Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.09.2012, Az. III R 69/10

3. Senat | REWIS RS 2012, 2744

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Gegenstand

Verrechnung von positiven und negativen gewerblichen Einkünften bei der Steuerermäßigung nach § 35 Abs. 1 EStG 2002


Leitsatz

Erzielen Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, sowohl positive als auch negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb, so sind bei der Anwendung des § 35 Abs. 1 EStG 2002 die positiven Einkünfte des einen Ehegatten mit den negativen Einkünften des anderen zu verrechnen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte im [X.] (Streitjahr) als Einzelunternehmer positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 48.717 €. Die Klägerin hatte positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 98.443 € sowie negative gewerbliche Einkünfte aus der Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft in Höhe von ./. 84.160 €. Der für den Betrieb des [X.] festgesetzte Gewerbesteuer-Messbetrag 2004 belief sich auf 369 €. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) rechnete diesen Betrag im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 16. März 2009 nicht nach § 35 des Einkommensteuergesetzes 2002 in der für das [X.] geltenden Fassung (EStG) auf die Einkommensteuer an, weil die Summe der im zu versteuernden Einkommen enthaltenen gewerblichen Einkünfte nicht größer als 0 € sei. Der Einspruch, der sich später gegen einen Änderungsbescheid vom 12. Juni 2009 richtete, hatte keinen Erfolg.

2

Das Finanzgericht ([X.]) gab der anschließend erhobenen Klage statt und setzte die Einkommensteuer für das [X.] herab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 451). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, auch bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten gebe es den Grundsatz der Individualbesteuerung, der zur Folge habe, dass für jeden der Ehegatten eine eigene Summe der Einkünfte zu bilden sei, die erst in einem zweiten Schritt in die Summe der Einkünfte beider Ehegatten eingehe. Es sei nicht ersichtlich, weshalb dies im Rahmen des § 35 EStG anders sein sollte. Auch bei Anwendung dieser Vorschrift sei für jeden Ehegatten eine eigene Summe der Einkünfte zu bilden. Eine Verrechnung der positiven gewerblichen Einkünfte des [X.] mit den negativen der Klägerin sei demnach ausgeschlossen. Zu diesem Ergebnis komme man auch, wenn man mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgehe, dass die Einkünfte zusammen veranlagter Ehegatten im [X.] an eine getrennte Ermittlung in der für die Ehegatten jeweils günstigsten Reihenfolge zu verrechnen seien (Meistbegünstigungsprinzip).

3

Zur Begründung der Revision trägt das [X.] vor, der vom [X.] herangezogene Grundsatz der Individualbesteuerung komme bei der Anwendung des § 35 EStG nicht zum Tragen. Das angefochtene Urteil stehe in Widerspruch zum Urteil des [X.] ([X.]) vom 27. September 2006 [X.] ([X.]E 215, 176, [X.], 694). Darin habe der [X.] die horizontale Verrechnung positiver und negativer gewerblicher Einkünfte angeordnet.

4

Das [X.] beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

6

Sie sind der Ansicht, eine horizontale Verrechnung gewerblicher Verluste zwischen Ehegatten würde zu einer Benachteiligung führen, da der Verlust, der bei einem der Ehegatten eingetreten sei, im Wege des Verlustvortrags nach § 10a des [X.] (GewStG) dazu führen würde, dass es im Folgejahr zu einer weiteren Minderung oder Nichtfestsetzung von [X.] komme. Damit würde ein Verlust zweifach berücksichtigt, nämlich im Entstehungsjahr durch die Verrechnung mit den positiven gewerblichen Einkünften des Ehegatten und im Folgejahr wegen des Verlustvortrags. Es komme daher erneut zu einer Minderung des [X.] nach § 35 EStG.

7

Unter dem 14. Dezember 2010 hat das [X.] aus nicht streitbefangenen Gründen einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2004 erlassen.

8

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O).

1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das [X.] hat unter dem Datum des 14. Dezember 2010 einen Änderungsbescheid erlassen, so dass das finanzgerichtliche Urteil gegenstandslos geworden ist (s. z.B. Senatsurteil vom 19. April 2012 III R 50/08, [X.], 1429). Einer Zurückverweisung an das [X.] nach § 127 [X.]O bedarf es jedoch nicht, da sich der bisherige Streitstoff durch den Änderungsbescheid nicht verändert hat.

2. Die Rechtsansicht des [X.], wonach die positiven Einkünfte des [X.] aus Gewerbebetrieb bei Anwendung des § 35 EStG nicht mit den negativen gewerblichen Einkünften der Klägerin zu verrechnen seien, hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer bei Einkünften aus gewerblichen Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen um das 1,8fache des festgesetzten [X.], soweit sie anteilig auf im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt. Die letztgenannte Einschränkung erfordert die Zuordnung eines Teils der tariflichen Einkommensteuer zu den gewerblichen Einkünften. Nur positive gewerbliche Einkünfte können anteilige Einkommensteuer auslösen, so dass auf negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb keine Einkommensteuer "entfällt". Die im Streitjahr 2004 geltende Fassung des § 35 EStG enthielt, anders als die ab dem Veranlagungszeitraum 2008 geltende Fassung (s. § 52 Abs. 50a EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007, [X.], 3150), noch keine ausdrückliche Regelung zur Ermittlung des auf die gewerblichen Einkünfte entfallenden Anteils der tariflichen Einkommensteuer. Nach dem [X.]-Urteil in [X.], 176, [X.], 694, dem sich der Senat anschließt, ergibt er sich bei zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten aus dem Verhältnis der gewerblichen Einkünfte zur Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) beider Ehegatten. Dabei ist eine Saldierung zwischen den positiven und negativen gewerblichen Einkünften eines Ehegatten vorzunehmen ([X.]-Urteil in [X.], 176, [X.], 694).

