Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2010, Az. StB 7/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 8189

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Gegenstand

Ermittlungsverfahren wegen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Überwachungsanordnung für einen DSL-Anschluss eines Unbeteiligten


Tenor

Die Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 3. März 2010 (2 [X.]) wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Staatskasse.

Gründe

1

Der [X.] führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für die ausländische terroristische [X.] (§ 129 a Abs. 1, Abs. 5, § 129 b Abs. 1 StGB). Er legt ihm zur Last, als Hauptverantwortlicher des "[X.] Bataillons" ([X.]) im [X.] Propagandamaterial (Text-, Audio- sowie Videobotschaften) von Führungspersonen der [X.] - u. a. von [X.], [X.] und [X.] - verbreitet zu haben, um hierdurch den Kampf der [X.] gezielt zu fördern und für diese Gruppierung neue Mitglieder oder Unterstützer zu rekrutieren. Der Beschuldigte soll in der jüngeren Vergangenheit und derzeit als Administrator des [X.] [X.]forums des 1 mit dem Namen "[X.]" unter der [X.]adresse "http://de. ..." auf dieser [X.]seite Propagandamaterial der [X.] eingestellt haben und einstellen. Für seine [X.]aktivitäten soll der Beschuldigte vor allem den [X.] des Telefonanschlusses des in seiner Nachbarschaft wohnenden H. mit der Rufnummer … ohne dessen Kenntnis genutzt haben und nutzen.

2

1. Mit Schriftsatz vom 27. November 2009 hatte der [X.] beim Ermittlungsrichter des [X.] beantragt, die Überwachung und Aufzeichnung des über den [X.] des genannten [X.]es geführten [X.] für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 (2 [X.] 349/09) hatte der Ermittlungsrichter die Anordnung abgelehnt, weil die Maßnahme unverhältnismäßig sei. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des [X.]s hatte der [X.] mit Beschluss vom 22. Dezember 2009 (StB 54/09) gemäß § 100 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d, Abs. 3, § 100 b Abs. 1 bis 3, § 162 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO die Überwachung und Aufzeichnung des über den [X.] des genannten [X.]es geführten [X.] bis zum 28. Februar 2010 unter Beschränkungen gestattet, die dem Schutz des [X.]inhabers sowie etwaiger weiterer berechtigter [X.]nutzer dienten. Dabei hatte der [X.] ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Verlängerung der Maßnahme bei Berücksichtigung der Grundrechte des [X.]inhabers unter [X.] kaum zu rechtfertigen sein wird, sollten sich aus der Überwachungsmaßnahme bis Ende Februar 2010 keine tatrelevanten Erkenntnisse ergeben.

3

Mit Beschluss vom 26. Februar 2010 (2 [X.] 66/10) hat der Ermittlungsrichter des [X.] den Antrag des [X.]s abgelehnt, die Maßnahme um einen Monat zu verlängern; diese lief sodann mit Ablauf des 28. Februar 2010 aus. Mit Schriftsatz vom 2. März 2010 hat der [X.] erneut die Anordnung der Überwachung und Aufzeichnung des über den [X.] des genannten [X.]es geführten [X.] für die Dauer von einem Monat beantragt. Diesen Antrag hat der Ermittlungsrichter des [X.] mit Beschluss vom 3. März 2010 (2 [X.] 77/10) zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die bei der früheren Anordnung erwarteten Nachweise der Tatbegehung durch den Beschuldigten hätten nicht gewonnen werden können. Vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte ein Verschlüsselungsprogramm benutzt habe, das von den Ermittlungsbehörden nicht überwunden werden konnte, und mit Blick auf die tatsächlich durch die Überwachung gewonnenen Erkenntnisse stünden die beantragten Maßnahmen außer Verhältnis zu den mit ihnen verbundenen Eingriffen in die Grundrechte nicht tatverdächtiger Dritter.

4

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des [X.]s, mit der dieser sein Begehren weiter verfolgt.

5

2. Das gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthafte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg; der Ermittlungsrichter des [X.] hat in der angefochtenen Entscheidung den Antrag des [X.]s zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen einer heimlichen Überwachung des DSL-[X.]es liegen nicht mehr vor.

