Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2018, Az. StB 33/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 15817

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Jugendstrafsache: Prognose bei der Reststrafenaussetzung zur Bewährung


Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des [X.] vom 13. November 2017 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

1. Das [X.] hatte den Beschwerdeführer am 19. September 2016 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt; das Urteil ist seit dem 30. November 2016 rechtskräftig. Der [X.] nahm den - bei Eintritt der Rechtskraft 27-jährigen - Verurteilten vom Jugendstrafvollzug aus und gab die Vollstreckung an die [X.] als Vollstreckungsbehörde ab. Unter Anrechnung zuvor vollzogener Untersuchungshaft waren von der Strafe die Hälfte am 16. Juni 2017 und zwei Drittel am 16. Dezember 2017 verbüßt.

2

Mit Beschluss vom 13. November "2016" (richtigerweise: 2017) hat das [X.] es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung auszusetzen. Das [X.] hat die Frage der Reststrafenbewährung am Maßstab des § 88 [X.] geprüft und dessen Voraussetzungen verneint, weil dem Angeklagten keine "günstige Sozialprognose" gestellt werden könne und "Sicherheitsbelange der Allgemeinheit" eine vorzeitige Haftentlassung nicht zuließen.

3

2. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt ohne Erfolg.

4

a) Über die in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage, ob sich die Entscheidung über die Reststrafenaussetzung einer nach den Vorschriften des [X.] vollzogenen Jugendstrafe nach § 88 [X.] oder aber nach § 57 StGB richtet, wenn - wie hier - der [X.] die Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 6 [X.] bindend an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat (§ 88 [X.] bejahend etwa: [X.], Beschluss vom 11. Juni 2013 - 1 Ws 44/13, [X.], 349 ff.; [X.], Beschluss vom 5. Februar 2015 - III-2 [X.], juris Rn. 17 f.; [X.], Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 Ws 307/16, juris Rn. 6; [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2017 - 2 Ws 231/17, juris Rn. 10; [X.], Beschluss vom 15. November 2010 - 5 Ws 200/10, Justiz 2011, 106, 107; § 57 StGB bejahend insbesondere: KG, Beschluss vom 5. April 2011 - 2 Ws 102/11, juris Rn. 5; [X.], Beschluss vom 5. März 2012 - [X.], [X.], 470 f.; [X.], Beschluss vom 12. November 2008 - 2 Ws 986-988/08, [X.], 125, 126 ff.; [X.], Beschluss vom 17. November 2009 - 2 Ws 410/09, juris Rn. 17 ff.), braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden. Nicht nur nach dem vom [X.] angewendeten § 88 [X.], sondern - erst recht - gemäß § 57 StGB liegen die Voraussetzungen für eine bedingte Haftentlassung nicht vor. Denn ungeachtet von Differenzen im Einzelnen verlangt die in beiden Vorschriften enthaltene [X.] eine Wahrscheinlichkeitsprognose für eine Legalbewährung in Freiheit, wobei die Anforderungen an die Aussicht auf künftige Straffreiheit umso höher anzusetzen sind, je schwerer die in Betracht kommenden Taten wiegen (zu den rechtlichen Maßstäben des § 88 Abs. 1 [X.] vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juli 2006 - 3 [X.], [X.], 12, 13; [X.]/Dölling, [X.], 13. Aufl., § 88 Rn. 5; HK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 88 Rn. 26 mwN; zu den rechtlichen Maßstäben des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. April 2003 - StB 4/03, [X.]R StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 2; vom 4. Oktober 2011 - StB 14/11, [X.], 8; vom 10. April 2014 - StB 4/14, juris Rn. 3).

5

b) Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung kann derzeit unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Dem Verurteilten kann keine hinreichend günstige Legalprognose gestellt werden; vielmehr besteht weiterhin eine erhebliche Gefahr, dass er nach der Haftentlassung in islamistische Kreise zurückkehrt und sich von diesen ausgehenden [X.] nicht widersetzen kann. Im Hinblick auf das Gewicht der zu [X.], mit den abgeurteilten Delikten vergleichbaren Taten ist ein solches Risiko nicht hinnehmbar.

