Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.10.2012, Az. 9 AZR 183/11

9. Senat | REWIS RS 2012, 2299

ARBEITSRECHT SCHULEN BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) BEAMTE BEAMTENRECHT OBERVERWALTUNGSGERICHT NORDRHEIN-WESTFALEN

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Gegenstand

Reisekostenerstattungsanspruch einer Lehrerin für eine Klassenfahrt trotz Unterschrift unter den im Dienstreiseantrag vorformulierten Verzicht


Leitsatz

1. Ein Land verstößt als Arbeitgeber gegenüber seinen angestellten Lehrkräften gegen § 242 BGB, wenn es Schulfahrten grundsätzlich nur unter der Voraussetzung genehmigt, dass die teilnehmenden Lehrkräfte formularmäßig auf die Erstattung ihrer Reisekosten verzichten.

2. Diese generelle Bindung der Genehmigung von Schulfahrten an den "Verzicht" auf die Erstattung von Reisekosten stellt die angestellten Lehrkräfte unzulässig vor die Wahl, ihr Interesse an einer Reisekostenerstattung zurückzustellen oder dafür verantwortlich zu sein, dass Schulfahrten, die Bestandteil der Bildungs- und Erziehungsarbeit sind, nicht stattfinden.

Tenor

1. Die Revision des beklagten [X.] gegen das Urteil des [X.]arbeitsgerichts Hamm vom 3. Februar 2011 - 11 Sa 1852/10 - wird zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Reisekostenvergütung anlässlich ihrer Teilnahme an einer Klassenfahrt im September 2008.

2

Die Klägerin ist bei dem beklagten Land als Lehrerin an einer Gesamtschule beschäftigt. Die Parteien sind aufgrund beiderseitiger [X.] an die Tarifverträge im öffentlichen Dienst, insbesondere den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), gebunden. Nach § 23 Abs. 4 TV-L finden für die Erstattung von Reisekosten die für die Beamtinnen und Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Bestimmungen entsprechende Anwendung.

3

Gemäß § 3 des Gesetzes über die Reisekostenvergütung der Beamtinnen, Beamten, [X.]innen und [X.] vom 16. Dezember 1998 ([X.] 738; [X.], im Folgenden: [X.] [X.]) in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung vom 16. November 2004 ([X.] 684) besteht unter den dort beschriebenen Voraussetzungen ein Anspruch auf Reisekostenvergütung. § 3 Abs. 6 [X.] [X.] lautet:

        

„Die Reisekostenvergütung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten schriftlich zu beantragen. Die Frist beginnt mit dem Tage nach Beendigung der Dienstreise oder des [X.], in den Fällen des § 9 Abs. 2 mit Ablauf des Tages, an dem die Dienstreise oder der [X.] beendet worden wäre. [X.] können vor Antritt einer Dienstreise oder eines [X.] schriftlich erklären, dass sie keinen Antrag nach Satz 1 stellen; die Erklärung ist unwiderruflich.“

4

In den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum [X.] ([X.]. des [X.] vom 22. Dezember 1998 in der Fassung des [X.]. vom 15. Dezember 2004, [X.]. [X.] 2005 S. 36; im Folgenden: VVz[X.]) heißt es unter Nr. 6.3 zu § 3 [X.] [X.]:

        

„Der Verzicht auf Reisekosten ist freiwillig. Den [X.]n dürfen keine Nachteile entstehen, wenn sie von der Möglichkeit des Verzichts keinen Gebrauch machen.“

5

In den [X.] ([X.]. des [X.] vom 19. März 1997 in der Fassung des [X.]. vom 20. Juli 2004, [X.] 2008/2009 14 - 12 Nr. 2; Wanderrichtlinien, im Folgenden: [X.]) heißt es ua.:

        

„1. Allgemeines

        

Schulwanderungen und Schulfahrten, Schullandheimaufenthalte, Studienfahrten und internationale Begegnungen - im Folgenden Schulwanderungen und Schulfahrten - sind Bestandteile der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schulen. ...

