Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.03.2015, Az. 2 StR 656/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 13844

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) STRAFVERFAHREN RICHTER ERMITTLUNGSVERFAHREN VERFAHRENSGRUNDSÄTZE ZEUGNISVERWEIGERUNGSRECHT VERFAHREN

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 656/13
vom
18. März
2015
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat
am 18.
März 2015 beschlossen:

Dem
Großen Senat für Strafsachen wird gemäß §
132 Abs.
2 [X.] folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage ei-nes Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Verneh-mung der richterlichen [X.] nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweige-rungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des [X.]s tötete er am 22.
September 2012 seine Ehefrau durch insgesamt 60 Stiche und Schnitte mit einem Messer. Motiv der Tat war die Eifersucht des Angeklagten auf einen Nebenbuhler und seine mangelnde Bereitschaft, eine vom Tatopfer angekün-digte Trennung hinzunehmen. Das Schwurgericht hat insoweit angenommen, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt.
1
-
3
-

I.
Die Revision des Angeklagten macht -
neben Erhebung der allgemeinen Sachrüge
-
mit der Verfahrensrüge eine Verletzung der §§
252, 52 Abs.
1 Nr.
3, Abs.
3 [X.] geltend. Das [X.] habe seine Überzeugung vom [X.] maßgeblich auch auf Angaben der Tochter des Angeklagten gestützt, die diese im Ermittlungsverfahren gegenüber einem in der Hauptverhandlung ver-nommenen [X.] gemacht hatte. Dieser habe die Zeugin zwar über ihr [X.] gemäß §
52 [X.] belehrt, nicht aber darüber, dass bei etwaiger späterer Zeugnisverweigerung ihre in der richterlichen Vernehmung gemachten Angaben verwertet werden könnten. Dies müsse, so die Revision, zu einem Verwertungsverbot führen, nachdem die Zeugin in der Hauptverhand-lung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach §
52 [X.] Gebrauch gemacht und sich mit einer Verwertung ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren nicht ein-verstanden erklärt habe. Die in der Rechtsprechung anerkannte Ausnahme vom umfassenden Verwertungsverbot des §
252 [X.] stehe mit dem Schutzzweck der Vorschrift nicht in Einklang. Jedenfalls sei es notwendig, den Zeugen vor einer ermittlungsrichterlichen Befragung auch auf die mögliche spätere [X.] von Angaben hinzuweisen.
Der Senat hält die Verfahrensrüge für erfolgversprechend (unten II.), hat aber auch Bedenken hinsichtlich der Annahme des [X.] der niedri-gen Beweggründe (unten I
II.). Er sieht sich durch die Rechtsprechung des 1., 4. und 5.
Senats gehindert, der Revision auf die Formalrüge hin stattzugeben, und hat daher mit Beschluss vom 4.
Juni 2014 ([X.], 717 ff.) bei den übrigen Senaten angefragt, ob diese der beabsichtigten Änderung der bisherigen 2
3
-
4
-
Rechtsprechung zustimmen oder an entgegenstehender Rechtsprechung fest-halten.
Die anderen Strafsenate sind der Auffassung des Senats entgegen ge-treten (Beschluss vom 14.
Januar
2015
-
1 ARs 21/14; Beschluss vom 8.
Januar 2015 -
3 ARs 20/14; Beschluss vom 16.
Dezember 2014 -
4 ARs 21/14; Beschluss vom 27.
Januar 2015 -
5 [X.]).
II.
1. §
252 [X.] schließt es aus, die Aussage eines vor der Hauptverhand-lung vernommenen Zeugen zu verlesen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht Gebrauch macht, das Zeugnis zu verweigern. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] enthält die Vorschrift über den Wort-laut hinaus aber nicht nur ein [X.], sondern
ein umfassendes Verwer-tungsverbot. Dieses schließt auch jede Verwertung der bei einer früheren [X.] gemachten Aussage eines Zeugen aus, wenn dieser in der [X.] nach §
52 [X.] berechtigt das Zeugnis verweigert und nicht aus-drücklich die Verwertung seiner früheren Bekundungen gestattet. Auch die Ein-führung durch Aussage
einer früheren [X.] ist danach grund-sätzlich unzulässig.
Von diesem Verbot sind nach der bisherigen Rechtsprechung aber sol-che Bekundungen ausgenommen, die ein Zeuge -
nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht
-
vor einem [X.] gemacht hat. Sie dürfen durch Vernehmung des [X.]s in die Hauptverhandlung eingeführt und bei der [X.] verwertet werden (st. Rspr.; vgl. zuletzt
etwa
[X.], Urteil
vom 8.
Dezember 1999 -
5 StR 32/99, [X.], 342, 345;
Senatsurteil vom 3.
November 2000 -
2 StR 354/00, [X.]St
46, 189, 195; Urteil vom 12.
Februar 4
5
6
-
5
-
2004 -
3 [X.], [X.]St
49, 72, 76 f.;
Senatsbeschluss vom 13.
Juni 2012
-
2 StR 112/12, [X.]St
57, 254, 256 jew. [X.]).
a) Eine materielle Rechtfertigung findet diese Ausnahme vom Verwer-tungsverbot des §
252 [X.] nach der Rechtsprechung des [X.] in einer Güterabwägung. Nach einem nach Belehrung bewusst erklärten [X.] auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in einer richterlichen Vernehmung soll das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege von höherem Gewicht sein als das Interesse des Zeugen, sich die [X.] über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bis zur spä-teren Hauptverhandlung erhalten zu können (vgl. [X.], Urteil vom 8.
Dezember 1999 -
5 StR 32/99, [X.], 342, 346; Senatsurteil vom 3.
November 2000
-
2 StR 354/00, [X.]St 46, 189, 195; [X.], Urteil vom 25.
März 1998 -
3 [X.], [X.]R [X.] §
252 Verwertungsverbot 14).
b) Die unterschiedliche Behandlung von richterlichen und nichtrichterli-chen Vernehmungen hat der [X.] in älteren Entscheidungen [X.] begründet, dass der [X.] -
anders als nach damaliger Rechtslage ein Polizeibeamter oder Staatsanwalt
-
verpflichtet sei, Zeugen auf ihr Zeugnisver-weigerungsrecht hinzuweisen ([X.], Urteil vom 15.
Januar 1952 -
1 StR 341/51, [X.]St 2, 99, 106).
Seit Inkrafttreten des §
163a Abs.
5 [X.]
aF