6

a) Der Beschuldigte ist zwar weiterhin aufgrund bestimmter Tatsachen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1, Abs. 5 Satz 2, § 129 b Abs. 1 StGB) und damit einer Katalogtat nach § 100 a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d StPO verdächtig, die auch im konkreten Einzelfall schwer wiegt (§ 100 a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der [X.] auf seine diesbezüglichen Ausführungen in dem Beschluss vom 22. Dezember 2009 Bezug, die nach wie vor gelten. Der gegen den Beschuldigten bestehende Verdacht wird durch die Einlassung des [X.] in dessen Vernehmung vom 20. Januar 2010 tendenziell bestätigt, wenngleich dessen Angaben zur Person des "[X.]" bzw. "[X.]" eher allgemein gehalten sind und keinen konkreten Hinweis auf den Beschuldigten enthalten.

7

b) Die erneute Anordnung der Maßnahme für einen weiteren Monat ist indes mit dem bei der Überwachung und Aufzeichnung des über den [X.] eines unbeteiligten, der Begehung einer Straftat unverdächtigen Dritten fließenden [X.] in besonderer Weise zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren; sie ist über den bereits bewilligten [X.]raum von zwei Monaten hinaus nicht mehr angemessen. Gegenüber dem staatlichen Interesse an der Verfolgung begangener Straftaten durch die beantragte Maßnahme überwiegen mittlerweile die Rechte des [X.]inhabers und etwaiger sonstiger berechtigter [X.]nutzer.

8

aa) Die beantragte Ermittlungsmaßnahme greift auch bei Berücksichtigung der zum Schutz des der Begehung einer Straftat nicht verdächtigen [X.]inhabers und der etwaigen weiteren berechtigten Nutzer vorgesehenen Beschränkungen und der erkennbaren diesbezüglichen Bemühungen der Ermittlungsbehörden in erheblicher Weise in den Schutzbereich des durch Art. 10 GG gewährleisteten Post- und Fernmeldegeheimnisses ein ([X.] NJW 2003, 1787, 1788 ff.; 2007, 2752).

9

bb) Diesem intensiven Grundrechtseingriff steht mit Blick auf die bisher durch die Maßnahme gewonnen Ergebnisse ein zu erwartender ausreichend gewichtiger Ermittlungserfolg nicht gegenüber.

Die Überwachung des [X.]es in dem [X.]raum vom 29. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 hat im Wesentlichen lediglich ergeben, dass der Beschuldigte sich unter Nutzung des überwachten [X.]es bei häufiger Verwendung eines Verschlüsselungsprogramms und damit in [X.] im [X.] bewegt, mehrfach Dateien mit islamistischem Inhalt aus dem [X.] herunter geladen, einmal am 18. Februar 2010 den passwortgeschützten Bereich des [X.]forums "http://de. ..." aufgesucht sowie am 23. Februar 2010 den öffentlichen Teil der [X.]seite des [X.]-Forums direkt über einen Server in [X.] aufgerufen hat. Diese bisher durch die angeordnete Maßnahme gewonnenen Ergebnisse bieten zwar Hinweise auf profunde Kenntnisse im IT-Bereich und eine islamistisch geprägte Einstellung des Beschuldigten. Sie vermögen jedoch weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau oder im Zusammenwirken mit den sonstigen Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen den gegen den Beschuldigten bestehenden Verdacht wesentlich zu erhärten, verantwortlicher Administrator des genannten Forums zu sein und in der Vergangenheit über dieses und andere Webseiten um Mitglieder oder Unterstützer für die [X.] geworben zu haben; sie sind daher für den Nachweis der dem Beschuldigten zur Last gelegten konkreten Straftat, deren Ermittlung und Verfolgung die Maßnahme dienen soll, von eher untergeordneter Bedeutung.