b) Entsprechendes gilt für den Streitfall, auch wenn das zitierte [X.]-Urteil zu einem Sachverhalt ergangen ist, in dem, anders als im Streitfall, positive und negative gewerbliche Einkünfte ausschließlich bei einem der beiden Ehegatten angefallen waren. Der abweichende Sachverhalt rechtfertigt keine andere Berechnungsmethode. Im Streitfall entfällt keine Einkommensteuer auf gewerbliche Einkünfte, da diese letztlich mit einem negativen Betrag in die Summe der Einkünfte der zusammen veranlagten Kläger eingegangen sind. Der Saldo der positiven gewerblichen Einkünfte des [X.] und der negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin war negativ, so dass in der Summe der Einkünfte keine gewerblichen Einkünfte enthalten waren, auf die anteilig Einkommensteuer hätte entfallen können.

c) Eine Meistbegünstigung dergestalt, dass die negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin bei der Anwendung des § 35 EStG durch Verrechnung mit ihren positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten vorab verbraucht werden, so dass die positiven gewerblichen Einkünfte des [X.] ungeschmälert für eine Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG zur Verfügung stehen, findet im Gesetz keine Stütze. Eine Meistbegünstigung hat der [X.] im Urteil in [X.], 176, [X.], 694 für Fälle bejaht, in denen es um die Verrechnung von negativen nichtgewerblichen Einkünften mit positiven Einkünften des Steuerpflichtigen oder seines Ehegatten geht. Da dem Gesetz keine Reihenfolge zu entnehmen ist, billigte der [X.] eine [X.] von negativen nichtgewerblichen Einkünften des einen Ehegatten mit positiven nichtgewerblichen des anderen, so dass die positiven gewerblichen Einkünfte des einen Ehegatten ungeschmälert für eine Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG zur Verfügung standen. Diese Art von Meistbegünstigung ist mit dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 EStG vereinbar. Dagegen lässt sich die [X.] von negativen gewerblichen Einkünften eines Ehegatten mit positiven nichtgewerblichen Einkünften, die dazu führen soll, dass positive gewerbliche Einkünfte des anderen Ehegatten ungekürzt für eine Steuerermäßigung nach § 35 EStG zur Verfügung stehen, nicht mit dem Wortlaut der Vorschrift in Einklang bringen. Ergibt sich kein positiver Saldo aus den gewerblichen Einkünften beider Ehegatten, so sind in ihrem zu versteuernden Einkommen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 EStG) keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb enthalten, auf die anteilig Einkommensteuer entfallen könnte (ebenso [X.]/ [X.], in: Kirchhof/[X.]/[X.], EStG, § 35 Rz B 58; Derlien in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 35 Rz 93; [X.]/[X.] in [X.], EStG, Stand 11/2003, § 35 Rz 63; a.[X.]/Glanegger, EStG, 26. Aufl. 2007, § 35 Rz 13). Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Einkünfte von Ehegatten, die sich für die Zusammenveranlagung entschieden haben (§ 26 Abs. 1, § 26b EStG), nach dem Prinzip der Individualbesteuerung zunächst gesondert ermittelt und erst anschließend zusammengerechnet werden ([X.]-Urteil vom 21. Februar 2006 IX R 79/01, [X.]E 212, 456, [X.], 598).

d) Der Einwand, wonach eine Verrechnung der negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin mit den positiven gewerblichen Einkünften des [X.] zur Folge habe, dass sich die negativen gewerblichen Einkünfte der Klägerin wegen des Verlustvortrags nach § 10a GewStG ein weiteres Mal nachteilig für eine Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG auswirkten, führt zu keiner anderen Betrachtung. Wird im Jahr nach der Entstehung eines gewerblichen Verlustes kein Gewerbesteuer-Messbetrag festgesetzt, weil ein positiver Gewerbeertrag wegen eines Verlustvortrags ausgeglichen wird, entsteht im Folgejahr keine Belastung mit Gewerbesteuer, die eine Anrechnung nach § 35 EStG rechtfertigen könnte. Zu einer "doppelten" nachteiligen Berücksichtigung des gewerblichen Verlustes der Klägerin kommt es daher im Streitfall nicht.

Meta

III R 69/10

27.09.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 29. September 2010, Az: 6 K 246/09, Urteil

§ 26b EStG 2002, § 35 Abs 1 EStG 2002 vom 23.12.2003

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.09.2012, Az. III R 69/10 (REWIS RS 2012, 2744)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2744

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II R 63/15 (Bundesfinanzhof)

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 14.11.2018 II R 64/15 - Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer)


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