Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.05.2010, Az. X R 60/08

10. Senat | REWIS RS 2010, 6557

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Gegenstand

Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit bei Auflösung einer Rückstellung auf der Ebene der Mitunternehmerschaft - Vorrangigkeit des Feststellungsverfahrens - Kein aufschiebend bedingter Steueranspruch bei Bildung einer Rückstellung - Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen bzw. Insolvenzverbindlichkeiten und Masseforderungen bzw. Masseverbindlichkeiten


Leitsatz

1. Die sich aus der Verwertung der Insolvenzmasse ergebende Einkommensteuerschuld ist in einem auf den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung beschränkten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen .

2. Masseverbindlichkeiten sind die Einkommensteuerschulden, die sich aus "echten" Gewinnen einer Mitunternehmerschaft ergeben .

3. Zu den Masseverbindlichkeiten gehören auch die Einkommensteuerschulden, die sich daraus ergeben, dass bei Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft durch Auflösung einer Rückstellung auf der Ebene der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) ein Gewinn entsteht .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des [X.] (im Folgenden: Steuerpflichtiger). Über das Vermögen wurde am 19. Mai 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet.

2

Der Steuerpflichtige war an der [X.] bürgerlichen Rechts (GbR) beteiligt. Die Gesellschaft betätigte sich als Bauträger.

3

Die GbR hatte in früheren Jahren in ihren Bilanzen Rückstellungen für [X.] und drohende Rückabwicklungen gebildet. Zugrunde lagen Bauvorhaben, die die GbR in den Jahren 1994 und 1995 vermarktet hatte. Die Rückstellungen sollten bis zum Ablauf der Verjährungsfristen eingestellt bleiben.

4

Im Streitjahr 2004 löste die GbR die Rückstellungen in Höhe von 1.687.131 € auf. Daneben wies die GbR sonstige betriebliche Erträge in Höhe von 489.956 € aus, die allem Anschein nach aus der Realisierung stiller Reserven herrührten. Der erzielte Gewinn betrug 1.304.991 €. Der auf den Steuerpflichtigen entfallende Gewinnanteil betrug 326.247 €. Das zuständige Finanzamt erließ einen entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheid.

5

In der Einkommensteuererklärung für das [X.] erklärte der Steuerpflichtige nur negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) den Steuerpflichtigen zunächst erklärungsgemäß veranlagt hatte, erging unter dem 20. November 2006 ein nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) geänderter Einkommensteuerbescheid für 2004, der an den Insolvenzverwalter gerichtet war und der den Gewinnanteil des Steuerpflichtigen an der GbR berücksichtigte. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 107.110 €. Das [X.] begründete die geänderte Steuerfestsetzung damit, dass es sich bei der Steuer, die auf den GbR-Gewinnanteil entfalle, um eine Masseverbindlichkeit handele.

6

Unter dem 17. August 2007 änderte das [X.] die Steuerfestsetzung dahingehend, dass die auf die sonstigen Einkünfte entfallende Einkommensteuer dem insolvenzfreien Bereich zugeordnet wurde. Insoweit erließ es einen an den Steuerpflichtigen gerichteten Einkommensteuerbescheid. Entsprechend reduzierte sich die gegenüber dem Kläger festgesetzte Einkommensteuer geringfügig.

7

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab. Das [X.] habe die auf dem Gewinnanteil an der GbR beruhende Einkommensteuer für das [X.] zu Recht als Masseverbindlichkeit behandelt und gegenüber dem Kläger zu Recht mittels Einkommensteuerbescheid geltend gemacht.

8

Mit der Revision macht der Kläger geltend:

9

1. Bereits in den Jahren 1994/95 habe festgestanden, dass die Auflösung der (wegen übernommener [X.] und etwaiger Rückabwicklungen gebildeten) Rückstellungen die Steuerersparnis rückgängig machen würde. Der zivilrechtliche Sachverhalt sei bereits 1994/95 abgeschlossen gewesen. Die Auffassung, dass die Auflösung einer Rückstellung nicht rückwirkend für 1994/95 vorgenommen werden könne, sei unzutreffend.

Entgegen der Auffassung des [X.] hätten die Rückstellungen spätestens zum 31. Dezember 2000 aufgelöst werden müssen. Die [X.] seien zum 31. Dezember 2000 ausgelaufen. Danach hätten weder Inanspruchnahmen aus [X.] noch Rückabwicklungen gedroht. Es gebe auch keine Verjährungsfristen, die erst im [X.] abgelaufen wären. Die Auflösung der Rückstellungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei augenscheinlich allein deshalb erfolgt, um Steuerforderungen auf die Insolvenzmasse abwälzen zu können.

