Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. X ZR 72/11

X. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6851

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
X ZR 72/11
Verkündet am:

26. April 2012

Wermes

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache

-
2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhand-lung vom 26. April 2012 durch [X.], [X.], Dr.
Bacher und
Hoffmann sowie die Richterin Schuster

für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29. März 2011 verkün-dete Urteil des 1. Senats ([X.]) des Bundespatent-gerichts unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung [X.].
Das [X.] Patent 1 424 917 wird im Umfang seiner [X.] und 2 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig erklärt.
Die Beklagte hat zwei Drittel, die Klägerin ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 13.
September 2002 un-ter Inanspruchnahme der Priorität zweier [X.] Anmeldungen vom 13. Sep-tember 2001 und 6. März 2002 angemeldeten und mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.]n Patents 1
424 917 ([X.]). Es umfasst sechs Patentansprüche, deren erster in der Verfahrenssprache lau-tet:
1
-
3
-
"A device being designed with a slit (36, 54, 50), for use in remov-ing a tick or corresponding blood sucking insect, which has bitten on to and bored its snout down into the skin of a person or an animal, characterised in that
the device is adapted for keeping in
wallet, pocket, [X.], [X.], [X.] in size, that said card is made of a relatively stiff ma-terial, such as card-board or plastic, and that said card has a cor-ner area being designed with the slit (36, 54, 50), for use in remov-ing a tick or corresponding blood sucking insect, which has bitten on to and bored its snout down into the skin of a person or an animal."
Dieser Anspruch ist in der [X.]chrift wie folgt in die [X.] übersetzt:
"Vorrichtung, die mit einem Schlitz (36, 54, 50) zum Entfernen ei-ner Zecke oder eines entsprechenden blutsaugenden Insekts, das sich in die Haut eines Menschen oder eines Tiers festgebissen oder seinen Rüssel in die Haut eines Menschen oder eines Tiers gebohrt
hat, versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass
die Vorrichtung zur Aufbewahrung in einer Brieftasche, in einer Ho-sen-
oder Jackentasche, in einer Tasche oder an einem ähnlichen Ort geeignet ist, indem die Vorrichtung in ihren Abmessungen wie eine Kreditkarte ausgebildet ist, dass die Karte aus einem relativ steifen Material, wie z.B. Pappe oder Kunststoff, hergestellt ist und dass die Karte einen Eckbereich aufweist, der mit einem Schlitz (36, 54, 50) zum Entfernen einer Zecke oder eines entsprechen-den blutsaugenden Insekts, das sich in die Haut eines Menschen 2
-
4
-
oder eines Tiers festgebissen oder seinen Rüssel in die Haut ei-nes Menschen oder eines Tiers gebohrt hat, gestaltet ist."
Wegen des Wortlauts der Ansprüche
2 bis 4 wird auf die [X.] Bezug genommen.
Die Klägerin hat das Streitpatent mit ihrer im Lauf des Verfahrens erwei-terten Nichtigkeitsklage im Umfang der Ansprüche
1 bis 4 angegriffen und gel-tend gemacht, insoweit gehe sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus (unzulässige Erweiterung); außerdem sei das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche
1 und 2 nicht patentfähig, weil es nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten; das Patentge-richt hat sie abgewiesen.
Mit ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung, deren Zurück-weisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Be-gehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat teilweise Erfolg.
I. Das Streitpatent betrifft seiner Beschreibung zufolge eine Vorrichtung zum Entfernen einer Zecke oder eines ähnlichen blutsaugenden Insekts aus der Haut und zur Körperpflege.
3
4
5
6
7
-
5
-
1. Die [X.]chrift erläutert aus den US-Patentschriften 5
595
569 (D
3) und 5
447
511 (D
4) bekannte
Vorrichtungen zum Entfernen von Zecken oder ähnlichen Insekten aus der Haut von Mensch oder Tier.
Außerdem ver-weist sie auf bekannte, zum Beispiel in Aufreißtüten aus Kunststoff-
oder Metall-folie verpackte, gefaltete Feuchttücher zum Reinigen der Hände und/oder des Gesichts. Vor diesem Hintergrund wird als Zweck der Erfindung
genannt, eine neue und verbesserte Vorrichtung zu schaffen, mit der Zecken oder ähnliche
Insekten auf einfache Weise aus der Haut entfernt werden können.
Als weitere Aufgabe der Erfindung
wird genannt, eine solche Vorrichtung so auszugestal-ten, dass eine oder mehrere solcher Tücher von Personen mitgeführt werden können, um Hände oder andere Körperteile beim Entfernen einer Zecke oder eines ähnlichen Insekts zu reinigen. Dazu schlägt Patentanspruch
1 eine [X.] mit folgenden Merkmalen vor:
1.
Die Vorrichtung ist zur Aufbewahrung in einer Brief-, Hosen-
oder Jackentasche, in einer Tasche oder an einem ähnlichen Ort geeignet,
1.1
indem sie in ihren Abmessungen wie eine Kreditkarte aus-gebildet und
2.
aus einem relativ steifen Material, wie z.
B. Pappe oder Kunst-stoff hergestellt ist,
3.
einen Schlitz (36, 50, 54) aufweist,
3.1
der sich in einem Eckbereich befindet und
3.2
zum Entfernen einer Zecke oder eines entsprechenden blutsaugenden Insekts geeignet ist, das sich in die Haut ei-nes Menschen oder eines Tieres festgebissen oder seinen Rüssel in die Haut eines Menschen oder Tieres gebohrt hat.
8
-
6
-
Die nachfolgenden Abbildungen zeigen die [X.]uren des [X.].