163 Abs.
3 [X.] nF), der auch für Vernehmungen durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft eine Be-lehrung der Zeugen über ihr Zeugnisverweigerungsrecht vorschreibt, sieht die Rechtsprechung
demgegenüber
das tragende Argument für die unterschiedli-che Behandlung darin, dass das Gesetz
-
wie §
251
Abs.
1 und Abs.
2
[X.] zu entnehmen sei
-
richterlichen Vernehmungen allgemein höheres Vertrauen ent-gegenbringe ([X.], Urteil vom 14.
März 1967 -
5 [X.], [X.]St 21, 218, 7
8
9
-
6
-
219;
[X.], Urteil vom 20.
März 1990 -
1 [X.], [X.]St 36, 384, 386). Zu-sätzlich wird die Zulässigkeit der Vernehmung einer richterlichen [X.]sperson mit der für den Zeugen erkennbaren erhöhten Bedeutung der richterlichen Vernehmung für das Strafverfahren gerechtfertigt ([X.], Urteil vom 12.
Februar 2004 -
3 [X.], [X.]St 49, 72, 77). Schließlich soll die unter-schiedliche Behandlung einen sachlichen Grund darin finden, dass der [X.] in besonderer Weise g[X.]ignet -
und vom Gesetzgeber dafür vorge-sehen
-
sei, präventiven Rechtsschutz zu gewährleisten ([X.], Beschluss der 1.
Kammer des [X.] des [X.] vom 23.
Januar 2008 -
2
BvR 2491/07, juris Rn.
4).
2. Voraussetzung für eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verwertungs-verbot des §
252 [X.] ist eine ordnungsgemäße Belehrung
über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts und die sich daraus ergebende Möglichkeit für den Zeugen, aus diesem Grund keine Angaben zur Sache zu machen. Nicht erforderlich ist es hingegen nach der bisherigen, vom 2.
Strafsenat begründeten Rechtsprechung des [X.], den aussageverweigerungsberech-tigten Zeugen über die Folgen eines Verzichts auf das Auskunftsverweige-rungsrecht, insbesondere über die weitere Verwertbarkeit auch im Falle einer späteren Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung, "qualifiziert" zu beleh-ren (Senatsurteil vom 26.
Juni 1983 -
2 StR 150/83, [X.]St 32, 25, 31 f.; [X.], Beschluss vom 12.
April 1984 -
4 [X.], [X.], 326; Urteil vom 30.
August 1984 -
4
StR 475/84, [X.], 36).
Der 2.
Strafsenat hat dies mit der Erwägung begründet,
dass ein Zeuge nicht einmal auf die Möglichkeit des Widerrufs eines erklärten Verzichts auf sein Zeugnisverweigerungsrecht noch während der laufenden Vernehmung [X.] werden müsse; umso weniger sei es deshalb geboten, ihn schon vor-sorglich für den Fall, dass er in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigern 10
11
-
7
-
sollte, über die Auswirkungen auf die Verwertbarkeit seiner Aussage hinzuwei-sen (Senatsurteil vom 26.
Juni 1983 -
2 StR 150/83, [X.]St 32, 25, 31 f.). Er-gänzend hat der
4.
Strafsenat
angeführt, für die Annahme einer solchen Beleh-rungs-
oder Hinweispflicht fehle es an einer gesetzlichen Grundlage ([X.], Ur-teil vom 30. August 1984 -
4 StR 475/84,
[X.], 36).
3. Diese Begründungen erscheinen dem Senat nicht mehr tragfähig.
a) Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf ([X.]E
80, 244, 255; 95, 96, 140), zu sichern und entsprechende verfahrens-rechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle [X.] nicht verwirklichen lässt ([X.]E 122, 248, 270 [X.]).
Die Wahrheitserforschung im Strafprozess hat jedoch Grenzen. Diese dienen dem Schutz von Beschuldigten und anderer Verfahrensbeteiligten. Sie dürfen nicht zu bloßen Objekten des Verfahrens gemacht werden und sind [X.] in der Strafprozessordnung und in der [X.], welche die Wahrheitserforschung behindern oder sogar ganz ausschließen können. Das Recht eines als Zeugen vernommenen Angehörigen des [X.] im Sinne von §
