Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.01.2018, Az. StB 33/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 15745

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:110118BSTB33.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

StB 33/17
vom
11. Januar 2018
in dem Strafvollstreckungsverfahren
gegen

wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen

Vereinigung
u.a.
hier:
sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der [X.] zur Bewährung

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Verurteilten
und seiner Verteidigerin
am 11.
Januar
2018
gemäß
§
454
Abs. 3
Satz 1, §
304 Abs.
4 Satz 2 Nr.
5 StPO
beschlossen:

1.
Die
sofortige Beschwerde des Verurteilten
gegen den [X.] des [X.] vom 13.
November 2017 wird verworfen.
2.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
1. Das [X.] hatte den Beschwerdeführer am 19.
September 2016 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristi-schen Vereinigung in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefähr-denden Gewalttat zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt; das Urteil ist seit dem 30.
November 2016 rechtskräftig. Der [X.] nahm den
-
bei Eintritt der Rechtskraft 27-jährigen -
Verurteilten vom Jugendstrafvollzug aus und gab die Vollstreckung an die Generalstaatsanwaltschaft [X.] als Voll-streckungsbehörde ab. Unter Anrechnung zuvor vollzogener Untersuchungshaft waren von der Strafe die Hälfte am 16.
Juni 2017 und zwei Drittel am 16.
De-zember 2017 verbüßt.
Mit Beschluss vom 13.
November "2016" (richtigerweise: 2017) hat das [X.] es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung auszusetzen. Das [X.] hat die Frage der Reststrafenbewährung am Maßstab des §
88 [X.] geprüft und dessen Voraussetzungen verneint, weil 1
2
-
3
-
dem Angeklagten keine "günstige Sozialprognose" gestellt
werden könne und "Sicherheitsbelange der Allgemeinheit" eine vorzeitige Haftentlassung nicht zu-ließen.
2. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt ohne Erfolg.
a) Über die in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage, ob sich die Entscheidung über die Reststrafenaussetzung einer nach den Vorschriften des [X.] vollzogenen Jugendstrafe nach §
88 [X.] oder aber nach §
57 StGB richtet, wenn -
wie hier -
der Vollstre-ckungsleiter die Vollstreckung gemäß §
85 Abs.
6 [X.] bindend an die [X.] abgegeben hat (§
88 [X.] bejahend etwa: [X.], [X.] vom 11.
Juni 2013 -
1
Ws 44/13, [X.], 349
ff.; [X.], Beschluss vom 5.
Februar 2015 -
III-2 Ws 33/15, juris Rn.
17
f.; [X.],
Beschluss vom 27.
Juli 2016 -
1
Ws 307/16, juris Rn.
6; [X.], [X.] vom 12.
Oktober 2017 -
2
Ws 231/17, juris Rn.
10; [X.], [X.] vom 15. November 2010 -
5
Ws 200/10, Justiz 2011, 106, 107; §
57 StGB bejahend insbesondere: KG, Beschluss vom 5.
April 2011 -
2
Ws 102/11, juris Rn.
5; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5.
März 2012 -
III-1 [X.], [X.], 470
f.; [X.], Beschluss vom 12.
November 2008 -
2 Ws 986-988/08, [X.], 125, 126
ff.; [X.], Beschluss vom 17.
November 2009 -
2
Ws 410/09, juris Rn.
17
ff.), braucht der [X.] vorlie-gend nicht zu entscheiden. Nicht nur nach dem vom [X.] angewen-deten §
88 [X.], sondern -
erst recht -
gemäß §
57 StGB
liegen die Vorausset-zungen für eine bedingte Haftentlassung nicht vor. Denn ungeachtet von Diffe-renzen im Einzelnen verlangt die in beiden Vorschriften enthaltene [X.] eine Wahrscheinlichkeitsprognose für eine Legalbewährung in Freiheit, wobei die Anforderungen an die Aussicht auf künftige Straffreiheit um-so
höher anzusetzen sind, je schwerer die in Betracht kommenden Taten wie-3
4
-
4
-
gen (zu den rechtlichen Maßstäben des §
88 Abs.
1 [X.] vgl. [X.], Beschluss vom 24.
Juli 2006 -
3
Ws 213/06, [X.], 12, 13; [X.]/Dölling, [X.], 13.
Aufl., §
88 Rn.
5; HK-[X.]/[X.], 2.
Aufl., §
88 Rn.
26 mwN; zu den rechtlichen Maßstäben des §
57 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Satz
2 StGB vgl. [X.], Beschlüsse vom 25.
April 2003 -
StB 4/03, [X.]R StGB §
57 Abs.
1 Erpro-bung
2; vom 4.
Oktober 2011 -
StB 14/11, [X.], 8; vom 10.
April
2014 -
StB 4/14, juris Rn.
3).
b) Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung kann derzeit unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Dem Verurteilten kann keine hinreichend günstige Legalprognose gestellt werden; vielmehr besteht weiterhin eine erhebliche Ge-fahr, dass er nach der Haftentlassung in islamistische Kreise zurückkehrt und sich von diesen ausgehenden [X.] nicht widersetzen kann. Im Hinblick auf das Gewicht der zu [X.], mit den abgeurteilten Delikten vergleich-baren Taten ist ein solches Risiko nicht hinnehmbar.
Zwar liegen einige prognoserelevante Faktoren vor, die grundsätzlich die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen könnten. Der Verurteilte ist Erstver-büßer, hatte sich mit seiner Einreise -
nach etwa sechsjährigem Auslandsauf-enthalt -
den [X.] Strafverfolgungsbehörden gestellt und hat in [X.] ei-ne intakte Familie, bestehend aus seiner Ehefrau nach [X.]m Recht [X.] drei gemeinsamen Kindern. Gleichwohl besteht eine erhebliche Gefahr künftiger Straftaten. Sie resultiert namentlich daraus, dass beim Verurteilten ausreichende Änderungen im Hinblick auf die deliktsursächlichen [X.] sowie die jihadistische Grundeinstellung derzeit -
wie schon in der Hauptverhandlung (vgl. den vor Rechtskraft des Urteils ergangenen [X.]sbe-schluss vom 2.
November 2016 -
StB 35/16, juris Rn.
11) -
nicht zu erkennen sind:
5
6
-
5
-
Nach den Urteilsfeststellungen hatte sich der Verurteilte schon 2008 in [X.] aus Überzeugung einer islamistischen Gruppe angeschlossen, die beab-sichtigte, in ein muslimisches Land auszuwandern, dort nach den Regeln der Sharia zu leben und am bewaffneten [X.] gegen angebliche Feinde des [X.] teilzunehmen. In Umsetzung des Vorhabens reiste der Verurteilte spätestens Ende Oktober 2009 -
im Alter von 20
Jahren -
in das [X.] Grenzgebiet und beteiligte sich dort bis etwa Mitte Januar 2010 als Mitglied an der terroristischen Vereinigung "[X.]", ließ sich im Umgang mit Schusswaffen ausbilden, um die Vereinigung bei der gewaltsamen "Befreiung" [X.] zu unterstützen, und verschaffte sich zu diesem Zweck ein Sturmgewehr AK
47 (Kalaschnikow).
Ausweislich des im Erkenntnisverfahren eingeholten Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B.