        

2. Planung und Vorbereitung

        

2.1     

Die Schulen entscheiden über die Durchführung von Schulwanderungen und Schulfahrten in eigener Verantwortung.

        

…       

        
        

2.5     

Den Schülerinnen und Schülern und deren Erziehungsberechtigten ist durch eine frühzeitige Planung Gelegenheit zu geben, die voraussichtlich entstehenden Kosten anzusparen.

        

…       

        
        

3. Genehmigung

        

3.1     

[X.] und Schulfahrten als Schulveranstaltung erteilt die Schulleiterin oder der Schulleiter aufgrund eines rechtzeitig vor Beginn zu stellenden Antrags. Es ist dabei insbesondere zu prüfen, ob die Veranstaltung dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gerecht wird, ob der von der Schulkonferenz vorgegebene Rahmen beachtet wird und ob die Finanzierung gesichert ist.

        

3.2     

Die Schulleiterin oder der Schulleiter genehmigt für die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer die Dienstreise oder den [X.] im Auftrag der Schulaufsichtsbehörde. ...

        

3.3     

Soweit nicht gewährleistet ist, dass [X.] in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen, darf die Dienstreise nur genehmigt werden, wenn die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer und die weiteren Begleitpersonen zuvor schriftlich auf die Zahlung der Reisekostenvergütung verzichten.

        

3.4     

Für den Antrag auf Genehmigung als Schulveranstaltung und die Dienstreisegenehmigung bzw. die Beauftragung weiterer Begleitpersonen ist das als Anlage beigefügte Formblatt zu benutzen.

        

4. Teilnahmepflichten

        

4.1     

Die Teilnahme an Schulwanderungen und Schulfahrten gehört zu den dienstlichen Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer. Die Leitung obliegt in der Regel der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer bzw. der Kursleiterin oder dem Kursleiter, soweit nicht wegen des besonderen Charakters der Veranstaltung die Leitung einer anderen Lehrerin oder einem anderen Lehrer übertragen wird. ...

        

4.2     

Schulwanderungen und Schulfahrten sind Schulveranstaltungen. …

        

…“    

        

6

Die Klägerin war in dem Schuljahr 2008/2009 Klassenlehrerin. Mit Schreiben vom 31. August 2007 beantragte sie für ihre Klasse auf dem Vordruck „Antrag auf Genehmigung von Schulwanderungen und Schulfahrten“ eine Studienfahrt nach [X.]. Das Formular lautet auszugsweise wie folgt:

        

„A.     

Antrag auf Genehmigung als Schulveranstaltung

        

…       

        
        

B.    

Antrag auf Dienstreisegenehmigung bzw. Beauftragung

        

…       

        
        

3.    

Die gem. Nr. 9.1 [X.] zu zahlende(n) Reisekostenvergütung(en) ist/sind durch die für unsere Schule vorgesehenen Haushaltsmittel nicht mehr gedeckt; da die Veranstaltung trotzdem durchgeführt werden soll, verzichte(n) ich/wir gem. Nr. 8.6 [X.] auf die Zahlung der Reisekostenvergütung.“

7

Die Klägerin unterzeichnete beide Anträge. Der Schulleiter genehmigte die Klassenfahrt am 1. September 2007. Wegen fehlender Haushaltsmittel wäre diese ohne die Verzichtserklärung durch die Klägerin nicht genehmigt worden.

8

In der [X.] vom 22. bis zum 26. September 2008 betreute die Klägerin die Klassenfahrt. Für Bustransport, Übernachtung, Verpflegung und den Besuch eines Musicals zahlte sie insgesamt 234,50 Euro. Hiervon erstattete die Schule 28,45 Euro. Der Restbetrag iHv. 206,05 Euro ist Gegenstand der Klage. Mit Schreiben vom 20. Januar 2009 und 5. August 2009 beantragte die Klägerin außergerichtlich die Zahlung von Reisekostenvergütung. Das beklagte Land lehnte dies mit Schreiben vom 27. August 2009 ab.