2. a) Unter Schutz gestellt wird eine Vorrichtung, die in ihren Abmessun-gen einer Kreditkarte entspricht und dementsprechend bei abgerundeten Eck-bereichen ungefähr 85
mm
lang, 54
mm breit und weniger als 4
mm, vorzugs-weise unter 2
mm hoch ist (Abs.
13). In der nach diesen Vorgaben dimensio-9
10
-
7
-
nierten Vorrichtung ist in einem Eckbereich ein Schlitz (Bezugszeichen
36, 50, 54) vorgesehen, der zum Entfernen von Zecken oder ähnlichen blutsaugenden Insekten, die sich in
die Haut eines Menschen oder Tieres festgebissen haben, geeignet ist (Merkmal
3.2). Anweisungen zur näheren Ausgestaltung des [X.] enthält Patentanspruch
1 nicht. Der Beschreibung zufolge soll er im Wesentlichen spitzwinklig geformt sein (Abs.
11). Durch diese Ausformung wird ermöglicht, unterschiedlich große Insekten in stufenloser Skalierung zwischen den Flanken des [X.] zu erfassen, indem die Karte,
auf der Haut aufliegend
und mit der Öffnung des [X.] voran, auf das Insekt zugeschoben wird, bis es festgekeilt ist und anschließend durch hebelnde Bewegungen aus der Haut entfernt werden kann.
b) Soweit in der Beschreibung unterschiedliche Ausformungen und An-ordnungen des [X.] vorgestellt werden (Abs.
17: in einem runden Loch mündend, in
Form eines Schlüssellochs
oder mit einem ähnlich gestalteten Pro-fil, so dass die Karte nach unten über die Zecke geführt und diese in einer Ver-engung der Öffnung festgeklemmt werden kann; mit dem Schlitz an einer kur-zen Seite der Karte angeordnet, um diese wie eine vorgespannte Feder
einzu-setzen), sind diese Vorschläge nicht in Patentanspruch
1 eingeflossen. Ledig-lich die Patentansprüche
3 und 4 haben eine bevorzugte Ausführungsform mit einem flexiblen Finger ([X.]ur 3,
Bezugszeichen 46) zum Gegenstand.
Um der in Merkmal
3.2
formulierten Zweckbestimmung zu genügen, ist die Karte aus einem relativ steifen Material, zum Beispiel Pappe oder Kunst-stoff, herzustellen (Merkmal
2).
c) Über die Ausstattung mit einem Schlitz in einem Eckbereich der Karte (Merkmale
3, 3.1) und die Materialvorgaben
in Merkmal
2 hinaus enthält Pa-tentanspruch
1 keine Merkmale, durch die eine bestimmte Methode der Entfer-nung von Zecken und ähnlichen
Insekten aus der Haut beschrieben würde. Das 11
12
13
-
8
-
nach der Rechtsprechung des [X.] durch Auslegung des [X.] zu bestimmende Problem, das die in Patentanspruch
1 unter Schutz gestellte Erfindung löst und das und aus dem zu entwickeln ist, was die Erfindung tatsächlich leistet (vgl. [X.], Urteil vom 4.
Februar 2010

