Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.02.2022, Az. VI ZR 543/20

6. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 1442

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Gegenstand

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig


Leitsatz

Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 17. März 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des [X.] vom 11. Juni 2019 dahingehend abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 26. August 2016 von privat einen gebrauchten [X.] mit einem Dieselmotor der [X.] Dieser Motor war mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet, die zwei Betriebsmodi hatte. Der NOx-optimierte Modus 1 war ausschließlich auf dem Prüfstand aktiv und es kam zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Im normalen Fahrbetrieb war der Modus 0 aktiv. Im [X.] 2015 beanstandete das Kraftfahrtbundesamt diese Motorsteuerungssoftware als unzulässige Abschalteinrichtung und forderte die Beklagte zu deren Entfernung auf.

3

Das [X.] hat die Beklagte teilweise verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen, auf die Berufung der Beklagten das Urteil des [X.]s teilweise abgeändert und deren weitergehende Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Der Kläger hat seine Revision zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

4

Die zulässige Revision der [X.] ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.

I.

5

Das Berufungsgericht ([X.], Urteil vom 17. März 2020 - I-9 U 95/19, juris) hat - soweit im vorliegenden Zusammenhang relevant - ausgeführt, dass der Kläger von der [X.] Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB verlangen könne. Die Beklagte habe den Kläger durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs mit der manipulierten [X.]teuerungssoftware konkludent getäuscht. Der Schaden des [X.] entfalle nicht dadurch, dass er bei seinem Fahrzeug das von der [X.] entwickelte Software-Update nach Abschluss des Kaufvertrags habe aufspielen lassen. Ein Schadensersatzanspruch des [X.] entfalle auch nicht deshalb, weil er nach dem Vortrag der [X.] aufgrund der im September 2015 veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung der [X.] sowie der anschließenden öffentlichen Berichterstattung im Zeitpunkt des [X.] davon Kenntnis gehabt haben solle, dass das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt habe. Die darlegungsbelastete Beklagte habe nicht hinreichend dargetan, dass sie alles Erforderliche zur Information der Käufer getan habe. Dies ergebe sich weder aufgrund der Mitteilung des Vorstandsvorsitzenden der [X.] auf einer Pressekonferenz am 22. September 2015, dass es bei den in ihren Fahrzeugen verbauten Dieselmotoren des [X.] zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, noch aufgrund der von der [X.] ebenfalls am 22. September 2015 herausgegebenen Ad-hoc-Mitteilung, mit der sie die Öffentlichkeit darüber informiert habe, dass sie die "Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck" vorantreibe. Die Ad-hoc-Mitteilung enthalte lediglich die Information, dass Fahrzeuge mit Motor vom [X.] mit einem Gesamtvolumen von weltweit 11 Millionen Fahrzeugen "auffällig" seien. Die Beklagte habe sich pauschal darauf beschränkt, unter Bezugnahme auf eine interne, innerhalb ihres Konzerns verwendete Motorenbezeichnung zu offenbaren, dass bei diesem Motortyp eine "auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb" festgestellt worden sei. Dass die Beklagte - nach ihrem insoweit bestrittenen Vortrag - im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ihrer Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 ihre Vertragshändler und Servicepartner sowie die anderen Konzernhersteller über das Vorhandensein der Umschaltlogik in den Fahrzeugen mit dem [X.] informiert haben wolle, lasse weder eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung des [X.] entfallen, noch lasse sie den Rückschluss auf eine Kenntnis des [X.] vom Einbau der Software bei Abschluss des Kaufvertrags im August 2016 zu. Entsprechendes gelte für die - unstreitige - Freischaltung einer Website durch die Beklagte auf ihrer Internetpräsenz Anfang Oktober 2015, auf der jedermann durch Eingabe einer Fahrzeugidentifikationsnummer ([X.]) habe überprüfen können, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Umschaltlogik ausgestattet sei, worüber sie am 2. Oktober 2015 mit einer Pressemitteilung informiert habe und auch öffentlich in zahlreichen Medien berichtet worden sei. Auch durch diese Maßnahme in Verbindung mit der inhaltlich unzureichenden Ad-hoc-Mitteilung der [X.] vom 22. September 2015 seien potentielle Kunden von betroffenen Dieselfahrzeugen nicht vollumfänglich über die aus dem Einbau der Software resultierenden Folgen für diese Fahrzeuge informiert gewesen.

II.

6

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe dem Kläger durch das Inverkehrbringen des mit der unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware ausgestatteten [X.] in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen besteht kein Schadensersatzanspruch des [X.] aus §§ 826, 31 BGB.

7

1. Die Beklagte hat die Verwendung der unzulässigen Software bereits vor Abschluss des Kaufvertrages öffentlich gemacht, insbesondere eine Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015 herausgegeben, in der sie auf "Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software" sowie auf die Möglichkeit, sich über die Betroffenheit eines Fahrzeugs auf einer Webseite zu informieren, hingewiesen hatte. Danach scheitert ein Anspruch des [X.] aus § 826 BGB daran, dass nach diesen Informationsmaßnahmen der [X.] ab Oktober 2015 das Verhalten der [X.] dem Kläger gegenüber nicht als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen ist (vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 23. November 2021 - [X.], juris Rn. 7 f. mwN).

8

2. Der Vortrag der Revisionserwiderung:

"Denn unstreitig wurde das streitgegenständliche Fahrzeugmodell im September 2016 erneut zurückgerufen, weil das Software-Update wiederum mit einer unzulässigen, nicht mit dem [X.] abgestimmten Abschalteinrichtung behaftet war ([X.] des [X.] vom 26.02.2020, S. 5 f. mit Anlagen [X.], [X.] 3)."

lässt sich weder anhand des Akteninhalts noch anhand des Berufungsurteils nachvollziehen.

III.

9

Die angegriffene Entscheidung ist aufzuheben, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der [X.] entschieden hat (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der [X.] entscheidet in der Sache selbst, da sie zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

von [X.]     

      

Klein 

      

[X.]     

      

Linder     

      

Meta

VI ZR 543/20

08.02.2022

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 17. März 2020, Az: I-9 U 95/19, Urteil

§ 31 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.02.2022, Az. VI ZR 543/20 (REWIS RS 2022, 1442)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1442


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 9 U 95/19

Oberlandesgericht Köln, 9 U 95/19, 17.03.2020.


Az. VI ZR 543/20

Bundesgerichtshof, VI ZR 543/20, 08.02.2022.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

21 U 34/21

Zitiert

9 U 95/19

VI ZR 818/20

Zitieren mit Quelle:
x

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