9

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stehe trotz der Verzichtserklärung ein Anspruch auf Reisekostenvergütung zu. Ein Verzicht sei nicht zulässig. Die Verweisung in § 23 Abs. 4 TV-L verbiete die Heranziehung solcher Bestimmungen, deren Anwendung auf nicht Beamte sinnwidrig wäre. Der von ihr erklärte Verzicht sei nicht freiwillig gewesen, da er im Vordruck des Antrags auf Genehmigung der Schulfahrt zwingend vorgesehen gewesen sei. Das Berufen des beklagten [X.] auf den Verzicht stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 206,05 Euro Reisekostenerstattung nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2010 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, bei der Regelung in § 23 Abs. 4 TV-L handele es sich um eine dynamische Verweisung, die rechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Klägerin habe freiwillig verzichtet. Der Widerruf der Verzichtserklärung sei nicht zulässig.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.]arbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Das beklagte Land verfolgt mit der Revision die Wiederherstellung des [X.] erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

A. Die zulässige Revision des beklagten [X.] ist nicht begründet. Das [X.]arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der streitgegenständlichen Reisekosten zu.

I. Der Anspruch folgt aus § 23 Abs. 4 [X.] iVm. § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 1, §§ 5, 7, 8 und 9 [X.] [X.].

1. Der [X.] findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] kraft Tarifgebundenheit Anwendung.

2. Nach § 23 Abs. 4 [X.] finden für die Erstattung von Reisekosten die [X.]estimmungen, die für die [X.]eamtinnen und [X.]eamten des Arbeitgebers jeweils gelten, entsprechende Anwendung. Solche [X.]lankettverweisungen auf beamtenrechtliche [X.]estimmungen (Gesetze, Verordnungen, Erlasse) in einer Tarifnorm sind nach ständiger Rechtsprechung des [X.] zulässig (vgl. [X.] 11. September 2003 - 6 [X.] - zu I 1 der Gründe mwN, [X.]E 107, 272). Arbeitnehmern soll insoweit dieselbe Rechtsstellung eingeräumt werden wie den [X.]eamten ([X.] 21. November 1996 - 6 [X.] - zu II 1 der Gründe, [X.] 2d § 2 Nr. 1). Die in [X.]ezug genommenen Reisekostenvorschriften gelten aufgrund der Verweisung als tarifliche Rechtsnormen (vgl. [X.] 11. September 2003 - 6 [X.] - zu I 3 der Gründe, aaO), dh. zwischen beiderseits [X.] nach § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] unmittelbar und zwingend. Damit finden die Regelungen des [X.] [X.] einschließlich der hierzu ergangenen Durchführungsverordnungen und Erlasse auf das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] Anwendung.

3. Die danach geltenden Voraussetzungen sind für den streitgegenständlichen Erstattungsanspruch erfüllt.

a) Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] hat der [X.]erechtigte Anspruch auf Reisekostenvergütung zur Abgeltung der dienstlich veranlassten Mehraufwendungen für genehmigte Dienstreisen (§ 1 Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.]). Dazu zählen unter anderem Fahrt- und Übernachtungskosten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 4, §§ 5, 8 [X.] [X.]) sowie Nebenkosten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, § 9 [X.] [X.]), z[X.] im Zusammenhang mit dem [X.]esuch kostenpflichtiger Einrichtungen, und ein Tagegeld für Verpflegungsmehraufwendungen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, § 7 [X.] [X.]).

b) [X.] vom 22. bis zum 26. September 2008 wurde am 1. September 2007 als mehrtägige Dienstreise genehmigt. Zwischen den Parteien besteht auch kein Streit darüber, dass die Aufwendungen der Klägerin in einer Gesamthöhe von 234,50 [X.] notwendig waren (vgl. § 3 Abs. 3 [X.] [X.]). Wegen der teilweisen Erstattung iHv. 28,45 [X.] verbleibt die streitgegenständliche Differenz iHv. 206,05 [X.].

c) Die Klägerin wahrte auch die Ausschlussfristen von sechs Monaten nach § 3 Abs. 6 [X.] [X.] und § 37 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Sie verlangte gegenüber dem beklagten Land mit Schreiben vom 20. Januar 2009 die Erstattung dieser Reisekosten. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 Satz 1 [X.] für die Geltendmachung von Reisekosten überhaupt neben § 3 Abs. 6 [X.] [X.] Anwendung findet.