Xa
ZR
36/08, [X.], 602
Gelenkanordnung), besteht vielmehr darin, der Vorrichtung eine Form zu geben, die sie zur Aufbewahrung in einer Brief-, Hosen-
oder Jackentasche oder sonst in einer Tasche bzw. an einem ähnlichen Ort geeignet macht (vgl. Merkmal
1).
[X.]. Das Patentgericht hat verneint, dass der Gegenstand von Patentan-spruch
1 über den Inhalt der [X.] in der ursprünglich einge-reichten Fassung hinausgeht. Die Anmeldung sei auf eine mitnehmbare [X.] in den Abmessungen einer Kreditkarte gerichtet; die [X.] nach den [X.]uren
1 bis 5 der [X.] erfassten auch Kar-ten gemäß den [X.]uren
1 und 2 der [X.]chrift. [X.]ur
6 der Anmel-dungsunterlagen (=
[X.]ur
3 des [X.]) offenbare
eine Karte aus
einem verhältnismäßig dünnen Kunststoff ohne Aufdruck, die zusammen mit Pflaster in eine Verpackung eingelegt werden könne. Den diese [X.]ur
6 betreffenden Ausführungen in den ursprünglichen [X.] sei eine Karte mit den Merkmalen des Anspruchs
1 des [X.] unmittelbar und eindeutig zu entnehmen; die Patentinhaberin sei nicht gehalten gewesen, sämtliche [X.] der aus dieser [X.]ur ersichtlichen Ausführungsform in Patentanspruch
1 aufzunehmen. Die erwähnte Beigabe von Reinigungsutensilien zu der Karte stelle keine Einschränkung des objektiv zu ermittelnden Gehalts
der Offenba-rung dar, so dass Patentanspruch
1 nicht deshalb unzulässig erweitert sei, weil darin entsprechende Merkmale nicht aufgenommen worden seien.
Seine Annahme, dass der Gegenstand von Patentanspruch
1 nicht nur neu sei, sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, hat das [X.] im Wesentlichen wie folgt begründet: Die D
4 zeige als nächstkom-14
15
-
9
-
mender Stand der Technik eine Vorrichtung zum Entfernen von Zecken, die aus einem relativ steifen Material hergestellt und aufgrund ihrer Ausmaße (umge-rechnete Länge: 57
mm, Breite: 12,7
mm, Dicke: 0,3
mm) ungeachtet der ge-bogenen Ausbildung der [X.]itze geeignet sei, in einer Tasche aufbewahrt zu werden. Jedoch sei Merkmal
1.1 nicht erfüllt, weil die Fläche der Vorrichtung nach D
4 lediglich rund ein Sechstel derjenigen gemäß Patentanspruch
1 des [X.] betrage. Auch wenn der gemäß der D
4 vorgesehene Schlitz auf-grund der geringen Breite der vorgestellten Vorrichtung als im Eckbereich [X.] (Merkmal
3.2) angesehen werden könne, fehle es an jeglicher Anre-gung, die Vorrichtung entsprechend der Ausgestaltung in Patentanspruch
1 zu vergrößern. Die D
4 schlage vor, die Vorrichtung als Anhängsel oder integralen Teil einer anderen Vorrichtung, wie zum Beispiel eines Taschenmessers oder eines Nagelschneiders, auszubilden, was eine deutliche Vergrößerung aus-schließe, weil solche Gegenstände deutlich kleiner seien als eine Kreditkarte. Der von D
4 verfolgte Lösungsweg halte den Fachmann deshalb davon ab, die Lösung des Problems auf dem erfindungsgemäßen Weg zu suchen und die Abmessungen der Vorrichtung deutlich zu vergrößern. Die Lehre des Streitpa-tents stelle dementsprechend eine Abkehr vom im Stand der Technik einge-schlagenen Lösungsweg dar; auch die übrigen Druckschriften gäben keine An-regung in diese Richtung.
[X.] Gegen diese Beurteilung wendet sich die Berufung ohne Erfolg, so-weit sie
die Nichtigerklärung im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 des Streit-patents nach Art. [X.] § 6 Abs. 1 Nr. 3 [X.], Art. 138 Abs. 1 lit.
c EPÜ (un-zulässige Erweiterung) begehrt.
1. Das Patentgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch
1 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten [X.] hinausgeht.
16
17
-
10
-
Die Beklagte will darauf hinaus, den ursprünglichen Anmeldungsunterla-gen entspreche
eine Vorrichtung nur, wenn sie entweder auf einer Seite mit einer
aufgedruckten Anzeigenfläche für die kommerzielle Nutzung versehen und auf der anderen Seite mit einem oder mehreren, durch Folien abgedeckten Hygieneartikeln
ausgestattet sei
oder wenn einer unbedruckten Karte entspre-chende Gegenstände beigepackt werden. Dem kann nicht beigetreten werden.
a) Die ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbaren (auch)
eine nicht mit einem Anzeigenfeld versehene Karte als zur Erfindung gehörend (Veröffent-lichung der internationalen Patentanmeldung WO
03/022094 S.
6 Rn.
5
ff., die den ursprünglichen [X.] entspricht). Denn zu der dort
beschriebenen, der [X.]ur
6 der [X.] zugeordneten
Karte ("[X.]") heißt es, dass sie "vorzugsweise"
keine Werbeangaben
ent-halte (Seite 6 Z. 13 bis
18: "[X.] "[X.]"
shown in [X.]. 6 is made of relatively thin plastic material which is preferably without printed instructions, as the '[X.]'
in this form is intended to be laid in a folded, [X.] brochure or guidance for use which is finally sealed in a transparent plastic packing, [X.] plas-ters.").
Die Klägerin stellt zwar nicht
in Abrede, dass damit eine Karte ohne auf-gedrucktes Anzeigenfeld offenbart ist, sie meint jedoch, die Funktion der [X.] werde in dieser Ausführungsform von der gefalteten, kartenähnlichen Broschüre oder Bedienungsanleitung übernommen, mit der
zusammen
die [X.] verpackt werden soll. Dem kann nicht beigetreten werden. Die ur-sprünglichen [X.] beschreiben unmittelbar und eindeutig im Sinne
der Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteil vom 8. Juli 2010