52 Abs.
1 [X.], das Zeugnis -
ohne Angabe von Grün-den
-
zu verweigern, ist ein solches
Recht ([X.], [X.], 18, 19). Es stützt sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art.
2 Abs.
1 GG, das die Aufgabe hat, die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer 12
13
14
-
8
-
Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen ([X.]E 54, 148, 153; 72, 155, 170). Es umfasst sowohl die in §
52 [X.] geregelte Freiheit, das Zeugnis im Verfahren gegen einen nahen Angehörigen zu verweigern, als auch die Option, frühere Aussagen einer Verwertung im Strafverfahren wieder zu entziehen.
aa) §
52 [X.] trägt der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der als Angehöriger des Beschuldigten der Zwangslage ausgesetzt sein kann, sei-nen Angehörigen zu belasten oder die
Unwahrheit sagen zu müssen. Niemand soll gezwungen sein, aktiv zur Überführung eines Angehörigen beizutragen, weil der Zwang zur Belastung von Angehörigen mit dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen unvereinbar wäre wie ein gegen den Zeugen geübter Zwang zur Selbstbelastung ([X.], [X.], 18, 19). Die Regelung lässt das öf-fentliche Interesse an möglichst unbehinderter Strafverfolgung hinter das per-sönliche Interesse des Zeugen zurücktreten, nicht gegen einen Angehörigen aussagen zu müssen ([X.], Beschluss vom 8. Dezember 1958 -
GSSt 3/58, [X.]St 12, 235, 239).
[X.]) Die Konfliktsituation zwischen Wahrheitspflicht und [X.] wirkt regelmäßig über die erste Aussage vor der Polizei hinaus fort. Aus diesem Grund erweitert §
252 [X.] den Schutz des Zeugen. Dieser kann eine einmal gemachte Aussage bis zur Hauptverhandlung folgenlos wieder rückgängig ma-chen, ohne sie durch eine neue Aussage ersetzen zu müssen, bei deren [X.] er wiederum dem genannten Spannungsverhältnis ausgesetzt wäre. Allein die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung würde die Zwangslage nicht beseitigen, wenn bereits eine Aussage vorliegt, die im Wege der Verlesung oder durch Vernehmung der [X.] in die Hauptverhandlung eingeführt werden könnte. §
252 [X.] löst damit -
auch 15
16
-
9
-
im Verständnis des [X.], der, wie dargelegt, §
252 [X.] nicht nur als [X.], sondern als Verwertungsverbot versteht
-
den Konflikt zwi-schen [X.] und Zeugenschutz in einer dem Freiheitsgrund-recht entsprechenden Weise.
b) In der Rechtsprechung ist seit jeher eine Ausnahme von der vorste-henden Regel anerkannt worden, wonach die frühere Aussage eines in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigernden Zeugen durch Vernehmung ei-ner richterlichen
[X.] -
unter der Voraussetzung damaliger Be-lehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht
-
in die [X.] eingeführt werden kann. Dies soll zu einer Ausbalancierung des öf-fentlichen Interesses an einer wirksamen Strafverfolgung und den die Regelung der §§
52, 252 [X.] tragenden Schutzzwecküberlegungen führen. Diese von der Rechtsprechung ersonnene Ausnahme ist seit jeher in der Literatur (vgl. aus älterer Zeit etwa: [X.]. [X.], [X.] 1959, 369, 373; [X.], [X.] 1966, 489, 497 f.; [X.], [X.] 1967, 467
f.; [X.], [X.], 488, 489; Fezer, [X.] 1990, 875, 876; G[X.]rds, [X.], 199, 200) Einwendungen ausgesetzt gewe-sen ([X.]/[X.] in Löwe/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
252 Rn.
10: krimi-nalpolitische Zweckmäßigkeitsentscheidung, die weder im Wortlaut noch im Regelungszweck des §
252 [X.] eine Stütze finde; so auch [X.] in [X.]/[X.], [X.], §
252 Rn.
25;
s. ferner [X.] in SK-[X.], 4.
Aufl., §
252 Rn.
