Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.11.2011, Az. 1 B 13/11, 1 B 13/11, 1 PKH 10/11

1. Senat | REWIS RS 2011, 1283

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Gegenstand

Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde


Gründe

1

Den Klägern kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2

Die auf die Revisionszulassungsgründe eines Verfahrensmangels und der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützten [X.]eschwerden haben keinen Erfolg.

3

1. Die Kläger rügen mit ihren [X.]eschwerden zunächst eine Verletzung des Rechts auf [X.] im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie machen geltend, das [X.]erufungsgericht habe ersichtlich überhaupt nicht in Erwägung gezogen, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) über eine näher bezeichnete Rechtsfrage zur Auslegung des Art. 8 [X.] einzuholen, obwohl es selbst erkannt habe, dass diese entscheidungserhebliche Rechtsfrage europarechtlich abschließend nicht hinreichend geklärt sei. Damit habe es seiner Vorlagepflicht nicht entsprochen und die Kläger ihrem gesetzlichen Richter entzogen.

4

Der behauptete Verfahrensmangel liegt schon deshalb nicht vor, weil das [X.]erufungsgericht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht zur Anrufung des ([X.]) verpflichtet war. Eine solche Verpflichtung besteht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nur, wenn die Entscheidung des einzelstaatlichen Gerichts selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Das ist hier nicht der Fall, weil die [X.]erufungsentscheidung mit der [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision angefochten werden kann. Diese [X.]eschwerde ist ein Rechtsmittel im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, da es sich bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht um revisibles Recht handelt (vgl. [X.]eschluss vom 12. Oktober 2010 - [X.]VerwG 7 [X.] 22.10 - juris im [X.] an [X.]eschluss vom 22. Dezember 2004 - [X.]VerwG 10 [X.] 21.04 - [X.]uchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 8 m.w.N.). Schon aus diesem Grunde scheidet ein Verfahrensmangel wegen Unterlassens einer Vorlage an den Gerichtshof der [X.] aus.

5

Unabhängig davon zeigt die [X.]eschwerdebegründung auch nicht auf, dass es sich bei der nach ihrer Ansicht dem [X.] vorzulegenden Frage überhaupt um eine Frage der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht handelt. Denn die Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 [X.] an Drittstaatsangehörige aus Gründen der Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 [X.] ist unionsrechtlich nicht geregelt. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein Anspruch auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 [X.] ergeben kann und ob hierfür ein rechtmäßiger Aufenthalt im [X.] erforderlich ist oder ein geduldeter Aufenthalt ausreicht, dürfte daher keine in die Zuständigkeit des [X.] fallende unionsrechtliche Frage sein, die eine Vorlagepflicht an den [X.] begründen könnte.

6

2. Ebenso wenig rechtfertigt die mit der [X.]eschwerdebegründung geltend gemachte grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache die Zulassung der Revision. Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob entstandene und hinreichend starke persönliche, [X.] und wirtschaftliche [X.]eziehungen des Ausländers zum [X.] und zu dort lebenden Personen genügen, um den Schutzanspruch nach Art. 8 [X.] auszulösen, oder nicht vielmehr darüber hinaus erforderlich ist, dass diese [X.]indungen zu einer Zeit entstanden sind, in der sich der Ausländer im [X.] rechtmäßig aufgehalten hat.

7

Sie tragen vor, die Frage ob ein nur geduldeter Aufenthalt den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 [X.] eröffne und eine Verwurzelung begründen könne, sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten und bedürfe einer höchstrichterlichen Klärung. Sie sei bezüglich der zwischen 1995 und 2003 geborenen minderjährigen Kläger zu 3 bis 6 auch entscheidungserheblich, weil diese teils im [X.]undesgebiet geboren seien, teils den wesentlichen Teil ihres Lebens hier verbracht hätten und damit faktisch im [X.]undesgebiet verwurzelt seien. Würde auch ein geduldeter Aufenthalt ausreichen, wäre Ihnen deshalb eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 [X.] i.V.m. Art. 8 [X.] zu erteilen. Hiervon könnten auch die Eltern, die Kläger zu 1 und 2, einen Anspruch auf eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis ableiten.

8

Außerdem werfe die Rechtssache in Zusammenhang mit der [X.] hinsichtlich der minderjährigen Kläger zu 3 bis 6 auch die grundsätzliche Frage auf,

ob die Ausländerbehörden nach der Rücknahme der Vorbehaltserklärung der [X.]undesregierung vom 6. März 1992 am 15. Juli 2010 überhaupt an die [X.]estimmungen der [X.] unmittelbar gebunden sind und

ob die [X.]erücksichtigung des Art. 3 Abs. 1 [X.] bei ausländerbehördlichen Entscheidungen einen rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt und eine Duldung die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 [X.] i.V.m. Art. 3 Abs. 1 [X.] ausschließt.

9

Selbst wenn man davon ausgeht, dass mit diesem [X.]eschwerdevorbringen rechtsgrundsätzlich klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfragen hinsichtlich der besonderen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 [X.] betreffend die Kläger zu 3 bis 6 aufgeworfen werden, kann damit die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreicht werden. Denn das [X.]erufungsgericht hat einen Anspruch der Kläger zu 3 bis 6 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 [X.] nicht nur deshalb verneint, weil es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift - nämlich eine Unmöglichkeit der Ausreise infolge eines inlandsbezogenen Abschiebungsverbots nach Art. 8 [X.] oder nach der [X.] - verneint hat, sondern auch deshalb, weil die Kläger zu 3 bis 6 (ebenso wie die Klägerin zu 1) die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 [X.] nicht erfüllen ([X.]A S. 26). Sie verfügen nach den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts über keine gültigen Pass- oder Passersatzpapiere im Sinne des § 3 [X.]. Anhaltspunkte dafür, dass das nach § 5 Abs. 3 Satz 2 [X.] eröffnete Ermessen des [X.]eklagten, von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abzusehen, derart reduziert wäre, dass er zum Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung verpflichtet wäre, bestünden nicht, zumal die Kläger zu 1 und 3 bis 6 nicht nachgewiesen hätten, sich jedenfalls ernsthaft und nachhaltig um die [X.]eschaffung von gültigen Pass- oder Passersatzpapieren bemüht zu haben. Auf diese weitere selbstständig tragende [X.]egründung des [X.]erufungsgerichts geht die [X.]eschwerdebegründung nicht ein und macht folglich insoweit auch keinerlei Zulassungsgründe geltend. Ist die [X.]erufungsentscheidung aber auf mehrere jeweils selbstständig tragende Gründe gestützt, kann nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts die Revision nur zugelassen werden, wenn gegen jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Daran fehlt es hier.

Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Meta

1 B 13/11, 1 B 13/11, 1 PKH 10/11

18.11.2011

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: PKH

vorgehend OVG Lüneburg, 29. März 2011, Az: 8 LB 121/08, Beschluss

§ 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.11.2011, Az. 1 B 13/11, 1 B 13/11, 1 PKH 10/11 (REWIS RS 2011, 1283)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1283

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