Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. 3 ZB 7/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 9494

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Gegenstand

Verlängerung elektronischer Aufenthaltsüberwachung


Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des [X.] vom 16. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

2. Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

3. Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

4. Der Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerdeinstanz ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt [X.] beigeordnet.

Gründe

1

Die Betroffene erhebt eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des [X.], mit dem es ihre Beschwerde gegen die Verlängerung ihrer elektronischen Aufenthaltsüberwachung gemäß § 31a Abs. 1 und 2 Satz 3 des [X.] über die öffentliche Sicherheit und Ordnung ([X.]) durch das [X.] vom 2. November 2021 zurückgewiesen hat. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Gleichwohl ist der Betroffenen Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

I.

2

Die in [X.] aufgewachsene Betroffene reiste 2014 als 16-Jährige nach [X.] aus, wo sie sich in die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ ([X.]) eingliederte. Nach ihrer Rückkehr nach [X.] im November 2019 wurde sie deshalb zu einer zweijährigen Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die elektronische Fußfessel wurde ihr erstmals im Februar 2021 bei der Entlassung aus der Untersuchungshaft angelegt. Im März 2021 und im August 2021 ordnete das Amtsgericht ihre elektronische Aufenthaltsüberwachung für einen [X.]raum von je drei Monaten an. Dagegen hat die Betroffene jeweils erfolglos Beschwerden und Rechtsbeschwerden eingelegt. Wegen der Einzelheiten des vorstehenden Sachverhalts wird auf die Beschlüsse des Senats vom 22. Februar 2022 (3 [X.], NStZ-RR 2022, 187, 188) und vom 26. Juli 2022 (3 [X.], juris Rn. 2 ff.) verwiesen.

3

Nunmehr hat das [X.] am 16. Dezember 2021 die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des [X.] vom 2. November 2021 zurückgewiesen, mit dem jenes die elektronische Aufenthaltsüberwachung [X.] um drei Monate verlängert hatte. Durch ihren beim [X.] zugelassenen Anwalt hat die Betroffene am 27. Dezember 2021 auch hiergegen Rechtsbeschwerde eingelegt.

II.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2022 - 3 [X.], NStZ-RR 2022, 187, 188 mwN).

5

2. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Denn die Anordnung der Verlängerung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung um weitere drei Monate begegnet erneut keinen rechtlichen Bedenken (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab s. § 72 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2 und 3 Satz 3 FamFG).

6

a) Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich. Entgegen den Ausführungen der Betroffenen haben die [X.] der Pflicht zur Amtsaufklärung nach §§ 26, 34 Abs. 1 FamFG auch ohne ihre mündliche Anhörung hinreichend Genüge getan. Das [X.] hatte sie bereits in einem Termin am 21. Oktober 2021 persönlich befragt. Angesichts des kurzen [X.]raums, der seither vergangen war, hat es sein Ermessen fehlerfrei dahin ausgeübt, dass das im Beschwerdeverfahren gewährte schriftliche Gehör für die anwaltlich vertretene Betroffene ausreiche.

7

Auch keinen Bedenken begegnet, dass die [X.] keine Stellungnahmen aus dem Umfeld der Betroffenen eingeholt haben. Denn sie besuchte erst seit kurzem eine Schule, unterlag noch nicht lange der Bewährungsaufsicht und stand erst in den Anfängen eines Deradikalisierungsprogramms.

8

b) [X.] ist die angefochtene Anordnung ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Maßnahme ist erneut auf § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 5 [X.] gestützt. Amts- und [X.] haben im Verhalten der Beschwerdeführerin noch immer ausreichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür ausgemacht, dass sich in ihrer Person innerhalb eines vorhersehbaren [X.]raums eine terroristische Gefahr aktualisieren kann.

9

Zur Rechtsgrundlage des § 31a [X.], der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift, der grundsätzlichen Bindung des [X.] an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung, dem damit einhergehenden Spielraum des Tatgerichts bei der individuellen Beurteilung des Falls, zur Auslegung der in § 31a [X.] verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe sowie zu den mithin auch hier anzulegenden Maßstäben hat der Senat im Beschluss vom 22. Februar 2022 (3 [X.], NStZ-RR 2022, 187, 189) Näheres ausgeführt. Dies gilt weiterhin.

Die jetzt zur Beurteilung stehende Verlängerung haben die [X.] auf seit den letzten Beschlüssen nahezu unveränderter Tatsachengrundlage getroffen. Das [X.] hat nachvollziehbar dargelegt, dass sich auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags an der Sachlage nichts Wesentliches geändert habe. Vor diesem Hintergrund hat es sich in seiner Abwägung auf die von ihm bereits einige Wochen zuvor angestellten Überlegungen bezogen. Es hat die langjährige Mitgliedschaft der Betroffenen im [X.] ins Verhältnis zu der seit ihrer Haftentlassung vergangenen [X.] gesetzt und unter anderem die Dauer von mindestens einem Jahr bedacht, auf die das als Bewährungsauflage angeordnete Deradikalisierungsprogramm angelegt ist. Außerdem hat das [X.] erwogen, dass aus dem bisher erst relativ kurzen Schulbesuch im Hinblick auf eine nachhaltige Verhaltensänderung der Betroffenen noch keine belastbaren Schlüsse gezogen werden können. Nach allem ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anordnungsvoraussetzungen des § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 4 [X.] weiterhin vorlagen. Es hat die Maßnahme schließlich als noch immer verhältnismäßig angesehen. Ermessensfehler sind ihm dabei nicht unterlaufen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 84 FamFG. Eine Kostenentscheidung zugunsten der an dem Verfahren beteiligten Behörde unterbleibt, weil ihr über den bloßen Verwaltungsaufwand hinaus keine besonderen Kosten erwachsen sind (vgl. Keidel/[X.], FamFG, 20. Aufl., § 80 Rn. 17).

Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Verfahrens in der [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3, § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.

IV.

Der Betroffenen ist auf ihren Antrag für die [X.] unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts erneut Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

1. Nach § 31a Abs. 3 Satz 8 [X.] gelten für das Verfahren bei der Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung die Vorschriften des FamFG entsprechend. § 76 Abs. 1 FamFG verweist für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auf die Normen der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe. Danach kann Verfahrenskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine positive Erfolgsprognose ist zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für die begehrte Rechtsfolge spricht. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden; es reicht aus, wenn das Gericht nach einer summarischen Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für vertretbar hält. Das gilt namentlich dann, wenn in der Hauptsache schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden sind (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschlüsse vom 12. Dezember 2012 - [X.]/12, [X.], 1310; vom 30. April 2020 - StB 29/18, juris Rn. 25 mwN).

Maßgeblicher [X.]punkt für die Erfolgsaussicht ist nicht der [X.]punkt der Entscheidung, sondern derjenige der „[X.]“. Zur Entscheidung reif ist ein [X.], wenn die [X.] es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zu äußern ([X.], Beschlüsse vom 7. März 2012 - [X.] 391/10, NJW 2012, 1964, 1966 mwN; vom 10. Dezember 2014 - [X.] 232/13, juris Rn. 7; Brandenburgisches [X.], Beschluss vom 26. Januar 2017 - 13 WF 21/17, juris Rn. 5; [X.]/[X.], ZPO, 35. Aufl., § 127 Rn. 9 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 27. Januar 1982 - [X.] 925/80, [X.] 1982, 564, 565; [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2019 - 4 O 238/19, NJW 2020, 944 Rn. 8 ff.).

2. Diese Voraussetzungen haben vorgelegen. [X.] war der [X.] bereits vor dem 22. Februar 2022 und damit zu einem [X.]punkt, in dem eine höchstrichterliche Klärung über die Voraussetzungen einer elektronischen Überwachung gemäß § 31a [X.] noch ausstand und der Ausgang des [X.] deshalb im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO offen war. Das ergibt sich aus Folgendem:

Die Betroffene hat ihr Verfahrenskostenhilfegesuch am 5. Januar 2022 gestellt und eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Die Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels hat sie pauschal mit den bislang ungeklärten Rechtsfragen zur Anwendung und Auslegung von § 31a [X.] begründet, ohne auf den vorliegenden Einzelfall einzugehen. Der Antrag ist dem [X.] am 10. Januar 2022 übersandt worden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Nach § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Antragsteller grundsätzlich das Streitverhältnis sachlich darzustellen, damit die Erfolgsaussicht seiner Rechtsverfolgung beurteilt werden kann. Derlei Ausführungen finden sich erst in der am 24. März 2022 eingereichten Begründung der Rechtsbeschwerde. Inhaltliche Angaben zum Streitstand sind aber dann entbehrlich, wenn sie sich aus vorhandenen Akten ergeben. In der Rechtsmittelinstanz ist das regelmäßig der Fall; hier ist das Streitverhältnis aus den Feststellungen der Vorinstanz bekannt, die für die Erfolgsaussicht relevanten Informationen liegen dem Prozessgericht vor. Der bedürftige Rechtsmittelführer kann sich deshalb darauf beschränken, den [X.] unter Beifügung der nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Erklärung beim Prozessgericht einzureichen. Eine sachliche Begründung seines Gesuchs in Bezug auf das eingelegte oder beabsichtigte Rechtsmittel ist von Gesetzes wegen nicht geboten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. Dezember 2000 - [X.] 193/00, NJW-RR 2001, 1146, 1147; vom 21. August 2018 - [X.], NJW-RR 2018, 1271 Rn. 8; [X.]/[X.], ZPO, 35. Aufl., § 117 Rn. 6 ff. mwN).

Die [X.] hat die Verfahrensakten zwar vorliegend erst Anfang März 2022 an den [X.] übersandt. Der Sach- und Streitstand war jedoch aus dem angefochtenen Beschluss des [X.] sowie den Verfahren 3 [X.] und 5/21 hinreichend bekannt. Einer zusätzlichen Darstellung oder Erläuterung des Begehrens der Antragstellerin bedurfte es zur Beurteilung der Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels nicht. Damit war die [X.] vor dem 22. Februar 2022 gegeben. Dass der Senat über das Gesuch erst jetzt entscheidet, darf der Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen.

Schäfer     

      

Berg     

      

Erbguth

      

Kreicker     

      

Voigt     

      

Meta

3 ZB 7/21

19.12.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 16. Dezember 2021, Az: 20 W 248/21

§ 31a Abs 1 Nr 2 SOG HE, § 31a Abs 3 S 4 SOG HE, § 31a Abs 3 S 5 SOG HE, § 31a Abs 3 S 8 SOG HE, § 76 Abs 1 FamFG, § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 117 Abs 1 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. 3 ZB 7/21 (REWIS RS 2023, 9494)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9494

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