[X.], [X.], 910

fälschungssicheres Dokument) auch ihre isolierte Verwendung als "[X.]". Dass in den Anmeldungsunterla-18
19
20
-
11
-
gen vorgeschlagen wird, die in [X.]ur
6 gezeigte [X.] zusammen mit anderen Gegenständen zu verpacken, ändert nichts daran, dass die Karte für sich allein genommen als zur Erfindung gehörend offenbart
ist. Ihr Gebrauchs-zweck als Karte zum Entfernen von Zecken besteht unabhängig von der [X.].
Gegenüber dieser Ursprungsoffenbarung ist die vom Streitpatent ge-schützte Lehre weder verallgemeinert noch stellt sie sich als ein Aliud dar. Im Rahmen des Erteilungsverfahrens hatte
es die Anmelderin
vielmehr in der Hand, ihr Schutzbegehren so allgemein und abstrakt zu formulieren, wie es ihr geboten und zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik erforderlich erschien (vgl. nur [X.] in [X.] Gemeinschaftskommentar zum EPÜ, Art.
84 EPÜ Rn.
120
ff., 127; [X.] in Festschrift für [X.], 2006, 495, 502; Busse/[X.], [X.], 6. Aufl., § 34 [X.] Rn. 80).
b) Der Gegenstand von Patentanspruch
1 geht auch nicht dadurch über den Inhalt der ursprünglichen [X.] hinaus, dass keine [X.] der Karte mit mindestens einem folienverpackten Hygieneartikel ([X.]) sowie
einem auf die gleiche Art eingepackten [X.] vorgesehen ist.
Dazu gelten die vorstehenden Ausführungen zum [X.] der ursprünglichen [X.] zur vermeintlichen Notwendigkeit der Ausstattung mit einem Anzeigenfeld entsprechend. Die Klägerin versteht die [X.] zu Unrecht dahin, dass der [X.] entwe-der ein Pflaster und/oder ein Reinigungstuch anhaften müsse oder dass ihr sol-che
Gegenstände innerhalb einer Verpackungseinheit beigegeben sein müss-ten,
um den [X.] der ursprünglichen [X.] nicht zu überschreiten. Dafür bieten die ursprünglichen [X.] keine zureichenden Anhaltspunkte.
Dass die Beigabe solcher Gegenstände 21
22
23
-
12
-
vielmehr fakultativ ist, ergibt sich schon daraus, dass in den Anmeldungsunter-lagen zu [X.]ur
6 lediglich von einzeln verpackten Reinigungstüchern
"und/oder"
Pflastern die Rede ist, die der Verpackung mitsamt der [X.] und Broschüre beigegeben werden "können"
("which furthermore may contain a number of individually packed cleaning tissues 'and/or'
a number of individually packed plasters."). Die
[X.] lassen also bereits offen, ob beide Arten von Gegenständen beigefügt sein sollen und welche im Fall der Beschränkung auf eine Art davon Vorrang haben soll. Das Verständnis, dass der Karte Reinigungstücher und/oder Pflaster nicht auf die eine oder andere Weise beigegeben sein müssen, wird auch dadurch unterstrichen, dass der in den [X.] formulierte Patentanspruch
10 lediglich vorsieht, dass die Karte auf der anderen Seite "vorzugsweise"
mit Folie bedeckte Felder zur Aufnahme eines Desinfektionstuchs und eines Pflasters aufweist
("prefe-rably has two film covered fields, namely a field (38) in which is laid a disinfec-ting tissue (40) and a field (42) in which is laid a plaster (44)").
c) Nicht beigetreten werden kann der
Auffassung der Klägerin, dass,
wenn die [X.] überhaupt isoliert als zur Erfindung gehörend offen-bart angesehen werde, dies jedenfalls nur für eine Ausgestaltung mit einem flexiblen Finger (Bezugszeichen 46 in [X.]ur 6 der ursprünglichen Unterlagen) gelten könne. Dienen in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genann-te Merkmale, die für sich
allein, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestell-ten Erfindung, dann hat
es der Patentinhaber nach der Rechtsprechung des [X.] in der Hand, sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder
sämtlicher dieser Merkmale zu beschränken ([X.], Beschluss vom 23.
Januar 1990

X ZB 9/89, [X.]Z 110, 123, 126 -
[X.]leißkammer). Die [X.] muss lediglich in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der 24
-
13
-
Erfindung entnehmen kann ([X.], Beschluss vom 11.
September 2001