6

Zwar liegen einige prognoserelevante Faktoren vor, die grundsätzlich die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen könnten. Der Verurteilte ist [X.], hatte sich mit seiner Einreise - nach etwa sechsjährigem Auslandsaufenthalt - den [X.] Strafverfolgungsbehörden gestellt und hat in [X.] eine intakte Familie, bestehend aus seiner Ehefrau nach [X.]m Recht sowie drei gemeinsamen Kindern. Gleichwohl besteht eine erhebliche Gefahr künftiger Straftaten. Sie resultiert namentlich daraus, dass beim Verurteilten ausreichende Änderungen im Hinblick auf die deliktsursächlichen [X.] sowie die jihadistische Grundeinstellung derzeit - wie schon in der Hauptverhandlung (vgl. den vor Rechtskraft des Urteils ergangenen Senatsbeschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11) - nicht zu erkennen sind:

7

Nach den Urteilsfeststellungen hatte sich der Verurteilte schon 2008 in [X.] aus Überzeugung einer islamistischen Gruppe angeschlossen, die beabsichtigte, in ein muslimisches Land auszuwandern, dort nach den Regeln der Sharia zu leben und am bewaffneten [X.] gegen angebliche Feinde des [X.] teilzunehmen. In Umsetzung des Vorhabens reiste der Verurteilte spätestens Ende Oktober 2009 - im Alter von 20 Jahren - in das [X.] Grenzgebiet und beteiligte sich dort bis etwa Mitte Januar 2010 als Mitglied an der terroristischen Vereinigung "[X.]", ließ sich im Umgang mit Schusswaffen ausbilden, um die Vereinigung bei der gewaltsamen "Befreiung" [X.] zu unterstützen, und verschaffte sich zu diesem Zweck ein Sturmgewehr AK 47 (Kalaschnikow).

8

Ausweislich des im Erkenntnisverfahren eingeholten Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B.    vom 25. Juli 2016 war die jihadistische Überzeugung des Verurteilten begründet in einer tief verwurzelten Selbstwertproblematik. Der Sachverständige sah die Hinwendung des Verurteilten zu einem radikalen militanten [X.] insbesondere als Antwort auf ein Gefühl mangelnder Zugehörigkeit und eine fehlende innere Struktur. Der Sachverständige beschrieb die - bei der Exploration zutage getretenen - [X.] des Verurteilten wie folgt: Ihm fehle es an eigener Orientierung und Durchhaltevermögen; er sei [X.], haltlos und impulsiv (zu hierauf beruhenden disziplinarischen Verfehlungen während des Untersuchungshaftvollzugs s. den Senatsbeschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 10). Zur Kompensation bediene sich der Verurteilte einer archaischen Glaubens- und ehernen Gesetzesordnung. Es mangele ihm an der Fähigkeit zur inneren Selbststeuerung; zugleich bestehe eine erhöhte Bereitschaft, sich strukturgebenden "Heilslehren" in naiv-idealisierender Weise anzuvertrauen.

9

Eine grundlegende Aufarbeitung dieser deliktsursächlichen [X.] und eine Abkehr von der ultrakonservativ-[X.]n Grundeinstellung sind nicht ersichtlich. Ausweislich der Stellungnahme der [X.]vom 30. August 2017 gab sich der Verurteilte im Gespräch anlässlich seiner Einweisung in den [X.] nach wie vor tief religiös, ohne dass eine kritische Distanz zu früheren Überzeugungen ausreichend erkennbar gewesen wäre: Der [X.] habe eine hohe Bedeutung für sein inneres Gleichgewicht. Er - der Verurteilte - habe Antworten auf sein Leben erst im [X.] gefunden. Für andere sei er ein "Ungläubiger", weil er sich freiwillig dem Staat (der Strafverfolgung) gestellt habe. Das tue ihm weh; denn er sei kein "Ungläubiger". Er sehe [X.] Texte heute zwar differenzierter. Früher habe er Tötungsaufforderungen "sehr simpel" verstanden. Aber auch aus jetziger Sicht sei ein [X.] möglich in einer Verteidigungslage, wenn er von einem [X.]n Führer ausgerufen werde. Falls eine [X.] [X.] Autorität zum Kampf auffordere, würde er sich "schon" hierzu verpflichtet fühlen. Der Verurteilte streute dabei in seinen Redefluss - für die Gesprächssituation unpassend - [X.] Sprachformeln ("Allahu [X.]", "[X.]") ein.