4; [X.]/Schuhr in SSW-[X.], §
252 Rn.
20; [X.] in [X.], [X.] im Strafprozess, 6.
Aufl., Rn. 881; vgl. auch [X.], Urteil vom 12.
Februar 2004 -
3 [X.], [X.]St 49, 72, 78 f.).
Der 1.
Strafsenat hat in seinem Beschluss zur Beantwortung der Anfrage des Senats vom 4. Juni 2014 darauf hingewiesen, dass es gewichtige [X.] schon gegen diese Zulässigkeit der Vernehmung einer richterlichen [X.]sperson gibt (siehe dazu auch aus jüngerer Zeit El Ghazi [X.] 2015, 17
18
-
10
-
342, 344 f.; [X.], 319, 324), die überhaupt erst die vom Vorlagebe-schluss aufgeworfene Frage einer qualifizierten Belehrung aufwirft.
Auch das [X.] geht in seinem Verständnis der §§
52, 252 [X.] davon aus, dass diese Vorschriften als Ausprägung des [X.] Persönlichkeitsrechts den zeugnisverweigerungsberechtigten [X.] nicht nur vor der Verpflichtung schützen, Angehörige wahrheitsgemäß be-lasten zu müssen, sondern zudem sichern sollen, dass eine einmal gemachte Aussage bis zur Hauptverhandlung wieder folgenlos rückgängig gemacht wer-den kann. Diese im Zusammenhang mit der Verwertung einer nichtrichterlichen Vernehmung angestellte Erwägung des [X.] erfasst nach ihrem Sinn auch richterliche Vernehmungen. Dass einem Zeugen nach einer Belehrung
durch einen [X.] deutlicher als bei einer Belehrung durch einen Polizeibeamten bewusst vor Augen stünde, dass er eine trotz Zeugnis-verweigerungsrecht gemachte Aussage nicht wieder beseitigen kann, ist eine bloße Behauptung, die keinen normativen Gehalt hat und überdies schon tat-sächlich fraglich
erscheint.
Der Senat meint, dass die Bedenken schon gegen die grundsätzliche Zu-lassung einer Verwertung der bei einem [X.] getätigten Aussage von aussa-geverweigerungsberechtigten Zeugen trotz Widerspruchs in der Hauptverhand-lung erhebliches Gewicht
haben. Weil diese Frage aber nicht ausdrücklich Ge-genstand des [X.] gewesen ist (worauf der 4.
Strafsenat zutref-fend hinweist), sieht er von einer Vorlage insoweit ab.
Er geht allerdings davon aus, dass sich der [X.] mit dieser der Vorlagefrage vorgelagerten Grundsatzfrage ohnehin wird befassen müssen.
4.
Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung sieht der Senat die Ausgangsüberlegung jedenfalls nur dann noch als gerechtfertigt an, wenn der 19
20
21
-
11
-
Zeuge in der im Ermittlungsverfahren durchgeführten richterlichen Vernehmung ausdrücklich auch darüber belehrt worden ist, dass eine jetzt gemachte [X.] auch dann verwertbar bleibt, wenn er in einer späteren Hauptverhandlung vom Recht der Aussageverweigerung Gebrauch macht (so auch [X.], HK-[X.], 5.
Aufl., §
252 Rn.
2; aA ohne nähere Begründung etwa [X.], KK-[X.], 7. Aufl., §
252 Rn.
28). Nach Ansicht des Senats ist also eine "qualifizier-te" Belehrung erforderlich, welche allein den Zeugen umfassend in die Lage versetzt, über seine Aussagebereitschaft und deren mögliche Folgen für das spätere Verfahren zu entscheiden. Nur wenn diese Informationslage gegeben ist, ist eine Ausnahme von dem umfassenden Verwertungsverbot des §
252 [X.] legitimiert. Diese Legitimation ergibt sich -
entgegen der bisherigen Rechtsprechung
-
nicht schon aus dem Umstand, dass die [X.] ein [X.] (und kein Staatsanwalt oder Polizeibeamter) ist. Eine solche Differenzierung ist der Strafprozessordnung vielmehr fremd; sie ist § 252 [X.] auch nicht ansatzweise zu entnehmen und nur deshalb vorgenommen worden, weil vor Einfügung des §
163a Abs. 5 [X.] bei polizeilichen Vernehmungen überhaupt keine Belehrung stattfand.