II. Unentschieden bleiben kann auch, ob der „Verzicht“ der Klägerin sie daran hinderte, einen wirksamen Antrag auf Reisekostenerstattung zu stellen. Jedenfalls ist es dem beklagten Land gemäß § 242 [X.]G[X.] verwehrt, sich auf einen solchen Verzicht zu berufen.

1. Nach § 3 Abs. 6 Satz 3 [X.] [X.] können [X.] vor Antritt einer Dienstreise unwiderruflich schriftlich erklären, dass sie keinen Antrag auf Reisekostenvergütung stellen. Gemäß Nr. 3.4 [X.] ist für den Antrag auf Genehmigung als Schulveranstaltung und die Dienstreisegenehmigung das diesen Richtlinien als Anlage beigefügte Formblatt zu benutzen. Dort kann die [X.]egleitperson erklären, dass die Veranstaltung, obwohl die zu zahlende Reisekostenvergütung durch entsprechende Haushaltsmittel nicht gedeckt sei, trotzdem durchgeführt werden solle, weil anspruchsberechtigte [X.]egleitpersonen auf die Zahlung der Reisekostenvergütung verzichteten, soweit Mittel nicht zur Verfügung stünden. Einen solchen „Verzicht“ erklärte die Klägerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Reisekosten unter Abschn. [X.] Nr. 3 in einem von der Schule vorgelegten Formular.

2. Zwingendes Tarifrecht steht der Wirksamkeit eines solchen „Verzichts“ nicht entgegen. Gemäß § 4 Abs. 3 [X.] dürfen tarifliche Ansprüche auch dispositiv gestaltet werden.

3. Das [X.]arbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dem beklagten Land sei es wegen unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung verwehrt, der Klägerin ihre Verzichtserklärung entgegenzuhalten. Dies stelle nach § 242 [X.]G[X.] eine unzulässige Rechtsausübung dar.

a) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob bei einer bestimmten Sachlage eine unzulässige Rechtsausübung vorliegt, ist in der Revisionsinstanz als Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs nur eingeschränkt darauf überprüfbar, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die maßgebliche Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (vgl. [X.] 9. Dezember 2009 - 10 [X.]/08 - Rn. 34, AP [X.] § 1 Tarifverträge: [X.]au Nr. 318). Die Ausführungen des [X.]arbeitsgerichts halten diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab stand.

b) [X.] Verhalten eines Vertragspartners kann dazu führen, dass ihm die Ausübung eines ihm zustehenden Rechts zu versagen ist, wenn er sich dieses Recht gerade durch treuwidriges Verhalten verschafft hat ([X.]GH 28. Oktober 2009 - IV ZR 140/08 - Rn. 21 mwN, NJW 2010, 289). Ob ein Rechtsmissbrauch gegeben ist, muss anhand der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden ([X.] 18. August 2009 - 9 [X.] - Rn. 37, AP Tz[X.]fG § 8 Nr. 28 = EzA Tz[X.]fG § 8 Nr. 24). Für eine unzulässige Rechtsausübung müssen Umstände vorliegen, die eine Rechtsausübung im Einzelfall als grob unbillige, mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarende [X.]enachteiligung erscheinen lassen, sie also zu einem schlechthin unzumutbaren Ergebnis führt ([X.] 7. November 1995 - 9 [X.] - zu 4 b der Gründe mwN). Die Rechtsausübung muss als solche zu missbilligen sein, weil sie der Verfolgung eines rücksichtslosen Eigennutzes zum Nachteil des Vertragspartners dient. Allerdings ist es noch kein Missbrauch, wenn ein [X.]erechtigter die ihm erkennbaren Interessen des anderen unberücksichtigt lässt ([X.] 13. Juni 2006 - 9 [X.] - Rn. 15, [X.]E 118, 262). Derjenige, der den Rechtsmissbrauch einwendet, ist für die zugrunde liegenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet ([X.] 18. August 2009 - 9 [X.] - aaO).

