Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.06.2023, Az. 1 BvR 847/23

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2023, 4272

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde in einer sozialrechtlichen Angelegenheit (Höhe einer Erwerbsminderungsrente; Anwendbarkeit des § 253a SGB VI idF vom 28.11.2018 auf eine Bestandsrente) - unzureichende Auseinandersetzung der Beschwerdebegründung mit der Zulässigkeit von Stichtagsregelungen sowie mit angegriffener Entscheidung des BSG


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsgründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil kein zwingender Annahmegrund nach § 93a [X.] vorliegt und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist.

2

1. Der Beschwerdeführer bezieht seit 2004 eine Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem [X.] ([X.]). Der Rentenberechnung lag gemäß dem bei Rentenbeginn geltenden Recht eine Zurechnungszeit ab dem Eintritt der Erwerbsminderung bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres des Beschwerdeführers zugrunde. Dieser beantragte im Jahr 2019 eine Neuberechnung der Rente unter Verlängerung der Zurechnungszeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres und acht Monaten gemäß § 253a Abs. 2 [X.] in der ab 1. Januar 2019 durch das [X.] und [X.] vom 28. November 2018 ([X.]) geltenden Fassung. Der Antrag blieb ohne Erfolg.

3

2. Soweit sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den angegriffenen Bescheid, den Widerspruchsbescheid sowie die Entscheidungen des [X.] und des [X.] wendet, sind diese Entscheidungen durch die nachfolgende erneute Sachentscheidung des [X.] prozessual überholt, so dass es bei fehlender Darlegung einer fortbestehenden eigenständigen Beschwer bereits an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. [X.], 312 <316>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 28. Oktober 2020 - 1 BvR 2134/19 -, Rn. 1).

4

3. Die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des [X.] ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer die Möglichkeit eines Verstoßes des angegriffenen Urteils des [X.] und der mittelbar angegriffenen Vorschrift des § 253a Abs. 2 [X.] in der ab 1. Januar 2019 geltenden Fassung nicht entsprechend den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] folgenden Anforderungen dargelegt hat.

5

a) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde muss sich danach mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. [X.]E 89, 155 <171>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (vgl. [X.]E 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>). Soweit das [X.] für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe dargelegt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt werden (vgl. [X.]E 99, 84 <87>; 140, 229 <232 Rn. 9>).

6

b) Ausgehend hiervon legt der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG nicht substantiiert dar. Der Beschwerdeführer setzt sich nicht ausreichend mit der Rechtsprechung des [X.]s zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Stichtagsregelungen und Übergangsregelungen insbesondere im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung auseinander. Dem Gesetzgeber ist es danach durch Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt (vgl. [X.]E 87, 1 <43>; 117, 272 <301>). Dies gilt auch bei der Einführung von neuen Vorschriften, die einzelne Personengruppen begünstigen und wegen des Stichtages andere von der Begünstigung ausnehmen (vgl. [X.]E 87, 1 <47>; 122, 151 <178 f.>). Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags- und Übergangsvorschriften beschränkt sich grundsätzlich darauf, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung im Hinblick auf den Sachverhalt und das System der Gesamtregelung als sachlich vertretbar oder als willkürlich erscheint (vgl. [X.]E 87, 1 <47>; 122, 151 <179>). Inwieweit die angegriffene gesetzliche Regelung einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe Stand hält, wird nicht dargelegt.

7

c) Darüber hinaus setzt sich der Beschwerdeführer bei der Frage der sachlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nicht ausreichend mit der sorgfältigen Begründung des angegriffenen Urteils des [X.] auseinander. Dieses hat im Hinblick auf die regelmäßig lange Dauer von Rentenleistungen und unter genauer Darlegung angestellter Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren insbesondere auf das sogenannte "Rentenbeginn-Prinzip" hingewiesen, das in § 300 Abs. 3 in Verbindung mit § 306 Abs. 1 [X.] zum Ausdruck kommt. Nach diesem Prinzip werden Rechtsänderungen im Grundsatz nur für neu bewilligte Renten angewendet und nicht auf bereits laufende Renten übertragen. Daneben hat das [X.] auch auf den erheblichen Finanzbedarf bei einer Einbeziehung auch der Bestandsrenten abgestellt. Der Beschwerdeführer ist dem im [X.] nicht entgegengetreten und hat nicht substantiiert dargelegt, dass es sich dabei nicht um ausreichende sachliche Kriterien für die angegriffene Regelung handele, so dass die Entscheidung des Gesetzgebers als willkürlich anzusehen wäre. Soweit das [X.] zusätzlich auch auf den bei Einbeziehung der Bestandsrenten entstehenden Verwaltungsaufwand verweist, ist bei der Prüfung des Gleichheitssatzes nicht ausschlaggebend, dass dieser Grund im Gesetzgebungsverfahren nicht erwogen beziehungsweise dokumentiert worden ist (vgl. [X.]E 132, 72 <95 Rn. 51>;133, 1 <14 Rn. 46> m.w.N.).

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 847/23

12.06.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 10. November 2022, Az: B 5 R 29/21 R, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 253a Abs 2 SGB 6 vom 28.11.2018

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.06.2023, Az. 1 BvR 847/23 (REWIS RS 2023, 4272)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4272

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1 BvR 2134/19

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