Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.01.2014, Az. 1 ABR 57/12

1. Senat | REWIS RS 2014, 8782

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Gegenstand

Mitbestimmung bei betrieblicher Lohngestaltung


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des [X.] vom 8. Juni 2012 - 12 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. [X.]ie Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Änderung betrieblicher [X.]ntlohnungsgrundsätze.

2

[X.]ie zu 2. beteiligte Arbeitgeberin betreibt eine psychiatrische Privatklinik mit rund 1.100 Arbeitnehmern. Antragsteller ist der dort gewählte Betriebsrat.

3

Bis [X.]nde des Jahres 1992 war die Arbeitgeberin Mitglied im [X.]. Im November 2004 legte sie allen Arbeitnehmern [X.]ormulararbeitsverträge vor, in denen die Vergütung neu geregelt wurde. [X.]iese setzte sich aus der [X.]rundvergütung, [X.]unktionszulagen, [X.], [X.] und [X.]inmalzahlungen zusammen. Zu Letzteren gehörte eine jährliche [X.]ewinnbeteiligung, die auf der [X.]rundlage der Bilanz des [X.] erfolgen sollte. [X.]azu hatte die Arbeitgeberin 50 % des in dieser Bilanz ausgewiesenen Jahresüberschusses in einen [X.]onds einzubringen. [X.]ie Verteilung des [X.]onds sollte in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden, die bisher allerdings nicht zustande gekommen ist. [X.]ie veröffentlichten Handelsbilanzen der Arbeitgeberin wiesen seit dem Jahre 2004 keine Überschüsse aus. [X.]twa 90 % der Arbeitnehmer unterzeichneten die neuen Arbeitsverträge.

4

Im Januar 2010 unterbreitete die Arbeitgeberin den Arbeitnehmern Änderungsangebote, nach denen die vereinbarte [X.]ewinnbeteiligung gegen eine [X.]inmalzahlung iHv. 3.000,00 [X.]uro ersatzlos entfallen sollte. [X.]iese Angebote wurden von einer nicht näher festgestellten Vielzahl von Arbeitnehmern angenommen.

5

[X.]er Betriebsrat hat geltend gemacht, der Abschluss der Änderungsverträge sei mitbestimmungspflichtig. [X.]ie im Jahre 2004 mit der überwiegenden Belegschaft vereinbarte [X.]ewinnbeteiligung stelle einen [X.]ntlohnungsgrundsatz dar, der integraler Bestandteil des Vergütungssystems der Arbeitgeberin sei.

6

[X.]er Betriebsrat hat zuletzt beantragt,

festzustellen, dass die Herausnahme der [X.]ewinnbeteiligung aus den individuellen Arbeitsverträgen der Arbeitnehmer dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt;

hilfsweise

festzustellen, dass im Betrieb der Arbeitgeberin derzeit einzig der [X.]ntlohnungsgrundsatz bzw. die [X.]esamtvergütungsstruktur nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] gilt, wie er im Tarifvertrag id[X.] des [X.] vom 28. Juli 2003 zur Änderung und [X.]rgänzung der Teile C, [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] des [X.] vom 29. Mai 1991 id[X.] vom 20. Mai 1999 zwischen dem Verband der Privaten [X.]rankenanstalten Niedersachsen e. V. und der Vereinigten [X.]ienstleistungsgewerkschaft ver.di, [X.] festgelegt worden ist.

7

[X.]ie Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.

8

[X.]ie Vorinstanzen haben dem Hauptantrag des Betriebsrats entsprochen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihren Abweisungsantrag weiter.

9

B. [X.]ie Rechtsbeschwerde ist unbegründet. [X.]as [X.] hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zu Recht zurückgewiesen.