X
ZB
18/00, [X.], 49 -
Drehmomentübertragungseinrichtung). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, weil die besondere Ausgestaltung der Karte mit einem flexiblen Finger nicht erforderlich ist, um den von der Erfin-dung erreichten Erfolg (oben I
2 c) zu gewährleisten. Schon [X.]ur 4 der Anmel-dungsunterlagen zeigt, dass dieser Erfolg jedenfalls nach der der [X.] zugrunde liegenden Vorstellung auch mit einem einfachen Schlitz in einer Ecke der Karte erreicht werden kann. Der Beklagten zu verwehren, die zur Er-zielung dieser Wirkung erforderlichen Maßnahmen in allgemeiner Form zu be-anspruchen, würde sie auch insoweit ohne Grund in der Ausschöpfung des [X.] der ursprünglichen Anmeldung beschränken.
2.
Diese Ausführungen gelten sinngemäß auch für die Patentansprü-che
2 bis 4.
IV.
Die Berufung hat demgegenüber Erfolg, soweit sie gegenüber den Patentansprüchen 1 und 2 den [X.] fehlender Patentfähigkeit gel-tend macht. Denn nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen ist die [X.] zu treffen, dass der Gegenstand dieser Ansprüche dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war (Art. [X.] Abs. 6 Nr. 1 [X.], Art. 138 Abs. 1 lit.
a, Art. 56 EPÜ).
1.
Nach Ansicht des Patentgerichts
ist als Fachmann ein
Techniker an-zusehen, der nicht notwendigerweise über eine akademische
Vorbildung, aber über Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Vorrichtungen für den me-dizinischen Bedarf
verfügt und sich über die an diese Vorrichtungen gestellten Anforderungen gegebenenfalls bei einem Arzt informiert. Dem kann nicht un-eingeschränkt beigetreten werden. Zum einen besteht bei der Bewältigung der streitpatentgemäßen Problemstellung kein medizinisch geprägter [X.], weil das von der Erfindung gelöste Problem, wie ausgeführt (oben I
2
c), 25
26
27
-
14
-
nicht die Verbesserung des Eingriffs der Entfernung von Insekten aus der Haut betrifft, sondern die Ausgestaltung der Vorrichtung
derart, dass sie den in Merkmal
1
formulierten Anforderungen
entspricht. Zum anderen setzt die [X.] verbesserte praktische
Mitführbarkeit und Benutzbarkeit beim Fach-mann ebenso Kenntnisse und ein gewisses Maß an Kreativität bei der Gestal-tung von kleineren, unter das Gesetz über Medizinprodukte fallenden Gegen-ständen des medizinischen Bedarfs voraus, wie auch die Berücksichtigung von [X.] gefragt ist.
2.
Das Patentgericht hat angenommen, dass die fachmännische Weiter-entwicklung einer Vorrichtung mit der vom Streitpatent verfolgten Problemstel-lung vom Gegenstand der D
4 ausgehen wird. Dagegen werden von den [X.] keine Bedenken erhoben und solche sind auch nicht ersichtlich. Die D
4 zeigt in der nachstehend eingefügten [X.]ur 2 eine Vorrichtung, die, wie in der Beschreibung auch erörtert, im Griffbereich eine Öse aufweist, durch die eine Kette gezogen ist, um
den Gegenstand mit einem Schlüsselbund oder einem Anhänger (Beschreibung [X.]. 4 Z. 40
ff.: "information tag
34") zu verbinden.

