Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2013, Az. XII ZR 59/12

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2188

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
XII ZR 59/12
Verkündet am:
9. Oktober
2013
Breskic
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB §§ 242 [X.], 371
a)
Der Gläubiger verwirkt einen rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruch nicht allein dadurch, dass er über einen [X.]raum von 13 Jahren keinen Voll-streckungsversuch unternimmt.
b)
Zur Herausgabe eines Vollstreckungstitels bei mehreren [X.]n.
[X.], Urteil vom 9. Oktober 2013 -
XII ZR 59/12 -
O[X.]

[X.]-
2
-

Der X[X.] Zivilsenat des [X.] hat am 9. Oktober 2013 durch die
Richter [X.], [X.], Schilling, Dr.
Nedden-Boeger
und Guhling
für Recht erkannt:
Auf die Revision der
Beklagten
wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] in [X.]
vom 20.
April
2012
aufgehoben.
[X.] wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlan-desgericht
zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Beklagte (im
Folgenden: Gläubigerin) erwirkte als gewerbliche Ver-mieterin in den Jahren 1993 und
1994 insgesamt fünf Vollstreckungstitel (Urtei-le und [X.]) gegen den Kläger (im Folgenden: Schuldner) und seinen Mitmieter. Die Forderungen
sind teilweise befriedigt; weitere Zahlungen sind streitig. Der Schuldner
hat die vollständige Tilgung aller
Schuldtitel
behauptet, er verfüge
jedoch über keine Unterlagen und Belege
aus dem fraglichen [X.]raum mehr, da diese bereits vernichtet seien und auch von 1
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der Bank
nicht mehr reproduziert werden könnten.
Der letzte Vollstreckungsversuch hatte in Form einer Wohnungsdurchsu-chung im April
1995
stattgefunden. Danach ruhte
die Angelegenheit,
bis
die Gläubigerin
im Jahr 2008 ein Inkassounternehmen mit der Einziehung der [X.] beauftragte.
Mit seiner Klage hat der Schuldner
die Unzulässigerklärung der Zwangs-vollstreckung und die Herausgabe der Titel verlangt. Das [X.] hat der Klage stattgegeben, weil die titulierten Ansprüche verwirkt seien. Das Oberlan-desgericht hat die Berufung der Gläubigerin
zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich deren vom [X.] zugelassene Revision.

Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur [X.] an das [X.].

I.
Das [X.]
hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt: Die titulierten Ansprüche seien verwirkt. Die Gläubigerin
habe die Forderung über einen langen [X.]raum von 13 Jahren
nicht geltend gemacht. Das außerdem erforderliche Umstandsmoment sei darin verwirklicht, dass der Schuldner
sich darauf eingerichtet habe
und nach den gesamten Um-ständen auch darauf habe einrichten dürfen, dass die Gläubigerin
ihre Rechte 2
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4
-

aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde. Der Schuldner sei nach dem Ablauf von etwa 13
Jahren von 1995 bis zu dem [X.]punkt, als sich das [X.] bei ihm gemeldet habe, nicht mehr in der Lage, die von ihm behauptete Erfüllung der streitgegenständlichen Forderung zu beweisen. Sämtliche schriftlichen Beweismittel stünden nicht mehr zur Verfügung, nach-dem die zehnjährigen Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien.
Die fehlende Sicherung von Belegen zum Nachweis der Erfüllung stelle eine berechtigte Ver-trauensdisposition des Schuldners
dar, wenn der letzte Vollstreckungsversuch mehr als zehn
Jahre zurückliege.
Jedenfalls habe
die Gläubigerin
den Schuld-ner
innerhalb der zehn
Jahre darauf hinweisen müssen, dass ihrer Auffassung nach die titulierten Ansprüche noch nicht vollständig erfüllt seien und er daher weiter mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse.