c) Diese Voraussetzungen einer unzulässigen Rechtsausübung sind nach den Feststellungen des [X.]arbeitsgerichts bezüglich des [X.]erufens auf die Verzichtserklärung erfüllt. Das beklagte Land verletzt damit seine Fürsorgepflicht gegenüber den bei ihm angestellten Lehrkräften. Die Revision hat insoweit keine revisiblen Rechtsfehler des [X.]arbeitsgerichts aufgezeigt. Das [X.]erufungsgericht hat weder den Rechtsbegriff selbst verkannt, noch ist die Subsumtion ohne [X.]erücksichtigung der maßgebenden Umstände erfolgt.

aa) Mit der sich aus den [X.] ergebenden Praxis des beklagten [X.], die an der Klassenfahrt teilnehmenden Lehrer darüber entscheiden zu lassen, ob sie auf die Erstattung ihrer Reisekosten verzichten, damit die Schulveranstaltung stattfinden kann, führt es die Lehrer in einen unzumutbaren Interessenwiderstreit. Nach Nr. 3.3 [X.] darf die Dienstreise, soweit nicht gewährleistet ist, dass [X.] in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen, nur genehmigt werden, wenn ua. die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer zuvor schriftlich auf die Zahlung der Reisekostenvergütung verzichten. Das beklagte Land verstößt mit dieser Koppelung treuwidrig gegen seine gegenüber den Lehrkräften bestehende Fürsorgepflicht.

(1) Schulwanderungen und Schulfahrten sind [X.]estandteile der [X.]ildungs- und Erziehungsarbeit der Schulen (Nr. 1 [X.]). Es handelt sich um Schulveranstaltungen (Nr. 4.2 Satz 1 [X.]). Deshalb sind Schülerinnen und Schüler nach § 43 Abs. 1 SchulG [X.] zur Teilnahme verpflichtet. Für die Lehrerinnen und Lehrer gehört die Teilnahme gemäß Nr. 4.1 [X.] zu ihren dienstlichen Aufgaben. Sie ist Gegenstand ihrer Dienstpflicht (vgl. [X.] 26. April 1985 - 7 [X.] - zu II 2 der Gründe, [X.]E 48, 327). Zudem muss den Lehrern im Interesse einer guten und abwechslungsreichen Unterrichtsgestaltung, zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls und des [X.] Verhaltens der Schüler daran gelegen sein, Schüler- und Klassenfahrten regelmäßig durchzuführen. Diese stellen die Fortführung des Unterrichts in anderer Form dar und dienen der Verwirklichung der staatlichen [X.]ildungsziele (vgl. [X.]ayerischer VGH 2. August 2007 - 14 [X.] 04.3576 - zu 2 c aa der Gründe, Z[X.]R 2008, 270). Das bildungsverantwortliche Land und die Schule haben deshalb grundsätzlich die zur Erfüllung dieser [X.]ildungsziele notwendigen Mittel selbst zur Verfügung zu stellen  92 SchulG [X.]).

(2) Mit der Übertragung der Verantwortung auf die Lehrer, einen Teil dieser Mittel selbst zu tragen oder die Verwirklichung der dem Land gemäß Art. 8 Abs. 1 der [X.] obliegenden [X.]ildungsaufgabe zu beeinträchtigen, bringt das beklagte Land die bei ihm angestellten Lehrer in einen unzumutbaren Gewissenskonflikt. Ihnen wird die staatliche Verantwortung für die Gestaltung eines guten und abwechslungsreichen Unterrichts aus rein fiskalischen Gründen aufgebürdet (vgl. [X.]ayerischer VGH 2. August 2007 - 14 [X.] 04.3576 - zu 2 c aa der Gründe, Z[X.]R 2008, 270).

