Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. 3 ZB 1/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 9493

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Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom 11. März 2022 wird abgelehnt.

Gründe

1

Die Antragstellerin und Betroffene begehrt Verfahrenskostenhilfe für eine von ihr erhobene Rechtsbeschwerde, mit der sie das Ziel verfolgt, die Rechtswidrigkeit der mittlerweile durch Zeitablauf erledigten Verlängerung ihrer elektronischen Aufenthaltsüberwachung feststellen zu lassen.

I.

2

1. Die in [X.] aufgewachsene Betroffene reiste als 16-Jährige nach [X.] aus und gliederte sich dort als Mitglied in die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ ([X.]) ein. Im November 2019 kehrte sie nach [X.] zurück, wurde verhaftet sowie zu einer zweijährigen Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft ordnete das Amtsgericht im März 2021 nach § 31a Abs. 1 und 2 Satz 3 des [X.] über die öffentliche Sicherheit und Ordnung ([X.]) an, dass sie zur Verhütung von terroristischen Straftaten für die Dauer von drei Monaten eine sogenannte elektronische Fußfessel zu tragen habe. Gleiche Anordnungen ergingen im August 2021 und im November 2021. Dagegen hat die Betroffene jeweils Beschwerden und gegen die daraufhin ergangenen abschlägigen Entscheidungen des [X.] (zugelassene) Rechtsbeschwerden erhoben. Wegen der Einzelheiten des vorstehenden Sachverhalts wird auf die Beschlüsse des Senats vom 22. Februar 2022 (3 [X.], [X.], 187, 188), vom 26. Juli 2022 (3 [X.], juris Rn. 2 ff.) und vom heutigen Tag (3 [X.]) verwiesen.

3

2. Am 2. Februar 2022 hat das Amtsgericht zum [X.] eine elektronische Aufenthaltsüberwachung befristet bis zum 1. Mai 2022 angeordnet. Auch hiergegen hat die Betroffene eine Beschwerde eingelegt, die das [X.] am 11. März 2022 zurückgewiesen hat. Zu diesem Zeitpunkt war ihm die Entscheidung des Senats vom 22. Februar 2022 (3 [X.], [X.], 187) noch nicht bekannt. Es hat der Rechtssache deshalb ebenso wie den vorangegangenen Verfahren im Hinblick auf klärungsbedürftige Fragen bei der Auslegung und Anwendung von § 31a [X.] grundsätzliche Bedeutung beigemessen und gemäß § 70 Abs. 1 und 2 FamFG, § 31a Abs. 3 Satz 8 [X.] die Rechtsbeschwerde zugelassen.

4

Eine solche hat die Betroffene am 24. März 2022 durch ihren beim [X.] zugelassenen Anwalt erhoben, für deren Durchführung sie am 11. April 2022 die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt und die sie am 21. Juli 2022 begründet hat.

II.

5

Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe dringt mangels Erfolgsaussicht des Rechtsmittels nicht durch.

6

Nach § 31a Abs. 3 Satz 8 [X.] gelten für das Verfahren bei der Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung die Vorschriften des FamFG entsprechend. § 76 Abs. 1 FamFG verweist für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auf die Normen der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe. Danach kann Verfahrenskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Voraussetzung dafür ist, dass bei summarischer Prüfung für die begehrte Rechtsfolge eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden; es reicht bereits aus, wenn das Gericht nach einer summarischen Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für vertretbar hält. Das gilt namentlich dann, wenn in der Hauptsache schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden sind (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschlüsse vom 12. Dezember 2012 - [X.]/12, [X.], 1310; vom 30. April 2020 - StB 29/18, juris Rn. 25 mwN). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfolgsaussicht ist derjenige der „Entscheidungsreife“ (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. März 2012 - [X.] 391/10, NJW 2012, 1964, 1965; vom 10. Dezember 2014 - [X.] 232/13, juris Rn. 7; vom heutigen Tag - 3 [X.]).

