Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2014, Az. IX ZB 23/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7942

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Gegenstand

Restschuldbefreiung im laufenden Insolvenzverfahren: Wegfall des Insolvenzbeschlags für den Neuerwerb


Leitsatz

Nach Erteilung der Restschuldbefreiung im andauernden Insolvenzverfahren entfällt der Insolvenzbeschlag für den Neuerwerb ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungserklärung, auch wenn er von dieser nicht erfasst wäre.

Tenor

Dem weiteren Beteiligten wird Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren ohne Zahlungen aus dem verwalteten Vermögen bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Prof. Raeschke-Kessler LL.M. beigeordnet.

Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 25. Zivilkammer des [X.] vom 1. März 2013 aufgehoben und der Beschluss des [X.] vom 27. November 2012 in der Fassung des [X.] vom 7. Januar 2013 teilweise abgeändert.

Die Nachtragsverteilung wird hinsichtlich der Geltendmachung etwaiger Steuererstattungsansprüche aus Lohn- und Einkommen-steuer und Solidaritätsbeiträgen des Schuldners für die Veranlagungsjahre 2007 und 2008 gegen das zuständige Finanzamt angeordnet.

Der weitergehende Antrag des weiteren Beteiligten - betreffend die Erstattungsansprüche für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 - wird abgelehnt.

Der weitere Beteiligte trägt die Kosten beider Rechtsmittel.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Auf den Antrag des Schuldners wurde am 21. April 2004 über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte als Insolvenzverwalter bestellt. Am 6. September 2010 wurde dem Schuldner nach Ablauf der Abtretungserklärung die Restschuldbefreiung erteilt. Nachdem der Insolvenzverwalter im Hinblick auf etwaige [X.] die [X.] beantragt hatte, hob das Insolvenzgericht am 23. November 2012 das Insolvenzverfahren nach Vollzug der [X.] auf und ordnete in den Beschlüssen vom 23. und 27. November 2012 die [X.] wegen etwaiger Erstattungsansprüche des Schuldners aus der Lohn- und Einkommensteuer und aus den Solidaritätsbeiträgen für die Veranlagungsjahre 2007 bis 2012 gegen das zuständige Finanzamt an, für das Veranlagungsjahr 2012 in Höhe von 10/12 des Erstattungsanspruchs.

2

Auf die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde des Schuldners wegen der Anordnung der [X.] für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 in dem Beschluss vom 27. November 2012 änderte das Insolvenzgericht den Beschluss insoweit ab, als die Aufteilung des [X.]s für das Veranlagungsjahr 2012 nach Maßgabe des Beschlusses des [X.] vom 12. Januar 2006 - [X.] 239/04 - zu erfolgen habe. Im Übrigen half es der Beschwerde nicht ab. Das [X.] wies die Beschwerde zurück, stellte aber den Beschluss vom 27. November 2012 wieder her und ließ die Rechtsbeschwerde zu. Mit der frist- und formgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde will der Rechtsbeschwerdeführer erreichen, dass die Anordnung der [X.] in Bezug auf die [X.] für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 aufgehoben wird.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat - soweit noch von Interesse - ausgeführt: Das Insolvenzgericht habe mit Recht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des [X.] die [X.] auch für die [X.] des Schuldners für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012, für letzteres nur anteilig, angeordnet. Der [X.] sei öffentlich-rechtlicher Natur und unterfalle deswegen nicht der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Nur die Ansprüche, die der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 [X.] unterfielen, unterlägen nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung vor Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr dem Insolvenzbeschlag des § 35 Abs. 1 [X.]. Dass auch der Neuerwerb, der nicht unter die Abtretungsregelung des § 287 Abs. 2 [X.] falle, entgegen § 35 [X.] vor Ablauf des Insolvenzverfahrens nicht in die Masse falle, sondern dem Schuldner zugute kommen solle, lasse sich dem Regelungszweck des § 287 Abs. 2 [X.] nicht entnehmen.

5

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die [X.] durfte gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 [X.] wegen der [X.] des Schuldners gegen das zuständige Finanzamt aus Lohn- und Einkommensteuer und Solidaritätsbeiträgen für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 nicht angeordnet werden, auch wenn die [X.] für diese Veranlagungsjahre ohne die Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 35 Abs. 1 [X.] als Neuerwerb in die Masse gefallen wären, sofern der Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens die Lohnsteuer abgeführt (§ 38 EStG) oder Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer (§ 37 EStG) geleistet hat (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Januar 2006 - [X.] 239/04, [X.], 1127 Rn. 13 ff). Denn nach Ablauf der Abtretungserklärung im April 2010 und der dem Schuldner rechtskräftig erteilten Restschuldbefreiung ist trotz Fortdauer des Insolvenzverfahrens durch § 287 Abs. 2 [X.] zum Ablauf der Abtretungsfrist eine zeitliche Beschränkung der Wirkungen des § 35 Abs. 1 Alt. 2 [X.] eingetreten. Sie gilt entgegen der Ansicht des [X.] nicht nur hinsichtlich des Neuerwerbs, welcher der Abtretungserklärung unterfallen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2009 - [X.] 247/08, [X.]Z 183, 258 Rn. 30 ff, 37), was für die Ansprüche auf Erstattung von Lohn- und Einkommensteuerzahlungen nicht zutraf ([X.], Urteil vom 21. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 163, 391, 392 f; Beschluss vom 12. Januar 2006 - [X.] 239/04, [X.], 1127 Rn. 9), sondern auch für den Neuerwerb, der nicht unter die Abtretung nach § 287 Abs. 2 [X.] gefallen wäre ([X.], Beschluss vom 22. April 2010 - [X.] 196/09, [X.], 577 Rn. 9). Die angefochtene Entscheidung gibt dem Senat keinen Anlass, seine Ansicht zu ändern.

