Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.2013, Az. XII ZR 58/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 395

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Gegenstand

Fristversäumnis für eine Vaterschaftsanfechtungsklage: Kenntnis der Kindesmutter von einer möglichen Abstammung des Kindes von einem anderen Mann trotz geschützten, außerehelichen Geschlechtsverkehrs


Leitsatz

Der Umstand, dass beim Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann als dem rechtlichen Vater Kondome benutzt wurden, schließt die Kenntnis von der Möglichkeit der Abstammung des Kindes von diesem anderen Mann nicht aus (im Anschluss an Senatsurteil vom 29. März 2006, XII ZR 207/03, FamRZ 2006, 771).

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des [X.] vom 29. November 2011 wird auf Kosten der Klägerin, die auch die durch die Streithilfe verursachten Kosten zu tragen hat, zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Sie heirateten am 12. März 2004. Am 21. April 2004 wurde der [X.] (Streithelfer des Beklagten) geboren. Die Parteien trennten sich im Januar 2008. Mit ihrer im Juli 2009 eingereichten Klage ficht die Klägerin, die während der [X.] auch Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen [X.] hatte, die Vaterschaft des Beklagten an.

2

Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme antragsgemäß festgestellt, dass der Beklagte nicht der Vater des Streithelfers ist. Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat keinen Erfolg.

4

Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis zum 31. August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - [X.] 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).

I.

5

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Klägerin die Anfechtung der Vaterschaft versagt, weil sie die Klage nicht innerhalb von zwei Jahren nach der Geburt des Kindes erhoben habe. Aufgrund des Geschlechtsverkehrs mit dem Zeugen [X.] habe die Klägerin bereits vor der Geburt Kenntnis von Umständen gehabt, die die nicht ganz fernliegende Möglichkeit der Abstammung des Kindes von [X.] ergäben. Auch wenn bei dem Geschlechtsverkehr Kondome verwendet worden seien, habe die Klägerin nicht hinreichend sicher sein können, dass der Zeuge [X.] als Erzeuger ausscheide. Dies ergebe sich entgegen der Auffassung des [X.] (FamRZ 1999, 1362) aus der recht hohen Versagensquote bei einer Verhütung mit Kondomen.

II.

6

Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

7

1. Nach § 1600 b Abs. 1 Satz 1 BGB kann die Vaterschaft binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden. Die Frist beginnt nach § 1600 b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen, aber nicht vor der Geburt des Kindes (§ 1600 b Abs. 2 Satz 1 BGB).

8

Zu den Umständen, deren Kenntnis die Anfechtungsfrist in Lauf setzt, gehört regelmäßig bereits ein einmaliger außerehelicher Geschlechtsverkehr der Kindesmutter während der gesetzlichen [X.], und zwar auch dann, wenn der Ehemann innerhalb dieser Zeit der Kindesmutter ebenfalls beigewohnt hat und es den Umständen nach nicht ausgeschlossen erscheint, dass das Kind aus der außerehelichen Beiwohnung stammt. Insbesondere setzt der Beginn der Anfechtungsfrist nicht voraus, dass aufgrund der dem [X.] bekannten Umstände die Vaterschaft eines Dritten wahrscheinlicher ist als die des Ehemanns (Senatsurteil vom 29. März 2006 - [X.]/03 - FamRZ 2006, 771, 772 mwN).

9

2. Allerdings gilt die Regel, dass bereits die Kenntnis von einem außerehelichen Geschlechtsverkehr der Mutter während der [X.] die Anfechtungsfrist in Lauf setzt, nicht uneingeschränkt. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich aus der Tatsache des außerehelichen Verkehrs die nicht ganz fern liegende Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem Dritten ergibt. Ganz fern liegend kann die Möglichkeit einer solchen Abstammung sein, wenn der außereheliche Verkehr unter Begleitumständen stattgefunden hat, nach denen eine Empfängnis in hohem Maße unwahrscheinlich ist (Senatsurteil vom 29. März 2006 - [X.]/03 - FamRZ 2006, 771, 772 f. mwN).