[X.]
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach der Rechtsprechung
des [X.]
ist der Rechtsge-danke der Verwirkung, der auch im Miet-
und Pachtrecht gilt, ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere [X.] hindurch nicht gel-tend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Annahme einer Verwir-kung setzt somit neben dem [X.]ablauf das Vorliegen besonderer,
ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob eine Verwir-kung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles ([X.]surteile vom 17.
November 6
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-
5
-

2010 -
XII
ZR 124/09
-
NJW 2011, 445 und vom 27.
Januar 2010 -
XII
ZR 22/07
-
NZM 2010, 240 Rn.
32 mwN).
2. Ob
der Ablauf von 13 Jahren, während derer die Titel
nicht vollstreckt wurden, eine
ausreichend lange [X.]spanne darstellt, bei der eine [X.] grundsätzlich in Betracht kommt, kann im Ergebnis ebenso dahin-stehen wie die Frage, ob der Schuldner eine Vertrauensdisposition getroffen hat, indem er die Belege, die nach seinem Vorbringen bereits im Jahr 1997 durch seinen
Steuerberater vernichtet worden
waren, nicht von der [X.] ließ, bevor sie dort gelöscht wurden.
Denn jedenfalls kann dem [X.] nicht in der Annahme
ge-folgt werden, der Schuldner habe sich nach den gesamten Umständen darauf einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde.
a) Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven [X.] zu beurteilen. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass
die-ser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrich-ten durfte, dass
er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche ([X.]Z 25, 47, 52
= NJW 1957, 1358; [X.], 152).
Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] müssen daher zu dem reinen [X.]ablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beru-hende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtferti-8
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gen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen ([X.]Z 105, 290, 298 = NJW 1989, 836; [X.] Urteile vom 18.
Januar 2001 -
VII ZR 416/99
-
NJW 2001, 1649; vom 14.
November 2002 -
VII ZR 23/02
-
NJW 2003, 824 und vom 30.
Oktober 2009 -
V ZR 42/09
-
NJW 2010, 1074). Der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen [X.]ablauf geschaffen werden ([X.] Urteile [X.]Z 43, 289, 292 = NJW 1965, 1532; vom 20.
Dezember 1968
-
V
ZR 97/65
-
WM 1969, 182; vom 29.
Februar 1984 -
VIII
ZR 310/82
-
NJW 1984, 1684 vom 27.
März 2001 -
VI ZR 12/00
-
NZV 2001, 464, 466 und vom 14.
November 2002 -
VII ZR 23/02
-
NJW 2003, 824 juris Rn.
9).
Hinzu kommt, dass es sich hier um titulierte Ansprüche handelt. Lässt ein Gläubiger seinen Anspruch durch Gerichtsurteil titulieren, gibt er bereits dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und sich dazu eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30 Jahren ermöglicht. Bei dieser Ausgangslage liegt die Annahme, ein anschließendes Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den Anspruch endgültig nicht mehr durchsetzen, umso ferner.
Abgesehen davon ist der Schuldner nach etwaiger Erfüllung der Schuld keineswegs schutzlos. Er kann nicht nur eine Quittung beanspruchen (§
368 BGB), sondern auch den Titel selbst vom Gläubiger heraus verlangen (§
371 BGB analog).
b) Nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen liegt
ein vertrauensbegründendes Verhalten der Gläubigerin nicht vor. Nach den An-nahmen
des [X.]s war
die Angelegenheit bei der Gläubigerin au-ßer Kontrolle geraten und deshalb 13
Jahre
lang
unbeachtet geblieben. Das ist kein Umstand, aus dem ein Schuldner das Vertrauen gründen darf, ein titulierter Rechtsanspruch solle nicht mehr durchgesetzt werden.
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-
7
-