7

Eine so verstandene Erfolgsaussicht besteht für die Rechtsbeschwerde nicht. Der angefochtene Beschluss verletzt die Betroffene nicht in ihren Rechten (1.). Die bislang ungeklärten Rechtsfragen, die das [X.] zur Zulassung der Rechtsbeschwerde veranlasst haben, waren im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des [X.] bereits entschieden (2.).

8

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2022 - 3 [X.], [X.], 187, 188 mwN). In der Sache wird sie indes voraussichtlich keinen Erfolg erzielen. Die Anordnung auch der vierten dreimonatigen elektronischen Überwachung der Betroffenen war rechtlich unbedenklich (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab s. § 72 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2 und 3 Satz 3 FamFG).

9

a) Verfahrensfehler sind wiederum nicht ersichtlich. Entgegen den Ausführungen der Betroffenen ist der Anordnung insbesondere ein formgerechter Antrag der beteiligten Behördenleitung vorausgegangen (§ 31a Abs. 3 Satz 1 [X.]). Auch nach Inkrafttreten von § 14b FamFG zum 1. Januar 2022 ist die Antragstellung durch Telefax hier möglich gewesen. Denn § 14b Abs. 1 FamFG sieht die zwingende Übermittlung als elektronisches Dokument nur für Anträge vor, die der Schriftform unterliegen (BT-Drucks. 19/28399 S. 39 f.; [X.], Beschluss vom 31. Mai 2023 - [X.] 428/22, NJW-RR 2023, 1233, 1235; [X.], Beschluss vom 26. Juli 2023 - 20 W 151/23, NJW 2023, 3436 Rn. 34 ff.; [X.], Beschluss vom 3. März 2022 - 8 T 31/22, juris Rn. 26 ff.; alle mwN). § 31a Abs. 3 [X.] bestimmt für den Antrag auf Anordnung der Aufenthaltsüberwachung durch technische Mittel aber keine Schriftform. Ein Schriftformerfordernis folgt auch nicht aus § 23 Abs. 1 Satz 5 FamFG, denn diese Vorschrift regelt lediglich, dass ein verfahrenseinleitender Antrag unterschrieben werden „soll“ ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2023 - [X.] 428/22, NJW-RR 2023, 1233, 1235; [X.], Beschluss vom 26. Juli 2023 - 20 W 151/23, NJW 2023, 3436 Rn. 46). Für den Antrag auf Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach dem [X.] Polizeigesetz gilt mithin § 14b Abs. 2 Satz 1 FamFG, der bestimmt, dass die entsprechenden Schriftstücke elektronisch eingereicht werden „sollen“. An einen Verstoß gegen die [X.] knüpft das Gesetz keine Folgen.

Eine mündliche Anhörung der Betroffenen haben die [X.] ebenfalls erneut für entbehrlich halten dürfen, nachdem das [X.] sie bereits am 21. Oktober 2021 persönlich befragt und ihr nunmehr schriftliches Gehör gewährt hat (s. bereits [X.], Beschluss vom heutigen Tag - 3 [X.]). Eine Verletzung der Pflicht zur Amtsaufklärung nach §§ 26, 34 Abs. 1 FamFG ist darin ebenso wenig zu sehen wie in dem Umstand, dass die [X.] keine Stellungnahmen aus dem Umfeld der Betroffenen eingeholt haben. Seine diesbezügliche Ermessensausübung hat das [X.] mit Blick auf § 27 Abs. 1 FamFG und die bereits vorangegangenen drei Rechtsmittelverfahren rechtsfehlerfrei unter anderem damit begründet, dass die anwaltlich vertretene Betroffene selbst keine für sie vorteilhaften veränderten Umstände vorgetragen habe, die neue Ermittlungsansätze geboten hätten. Eine „Bringschuld“ hat es ihr entgegen ihrer Rechtsmeinung damit nicht auferlegt. Das [X.] ist sich ausweislich der von ihm gewählten Formulierungen vielmehr bewusst gewesen, dass ein Verstoß der Betroffenen gegen die Mitwirkungspflicht es nicht von seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts enthebt (vgl. [X.], Beschluss vom 23. März 2021 - [X.], juris Rn. 15 mwN).

b) Auch materiellrechtlich ist die angefochtene Anordnung nicht zu beanstanden. Die Maßnahme ist erneut auf § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 5 [X.] gestützt worden. Amts- und [X.] haben im Verhalten der Beschwerdeführerin noch immer ausreichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür ausgemacht, dass sich in ihrer Person innerhalb eines vorhersehbaren Zeitraums eine terroristische Gefahr aktualisieren kann.

