Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.10.2013, Az. XII ZR 59/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2171

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Gegenstand

Klage auf Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung und Titelherausgabe: Verwirkung eines rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruchs wegen Untätigkeit; Herausgabeklage für einen Vollstreckungstitel gegen mehrere Schuldner


Leitsatz

1. Der Gläubiger verwirkt einen rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruch nicht allein dadurch, dass er über einen Zeitraum von 13 Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternimmt.

2. Zur Herausgabe eines Vollstreckungstitels bei mehreren Titelschuldnern.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 20. April 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte (im Folgenden: Gläubigerin) erwirkte als gewerbliche Vermieterin in den Jahren 1993 und 1994 insgesamt fünf Vollstreckungstitel (Urteile und [X.]) gegen den Kläger (im Folgenden: Schuldner) und seinen Mitmieter. Die Forderungen sind teilweise befriedigt; weitere Zahlungen sind streitig. Der Schuldner hat die vollständige Tilgung aller Schuldtitel behauptet, er verfüge jedoch über keine Unterlagen und Belege aus dem fraglichen Zeitraum mehr, da diese bereits vernichtet seien und auch von der Bank nicht mehr reproduziert werden könnten.

2

Der letzte Vollstreckungsversuch hatte in Form einer Wohnungsdurchsuchung im April 1995 stattgefunden. Danach ruhte die Angelegenheit, bis die Gläubigerin im Jahr 2008 ein Inkassounternehmen mit der Einziehung der Forderung beauftragte.

3

Mit seiner Klage hat der Schuldner die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung und die Herausgabe der Titel verlangt. Das [X.] hat der Klage stattgegeben, weil die titulierten Ansprüche verwirkt seien. Das [X.] hat die Berufung der Gläubigerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren vom Senat zugelassene Revision.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

I.

5

Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die titulierten Ansprüche seien verwirkt. Die Gläubigerin habe die Forderung über einen langen [X.]raum von 13 Jahren nicht geltend gemacht. Das außerdem erforderliche Umstandsmoment sei darin verwirklicht, dass der Schuldner sich darauf eingerichtet habe und nach den gesamten Umständen auch darauf habe einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde. Der Schuldner sei nach dem Ablauf von etwa 13 Jahren von 1995 bis zu dem [X.]punkt, als sich das Inkassobüro im [X.] bei ihm gemeldet habe, nicht mehr in der Lage, die von ihm behauptete Erfüllung der streitgegenständlichen Forderung zu beweisen. Sämtliche schriftlichen Beweismittel stünden nicht mehr zur Verfügung, nachdem die zehnjährigen Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien. Die fehlende Sicherung von Belegen zum Nachweis der Erfüllung stelle eine berechtigte Vertrauensdisposition des Schuldners dar, wenn der letzte Vollstreckungsversuch mehr als zehn Jahre zurückliege. Jedenfalls habe die Gläubigerin den Schuldner innerhalb der [X.] hinweisen müssen, dass ihrer Auffassung nach die titulierten Ansprüche noch nicht vollständig erfüllt seien und er daher weiter mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse.

II.

6

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7

1. Nach der Rechtsprechung des [X.] ist der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere [X.] hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem [X.]ablauf das Vorliegen besonderer, ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles ([X.]surteile vom 17. November 2010 - [X.]/09 - NJW 2011, 445 und vom 27. Januar 2010 - [X.] - [X.], 240 Rn. 32 mwN).

8

2. Ob der Ablauf von 13 Jahren, während derer die Titel nicht vollstreckt wurden, eine ausreichend lange [X.]spanne darstellt, bei der eine Anspruchsverwirkung grundsätzlich in Betracht kommt, kann im Ergebnis ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Schuldner eine Vertrauensdisposition getroffen hat, indem er die Belege, die nach seinem Vorbringen bereits im Jahr 1997 durch seinen Steuerberater vernichtet worden waren, nicht von der Bank reproduzieren ließ, bevor sie dort gelöscht wurden.

9

Denn jedenfalls kann dem [X.] nicht in der Annahme gefolgt werden, der Schuldner habe sich nach den gesamten Umständen darauf einrichten dürfen, dass die Gläubigerin ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde.

a) Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche ([X.]Z 25, 47, 52 = NJW 1957, 1358; [X.], 152).

Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] müssen daher zu dem reinen [X.]ablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen ([X.], 290, 298 = NJW 1989, 836; [X.] Urteile vom 18. Januar 2001 - [X.] - NJW 2001, 1649; vom 14. November 2002 - [X.] - NJW 2003, 824 und vom 30. Oktober 2009 - [X.]/09 - NJW 2010, 1074). Der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen [X.]ablauf geschaffen werden ([X.] Urteile [X.]Z 43, 289, 292 = NJW 1965, 1532; vom 20. Dezember 1968 - [X.] - [X.], 182; vom 29. Februar 1984 - [X.]/82 - NJW 1984, 1684 vom 27. März 2001 - [X.], 464, 466 und vom 14. November 2002 - [X.] - NJW 2003, 824 juris Rn. 9).