Die Steuerforderung sei vom Grunde her bereits mit Vereinnahmung der [X.] in den Jahren 1994/95 entstanden. Die Auflösung der Rückstellungen bewirke nur, dass der Anspruch nunmehr steuerrechtlich fällig werde. Zu unterscheiden sei zwischen der --maßgeblichen-- Entstehung und der Fälligkeit.

2. Es bestünden auch keine praktischen Schwierigkeiten, auf die einzelnen Geschäftsvorfälle abzustellen. Auch ansonsten berücksichtige die Finanzverwaltung die Ausbuchungen des Insolvenzverwalters bei einem Buchforderungsbestand (Debitoren) als massewirksam nur dann, wenn der Grund für die Ausbuchung der [X.] nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liege. Hätten die Forderungen vorinsolvenzlich ausgebucht werden müssen, könne der Insolvenzverwalter keine zurückzuzahlende Umsatzsteuer aus der Ausbuchung der Forderung als Masseanspruch geltend machen. Die Anmeldung zur Insolvenztabelle sei ohne weiteres möglich.

3. Der Vergleich mit der Verwertung betrieblicher Wirtschaftsgüter gehe fehl; in diesen Fällen würde die Verwertung dazu führen, dass der Insolvenzmasse echte Vermögenswerte zuflössen. Der erzielte Gewinn habe auch nicht mittelbar den Wert der Beteiligung erhöht.

Für die Geltendmachung einer Steuerforderung als Masseverbindlichkeit müssten zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen, die Entstehung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 der Insolvenzordnung ([X.]).

4. Die Belastung der Insolvenzmasse mit Steuerverbindlichkeiten sei nur dann gerechtfertigt, wenn der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Geschäfte tätige und dadurch [X.] zur Insolvenzmasse gelangten (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 5. März 2008 [X.]/04, [X.], 299, [X.], 787). Ein Zusammenhang mit der Masse sei auch nicht in anderer Weise gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 [X.] begründet worden. Die vorliegende Steuerforderung sei ohne jede Möglichkeit der Einflussnahme des [X.] entstanden. Es sei ein Verhalten des Insolvenzverwalters notwendig ([X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 55 Rz 15). Nur in Ausnahmefällen habe der [X.] das Verhalten Dritter für ausreichend erachtet.

5. Die Urteile vom 29. Januar 2009 [X.] ([X.]E 224, 24, [X.], 682) und vom 7. April 2005 [X.] ([X.]E 210, 156, [X.], 848) beruhten auf den Besonderheiten der Umsatzsteuer. Das Urteil vom 16. August 2001 [X.] ([X.]E 196, 341, [X.] 2003, 208) verlange, dass ein realer Vermögenswert zugeflossen sei. Der Buchgewinn habe weder unmittelbar noch mittelbar den Wert der Beteiligung erhöht.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil sowie den Bescheid vom 20. November 2006, geändert durch Bescheid vom 17. August 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2007 aufzuheben.

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

und trägt vor:

1. Der Umstand, dass die Rückstellung bereits früher hätte aufgelöst werden müssen, könne im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden; es sei kein Umstand bekannt, nach dem die Verjährungsfrist unzutreffend berechnet worden sei. Nach den Angaben zu den [X.] sei nur mit einem Teil der Erwerber ein Vergleich wegen geltend gemachter Garantien geschlossen worden.

Selbst wenn der Garantiezeitraum im [X.] abgelaufen gewesen wäre, hätten Ansprüche aus der Garantie noch innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemacht werden können. Die vierjährige Frist gelte auch für [X.]. Tatsachen, die eine andere rechtliche Würdigung zulassen würden, seien nicht benannt und könnten im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden.

2. Der Ansicht, Steuerforderungen aus der Auflösung einer Rückstellung seien bereits bei deren Bildung aufschiebend bedingt entstanden, könne nicht gefolgt werden. Bei Auflösung werde der Gewinn des [X.] geändert. Der Beschluss vom 7. Juni 2006 [X.] ([X.]E 212, 436, [X.] 2006, 641) betreffe nur [X.]. Die Auflösung der Rückstellung könne nicht rückwirkend vorgenommen werden.

3. Der Hinweis des [X.], eine Anmeldung zur Tabelle sei noch ohne Schwierigkeiten möglich, übersehe, dass der Steuerbescheid nicht mehr geändert werden könne.

