Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. IX ZR 202/10

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2759

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 202/10

Verkündet am:

29. September 2011

Kluckow

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2011
durch die Richter
Vill, [X.], Prof. Dr. Gehrlein,
[X.] und die Richterin Möhring

für Recht
erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 27.
Zivilsenats des Oberlan-desgerichts Hamm vom 18.
November 2010 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem auf den [X.] vom 4.
Oktober 2007 über das Vermögen der W.

GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) am 1.
Dezember 2007 eröffneten Insolvenzverfahren. Im [X.] an den Eröff-nungsantrag war der Kläger am 11.
Oktober 2007 zum vorläufigen Insolvenz-verwalter mit Zustimmungsvorbehalt ernannt worden.

Zwischen der Schuldnerin und der
Einzelfirma
W.

bestand eine um-satzsteuerrechtliche Organschaft, bei der die Schuldnerin als Organgesellschaft und die Einzelfirma W.

als Organträger fungierte. Das beklagte [X.] zog aufgrund einer ihm erteilten Einzugsermächtigung von dem bei einer S.

geführten Konto der Schuldnerin am 13.
Juli, 14.
August und 13.
September 2007 Umsatzsteuerbeträge
von insgesamt 55.351,41

e-schäftstätigkeit der Schuldnerin beruhten.
Durch Schreiben vom 15.
Oktober 1
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2007 setzte der Kläger das beklagte [X.] von dem über das Vermögen der Schuldnerin gestellten Insolvenzantrag und von seiner Berufung zum vorläufi-gen Insolvenzverwalter in Kenntnis. Ferner genehmigte er die von dem [X.] vorgenommenen Lastschriften, kündigte aber zugleich an, nach Eröff-nung des Insolvenzverfahrens die Zahlungen im Wege der Anfechtung zurück-zufordern.

Die Vorinstanzen haben -
nach Erstattung eines Betrages von 15.146,17

-
der auf Zahlung von 40.205,24

Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte [X.] sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, in der Genehmigung der [X.] durch den Kläger, die zu einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung geführt habe, liege eine anfechtbare Rechtshandlung. Zu Unrecht berufe sich das beklagte [X.] unter Hinweis
auf die Entscheidung [X.], 391 darauf, nicht Gläubigerin der Schuldnerin, sondern nur des [X.] gewesen zu sein. Die Eigenschaft als Insolvenzgläubiger bestimme sich nach zivilrechtli-chen und nicht nach steuerrechtlichen Maßstäben. Aus der umsatzsteuerrecht-lichen Organschaft ergebe sich, dass sowohl der Organträger als auch die Or-3
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gangesellschaft Steuerschuldner seien. Die nur subsidiäre Haftung der Organ-gesellschaft lasse die Stellung des Finanzamts als deren Insolvenzgläubiger nicht entfallen. Zwar sei ein Haftungsbescheid gegen die Schuldnerin nicht er-gangen. Der Haftungsanspruch entstehe aber mit der Erfüllung der Vorausset-zungen
der Haftungsnorm unabhängig von dem Erlass eines Haftungsbe-scheids, dem nur deklaratorische Bedeutung zukomme. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach §
130 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.] seien gegeben, weil die Beklagte nach dem Inhalt des Schreibens des [X.] vom 15.
Oktober 2007 mit der Genehmigung der Lastschriften auch Kenntnis von dem Eröffnungsan-trag erlangt habe.

Die Insolvenzanfechtung sei nicht wegen einer vorrangigen Anfechtung gegenüber dem Organträger ausgeschlossen. Es gelte nicht der Grundsatz, dass der Insolvenzverwalter stets zuerst gegen den solventen Organträger im Wege der Anfechtung vorgehen müsse. [X.] zwei
Anfechtungsansprüche gleichstufig nebeneinander, liege eine Gesamtschuld (§
426 Abs.
1 BGB) vor. Dann sei es Sache des Insolvenzverwalters, welchen Anfechtungsschuldner er in Anspruch nehme.

II.

Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand. Die Klageforderung findet bereits ihre Grundlage in §
133 Abs.
1 [X.].
Bei dieser Sachlage bedarf es nicht der Prüfung und Entscheidung, ob der von dem [X.] geäußerten Auffassung ([X.], Urteil vom 23.
September 2009 -
VII
R 43/08, [X.], 391) zu folgen ist, wonach in Fällen der vorlie-genden Art eine Deckungsanfechtung (§§
130, 131 [X.])
gegen die Finanzver-6
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waltung ausscheidet. Jedenfalls hat der [X.] in Fällen der vorlie-genden Art die Möglichkeit einer Vorsatzanfechtung nicht ausgeschlossen
([X.], aaO, S.
395).

1.
Nach §
133 Abs.
1 Satz
1 [X.] ist eine Rechtshandlung anfechtbar, welche der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur [X.] der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte.

2. Die anfechtbare Rechtshandlung der Schuldnerin liegt hier in der Mitte November 2007 erfolgten fingierten Genehmigung des von dem beklagten [X.] vorgenommenen [X.].