Zur Rechtsgrundlage des § 31a [X.], der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift, der grundsätzlichen Bindung des [X.] an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung, dem damit einhergehenden Spielraum des Tatgerichts bei der individuellen Beurteilung des Falls, zur Auslegung der in § 31a [X.] verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe sowie zu den mithin auch hier anzuwendenden Maßstäben hat der Senat im Beschluss vom 22. Februar 2022 (3 [X.], [X.], 187, 189) Näheres ausgeführt. Zuvor für die präventiv-polizeiliche Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zweifelhafte Rechtsfragen hat er darin entschieden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verlängerung der Maßnahme entsprechen denen für die erstmalige Anordnung (§ 31a Abs. 3 Satz 5 [X.]). Neue, darüber hinausgehende Rechtsprobleme wirft die Rechtsbeschwerde nicht auf. Die jetzt zur Beurteilung stehende Verlängerung haben die [X.] auf im Vergleich zu den vorangegangenen Beschlüssen wiederum nahezu unveränderter Tatsachengrundlage getroffen. Das [X.] hat nachvollziehbar dargelegt, dass sich an der Sachlage noch immer nichts Wesentliches geändert habe. Dabei hat es die seit der Rückkehr der Betroffenen aus [X.] verstrichene Zeit bedacht, in der sich die terroristische Gefahr nicht verwirklichte. Es hat die Maßnahme gleichwohl als noch immer geboten und verhältnismäßig angesehen. Ermessensfehler sind bei dieser Würdigung nicht ersichtlich.

2. Eine Erfolgsaussicht hat für die Rechtsbeschwerde bereits zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Verfahrenskostenhilfegesuchs nicht bestanden. Zur Entscheidung reif ist ein [X.], wenn die [X.] es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zu äußern ([X.], Beschlüsse vom 7. März 2012 - [X.] 391/10, NJW 2012, 1964, 1966 mwN; vom 10. Dezember 2014 - [X.] 232/13, juris Rn. 7; Brandenburgisches [X.], Beschluss vom 26. Januar 2017 - 13 WF 21/17, juris Rn. 5; [X.]/[X.], ZPO, 35. Aufl., § 127 Rn. 9 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 27. Januar 1982 - [X.] 925/80, [X.] 1982, 564, 565; [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2019 - 4 O 238/19, NJW 2020, 944 Rn. 8 ff.).

Diese Voraussetzungen haben erst nach dem 22. Februar 2022 und damit nach der Entscheidung der bis dato ungeklärten Rechtsfragen zu § 31a [X.] vorgelegen. Denn der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe datiert vom 11. April 2022. Er ist dem Gegner am 14. April 2022 übersandt worden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zu diesem Zeitpunkt ist der Ausgang des [X.] nicht mehr offen im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen. Die zweifelhaften Rechtsfragen waren inzwischen geklärt.

Die Beschlussfassung über die Hauptsache wird einstweilen zurückgestellt, obwohl auch diese zur Entscheidung reif ist (vgl. [X.] Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 13. September 2012 - 4 F 1443/12, NJW 2012, 3738; [X.]/[X.], ZPO, 35. Aufl., § 127 Rn. 11).

Schäfer     

      

Berg     

      

Erbguth

      

Kreicker     

      

Voigt     

      

Meta

3 ZB 1/22

19.12.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 11. März 2022, Az: 20 W 33/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. 3 ZB 1/22 (REWIS RS 2023, 9493)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9493

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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