a) Zu Recht hat der [X.] vielfach auf die besondere Bedeutung der Be-lehrung des Zeugen für dessen Entscheidung hingewiesen, Angaben zu ma-chen ([X.], Urteil vom 15.
Januar 1952 -
1 StR 341/51, [X.]St 2, 99, 106; zur Bedeutung der Belehrung s. auch Senatsurteil vom 1.
Juni 1956 -
2 StR 27/56, [X.]St 9, 195, 197;
Senatsurteil vom 29. Juni 1983 -
2 StR 150/83, [X.]St
32, 25, 30 f.; so auch [X.], aaO
§
252 Rn.
28). Zu der erforderlichen umfassen-den Information gehört aber nicht allein der Hinweis auf ein zum Zeitpunkt der Vernehmung bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch die Kenntnis über
die verfahrensrechtlichen Konsequenzen einer gleichwohl beste-henden Aussagebereitschaft. Für nicht rechtskundige Zeugen liegt regelmäßig fern, sich zum Zeitpunkt einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren von sich 22
-
12
-
aus Gedanken darüber zu machen, ob sie ihre
Aussagebereitschaft auch später aufrechterhalten oder gegebenenfalls ändern wollen, wofür es eine Vielzahl an-erkennenswerter und nicht zu überprüfender Gründe geben kann. Erst recht werden sie in der Regel nicht darüber nachdenken, ob die Konsequenzen ihrer aktuell bestehenden Aussagebereitschaft sich je nach der Person des [X.] unterscheiden könnten.
Das Gewicht der von §§
52, 252 [X.] geschützten Interessen gebietet es vor diesem Hintergrund, einen aussagebereiten Zeugen auch darüber zu belehren, dass die Aussage nicht durch spätere Ausübung des Zeugnisverwei-gerungsrechts zurückgenommen werden kann. Geschieht dies -
wie bisher
-
nicht, leidet der Entschluss des Zeugen an einem durchgreifenden Mangel (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
Juli 2007 -
1 [X.], [X.], 712, 713, zur notwendigen Belehrung eines Zeugen, der Angaben in der Hauptverhandlung verweigern, aber der Verwertung zuvor gemachter polizeilicher Angaben zulas-sen möchte). Erst diese Belehrung bietet die sichere Grundlage für die Ent-scheidung des Zeugen und schärft seinen Blick auf die mögliche bestehende Konfliktsituation, die sonst oft erst unmittelbar vor und während der [X.] erkenn-
und spürbar wird (vgl. [X.], [X.], 488, 489; so auch [X.]/[X.], aaO, § 252 Rn.
10).
b) Der Annahme einer qualifizierten Belehrungspflicht stehen die bisher dagegen vorgebrachten Erwägungen nicht entgegen.
aa) Dass es -
worauf der 1.
Strafsenat und der Sache nach auch der 4.
Strafsenat in Ihren Antworten auf die Senatsanfrage hingewiesen haben
-
an einer gesetzlichen Grundlage hierfür fehle ([X.], Urteil vom 30.
August 1984
-
4
StR 475/84, [X.], 36), ist zutreffend, schließt aber die Anerkennung einer Belehrungspflicht ersichtlich nicht aus. Denn es handelt sich um
Erwä-23
24
25
-
13
-
gungen und Anforderungen im Bereich der ihrerseits nur richterrechtlich be-gründeten Ausnahme von dem gesetzlichen Beweisverwertungsverbot des §
252 [X.]. Es wäre offenkundig widersprüchlich, ungeschriebene Ausnahmen von einem Verwertungsverbot zuzulassen, für deren rechtsstaatliche Begren-zung aber eine gesetzliche Grundlage zu verlangen.
[X.]) Der Annahme einer qualifizierten Belehrungspflicht kann auch nicht entgegengehalten werden, der Zeuge sei angesichts des [X.] meist der Ansicht, dass mit der richterlichen Vernehmung seine Angaben für eine spätere Hauptverhandlung gesichert werden sollen. Dieser Hinweis des 1., 4. und 5. Strafsenats ist unverständlich, denn er bestätigt einerseits gerade das [X.] zwischen verschiedenen Zeugen; andererseits könnte eine qualifizierte Belehrung über einen rechtlichen Umstand, den "die meisten"
Zeugen sowieso schon kennen, auch keine Erschwerung der Wahrheitsfindung bewirken.