28
-
15
-
Außerdem wird in der Schrift auf die Möglichkeit hingewiesen, das In-strument in ein Klappmesser oder Nagelpflegeset o.
Ä. zu integrieren. Diesen Vorschlägen liegt ersichtlich das Bemühen zugrunde, für das Instrument dauer-hafte Aufbewahrungsmöglichkeiten anzubieten, damit es im Bedarfsfall stets zur Hand ist. Als nachteilig musste dabei aus fachmännischer Sicht erscheinen, dass die Nutzer es als unbequem empfinden könnten, das Instrument zum Ent-fernen von Zecken ständig am Schlüsselbund zu führen und dessen Volumen zu vergrößern, obwohl der potenzielle Bedarf für seinen Einsatz temporär und lokal begrenzt ist,
und dass sie auch
Gegenstände wie ein Klappmesser schon aus Gewichtsgründen nicht immer mitführen möchten. Das gab Anlass, nach einer alternativen und die Verbraucher als Nutzer ansprechenderen Ausgestal-tung zu suchen, die das Mitführen eines zum Entfernen von Zecken geeigneten Gegenstands in Jacken-, Hosen-
oder Brieftaschen oder ähnlichen Orten (z.B. Portemonnaies)
ermöglicht.
3.
Dabei dokumentieren die im Stand der Technik vorgeschlagenen [X.] aus fachmännischer Sicht, dass die medizinisch-instrumentellen [X.] an einen für die Entfernung von Zecken aus der Haut geeigneten Ge-genstand als recht gering zu veranschlagen
waren und nicht mehr verlangten, als einen räumlichen Gegenstand mit einem spitzwinkligen Schlitz zu versehen und in der Höhe so flach zu halten, dass die Zecke zwischen Kopf und Körper mit den Flanken des [X.] erfasst und mit hebelnden Bewegungen aus der Haut gelöst werden konnte. Soweit die D
4 zum Entfernen der Insekten aus der Haut eine Wölbung der klingenartig geformten Vorrichtung vorsieht, ist aus fachmännischer Sicht leicht zu erkennen, dass eine entsprechende Hebelwir-kung auch durch Kippbewegungen einer auf der Haut aufliegenden Karte entfal-tet werden kann.
4.
Das Instrument durch Verkleinerung attraktiver für die Mitnahme zu gestalten, kam aus fachmännischer Sicht wegen der Zweckanforderung, Ze-29
30
31
-
16
-
cken zu entfernen, von vornherein nicht in Betracht, weil das die [X.] durch den Anwender, namentlich im Zusammenhang mit der Aufbringung von Hebelwirkung, zu sehr erschweren würde.
[X.] sich somit aus Gründen der Funktionalität
nur die Wahl eines größe-ren
Formats
an, so kam doch nur eine Größenordnung infrage, die der Zweck-setzung
einer verbesserten und praktischen Mitführbarkeit insbesondere auch in Brieftaschen oder Portemonnaies
nicht entgegenstand. Bei von vornherein auf diese Weise eingeengten Auswahlmöglichkeiten die äußere Form der [X.] als zweckgerechtes Format zu bestimmen, lag aus fachmännischer, einem
produktgestalterisch ansprechenden und marketingorientierten
Design verpflichteter Sicht (oben IV
2) nahe. Denn schon geraume Zeit vor dem Priori-tätstag war erkannt und in vielfältiger Weise nutzbar gemacht worden, dass Karten im Format von Kredit-
oder Scheckkarten für verschiedenste
Zwecke eingesetzt werden konnten, auch gänzlich außerhalb der ihnen ursprünglich zugewiesenen Funktionen im Bank-