4. In den Vorjahren entstandene stille Reserven würden bei Veräußerung auch erst im Jahr der Veräußerung erfasst.

5. Es werde nicht bestritten, dass bei Versteuerung der Buchgewinne der Insolvenzmasse keine Vermögenswerte zuflössen. Es bestehe aber kein Rechtsgrundsatz, dass in diesen Fällen eine Belastung der Insolvenzmasse mit Steuerschulden nicht gerechtfertigt sei. Dem Urteil in [X.], 299, [X.], 787 lasse sich diese Einschränkung nicht entnehmen. Der Wert der Beteiligung sei gestiegen, da sich infolge der Verringerung der Verbindlichkeiten eine Erhöhung des Kapitalanteils ergeben habe.

Der [X.] habe durch Urteil in [X.]E 224, 24, [X.], 682 entschieden, dass auch die Umsatzsteuer zu den Masseverbindlichkeiten gehöre, die nicht durch Handlungen des Insolvenzverwalters entstanden sei.

Nach dem Urteil in [X.]E 210, 156, [X.], 848 komme es nur darauf an, ob es sich um eine ertragbringende Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände handele. Entsprechend sei auch bei [X.] eines Absonderungsberechtigten die Zuordnung der Umsatzsteuer zu den [X.] anerkannt ([X.]-Urteil in [X.]E 196, 341, [X.] 2003, 208; [X.]-Beschluss vom 15. Februar 2008 XI B 179/07, [X.]/NV 2008, 819).

6. Die Einordnung einer (nicht auf einem tatsächlichen Geldzufluss beruhenden) Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit sei höchstrichterlich noch nicht geklärt. Einzelne Entscheidungen sprächen eher dafür; im Verfahren des Urteils in [X.]E 224, 24, [X.], 682 sei eine Masseverbindlichkeit bejaht worden, obwohl der Insolvenzverwalter an der Entstehung der Umsatzsteuer nicht beteiligt gewesen sei (die Kommentarstelle bei [X.]/[X.] sei daher zu eng); es komme darauf an, wann der Steuertatbestand vollständig verwirklicht worden sei.

In dem Fall des Urteils in [X.]E 196, 341, [X.] 2003, 208 sei der Verkaufserlös nach Freigabe gerade nicht in die Konkursmasse geflossen; gleichwohl sei die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit erfasst worden.

Mit Urteil in [X.], 299, [X.], 787 habe der [X.] entschieden, dass trotz der Einkünfte aus der Konkursmasse der Einkommensteuerbescheid gegen den Konkursverwalter über das Vermögen des Mitunternehmers zu richten sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) unbegründet. Die Entscheidung des [X.] ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das [X.] hat die Einkommensteuerschuld des [X.] zutreffend als Masseverbindlichkeit beurteilt.

1. Neben den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 [X.]) sind gemäß § 55 Abs. 1 [X.] Masseverbindlichkeiten auch (1.) die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören, (2.) Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die [X.] nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss, (3.) Verbindlichkeiten aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse.

Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen/-verbindlichkeiten und Masseforderungen/-verbindlichkeiten richtet sich nach dem [X.]punkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es nicht an ([X.] in [X.], 436, [X.], 641; MünchKomm[X.]-Hefermehl, § 55 Rz 71).

Gemäß § 35 Abs. 1 [X.] erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur [X.] der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (§ 35 Abs. 2 Sätze 1 und 2 [X.]). Zu den kraft Gesetzes entstehenden Masseverbindlichkeiten zählen vor allem auch [X.], die nach Verfahrenseröffnung entstehen ([X.] in Jaeger, [X.], § 55 Rz 33; [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., § 55 Rz 19 ff., 26; FK-[X.]/[X.], § 55 Rz 13). Dazu gehört z.B. auch die Einkommensteuer, die aus fortbestehenden oder neu begründeten Arbeitsverhältnissen entsteht.

2. Im [X.]punkt der Insolvenzeröffnung bereits begründete [X.] sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Nach Insolvenzeröffnung begründete [X.], die als [X.] oder Masseschulden zu qualifizieren sind, sind gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Alle sonstigen [X.] sind insolvenzfrei. Die aus der Verwertung der Insolvenzmasse sich ergebende Einkommensteuerschuld ist in einem auf den [X.]raum nach Insolvenzeröffnung beschränkten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Die einheitliche Einkommensteuerschuld ist gegebenenfalls --aus Sicht des [X.]-- in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen. Steuern, die auf Einkünften der Insolvenzmasse beruhen und zu [X.] führen, sind durch Steuerbescheid festzusetzen (zu Vorstehendem vgl. BFH-Urteil in [X.], 299, [X.], 787, m.w.N.). Der gegen die Masse gerichtete Bescheid ist ein gegenständlich beschränkter Steuerbescheid, mit dem die Einkommensteuer festgesetzt wird; er ist Teil des [X.]. Nach dem BFH-Urteil in [X.], 299, [X.], 787 kann das [X.] die Einkommensteuer einer Mitunternehmerin nicht gegenüber dem Konkursverwalter (Insolvenzverwalter) der Konkursmasse (Insolvenzmasse) der Mitunternehmerschaft als [X.] geltend machen.