bb) Auch ist die Entscheidung einer Lehrkraft, nicht auf die Erstattung der Reisekosten zu verzichten und damit die Genehmigung der Klassenfahrt zu verhindern, geeignet, ihr Verhältnis zu den betroffenen Eltern und Schülern und damit auch die pädagogische Tätigkeit zu beeinträchtigen. So ist den Schülerinnen und Schülern und deren Erziehungsberechtigten nach Nr. 2.5 [X.] durch eine frühzeitige Planung Gelegenheit zu geben, die voraussichtlich entstehenden Kosten der Schulwanderung oder Schulfahrt anzusparen. Es ist naheliegend, dass dieser Personenkreis, der die entstehenden Kosten schon ganz oder teilweise angespart hat, kaum Verständnis dafür haben wird, dass die Klassenfahrt nicht stattfindet, weil die Lehrkraft nicht bereit ist, auf die Erstattung ihrer Reisekosten zu verzichten.

cc) Zudem besteht für die Lehrkraft, die sich weigert, eine Verzichtserklärung abzugeben, die Gefahr eines Ansehensverlusts bei der Schulleitung. Damit lassen sich auch weitere nachteilige Auswirkungen auf die dienstliche [X.]eurteilung der Lehrkraft nicht mit Sicherheit ausschließen. Dies hat das beklagte Land auch erkannt und deshalb in Nr. 6.3 VVz[X.] zu § 3 [X.] [X.] bestimmt, dass dem [X.]n, der auf die Erstattung seiner Reisekosten nicht verzichtet, keine Nachteile entstehen dürfen. Dies schützt möglicherweise vor unmittelbaren Nachteilen. Mittelbare nachteilige Auswirkungen lassen sich damit allerdings kaum vermeiden. Jedenfalls ist es verständlich, wenn sich eine Lehrkraft wegen der Gefahr solcher nachteiligen Auswirkungen gezwungen sieht, generell die verlangten Verzichtserklärungen abzugeben.

4. Der Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung steht nicht entgegen, dass tariflich gemäß § 23 Abs. 4 [X.] iVm. § 3 Abs. 6 Satz 3 [X.] [X.], Nr. 3.3 [X.] ein solcher Verzicht generell zulässig ist.

Tarifliche [X.]lankettverweisungen auf [X.]eamtenrecht sollen gewährleisten, dass der Angestellte gegenüber dem vergleichbaren [X.]eamten gleichgestellt wird ([X.] 11. Juli 2012 - 10 [X.] - Rn. 16, [X.] 2012, 582; 11. September 2003 - 6 [X.] - zu II 2 b cc der Gründe, [X.]E 107, 272). Sie sind keine unzulässige Delegation der tariflichen Rechtssetzungsbefugnis, da die Tarifvertragsparteien davon ausgehen können, dass die beamtenrechtlichen Regelungen sachgerecht sind. Denn der Staat ist gegenüber seinen [X.]eamten zur Fürsorge verpflichtet ([X.] 16. Mai 2002 - 8 [X.] - zu [X.] II 2 b der Gründe, Ez[X.]AT [X.]AT §§ 22, 23 M. Lehrer Nr. 103). Stellt die normativ generell zugelassene Praxis gegenüber [X.]eamten aber eine unzulässige Rechtsausübung dar, muss dies für die auf derselben normativen Rechtsgrundlage basierende gleiche Praxis gegenüber Angestellten ebenso gelten.

[X.]. Das beklagte Land hat die Kosten seiner erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    [X.]rühler    

        

    Klose    

        

    Krasshöfer    

        

        

        

    [X.]    

        

    Faltyn    

                 

Meta

9 AZR 183/11

16.10.2012

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Münster, 9. September 2010, Az: 1 Ca 334/10, Urteil

§ 242 BGB, § 23 Abs 4 TV-L, § 3 Abs 6 RKG NW vom 16.11.2004, § 1 Abs 2 RKG NW vom 16.11.2004, § 2 Abs 2 S 1 RKG NW vom 16.11.2004, § 3 Abs 2 S 1 RKG NW vom 16.11.2004

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.10.2012, Az. 9 AZR 183/11 (REWIS RS 2012, 2299)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2299


Verfahrensgang

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Az. 9 AZR 183/11

Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 183/11, 16.10.2012.


Az. 11 Sa 1852/10

Landesarbeitsgericht Hamm, 11 Sa 1852/10, 03.02.2011.


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