Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2013, Az. VI ZR 230/12

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 212

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

VI ZR
230/12

vom

17. Dezember 2013

in dem Rechtsstreit

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2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
17. Dezember
2013
durch den Vorsitzenden [X.], die Richter
Zoll, [X.], [X.] und die Richte-rin von Pentz
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 28. März 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert:

Gründe:
I.
Die im Jahr 1945 geborene Klägerin leidet seit ihrem 15. Lebensjahr an schweren chronischen Rückenschmerzen. Im [X.] 2004 überwies der be-handelnde Schmerztherapeut sie
in die stationäre Behandlung des Beklagten zu 2 in einem Krankenhaus der Beklagten zu 1.
Da
eine Intensivierung der kon-ventionellen medikamentösen Therapie
nicht zum Erfolg führte, wurde die Schmerzbehandlung testweise über einen am 24.
August 2004 gelegten [X.]
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duralkatheter fortgesetzt. Nachdem hierdurch eine Schmerzreduzierung erreicht worden war, stellte der Beklagte zu 2 die Indikation zur Implantation eines Spi-nalkatheters im Bereich der Lendenwirbelsäule, durch den die Klägerin zukünf-tig medikamentös behandelt werden sollte.
Am 26. Oktober 2004 führte der [X.] zu 2 den Eingriff durch. Nachdem die Klägerin postoperativ über neuro-logische Auffälligkeiten geklagt hatte, bestätigten verschiedene Untersuchun-gen den Verdacht auf eine Radikulopathie.
Der Katheter wurde deshalb am 27.
Oktober 2004 wieder entfernt. Trotz späterer Besserung der neurologischen Symptome verblieb bei der Klägerin ein inkomplettes [X.]. Sie leidet bis heute unter Sensibilitäts-
sowie Blasen-
und
Mastdarmfunktions-störungen.
Wegen verschiedener angeblicher Aufklärungs-
und Behandlungsfehler verlangt sie von den Beklagten den Ersatz materieller und immaterieller [X.].
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