vom 25.
Juli 2016 war die jihadistische Überzeugung des Verurteilten begründet in einer tief verwur-zelten Selbstwertproblematik. Der Sachverständige sah die Hinwendung des Verurteilten zu einem radikalen militanten [X.] insbesondere als Antwort auf ein Gefühl mangelnder Zugehörigkeit und eine fehlende innere Struktur. Der Sachverständige beschrieb die -
bei der Exploration zutage getretenen -
Per-sönlichkeitsdefizite des Verurteilten wie folgt: Ihm fehle es an eigener Orientie-rung und Durchhaltevermögen; er sei [X.], haltlos und impulsiv (zu hierauf beruhenden disziplinarischen Verfehlungen während des [X.] s. den [X.]sbeschluss vom 2.
November 2016 -
StB 35/16, juris Rn.
10). Zur Kompensation bediene sich der Verurteilte einer archa-ischen Glaubens-
und ehernen Gesetzesordnung. Es mangele ihm an der [X.]; zugleich bestehe eine erhöhte Bereit-schaft, sich strukturgebenden
"Heilslehren" in naiv-idealisierender Weise anzu-vertrauen.
7
8
-
6
-
Eine grundlegende Aufarbeitung dieser deliktsursächlichen [X.] und eine Abkehr von der ultrakonservativ-[X.]n Grundein-stellung sind nicht ersichtlich. Ausweislich der Stellungnahme der Justizvoll-zugsanstalt T.