Auch wenn der Verurteilte bekundete, zwar strenggläubig, aber nicht mehr gewalttätig zu sein und den [X.] Rechtsstaat achten zu wollen (zum Willen und zur Fähigkeit des Verurteilten, sich taktisch angepasst zu verhalten, vgl. den Senatsbeschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 12), zeigen die Angaben doch, dass er tief verwurzelten kriminogenen Anschauungen verhaftet und zu autonomem Denken schwerlich imstande ist. So empfindet er es offenbar als religiösen Makel, dass er sich mit der Einreise nach [X.] den Strafverfolgungsbehörden stellte. Auch distanziert er sich nicht eindeutig vom [X.]. Würde es einer vom Verurteilten als religiöse Autorität akzeptierten Person gelingen, ihn davon zu überzeugen, dass für den [X.] eine Verteidigungslage bestünde, wäre er eigener Aussage zufolge wieder tatgeneigt.

Hinzu kommt, dass der Verurteilte weiterhin vehement erklärt, zu Unrecht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt worden zu sein. Zwar setzt die bedingte Haftentlassung nicht notwendig voraus, dass der Verurteilte sein strafbares Verhalten vollumfänglich einräumt (vgl. nur [X.], Beschluss vom 10. April 2014 - StB 4/14, juris Rn. 3). Als negativer prognoserelevanter Faktor kommt das Leugnen einer Tat aber durchaus abhängig von sonstigen Umständen in Betracht. Hier spricht das Bestreiten der Mitgliedschaft gleichfalls dafür, dass der Verurteilte zu einer kritischen Reflexion seines Verhaltens bislang allenfalls eingeschränkt in der Lage war.

Schließlich verfügt der Verurteilte weder über einen Schulabschluss noch über eine Berufsausbildung. Seine berufliche Perspektive ist unklar. Der [X.] Empfangsraum ist insoweit nicht ohne weiteres als [X.] Faktor zu werten, als seine Frau in der Vergangenheit die islamistische Überzeugung des Verurteilten geteilt hatte und mit ihm zu seiner Unterstützung in das [X.] Grenzgebiet ausgewandert war.

Auch eine Stellungnahme der [X.]", mit deren Mitarbeitern der Verurteilte zunächst im wöchentlichen Turnus, nunmehr im zweiwöchigen Turnus Einzelgespräche zur Aufarbeitung seiner Biographie und zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft führt, könnte unter den gegebenen Umständen keine abweichende Beurteilung rechtfertigen.

[X.]

Meta

StB 33/17

11.01.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 85 Abs 6 JGG, § 88 JGG, § 57 Abs 1 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2018, Az. StB 33/17 (REWIS RS 2018, 15817)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15817

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

StB 33/17 (Bundesgerichtshof)


7 StS 3/19 BEW (Oberlandesgericht Düsseldorf)


StB 14/20 (Bundesgerichtshof)

Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Aussetzung der Jugendstrafe: Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde zum Bundesgerichtshof; Berücksichtigung …


StB 2/20 (Bundesgerichtshof)

Strafvollstreckung: Aussetzung der Vollstreckung einer nach den Vorschriften des Erwachsenenvollzugs vollzogenen Jugendstrafe


StB 50/22 (Bundesgerichtshof)

Absehen von einer Sachverständigenbegutachtung bei Reststrafenaussetzung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 Ws 33/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.