II.
Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Er-folg und
führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Ur-teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das [X.] hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., z.B. Senatsbeschluss vom 12. Mai
2009 -
VI
ZR 275/08, [X.], 2
3
4
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4
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1137 Rn.
2; [X.], Beschluss vom 27. März 2003 -
V
ZR 291/02, [X.]Z 154, 288, 300; [X.], NJW 2009, 1584 Rn.
14; jeweils
mwN). Dieser Verpflichtung hat das Berufungsgericht in einem wesentlichen Punkt nicht entsprochen.
Die Beschwerde legt zutreffend dar, dass die Klägerin bereits in erster Instanz vorgetragen hat, es habe an
der erforderlichen Aufklärung über alterna-tive Behandlungsmethoden
in Form einer
anderen
Medikation und einer
Psy-chotherapie
gefehlt (Seite 7 der Anspruchsbegründung und Seite 2 des Schrift-satzes vom 25. Juni 2010,
siehe auch Seite 3 des landgerichtlichen Urteils). In ihrer Berufungsbegründung ist die Klägerin auf diesen Vortrag zurückgekom-men (Seite 8). Das Berufungsgericht hat diesen Berufungsangriff zwar im tatbe-standlichen Teil der Urteilsgründe wiedergegeben.
In der Begründung für die Bestätigung des landgerichtlichen Urteils hat es aber festgestellt, die
Klägerin
sei "ausreichend und rechtzeitig"
nicht nur über den Eingriff als solchen, son-dern auch
über
"etwaige Behandlungsalternativen"
aufgeklärt worden. Diese Feststellung hat das Berufungsgericht ohne nachvollziehbare Begründung und ohne jede Auseinandersetzung mit dem entgegenstehenden Vortrag der Kläge-rin getroffen. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass es diesen Vortrag gehörswidrig nicht in Erwägung gezogen hat.
Sollten die Ausführungen des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht bestritten, dass "die e-lativen Indikation nach Ausschöpfen konventioneller Maßnahmen
erfolgt"
sei, so zu verstehen sein, dass die Klägerin nicht bestritten haben soll,
ausreichend über etwaige Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein, so stünde diese Annahme in Widerspruch zu dem in der Sachverhaltsdarstellung der Ur-teilsgründe wiedergegebenen Vortrag der Klägerin. Wegen
dieses Wider-spruchs enthielten die Ausführungen entgegen der Auffassung der Beschwer-deerwiderung auch keine tatbestandliche Feststellung, an die der Senat gemäß 5
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5
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§
314 ZPO gebunden wäre
(vgl. [X.], Urteile
vom 13. Mai 1996 -
II
ZR 275/94, NJW 1996, 2306, in [X.]Z 132, 390 insoweit nicht abgedruckt,
und
vom 16.
Dezember 2010 -
I
ZR 161/08, [X.], 1513 Rn.
12; [X.]/Vollkommer, ZPO, 30.
Aufl., §
314 Rn.
3 und 5).
Soweit das Berufungsgericht eine Aufklä-rung
dadurch als belegt ansieht, dass die Klägerin mit dem vorgeschalteten Eingriff vom 24. August 2004 einverstanden war, ist nichts dafür
ersichtlich, dass
dies
den Schluss rechtfertigen könnte, sie sei vor einem der beiden [X.] über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Soweit das Berufungs-gericht schließlich festgestellt hat, die Aufklärung sei
"auch unter Berücksichti-gung erhöhter Aufklärungspflichten bei nur relativer Indikation"
ausreichend ge-wesen, hatte es ausweislich der dafür gegebenen Begründung nur die Aufklä-rung über die Risiken des Eingriffs
als solchen, nicht aber eine Aufklärung über Behandlungsalternativen im Blick. Auch dem vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen, nur unvollständig ausgefüllten
allge-meinen [X.] lässt sich keine konkrete Aufklärung über bestimm-te Behandlungsalternativen entnehmen.
2. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch ent-scheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das [X.] bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders ent-schieden hätte (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 2003 -
V
ZR 187/02, NJW 2003, 3205 mwN).
Es zieht nämlich nicht in Zweifel, dass das von der Klägerin erlitte-ne inkomplette [X.] eine kausale Folge des Eingriffs vom 26. Oktober 2004 ist, bei dem sich ein operationstypisches Risiko verwirklicht hat. Bei dieser Sachlage bestehen die von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche
dem Grunde nach, wenn der Eingriff vom 26. Okto-ber 2004 in Ermangelung einer wirksamen Einwilligung rechtswidrig war. Dies lässt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht ausschließen.
7
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist zwar die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbe-stimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine al-ternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und in-dizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfü-gung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten
(Urteil vom 13. Juni 2006 -
VI
ZR 323/04, [X.]Z 168, 103 Rn.
13 mwN; Beschluss vom 19. Juli 2011 -
VI
ZR 179/10, [X.], 1450 Rn.
6). Einer der dabei in Betracht kommenden Fälle ist der, dass als Alternative zu einer sofortigen [X.] die Fortsetzung
einer konservativen
Behandlung medizinisch zur Wahl steht (Se-natsurteile
vom 24. November 1987 -
VI
ZR 65/87, [X.], 190, 191
und
vom 22. Februar 2000 -
VI
ZR 100/99, [X.], 766, 767). Nach diesen Grundsätzen hätte die Klägerin zur Wahrung
ihres Selbstbestimmungsrechts über die Alternative einer Fortsetzung der konservativen Therapie unterrichtet werden müssen.
Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, dass für den Eingriff vom 26. Oktober 2004 lediglich eine relative Indikation bestand, weil es aus medizi-nischer Sicht möglich ist
und vom Patienten gewollt sein kann, die [X.] weiter auf konventionellem Wege zu bekämpfen. Diese Annahme beruht auf den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen.
Danach sind
alle invasiven Behandlungsformen bei Rückenschmerzen
umstritten und die [X.] Daten aus kontrollierten Studien reichen nicht aus, um die rücken-marksnahe [X.] eindeutig zu bewerten; es handele sich um einen Versuch, der glücken könne, der aber auch ohne Erfolg bleiben kön-ne. Ausgehend
von dieser grundsätzlichen Einschätzung hat der [X.] den bei der Klägerin durchgeführten Eingriff zwar auf Grund ihres langen Leidens und der zuvor durchgeführten konservativen Schmerztherapie
letztlich 8
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7
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für
vertretbar,
nicht aber für alternativlos
gehalten.
Er selbst hätte nach seiner Aussage wahrscheinlich die Therapie noch etwas weiter konservativ fortgesetzt. So hätte an Stelle eines invasiven Verfahrens zunächst die [X.] weiter erhöht werden
können, auch wenn dies höchstwahrscheinlich mit weiteren starken Nebenwirkungen verbunden gewesen wäre.
Des Weiteren
hat der Sachverständige im Einklang mit den beiden im vorgerichtlichen Schlich-tungsverfahren erstatteten Gutachten die große Rolle psycho-sozialer Faktoren bei der Ausprägung und dem Verlauf chronischer
Schmerzen betont. Im [X.] Fall
wäre deshalb aus seiner Sicht eine über eine bloße Gesprächsthe-rapie hinausgehende regelgerechte Psychotherapie angezeigt gewesen.
Nach diesem Beweisergebnis ist das Berufungsgericht zwar mit Recht davon ausgegangen, dass die Implantation des Spinalkatheters vertretbar war. Neben diesem invasiven Vorgehen stand aber eine Fortsetzung der konservati-ven Therapie mit einer erneuten Änderung der Medikation und einer regelge-rechten Psychotherapie medizinisch zur Wahl. Da beide
Behandlungsalternati-ven mit unterschiedlichen Belastungen -
insbesondere durch den operativen Eingriff einerseits und die zu erwartenden Nebenwirkungen andererseits
-

