Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2011, Az. VI ZR 179/10

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4640

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 179/10

vom

19. Juli
2011

in dem Rechtsstreit

-
2
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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
19.
Juli 2011
durch den [X.] [X.], die Richter
Wellner, Pauge und [X.] und die Richte-rin von Pentz
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 4.
Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts vom 15. Juni 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 119.819,43

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1 (nachfolgend: Beklagter)

soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse
-
wegen unzureichender Aufklärung im Zusammenhang mit einer Wirbelsäulenoperation auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Der Kläger litt unter einer langstreckigen Spinalkanalstenose, die sich über Jahre hinweg entwickelt hatte und sich konti-nuierlich verschlechterte. Nachdem sich der Kläger am 22.
Juni 2004 beim be-1
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klagten [X.] zur ambulanten Behandlung vorgestellt hatte, [X.] er am 5.
Juli 2004 zur Durchführung einer sog. Laminektomie über die Eta-gen L
2 bis L
5 verbunden mit einer dorsalen Stabilisierung mittels eines Fixa-teurs intern und einer Platzierung von [X.] über die Etagen L
2 bis L
5 aufge-nommen. Bei der Laminektomie werden zur Erweiterung des eingeengten [X.] die [X.] im Bereich der [X.] komplett ent-fernt. Zur Verhinderung einer Deformierung der Wirbelsäule wird eine dorsale Stabilisierung vorgenommen, wobei in den Zwischenräumen zwischen den ope-rierten Wirbelkörpern Implantate ([X.]) eingebracht werden. Der Kläger [X.] am 5.
Juli 2004 über die mit der [X.] verbundenen Risiken aufgeklärt. Die [X.] fand am Folgetag statt. Sie dauerte neun Stunden; der Kläger verlor 13 Liter Blut. Eine am 14.
Juli 2004 erfolgte [X.] ergab keine Hinweise auf eine Dislokation der Implantate. In der Zeit
vom 21.
Juli bis 11.
August 2004
fand eine postoperative Rehabilitationsbehandlung statt. Bei einer routinemäßigen Kontrolle am 30.
August wurde ein dislozierter Cage im Segment L
2/3 festgestellt, weshalb der Kläger am 22.
September 2004 erneut im beklagten [X.] stationär aufgenommen und nochmals ope-riert wurde. Während dieser [X.] kam es zu einem Duraeinriss und damit einhergehend zu einer Einblutung im Wirbelsäulenbereich.
Der Kläger macht geltend, er sei vor Durchführung der Laminektomie nicht hinreichend aufgeklärt worden. Ihm sei insbesondere die [X.] nicht als Behandlungsalternative aufgezeigt worden. Bei der [X.] werden die [X.] nicht entfernt, sondern durch eine entsprechende [X.] neu positioniert. Einer dorsalen Stabilisierung mittels [X.] [X.] es in diesem Fall nicht.
Das [X.] hat die gegen das beklagte [X.] gerich-tete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Nach Einholung schriftli-2
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cher Sachverständigengutachten und Anhörung des Gutachters hat es sich [X.] überzeugt, dass es sich bei der Laminektomie und der [X.] um gleichwertige Behandlungsalternativen handele, über die der Kläger habe [X.] werden müssen. Der unterlassene Hinweis auf die Möglichkeit einer [X.] begründe die Haftung des Beklagten. Ohne den [X.] erneut anzuhören hat das Berufungsgericht auf die Berufung des
Beklagten das landgerichtliche Urteil aufgehoben, soweit zum Nachteil des Beklagten er-kannt worden ist, und hat die Klage abgewiesen. Die Revision hat es nicht [X.]. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbe-schwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückver-weisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG in ent-scheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG ist das Berufungsgericht zu der Annahme gelangt, der Kläger habe über die Möglichkeit einer [X.] nicht aufgeklärt werden müssen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Wahl der [X.] zwar primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbe-stimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine al-ternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinische sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Ver-4
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fügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten füh-ren oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. Senatsurteile vom 13.
Juni 2006 -
VI
ZR 323/04, [X.], 103 Rn.
13; vom 15.
März 2005 -
VI
ZR 313/03, [X.], 836 mwN).
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungs-gericht [X.] des Vorbringens des [X.] nicht vollständig berücksichtigt hat und ohne eigene Beweiserhebung zu einem vom [X.] abweichen-den Ergebnis gekommen ist.
aa) Das [X.] ist nach Anhörung des Sachverständigen von gleichwertigen und aufklärungspflichtigen Behandlungsalternativen ausgegan-gen. Nachdem der Beklagte in der Berufungsbegründung diese Beurteilung des [X.]s angegriffen hatte, hat der Kläger in der Berufungserwiderung un-ter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen sei-ner Anhörung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Laminektomie das Risiko von Wirbelsäulendeformierungen ungleich höher sei als bei der [X.], und dass die Laminektomie deshalb eine, ggf. mehrere Stabilisie-rungsoperationen zur Platzierung von [X.] in den Zwischenräumen zwischen den entfernten [X.] bedinge, die mit zusätzlichen bzw. anderen Risiken
be-haftet seien. Das Risiko einer Cage-Migration, das zu einer signifikanten Einen-gung des [X.] führe, stelle ein bekanntes und typisches Risiko der La-minektomie dar. Die mit zusätzlichen Risiken behaftete [X.] sei bei der [X.] nicht erforderlich, da die [X.] nicht dauerhaft entfernt würden. Damit hat der Kläger wesentlich unterschiedliche Risiken der Behandlungsalternativen aufgezeigt. Die nur einer der Behandlungsalternativen anhaftende Gefahr einer Migration der implantierten [X.], die die Notwendig-keit einer zweiten Wirbelsäulenoperation nach sich zieht, begründet einen [X.] von erheblichem Gewicht.
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bb) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass
das Berufungs-gericht diesen Sachvortrag des
[X.] nicht in der gebotenen Weise berück-sichtigt hat. Vor dem Hintergrund, dass der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Anhörung vor der Kammer am 7.
Mai 2008 die Aufklärung des [X.] über die Behandlungsalternativen für erforderlich gehalten und ausge-führt hatte, dass bei der Laminektomie unter Einbringung sog. [X.] die Ge-fahr einer Migration der Implantate bestehe, und sich das [X.] dieser Beurteilung angeschlossen hatte, hätte das Berufungsgericht nicht ohne jede Auseinandersetzung mit dem Vortrag des [X.] und ohne erneute Anhörung des Sachverständigen isoliert auf dessen Ausführungen im schriftlichen [X.] vom 3.
März 2008 abstellen und eine Aufklärungspflicht über die Be-handlungsalternative der [X.] verneinen dürfen (vgl. Senatsurteil vom 12.
Oktober 1993 -
VI
ZR 235/92, [X.], 1550).
c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berück-sichtigung des Vorbringens des [X.] eine Aufklärungspflicht über die Mög-lichkeit einer [X.] angenommen hätte.

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Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit ha-ben, sich auch mit den weiteren Einwendungen des [X.] gegen seine Beur-teilung auseinanderzusetzen.

Galke
Wellner
Pauge

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.06.2009 -
2 O 1170/05 -

OLG Jena, Entscheidung vom 15.06.2010 -
4 U 797/09 -

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Meta

VI ZR 179/10

19.07.2011

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2011, Az. VI ZR 179/10 (REWIS RS 2011, 4640)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4640

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