Fern liegend erschiene das Argument, eine qualifizierte Belehrung könne eine höhere Anzahl von Zeugen zur Geltendmachung des [X.] veranlassen, als dies bei einer nur "einfachen"
Belehrung der Fall ist, und daher der "Effektivität der Strafverfolgung"
entgegenstehen. Denn die vom Senat für erforderlich gehaltene qualifizierte Belehrung gibt dem Zeugen kein Recht, welches er nicht schon hat. Sie erweitert nicht das Zeugnisverwei-gerungsrecht, sondern nur die Kenntnis der Zeugen vom Umfang ihrer pro-zessualen Rechte. Hierin kann per definitionem keine Gefahr für das rechts-staatliche Strafverfahren und die Verwirklichung seiner Ziele liegen. Dass [X.] von den Rechten, die Ihnen das Gesetz gewährt, bei vollstän-diger Aufklärung über die Rechtslage häufiger Gebrauch machen als bei lü-ckenhafter Information, ist kein schützenswertes Anliegen des Strafprozesses.
26
27
-
14
-
cc) Die Ansicht des Senats steht auch nicht in Widerspruch zu der -
vom 4.
Strafsenat zitierten Entscheidung des [X.] (NJW 2013, 3225), der sich dort -
vor allem im Hinblick
auf das Konfrontationsrecht des Angeklagten aus Art.
6 Abs.
3 Buchst. d EMRK
-
mit der Verwertbarkeit der früheren richterlichen [X.] eines in der Hauptverhandlung die Aussage verweigernden Zeugen in Abwesenheit des Beschuldigten und seines Verteidigers befasst. Es mag der Entscheidung -
die sich dazu nicht ausdrücklich äußert
-
zu entnehmen sein, dass der Gerichtshof die Belehrung nicht als für ein faires Verfahren zwingend geboten erachtet. Die Gebotenheit der "qualifizierten" Belehrung ergibt sich
aber nach Ansicht des Senats auch nicht aus dem fairen Verfahren, sondern, wie oben dargelegt, aus Grundrechten zum Schutz des allgemeinen Persön-lichkeitsrechts von zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen.
[X.]) Soweit der Senat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 (Urteil vom 29.
Juni 1983 -
2 StR 150/83, [X.]St 32, 25, 31 f.) die Ansicht vertreten hat, die Annahme einer Belehrungspflicht bei einer ermittlungsrichterlichen [X.] sei deshalb nicht geboten, weil auch bei einer Vernehmung in der Hauptverhandlung kein Hinweis vonnöten sei, dass der in der Aussage liegende Verzicht auf ein Aussageverweigerungsrecht jederzeit, auch noch während lau-fender Vernehmung, widerrufen werden könne, hält er hieran nicht fest. Die Si-tuation eines Zeugen, der sich in der Hauptverhandlung dazu entschlossen hat, trotz Bestehen eines Aussageverweigerungsrechts Angaben zu machen, ist nicht mit der Lage vergleichbar, in der sich der Zeuge bei einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren befindet.
[X.]) Soweit der 5.
Strafsenat einer Änderung der Rechtsprechung na-mentlich im Hinblick auf "Altfälle" nicht zustimmen will, erscheint eine solche Einschränkung nicht überzeugend. Zum einen dürfte die Anzahl laufender Ver-fahren, in denen nicht belehrt worden ist und in denen es auf die Angaben 28
29
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-
15
-
zeugnisverweigerungsberechtigter verwandter
Zeugen zum [X.] an-kommt, gering sein. Dies gilt umso mehr, als in manchen Gerichtsbezirken nach Bekanntwerden des [X.] vom 4. Juni 2014 bereits jetzt qualifi-zierte Belehrungen erteilt werden. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die feh-lende "qualifizierte" Belehrung nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot führen dürfte, wenn dem Zeugen die Folgen seiner Aussagebereitschaft tat-sächlich nicht bekannt waren. Geht man mit dem 5.
Strafsenat