Dies gilt im Ergebnis auch für den Umstand, dass der Beschuldigte sich am 24. Februar 2010 unter Nutzung des Verschlüsselungsprogramms im [X.] aufhielt und der Administrator "[X.]" in dem genannten [X.]forum zeitgleich einen Beitrag veröffentlichte. Derartige zeitliche Übereinstimmungen können zwar grundsätzlich ein Anzeichen dafür sein, dass der Beschuldigte tatsächlich die Funktion des Administrators in dem Forum ausübt. Der Indizwert der von den Ermittlungsbehörden dargelegten einzigen Überschneidung kurz vor dem Ende der zwei Monate andauernden Überwachung wird indes durch die sonstigen ermittelten Umstände zumindest stark relativiert. Danach nutzte der Beschuldigte den überwachten [X.] in dem [X.]raum vom 29. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 in insgesamt 87 Fällen. Der Administrator "[X.]" stellte ausweislich der in der Anregung des [X.] zur Verlängerung der Überwachung vom 22. Februar 2010 enthaltenen Übersicht mit Stand 1. Januar 2010 in der [X.] vom 28. Februar 2009 bis zum 31. Dezember 2009 fast 100 Beiträge in das [X.]forum "http://de. ..." ein; an anderer Stelle ist von insgesamt 1028 Beiträgen des "[X.]" auf einer früheren [X.]seite die Rede (Auswertebericht des [X.] zum islamistischen [X.] [X.]diskussionsforum http://de. ... und dessen Rolle im [X.] AL-JIHAD [X.] vom 31. Januar 2010, S. 32 f.). Wie oft der Administrator indes in dem Überwachungszeitraum entsprechend tätig war, lässt sich weder den Schriftsätzen des [X.]s noch den diesen zugrunde liegenden Anregungen des [X.] entnehmen; dieser Umstand ist für den [X.] auch aus den übrigen Aktenteilen nicht ersichtlich. Die umfangreichen Aktivitäten des "[X.]" in der Vergangenheit legen jedoch nahe, dass er in dem Überwachungszeitraum von zwei Monaten ebenfalls mehrere Beiträge in das Forum eingestellt hat. Deshalb wären zeitliche Übereinstimmungen zwischen der Nutzung des überwachten DSL-[X.]es unter Verwendung des Verschlüsselungsprogramms durch den Beschuldigten und dem Hochladen von Beiträgen in das Forum durch den Administrator "[X.]" häufiger zu erwarten gewesen, hätte der Beschuldigte diese Funktion tatsächlich über diesen [X.] ausgeübt. Derartige zeitliche Überschneidungen konnten indes offensichtlich nicht ermittelt werden. Der genannten, durch das [X.] gefertigten Übersicht der durch "[X.]" in das Forum eingestellten Beiträge ist vielmehr zu entnehmen, dass "[X.]" am 31. Dezember 2009 und damit innerhalb des Überwachungszeitraums um 01:07 Uhr den Beitrag "[X.]s Stellungnahme zur [X.] ([X.])" in das Forum einstellte; die Ermittlungsbehörden haben indes nicht dargelegt, dass der Beschuldigte zu dieser [X.] über den überwachten [X.] unter Verwendung des Verschlüsselungsprogramms im [X.] tätig war.

Anhaltspunkte dafür, dass für die Zukunft durch die Überwachung des [X.]es aussagekräftigere, den Angeklagten belastende Indizien ermittelt werden können als in der Vergangenheit, vermag der [X.] in Übereinstimmung mit dem Ermittlungsrichter nicht zu erkennen; insbesondere sind keine belastbaren Anzeichen dafür ersichtlich, dass der Beschuldigte den Gebrauch des von den Ermittlungsbehörden nicht zu überwindenden Verschlüsselungsprogramms bei etwaigen tatrelevanten Aktivitäten einschränken wird.

[X.]

Meta

StB 7/10

23.03.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend BGH, 3. März 2010, Az: 2 BGs 77/10, Beschluss

§ 100a Abs 1 StPO, § 100a Abs 2 Nr 1 Buchst d StPO, § 100b Abs 1 StPO, § 100b Abs 2 StPO, § 100b Abs 3 StPO, § 162 Abs 1 StPO, § 169 Abs 1 S 2 StPO, § 129a Abs 5 S 2 StGB, § 129b Abs 1 StGB, Art 10 GG, Art 20 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2010, Az. StB 7/10 (REWIS RS 2010, 8189)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8189

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