Im Übrigen ist das [X.] davon ausgegangen, dass der Schuldner seine Belege
mit der Erwägung vernichtete bzw. die vom [X.] vorzeitig vernichteten Belege nicht
reproduzieren ließ, dass
diese wegen Ablauf der steuerlichen
Aufbewahrungsfristen nicht mehr benötigt würden. [X.] beruht seine Vertrauensdisposition nicht auf Umständen aus der Sphäre der Gläubigerin.
Damit fehlt es insgesamt an einem für die Verwirkung erforderlichen Um-standsmoment.
3. a) Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die angefochtene Ent-scheidung keinen Bestand haben. Der [X.] kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil das [X.] -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig
-
keine Feststellungen zu
der
behaupteten
Erfüllung der Schuld ge-troffen hat.
b) [X.] ist auch nicht teilweise
insoweit
entscheidungsreif, als die Herausgabe der Titel verlangt wird. Entgegen der Revision wird diese
nicht be-reits deshalb zu Unrecht verlangt, weil die
Titel
beim Gläubiger noch zur Voll-streckung gegen einen zweiten Schuldner -
den Mitmieter
-
benötigt würden.
Eine auf §
371 BGB analog gestützte Klage auf Herausgabe der voll-streckbaren Ausfertigung eines unter §
794 ZPO fallenden Titels ist nach gefes-tigter Rechtsprechung des [X.] zulässig, wenn über eine Voll-streckungsabwehrklage rechtskräftig zu Gunsten des [X.] worden ist und die Erfüllung der dem Titel zu Grunde liegenden [X.] zwischen den Parteien unstreitig ist oder vom [X.] zur Über-zeugung des Gerichts bewiesen wird ([X.] Urteil vom 5.
März 2009 -
IX
ZR 141/07
-
NJW 2009, 1671 Rn.
16 mwN). Das gilt entgegen der Revision auch dann, wenn der Titel noch zur Vollstreckung gegen einen weiteren Schuldner 15
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8
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berechtigen könnte. Denn soweit
mehrere Schuldner als Gesamtschuldner ver-urteilt
sind und einer der Gesamtschuldner die Schuld beglichen
hat, bleibt
für den Gläubiger
nichts mehr zu vollstrecken. Soweit sie hingegen nach Kopfteilen verurteilt
sind, sind so viele Ausfertigungen zu erteilen, wie [X.] sind; jede Ausfertigung ist insoweit nur mit der Klausel gegen je einen der Schuldner zu versehen ([X.]/Stöber ZPO 29.
Aufl. §
724 Rn.
12; [X.] in [X.]/[X.] ZPO 33.
Aufl. §
724 Rn.
11; [X.] ZPO 4.
Aufl. §
724 Rn.
10; [X.]/[X.] ZPO 4.
Aufl. §
724 Rn.
8). Der Schuldner könnte daher diejenige Ausfertigung heraus verlangen, die mit der gegen ihn gerichte-ten Vollstreckungsklausel versehen ist. Zur Vollstreckung gegen den anderen Schuldner müsste sich der Gläubiger
eine andere
Ausfertigung mit Vollstre-ckungsklausel nur gegen diesen erteilen lassen.
c) Schließlich erweist sich die Entscheidung auch nicht bereits insoweit als richtig, wie die Beklagte zur Herausgabe der
vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils des [X.]s [X.] vom 23.
Juni 1994 -
326
O 391/93
-
ver-urteilt worden
ist. Zwar ist die diesem Titel zugrunde liegende Schuld unstreitig erfüllt. Es bedarf jedoch noch weiterer
Aufklärung, ob sich die in den Händen 20
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9
-

der Gläubigerin befindliche vollstreckbare Ausfertigung des Titels gegen den Kläger richtet und er deshalb zur Geltendmachung des [X.] aktivlegitimiert ist.
[X.] [X.] Schilling

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 10.11.2011 -
311 [X.]/10 -

O[X.], Entscheidung vom 20.04.2012 -
4 U 159/11 -

Meta

XII ZR 59/12

09.10.2013

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2013, Az. XII ZR 59/12 (REWIS RS 2013, 2188)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2188

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZR 59/12

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