3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die aus der Beteiligung an der GbR resultierende Einkommensteuerschuld zutreffend als Masseverbindlichkeit behandelt worden.

a) Masseverbindlichkeiten sind --unstreitig-- die Einkommensteuerschulden, die sich aus "echten" Gewinnen der Personengesellschaft ergeben ([X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 [X.] Rz 72; [X.], Besteuerung bei Insolvenz, 6. Aufl., [X.]); in diesem Fall kommt der gegen die Gesellschaft gerichtete Gewinnanspruch unmittelbar der Insolvenzmasse zugute. Masseverbindlichkeiten sind aber auch die Einkommensteuerschulden, die sich daraus ergeben, dass nach Auflösung einer Rückstellung auf [X.] der Gesellschaft ein Gewinn entsteht. In diesen Fällen handelt es sich zwar nicht um einen Gewinn, der zu einer Vermögensmehrung führt. Vielmehr --so auch im [X.] wird ein Gewinn früherer Jahre in gewisser Weise nachversteuert. Der frühere Gewinn war im Hinblick auf drohende Verbindlichkeiten gekürzt worden; im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass die Kürzung nicht erforderlich war. Die frühere Gewinnkürzung wird nunmehr durch Auflösung ausgeglichen; der vermeintliche Aufwand wird storniert.

b) Nach den steuerrechtlichen Regelungen kann der Kläger im Einkommensteuerbescheid nicht geltend machen, dass die Rückstellung schon früher hätte aufgelöst werden müssen; das ist allein im (vorrangigen) Feststellungsverfahren zu beurteilen. Die im Feststellungsverfahren getroffenen Feststellungen sind für die Einkommensteuerveranlagung bindend (§ 182 Abs. 1 [X.]); der Feststellungsbescheid ist ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 [X.]).

Für die Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit kommt es demnach nicht darauf an, wie der Gewinn des Streitjahres entstanden ist, ob als "echter Ertrag" oder durch Auflösung einer Rückstellung, also durch Stornierung von Aufwand. Allein maßgeblich ist, dass der Gewinn steuerrechtlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Das ist hier der Fall; das Insolvenzverfahren wurde am 19. Mai 2003 eröffnet, der Gewinn der Gesellschaft wurde im Feststellungszeitraum 2004 erfasst und entsprechend festgestellt.

c) Es trifft zwar zu, dass der Insolvenzmasse durch den für 2004 festgestellten Gewinn der GbR kein Wert zugeflossen ist; die Insolvenzmasse ist aber durch die Verminderung der sie treffenden Verpflichtungen bereichert (vgl. [X.], a.a.[X.], [X.]); sie wird von der drohenden Verpflichtung entlastet. Weitergehend stellt die Rechtsprechung bei der Verwertung betrieblichen Vermögens (ganz formal) auf den [X.]punkt der Realisation ab; nicht maßgeblich ist der [X.]punkt, in dem die Wertzuwächse (die stillen Reserven) entstanden sind (BFH-Urteil vom 11. November 1993 [X.], [X.] 1994, 477, m.w.N.; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 251 [X.] Rz 72; kritisch [X.]/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 8. Aufl., [X.] Rz 1472; einschränkend [X.]/[X.], a.a.[X.], § 55 Rz 26; ähnlich [X.], a.a.[X.], S. 121).

d) Es ist auch insolvenzrechtlich gerechtfertigt, die aus der Auflösung einer Rückstellung entstehende Steuerforderung sowohl im Fall der Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft als auch bei einem Einzelunternehmen als Masseverbindlichkeit zu erfassen. Neben den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 [X.]) sind gemäß § 55 Abs. 1 [X.] auch die Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten, die (1.) durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder (2.) in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Das Gesetz sieht also ausdrücklich vor, dass Masseverbindlichkeiten nicht nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters entstehen können. So ist für die Umsatzsteuer maßgeblich, ob die umsatzsteuerpflichtige Leistung aus dem insolvenzbefangenen Vermögen erbracht worden ist (MünchKomm[X.]-Hefermehl, § 55 Rz 70 ff.; vgl. auch [X.]/[X.], a.a.[X.], § 55 Rz 15); für die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehende Kraftfahrzeugsteuer ist unmaßgeblich, dass sie nicht auf einer Handlung des Insolvenzverwalters beruht (BFH-Urteil vom 29. August 2007 [X.] R 4/07, [X.], 435, [X.], 145).