Bei einer Zahlung im Wege des [X.] liegt die anfechtbare Rechtshandlung erst in der Genehmigung der Lastschrift-buchung, nicht bereits in dieser Buchung selbst, weil die Belastung des Kontos bis zur Genehmigung ohne materielle Wirkung bleibt ([X.], Urteil vom 30.
September 2010 -
IX
ZR 178/09, [X.], 2023 Rn.
21; vom 30.
September 2010 -
IX
ZR 177/07, [X.], 2167 Rn.
11). Die Genehmi-gung ist nicht bereits durch das Schreiben des [X.] vom 15.
Oktober 2007 erteilt worden, weil die Erklärung an das beklagte [X.] und damit den falschen Adressaten gerichtet war. Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion des Nr.
7 Abs.
4 AGB-Spk
waren aber
Mitte November 2007 mit Ablauf von sechs Wochen nach Zugang des Rechnungsabschlusses vom 30.
September 2007 erfüllt ([X.], Urteil vom 30.
September 2010 -
IX
ZR 178/09, [X.], 2023 Rn.
19). Da der Kläger bereits mit Schreiben vom 15.
Oktober 2007 das [X.] über den Insolvenzantrag unterrichtet hatte, wurde die fingierte Ge-8
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6
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nehmigung als anfechtbare Rechtshandlung Mitte November 2007 und damit nach der Antragstellung vorgenommen ([X.], Urteil vom 30.
September 2010 -
IX
ZR 177/07, [X.], 2167 Rn.
14).

3. Der Tatbestand der Vorsatzanfechtung setzt abweichend von §§
130, 131 [X.] nicht voraus, dass der [X.] als Insolvenzgläubiger zu betrachten ist ([X.], Urteil vom 29.
November 2007 -
IX
ZR 121/06, [X.]Z 174, 314 Rn.
14, 17). Vielmehr richtet sich die Vorsatzanfechtung gegen jeden Leis-tungsempfänger.

4. Eine Gläubigerbenachteiligung ist gegeben. Auch soweit die [X.] aus einem nur geduldeten Überziehungskredit erfolgten, liegt eine
Gläubi-gerbenachteiligung vor ([X.], Urteil vom 6.
Oktober 2009 -
IX ZR 191/05, [X.]Z 182, 317 Rn.
11
ff).

5.
Die Schuldnerin hat mit einem von dem beklagten [X.] erkannten Be-nachteiligungsvorsatz gehandelt.

a) Der [X.] ist gegeben, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§
140 [X.]) die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als mutmaßliche Folge -
sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten an-deren Vorteils
-
erkannt und gebilligt hat. Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteili-gungsvorsatz ([X.], Urteil vom 13.
April 2006 -
IX
ZR 158/05, [X.]Z 167, 190, 194 f mwN; vom 20.
Dezember 2007 -
IX
ZR 93/06, [X.], 452 Rn.
19; vom 18.
März 2010 -
IX
ZR 57/09, [X.], 851 Rn.
19; vom 30.
Juni 2011
-
IX
ZR 134/10, [X.], 1429 Rn.
8). In diesem Fall weiß der Schuldner, 11
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7
-
dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen ([X.], Urteil vom 27.
Mai 2003 -
IX
ZR 169/02, [X.]Z 155, 75, 83
f). Im [X.]-punkt der Genehmigung des [X.] Mitte November 2007 war der Schuldnerin -
wie der von ihr zuvor am 4.
Oktober 2007 gestellte [X.] belegt
-
ihre Zahlungsunfähigkeit bekannt. Die Befriedigung des beklagten [X.] bedeutete auch aus der Warte der Schuldnerin zwangsläufig, dass die üb-rigen Gläubiger mit einer geringeren Quote vorlieb nehmen mussten.

b) Kennt der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch, dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzögern. Mithin ist ein solcher Gläubiger zugleich regelmäßig über den [X.]
im Bilde ([X.], Urteil vom 10.
November 2005 -
IX
ZR 211/02, [X.]Z 162, 143, 154; vom 18.
März 2010 -
IX
ZR 57/09, [X.], 851 Rn.
19; vom 30.
Juni 2011, aaO Rn.
21). Das Mitte Oktober 2007 über den Insolvenzantrag unterrich-tete beklagte [X.] erkannte im [X.]punkt der
Mitte November 2007 erfolgten Lastschriftgenehmigung
durch seine maßgeblichen Sachbearbeiter ([X.], Urteil vom 30.
Juni 2011, aaO Rn.
21), dass infolge der ihm zuteil gewordenen Leis-tung die Befriedigung anderer Gläubiger beeinträchtigt werden
würde.
Aufgrund des
bei Vornahme der Rechtshandlung bereits gestellten Eröffnungsantrags
war aus der Warte sowohl der Schuldnerin als auch des beklagten [X.]es eine Rettung des Unternehmens und eine erfolgreiche Fortsetzung seiner Ge-schäftstätigkeit ausgeschlossen. Angesichts der unmittelbar zu erwartenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens
und der von der Schuldnerin dem beklagten [X.] noch nach der Antragstellung gewährten bevorzugten Befriedigung ergibt
sich zwangsläufig,
dass
die
Schuldnerin mit [X.] handelte und das beklagte [X.] dies erkannte.

15
-
8
-
III.

Danach ist die Revision gemäß §
561 ZPO zurückzuweisen, weil sich das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis als zutreffend darstellt.

Kayser
[X.]
Gehrlein

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.] -
I-4 [X.]/09 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 18.11.2010 -
I-27 U 26/10 -

16

Meta

IX ZR 202/10

29.09.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. IX ZR 202/10 (REWIS RS 2011, 2759)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2759

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

I-12 U 18/15

Zitiert

IX ZR 202/10

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