und -
wie die
eingetretenen Behandlungsfolgen zeigen
-
auch mit unterschiedli-chen Risiken für die Klägerin verbunden waren, hätten ihr beide Alternativen näher erläutert werden müssen.
Dies gilt, worauf die Beschwerde mit Recht hinweist,
erst recht in Anbetracht der vom Sachverständigen als zweifelhaft ein-geschätzten Erfolgsaussichten eines invasiven Vorgehens (vgl. Senatsurteil vom 22. Dezember 1987 -
VI
ZR 32/87, [X.], 493, 494).

b) Dass die vom Sachverständigen für angezeigt gehaltene [X.] vor dem Eingriff tatsächlich bereits durchgeführt worden war, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Zwar hat die Klägerin in zwei Schmerzfragebögen ohne nähere Erläuterung angegeben, eine Psychotherapie 10
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-
8
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habe keine Wirkung gezeigt. Die Nichtzulassungsbeschwerde weist jedoch mit Recht darauf hin, dass die Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem [X.] erklärt hat, diese Angabe beruhe lediglich darauf, dass bei ihren früheren stationären Behandlungen zweimal eine Frau bei ihr gewesen sei, die mit ihr gesprochen und dies als Psychotherapie bezeichnet habe (Seite 7 der Sitzungsniederschrift vom 2. Dezember 2010). Dass diese Gespräche als re-gelgerechte Psychotherapie im Sinne der Einschätzung des Sachverständigen zu bewerten sind, ist nicht ersichtlich.
c) Der Annahme einer Aufklärungspflicht steht auch nicht entgegen, dass nach den Angaben des Beklagten zu 2 bei seinen
persönlichen Anhörungen
der erstbehandelnde Arzt ihm gegenüber erklärt hat,
"psychologisch [sei]
alles ab-geklärt"
(Seite 8 der Sitzungsniederschrift vom 2. Dezember 2010)
bezie-hungsweise "bei der Klägerin [sei] im Prinzip alles Konservative gelaufen"
(Sei-te 2 des Berichterstattervermerks vom 28. März 2012). Denn nachdem der [X.] zu 2 die Behandlung der Klägerin übernommen hatte, musste er die The-rapiewahl eigenverantwortlich überprüfen (vgl. [X.], [X.], 983
f.; [X.]/Wagner, 6.
Aufl., §
823 Rn.
753; [X.]/Pauge, [X.], 12.
Aufl., Rn.
281). Dazu musste er sich hinreichend präzise Kenntnisse über den vorangegangenen Behandlungsverlauf verschaffen und durfte sich nicht allein auf die pauschale mündliche Äußerung des erstbehan-delnden Arztes verlassen. Entsprechendes gilt für die laienhafte eigene Ein-schätzung der Klägerin in den Fragebögen.

d) Dazu, ob die nach alledem
gebotene Aufklärung über Behandlungsal-ternativen
tatsächlich erfolgt
ist, hat das Berufungsgericht -
wie ausgeführt
-
bislang keine tragfähigen Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben. Die Beweislast liegt insoweit bei den Beklagten (vgl. Senatsurteil vom 14. September 2004 -
VI
ZR 186/03,
VersR 2005, 227, 228 mwN). Gegebenen-12
13
-
9
-

falls wird das Berufungsgericht auch dem von den Beklagten erhobenen [X.] einer hypothetischen Einwilligung nachgehen müssen.
3. Die übrigen [X.] der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat ge-prüft und für nicht durchgreifend erachtet; von
einer Begründung wird insoweit abgesehen (§
544 Abs.
4 Satz
2 Halbsatz 2 ZPO).

Galke
Zoll
[X.]

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.01.2011 -
4 [X.]/08 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 28.03.2012 -
I-3 [X.] -

14

Meta

VI ZR 230/12

17.12.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2013, Az. VI ZR 230/12 (REWIS RS 2013, 212)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 212

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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