vom 30.
August 2017 gab sich der Verurteilte im Gespräch anlässlich seiner Einweisung in den [X.] nach wie vor tief reli-giös, ohne dass eine kritische Distanz zu früheren Überzeugungen ausreichend erkennbar gewesen wäre: Der [X.] habe eine hohe Bedeutung für sein [X.]. Er -
der Verurteilte -
habe Antworten auf sein Leben erst im [X.] gefunden. Für andere sei er ein "Ungläubiger", weil er sich freiwillig dem Staat (der Strafverfolgung) gestellt habe. Das tue ihm weh; denn er sei kein "Ungläubiger". Er sehe [X.] Texte heute zwar differenzierter. Früher [X.] er Tötungsaufforderungen "sehr simpel" verstanden. Aber auch aus jetziger Sicht sei ein [X.] möglich in einer Verteidigungslage, wenn er von einem isla-mischen Führer ausgerufen werde. Falls eine [X.] [X.] Autorität zum Kampf auffordere, würde er sich "schon" hierzu verpflichtet fühlen. Der Verurteilte streute dabei in seinen Redefluss -
für die Gesprächssituation un-passend -
[X.] Sprachformeln ("Allahu [X.]", "[X.]") ein.
Auch wenn der Verurteilte bekundete, zwar strenggläubig, aber nicht mehr gewalttätig zu sein und den [X.] Rechtsstaat achten zu wollen (zum Willen und zur Fähigkeit des Verurteilten, sich taktisch angepasst zu [X.], vgl. den [X.]sbeschluss vom 2.
November 2016 -
StB 35/16, juris Rn.
12), zeigen die Angaben doch, dass er tief verwurzelten kriminogenen [X.] verhaftet und zu autonomem Denken schwerlich imstande ist. So empfindet er es offenbar als religiösen Makel, dass er sich mit der Einreise nach [X.] den Strafverfolgungsbehörden stellte. Auch distanziert er sich nicht eindeutig vom [X.]. Würde es einer vom Verurteilten als religiöse Autorität akzeptierten Person gelingen, ihn davon zu überzeugen, dass für den 9
10
-
7
-
[X.] eine Verteidigungslage bestünde, wäre er eigener Aussage zufolge [X.] tatgeneigt.
Hinzu kommt, dass der Verurteilte weiterhin vehement erklärt, zu Un-recht wegen mitgliedschaftlicher
Beteiligung an einer ausländischen terroristi-schen Vereinigung verurteilt worden zu sein. Zwar setzt die bedingte Haftent-lassung nicht notwendig voraus, dass der Verurteilte sein strafbares Verhalten vollumfänglich einräumt (vgl. nur [X.], Beschluss vom 10.
April 2014 -
StB 4/14, juris Rn.
3). Als negativer prognoserelevanter Faktor kommt das Leugnen einer Tat aber durchaus abhängig von sonstigen Umständen in Betracht. Hier spricht das Bestreiten der Mitgliedschaft gleichfalls dafür, dass der Verurteilte zu
einer kritischen Reflexion seines Verhaltens bislang allenfalls eingeschränkt in der Lage war.
Schließlich verfügt der Verurteilte weder über einen Schulabschluss noch über eine Berufsausbildung. Seine berufliche Perspektive ist unklar. Der [X.] Empfangsraum ist insoweit nicht ohne weiteres als [X.] Faktor zu werten, als seine Frau in der Vergangenheit die islamistische Überzeugung des Verurteilten geteilt hatte und mit ihm zu seiner Unterstützung in das [X.] Grenzgebiet ausgewandert war.
11
12
-
8
-
Auch eine Stellungnahme der [X.]

", mit deren Mitarbeitern der Verurteilte zunächst im wöchentlichen Turnus, nunmehr im zweiwöchigen Turnus Einzelgespräche zur Aufarbeitung seiner Biographie und
zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft führt, könnte unter den gegebenen Umständen keine abweichende Beurteilung rechtfertigen.
[X.] Berg

13

Meta

StB 33/17

11.01.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.01.2018, Az. StB 33/17 (REWIS RS 2018, 15745)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15745

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