davon aus, dass die meisten Zeugen den Grund für die Durchführung einer ermittlungsrichterli-chen Vernehmung kennen, wäre jedenfalls in diesen Fällen ein Beweisverwer-tungsverbot ausgeschlossen.
III.
Auch die Sachrüge erscheint dem Senat erfolgversprechend.
Der Senat hat Bedenken hinsichtlich der Annahme des [X.] der niedrigen Beweggründe. Das [X.] ist davon ausgegangen, das prä-gende Hauptmotiv der Tat sei die Eifersucht des Angeklagten und seine Weige-rung gewesen, die Trennung von seiner Ehefrau zu akzeptieren; diese [X.] stehe sittlich auf niedrigster Stufe. Bei dieser Bewertung hat der Tatrichter das ambivalente Verhalten des [X.] zwar in den Blick genommen; die [X.], mit welcher er es als unbeachtlich angesehen hat, erscheint aber bedenklich. Dass der Angeklagte, wie das [X.] ausgeführt hat, "[X.]" hatte und die Situation anders als durch Tötung seiner Ehe-frau hätte lösen können, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
Dass der Senat insoweit die landgerichtliche Entscheidung aufheben könnte, ohne dass eine Klärung der vorgelegten Rechtsfrage notwendig wäre, ändert nichts an der Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage als Voraussetzung
der Divergenzvorlage. Eine allein auf die Sachrüge gestützte 31
32
33
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16
-
Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung würde unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres dazu führen, dass die [X.] ihrer Entscheidung erneut die über die Vernehmung des Er-mittlungsrichters in
die Hauptverhandlung eingeführten Angaben der Tochter
des Angeklagten zugrunde legen und sich damit aus der Sicht des Senats er-neut rechtsfehlerhaft über die geschützten Interessen der Zeugin hinwegsetzen müsste.
Fischer Krehl Eschelbach

Ott Zeng

Meta

2 StR 656/13

18.03.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.03.2015, Az. 2 StR 656/13 (REWIS RS 2015, 13844)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13844

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Voraussetzungen der Verwertung einer während der richterlichen Vernehmung getätigten Zeugenaussage bei Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung


2 StR 656/13 (Bundesgerichtshof)

Voraussetzungen der Verwertung einer während der richterlichen Vernehmung getätigten Zeugenaussage bei Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung


2 StR 656/13 (Bundesgerichtshof)

Anfrage an die übrigen Strafsenate des BGH: Voraussetzungen der Verwertung einer während der richterlichen Vernehmung …


2 StR 656/13 (Bundesgerichtshof)


1 ARs 21/14 (Bundesgerichtshof)

Voraussetzungen der Verwertung einer während der richterlichen Vernehmung getätigten Zeugenaussage bei Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung


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2 StR 656/13

1 ARs 21/14

3 ARs 20/14

4 ARs 21/14

5 ARs 64/14

2 StR 112/12

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