6

a) Nach ganz überwiegender Ansicht in der Literatur steht dem Schuldner, dem die Restschuldbefreiung rechtskräftig vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens erteilt wird, und nicht der Masse der gesamte pfändbare Neuerwerb nach Ablauf der Laufzeit der Abtretung zu ([X.], [X.], 18. Aufl., § 300 Rn. 6; Graf-Schlicker/[X.], [X.], 3. Aufl., § 300 Rn. 12; HK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 299 Rn. 9; [X.]/Lang, [X.], 5. Aufl., § 287 Rn. 15; [X.] in [X.]/Uhländer, [X.], § 300 Rn. 31; HmbKomm-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 299 Rn. 6; FK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 300 Rn. 14; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 35 Rn. 127; [X.] in Kübler/Prütting/Bork, [X.], 2012, § 300 Rn. 6; [X.], [X.], 303289; [X.], [X.], 54, 55; [X.], Z[X.] 2010, 1025, 1037 f; [X.], [X.], 1, 3; [X.], [X.] 2/2010 [X.]. 2; [X.], [X.], 2011, [X.], 499; a.[X.], [X.] 2008, 416, 419; [X.], [X.] 2010, 72, 73 f). Ausgenommen soll nur der Erwerb sein, der dem Grunde nach schon vor dem Ablauf der Laufzeit der Abtretungserklärung angelegt ist ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO § 35 Rn. 127; HK-[X.]/[X.], aaO; [X.], [X.], aaO; [X.], [X.] § 295 1.10; [X.]/[X.], Z[X.] 2013, 1433, 1445). Um einen solchen geht es hier nicht.

7

b) Entgegen der Ansicht des [X.] beschränken sich der Regelungszweck des § 287 Abs. 2 [X.] und die von ihm bewirkte zeitliche Begrenzung der Wirkung des § 35 Abs. 1 Alt. 2 [X.] nicht auf den Neuerwerb, der unter eine andauernde Abtretung nach § 287 Abs. 2 [X.] fiele. Die Vorschrift verfolgt auch den Zweck, dem redlichen Schuldner - auch dem selbstständig tätigen - sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen ([X.], Beschluss vom 3. Dezember 2009 - [X.] 247/08, [X.]Z 183, 258 Rn. 20, 21; vom 11. April 2013 - [X.] 94/12, [X.], 601 Rn. 10). Dieser Zweck wird nicht erreicht, wenn ihm die hierfür notwendigen Mittel genommen werden. Zu diesen Mitteln zählen nicht nur die von der Abtretungserklärung umfassten Bezüge, sondern der gesamte Neuerwerb. Anderenfalls wäre etwa dem selbstständig tätigen Schuldner, dessen Einkünfte von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 [X.] in der Regel nicht erfasst werden ([X.], Urteil vom 15. Oktober 2009 - [X.], [X.], 72 Rn. 11 ff), ein wirtschaftlicher Neuanfang nicht möglich, wenn der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit nicht nach § 35 Abs. 2 [X.] freigegeben hat.

8

c) Dieses Verständnis (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2009 - [X.] 247/08, [X.]Z 183, 258; vom 22. April 2010 - [X.] 196/09, [X.], 577) hat sich im Übrigen der Gesetzgeber mit der ab dem 1. Juli 2014 geltenden Neuregelung zu Eigen gemacht. Nach § 300a [X.] nF gehört das Vermögen, das der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse, sofern dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt wird. Entsprechendes gilt, wenn dem Schuldner die Restschuldbefreiung vorzeitig unter den Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 [X.] nF erteilt wird.

Kayser                     Vill                          Lohmann

                [X.]                   Möhring

Meta

IX ZB 23/13

13.02.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Düsseldorf, 1. März 2013, Az: 25 T 14/13

§ 35 Abs 1 InsO, § 203 Abs 1 Nr 3 InsO, § 203 Abs 2 InsO, § 287 Abs 2 S 1 InsO, § 300 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2014, Az. IX ZB 23/13 (REWIS RS 2014, 7942)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7942

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