Im Streitfall ist die Steuerverbindlichkeit "in anderer Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse" begründet worden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Die Entstehung der Steuerverbindlichkeit hat ihre Ursache in der (zur Masse gehörenden) Beteiligung des Steuerpflichtigen an der GbR und die daraus entstehende Teilhabe an deren Ergebnissen.

4. Die bisherige Rechtsprechung steht dieser Beurteilung nicht entgegen.

In dem Urteil in [X.], 299, [X.], 787 hat der erkennende Senat entschieden, dass das Finanzamt die Einkommensteuer einer Mitunternehmerin nicht gegenüber dem Konkursverwalter der Konkursmasse der Mitunternehmerschaft als [X.] geltend machen kann. Der Streitfall indes betrifft die Geltendmachung der Einkommensteuer des Mitunternehmers gegenüber dessen Insolvenzmasse. Auch betraf der Fall "tatsächlich" erzielte Gewinne.

Auch das BFH-Urteil in [X.] 210, 156, [X.], 848 betrifft einen anderen Fall, nämlich die Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit durch den Insolvenzschuldner.

Nach dem BFH-Urteil in [X.] 196, 341, [X.] 2003, 208 gehört die Umsatzsteuer für die steuerpflichtige Lieferung eines mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks im Konkurs durch den Gemeinschuldner nach "Freigabe" durch den Konkursverwalter zu den [X.] und ist durch Steuerbescheid gegen den Konkursverwalter festzusetzen. Diese Entscheidung enthält keine Aussage zu der Frage, gegenüber wem die Einkommensteuer geltend zu machen ist, die durch die Auflösung einer Rückstellung bei der Mitunternehmerschaft entstanden ist.

Nach dem BFH-Urteil in [X.], 435, [X.], 145 muss eine Insolvenzverbindlichkeit weder durch eine Handlung noch durch ein Unterlassen des Insolvenzverwalters entstanden sein; eine Begründung kraft Gesetzes könne ausreichen; danach ist die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer auch dann Masseverbindlichkeit [X.] von § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.], wenn sich das Kraftfahrzeug nicht mehr im Besitz des Schuldners befindet, die Steuerpflicht aber noch andauert. Der [X.]. Senat stützte sich vor allem auf die Erwägung, dass zu der Insolvenzmasse auch die Rechtsposition als Halter des Kraftfahrzeugs gehöre, so dass der Kläger die Steuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] schulde. Da die Kraftfahrzeugsteuer weder durch eine Handlung noch durch ein Unterlassen des Insolvenzverwalters entstehe, sondern kraft Gesetzes begründet werde, sei sie eine Verbindlichkeit, die durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet worden sei (§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative [X.]).

Im Beschluss in [X.], 436, [X.], 641 heißt es, der Senat habe wiederholt entschieden, dass es auch unter der Geltung der [X.] hinsichtlich der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehöre oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung sei, nicht darauf ankomme, ob der Anspruch zum [X.]punkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden sei. Entscheidend sei vielmehr, ob in diesem [X.]punkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt gewesen sei. Danach entsteht der Anspruch auf Erstattung vorausgezahlter Einkommensteuer bereits mit der Zahlung. Ein solch aufschiebend bedingter Steueranspruch entsteht nicht bei Bildung einer Rückstellung. In diesem Fall entsteht der Gewinn --und die daraus entstehende [X.] erst, wenn feststeht, dass die Ursache für die Bildung der Rückstellung entfallen ist. [X.] ist "echter" Aufwand, der erst zu stornieren ist, wenn feststeht, dass eine Inanspruchnahme nicht mehr zu erwarten und die Rückstellung --gegebenenfalls nach den Grundsätzen des formellen Bilanzzusammenhangs-- aufzulösen ist.

Meta

X R 60/08

18.05.2010

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 28. Oktober 2008, Az: 13 K 457/07, Urteil

§ 55 Abs 1 InsO, § 171 Abs 10 AO, § 182 Abs 1 AO, § 251 AO, § 35 InsO, § 4 Abs 1 S 1 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.05.2010, Az. X R 60/08 (REWIS RS 2010, 6557)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6557

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