und sonstigen Zahlungsverkehr. Dies be-traf nicht nur die Verwendung für Ausweisfunktionen oder [X.], Zugehörigkeit
zu Bonussystemen o.Ä., sondern auch die Verknüpfung der Karte mit ganz anderen Gebrauchszwecken. So zeigt das [X.]
Ge-brauchsmuster 94
03
952 (D
8) mit einer
Lesehilfe im Scheckkartenformat ein ebenfalls dem [X.] zuzurechnendes Erzeugnis, wobei als besonderer Vorteil herausgestellt
wird, dass dieses
Format eine Unterbringung mit anderen Scheckkarten oder Ausweisen in Brieftaschen oder Geldbörsen ermögliche. Die [X.] [X.] 197
49
755 (D
7) zeigt eine transportable Karteneinheit im Scheckkartenformat mit einem optischen [X.] (Sichtfenster) zum Sichtbarmachen von Informationen von [X.] wie Papieren mit besonderem Druck, Gutscheinen, Losblättern oder Katalogen für das menschliche Auge. Darüber hinaus finden sich folgende [X.] für die Verwendung dieses Formats: als Eiskratzer zum Entfernen [X.]
-
17
-
ner Eisflächen von Windschutzscheiben an Kraftfahrzeugen (US-Patentschrift 5
857
237, D
1), als Schlüsselbehältnis ([X.]s
Gebrauchsmuster 92
12
155, D
2), für eine Messlehre ([X.]s Gebrauchsmuster 296
21
185, D
9), für einen Solarrechner ([X.]s Gebrauchsmuster 297
09
411, D
10), für einen Blinkmechanismus ([X.]s Gebrauchsmuster 296
06
387, D
11), für einen Vielzweckmechanismus ([X.]s Gebrauchsmuster 200
12
055, D
12),
für einen Türschlossenteiser ([X.]s Gebrauchsmuster 200
02
595, D
14),
für eine Testkarte ([X.]
[X.] 195
45
739, D
13). [X.] Beispiele spiegeln wider, dass schon vor dem [X.] ein
breiter pro-duktgestalterischer
Trend eingesetzt hatte, das Scheck-
bzw. Kreditkartenfor-mat
für die Gestaltung verschiedenster kleinerer Gebrauchsartikel
einzusetzen, der dem Fachmann nicht entgehen konnte.
Dass der Gegenstand von Patentanspruch
1 dem Fachmann nahegelegt war, ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht deshalb zweifelhaft, weil die vorstehend aufgezählten Beispiele mit dem Kreditkartenformat grundsätzlich keine dem Gegenstand von Patentanspruch
1 vergleichbare mechanische Wirkweise verknüpften und
dass der einzige Gegenstand, bei dem das im An-satz doch der Fall ist, nämlich bei dem in der D
1 gezeigten
Eiskratzer, hiervon weitab
liegt. Denn in welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fachmann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lö-sung in bestimmter Weise weiterzuentwickeln oder auf andere Bereiche zu übertragen, ist eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung eine Gesamtbe-trachtung aller maßgeblichen Sachverhaltselemente erfordert. Dabei sind nicht etwa nur ausdrückliche Hinweise an den Fachmann erheblich. Vielmehr können auch Eigenarten des in Rede stehenden technischen Fachgebiets, [X.] betreffend die Ausbildung der auf ihm tätigen Fachleuten, die übliche Vorge-hensweise bei der Entwicklung von Neuerungen, technische Bedürfnisse, die sich aus der Konstruktion oder der Anwendung des in Rede stehenden [X.]
-
18
-
stands ergeben und auch nicht-technische Vorgaben eine Rolle spielen ([X.], Beschluss vom 20.
Dezember 2011