Hinzu kommt, dass es sich hier um titulierte Ansprüche handelt. Lässt ein Gläubiger seinen Anspruch durch Gerichtsurteil titulieren, gibt er bereits dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und sich dazu eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30 Jahren ermöglicht. Bei dieser Ausgangslage liegt die Annahme, ein anschließendes Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den Anspruch endgültig nicht mehr durchsetzen, umso ferner.

Abgesehen davon ist der Schuldner nach etwaiger Erfüllung der Schuld keineswegs schutzlos. Er kann nicht nur eine Quittung beanspruchen (§ 368 BGB), sondern auch den Titel selbst vom Gläubiger heraus verlangen (§ 371 BGB analog).

b) Nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen liegt ein vertrauensbegründendes Verhalten der Gläubigerin nicht vor. Nach den Annahmen des [X.]s war die Angelegenheit bei der Gläubigerin außer Kontrolle geraten und deshalb 13 Jahre lang unbeachtet geblieben. Das ist kein Umstand, aus dem ein Schuldner das Vertrauen gründen darf, ein titulierter Rechtsanspruch solle nicht mehr durchgesetzt werden.

Im Übrigen ist das [X.] davon ausgegangen, dass der Schuldner seine Belege mit der Erwägung vernichtete bzw. die vom Steuerberater vorzeitig vernichteten Belege nicht reproduzieren ließ, dass diese wegen Ablauf der steuerlichen Aufbewahrungsfristen nicht mehr benötigt würden. Mithin beruht seine Vertrauensdisposition nicht auf Umständen aus der Sphäre der Gläubigerin.

Damit fehlt es insgesamt an einem für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment.

3. a) Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Der [X.] kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil das [X.] - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu der behaupteten Erfüllung der Schuld getroffen hat.

b) [X.] ist auch nicht teilweise insoweit entscheidungsreif, als die Herausgabe der Titel verlangt wird. Entgegen der Revision wird diese nicht bereits deshalb zu Unrecht verlangt, weil die Titel beim Gläubiger noch zur Vollstreckung gegen einen zweiten Schuldner - den Mitmieter - benötigt würden.

Eine auf § 371 BGB analog gestützte Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung eines unter § 794 ZPO fallenden Titels ist nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] zulässig, wenn über eine Vollstreckungsabwehrklage rechtskräftig zu Gunsten des Herausgabeklägers entschieden worden ist und die Erfüllung der dem Titel zu Grunde liegenden Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist oder vom [X.] zur Überzeugung des Gerichts bewiesen wird ([X.] Urteil vom 5. März 2009 - [X.]/07 - NJW 2009, 1671 Rn. 16 mwN). Das gilt entgegen der Revision auch dann, wenn der Titel noch zur Vollstreckung gegen einen weiteren Schuldner berechtigen könnte. Denn soweit mehrere Schuldner als Gesamtschuldner verurteilt sind und einer der Gesamtschuldner die Schuld beglichen hat, bleibt für den Gläubiger nichts mehr zu vollstrecken. Soweit sie hingegen nach Kopfteilen verurteilt sind, sind so viele Ausfertigungen zu erteilen, wie Schuldner vorhanden sind; jede Ausfertigung ist insoweit nur mit der Klausel gegen je einen der Schuldner zu versehen ([X.]/Stöber ZPO 29. Aufl. § 724 Rn. 12; [X.] in [X.]/[X.] ZPO 33. Aufl. § 724 Rn. 11; [X.] ZPO 4. Aufl. § 724 Rn. 10; Prütting/Gehrlein/[X.] ZPO 4. Aufl. § 724 Rn. 8). Der Schuldner könnte daher diejenige Ausfertigung heraus verlangen, die mit der gegen ihn gerichteten Vollstreckungsklausel versehen ist. Zur Vollstreckung gegen den anderen Schuldner müsste sich der Gläubiger eine andere Ausfertigung mit Vollstreckungsklausel nur gegen diesen erteilen lassen.

c) Schließlich erweist sich die Entscheidung auch nicht bereits insoweit als richtig, wie die Beklagte zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils des [X.] vom 23. Juni 1994 - 326 O 391/93 - verurteilt worden ist. Zwar ist die diesem Titel zugrunde liegende Schuld unstreitig erfüllt. Es bedarf jedoch noch weiterer Aufklärung, ob sich die in den Händen der Gläubigerin befindliche vollstreckbare Ausfertigung des Titels gegen den Kläger richtet und er deshalb zur Geltendmachung des Titelherausgabeanspruchs aktivlegitimiert ist.

[X.]                                 Weber-Monecke                        Schilling

                        Nedden-Boeger                                  [X.]

Meta

XII ZR 59/12

09.10.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 20. April 2012, Az: 4 U 159/11

§ 242 BGB, § 371 BGB, § 794 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.10.2013, Az. XII ZR 59/12 (REWIS RS 2013, 2171)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2171

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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