 230, 232; 32, 25, 29). Eine Ausnahme gilt nach ständiger Rechtsprechung insoweit nur für eine Vernehmung eines Richters als Zeuge über eine frühere Aussage der Auskunftsperson, wenn diese bei
jener früheren Vernehmung über ihr Zeugnis-verweigerungsrecht ordnungsgemäß belehrt worden war ([X.]St 32, 25, 29; 36, 384, 385; 46, 189, 195; st.
Rspr.). Weitergehend erlaubt der Bundesge-richtshof
in ständiger Rechtsprechung eine Verwertung früherer Aussagen, wenn der verweigerungsberechtigte Zeuge nach ausdrücklicher, qualifizierter Belehrung hierüber mitteilt, er mache von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, gestatte jedoch die Verwertung jener früheren Aussage ([X.]St 45, 203; [X.] NStZ 2007, 352; vgl. dazu [X.],
StPO,
55.
Aufl.,
§
252 Rn.
16a m.zahlr.Nachw.). Es handelt sich insoweit folglich um eine in der Rechtsprechung entwickelte
eng begrenzte Ausnahme von dem gesetzlichen Verwertungsverbot. Nach Ansicht des Senats würde es die Regelung des §
344 Abs.
2 Satz
2 StPO unzulässig überdehnen, für die Zulässigkeit der Geltend-machung eines Verstoßes gegen §
252 StPO den Vortrag einer [X.] durch den Revisionsführer zu verlangen, wonach die Voraussetzungen dieser Ausnahme nicht gegeben
sind.
3. [X.] ist auch begründet. Da die früheren richterlichen Aussagen der beiden Zeuginnen nicht durch Vernehmung des Richters, sondern durch Verlesung eingeführt wurden, wäre hierzu ein ausdrücklicher Verzicht der [X.] auf das Verwertungsverbot gemäß §
252 StPO erforderlich gewesen. 7
8
-
5
-
Hieran fehlt es.
Durch den Inhalt des [X.]s ist bewie-sen, dass eine qualifizierte Belehrung der Zeuginnen S.

und M.

L.

nicht erfolgte und dass diese auch nicht ausdrücklich ihr Einverständnis mit der Verwertung ihrer Aussagen erklärt haben. Hierbei handelt es sich um wesentli-che Förmlichkeiten des Verfahrens (§
273 Abs.
1 StPO); das Schweigen des Protokolls beweist, dass sie nicht stattgefunden haben.
Diese Verfahrenstatsachen
werden auch nicht dadurch ersetzt, dass das [X.] in den Urteilsgründen ausgeführt hat, den Zeuginnen sei "bewusst und bekannt" gewesen, dass ihre frühere Vernehmung verwertet werden würde (UA S.
17).
Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Zulässigkeit einer [X.] früherer Aussagen trotz gegenwärtiger Zeugnisverweigerung wäre es nicht angezeigt, die für diesen Fall von der Rechtsprechung entwickelten stren-gen Förmlichkeiten aufzuweichen und schon ein allgemeines, vom Tatrichter in den Urteilsgründen dargelegtes "Bewusstsein" des Zeugen von einer Verwer-tungsmöglichkeit ausreichen zu lassen.
4. Auch die Erklärung des "Einvernehmens" aller Beteiligten (UA S.
17) mit der Verlesung der Niederschriften der richterlichen Aussagen konnte die Verzichtserklärungen nach qualifizierter Belehrung nicht ersetzen.
Eine solche Erklärung gemäß §
251 Abs.
2 Nr.
3 StPO ist zwar grundsätzlich möglich, wenn durch eine Verzichtserklärung des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen die Schwelle des §
252 StPO überwunden und eine
Verwertung daher -
nach allgemeinen Regeln
-
zulässig ist. Die Einverständniserklärung nach §
251 Abs.
2 Nr.
3 StPO kann aber die Erklärung eines Verzichts auf das [X.] nach qualifizierter Belehrung nicht ersetzen. Das ergibt
sich schon daraus, dass §
251 Abs.
2 Nr.
3 StPO ein Einverständnis des betroffenen [X.] nicht voraussetzt. Daher wurde vorliegend über die Verlesung der
Verneh-9
10
-
6
-
mungsprotokolle
folgerichtig erst jeweils nach
Entlassung der Zeuginnen bera-ten und entschieden.
5.
Das Urteil war auf die Verfahrensrüge insgesamt aufzuheben, so dass es auf die Sachrüge nicht mehr ankommt. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass der [X.] zutreffend das Fehlen einer von Tatsachen ge-tragenen Grundlage für die Feststellung der Taten
52 bis 111 zu Lasten der Geschädigten M.

L.

bemängelt hat. Den Urteilsgründen ist nicht zu ent-
nehmen, dass die Schätzung des [X.]s, es sei zu insgesamt [X.] 60
Taten gekommen, auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht.

VRi[X.] Dr. Ernemann ist
Fischer

Appl
in den Ruhestand getreten

und daher an der
Unterschriftsleistung gehindert.

Fischer

[X.]

Eschelbach
11

Meta

2 StR 112/12

13.06.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.06.2012, Az. 2 StR 112/12 (REWIS RS 2012, 5658)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5658

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