X
ZB
6/10, [X.], 378

Installier-einrichtung [X.]). Wie ausgeführt,
gehörte die Wahrnehmung produktgestalteri-scher Ansätze zum Rüstzeug des hier mit der Weiterentwicklung bekannter [X.] betrauten Fachmanns. Vor dem Hintergrund der vielfältigen vorbekann-ten Vorschläge zur
Verwendung des Kreditkartenformats außerhalb von dessen ursprünglicher Funktion zu erkennen, dass dieses Format auch für den Gegen-stand von Patentanspruch
1 nutzbar gemacht werden konnte, erforderte nur ein Maß an Abstraktion und Fantasie, das bei durchschnittlich bewanderten und begabten Fachvertretern
zu erwarten ist.
V. Patentanspruch
2 enthält keine zusätzlichen Merkmale, die ihm ge-genüber Patentanspruch
1 zur Patentfähigkeit verhelfen könnten;
das Patent ist deshalb
in diesem Umfang
ebenfalls für nichtig zu erklären.
VI. Gegen die Patentfähigkeit der Patentansprüche 3 und 4 führt die [X.] keinen Angriff. Diese Ansprüche haben, da sie auch nicht wegen unzu-lässiger Erweiterung für nichtig zu erklären waren (oben [X.]I
1) Bestand, so dass die Berufung insoweit zurückzuweisen ist.
34
35
-
19
-
V[X.]. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
92 Abs.
1, 97 Abs.
1 ZPO iVm
§
121 Abs.
2 Satz
2 [X.].
[X.]
[X.]
Bacher

Hoffmann
Schuster
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 29.03.2011 -
1 Ni 12/09 ([X.]) -

36

Meta

X ZR 72/11

26.04.2012

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. X ZR 72/11 (REWIS RS 2012, 6851)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6851

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 Ni 12/09 (EU) (Bundespatentgericht)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Vorrichtung zum Entfernen einer Zecke oder eines entsprechenden blutsaugenden Insekts (europäisches Patent)" – …


X ZR 85/15 (Bundesgerichtshof)


X ZR 137/15 (Bundesgerichtshof)


X ZR 75/11 (Bundesgerichtshof)


X ZR 112/13 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.