Bei der Frage, ob die dem [X.] bekannt gewordenen Gesamtumstände die Möglichkeit der Vaterschaft eines anderen Mannes als nicht ganz fern liegend erscheinen lassen, ist auf die objektive Beurteilung aus der Sicht eines verständigen Betrachters abzustellen. Dabei ist der Beurteilungsmaßstab nicht an medizinisch-naturwissenschaftlichen Spezialkenntnissen auszurichten, da solche von einem Laien nicht erwartet werden können. Vielmehr ist insoweit von dem Erkenntnisstand auszugehen, der bei einem verständigen Laien in der Regel erwartet werden kann (vgl. Senatsurteile vom 29. März 2006 - [X.]/03 - FamRZ 2006, 771, 773; vom 14. Februar 1990 - [X.] - FamRZ 1990, 507, 509 und vom 5. Oktober 1988 - [X.] - FamRZ 1989, 169, 170).

3. Dass der Geschlechtsverkehr unter Verwendung von Kondomen stattfand, schließt die grundsätzlich bestehende Kenntnis noch nicht aus, weil auch in diesem Fall die anderweitige Abstammung des Kindes nicht ganz fernliegend ist. Insoweit hat der Senat bereits darauf hingewiesen, es sei allgemein bekannt, dass die Zuverlässigkeit der Empfängnisverhütung mit Kondomen deutlich geringer sei als die anderer Verhütungsmittel wie etwa [X.]“. Er hat darauf Bezug genommen, dass nach dem sogenannten „[X.]“ bei regelmäßiger Verwendung von Kondomen 2 bis 12 von 100 Frauen innerhalb eines Jahres schwanger werden gegenüber der deutlich höheren Sicherheit bei Einnahme [X.]“ (Senatsurteil vom 29. März 2006 - [X.]/03 - FamRZ 2006, 771, 773). Zwar könne die Kenntnis der Größenordnung dieser Versagensquoten nicht allgemein vorausgesetzt werden; eine ungefähre Vorstellung von diesem Risiko müsse aber zum Allgemeinwissen gezählt werden (Senatsurteil vom 29. März 2006 - [X.]/03 - FamRZ 2006, 771, 773; ebenso [X.] FamRZ 2013, 555, 556 f.; [X.]/[X.] BGB [2011] § 1600 b Rn. 29a; [X.] FamRZ 1999, 1362, 1363).

An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Das [X.] liegt im Wesentlichen in der fehlerhaften Anwendung begründet. Das wird nicht nur in der gesundheitlichen Aufklärung (vgl. etwa die Hinweise der [X.]; www.bzga.de - Stand: 11. Dezember 2013) besonders betont, sondern ist nicht zuletzt im Hinblick auf die wichtige Frage der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften auch Laien regelmäßig bekannt. Da auf die objektive und verständige Beurteilung abzustellen ist, kommt es auf den individuellen Bildungsstand des [X.] nicht entscheidend an (vgl. Senatsurteile vom 29. März 2006 - [X.]/03 - FamRZ 2006, 771, 773; vom 14. Februar 1990 - [X.] - FamRZ 1990, 507, 509 und vom 5. Oktober 1988 - [X.] - FamRZ 1989, 169, 170; [X.]/[X.] BGB [2011] § 1600 b Rn. 18a). Auch eine im Einzelfall etwa bestehende besondere Sorglosigkeit oder Gleichgültigkeit des [X.] ist daher außer [X.] zu lassen.

Aufgrund der allgemein bekannten Möglichkeit von [X.] kann demnach jedenfalls ein verständiger Laie die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von [X.] nicht schon als in hohem Maße unwahrscheinlich und mithin als ganz fern liegend ansehen. Dass beim anderweitigen Geschlechtsverkehr Kondome benutzt wurden, schließt somit die Kenntnis von der Möglichkeit der Abstammung von [X.] als dem rechtlichen Vater nicht aus.

Dose                                 [X.]                         Schilling

           [X.]                                 [X.]

Meta

XII ZR 58/12

11.12.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 29. November 2011, Az: II-14 UF 115/11, Urteil

§ 1600b BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.2013, Az. XII ZR 58/12 (REWIS RS 2013, 395)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 395

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 321/19 (Bundesgerichtshof)

Vaterschaftsanfechtung durch Mutter: Voraussetzungen; rechtsgeschäftlicher Ausschluss; Verstoß gegen Treu und Glauben


Referenzen
Wird zitiert von

XII ZR 58/12

Zitiert

XII ZB 197/10

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