I. [X.]er Hauptantrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig.

1. Nach dem gesamten Vorbringen des Betriebsrats ist der Hauptantrag auf die [X.]eststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der Änderung von [X.]ntlohnungsgrundsätzen durch die Arbeitgeberin gerichtet. [X.]ine solche sieht er in der Streichung der arbeitsvertraglich vereinbarten [X.]ewinnbeteiligung gegen Zahlung eines [X.]inmalbetrags von 3.000,00 [X.]uro. [X.]ntgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist [X.]egenstand des Antrags nicht die [X.]rage, ob die [X.]ortgeltung der in den Arbeitsverträgen zugesagten [X.]ewinnbeteiligung für die Arbeitnehmer günstiger ist als die von der Arbeitgeberin angebotene [X.]inmalzahlung in Höhe von 3.000,00 [X.]uro. Hierfür enthält der für die Antragsauslegung maßgebliche Vortrag des Betriebsrats keine Anhaltspunkte.

2. [X.]er so verstandene Antrag des Betriebsrats ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. [X.]ie Arbeitgeberin kann erkennen, in welcher Angelegenheit der Betriebsrat für sich ein Mitbestimmungsrecht reklamiert. [X.]er Antrag ist auch nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. [X.]r ist auf die [X.]eststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses der Beteiligten gerichtet, zwischen denen ein Streit über das Bestehen und den Umfang eines Mitbestimmungsrechts bei der betrieblichen Lohngestaltung besteht (BA[X.] 5. März 2013 - 1 [X.] - Rn. 10). Hierfür besitzt der Betriebsrat das erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger [X.]eststellung. [X.]iese ist geeignet, den [X.]onflikt der Beteiligten in dieser Angelegenheit endgültig beizulegen.

II. [X.]er Antrag ist begründet. [X.]ie von der Arbeitgeberin den Arbeitnehmern angebotene [X.]inmalzahlung in Höhe von 3.000,00 [X.]uro als [X.]egenleistung für deren Verzicht auf eine [X.]ewinnbeteiligung stellt eine mitbestimmungspflichtige Änderung bestehender [X.]ntlohnungsgrundsätze dar.

1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] hat der Betriebsrat in [X.]ragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von [X.]ntlohnungsgrundsätzen und der [X.]inführung und Anwendung von neuen [X.]ntlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen.

a) [X.]ie betriebliche Lohngestaltung betrifft die [X.]estlegung abstrakter [X.]riterien zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers, die dieser zur Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder sonst mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt erbringt. [X.]ntlohnungsgrundsätze bestimmen das System, nach dem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. [X.]er Mitbestimmung unterliegt die [X.]inführung von [X.]ntlohnungsgrundsätzen und deren Änderung durch den Arbeitgeber. [X.]abei kommt es für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen [X.]rundlage die Anwendung der bisherigen [X.]ntlohnungsgrundsätze erfolgt ist, ob etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Maßgeblich ist nicht der [X.]eltungsgrund der [X.]ntgeltleistung, sondern das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands (BA[X.] 17. Mai 2011 - 1 [X.] - Rn. 15 ff.).

b) [X.]as Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] erstreckt sich nicht auf die arbeitsvertraglich vereinbarten [X.]ntgelte der Arbeitnehmer. Betreffen solche Abreden die [X.]ntgelthöhe, sind sie der [X.] der Betriebsparteien grundsätzlich entzogen. Stellt der Arbeitgeber dagegen für die individualrechtlich versprochene Vergütung einen besonderen [X.]otierungsrahmen zur Verfügung, unterliegt dessen Verteilung bei Vorliegen eines kollektiven Tatbestands dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] (BA[X.] 30. Oktober 2012 - 1 [X.] - Rn. 27).

2. Nach diesen [X.]rundsätzen ist die den Arbeitnehmern angebotene Aufhebung der vertraglich vereinbarten [X.]ewinnbeteiligung gegen Zahlung eines [X.] von 3.000,00 [X.]uro nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] mitbestimmungspflichtig.

a) [X.]ie Streichung der [X.]ewinnbeteiligung führt zu einer Änderung der bei der Arbeitgeberin geltenden [X.]ntlohnungsgrundsätze.

aa) [X.]ie [X.]nde des Jahres 2004 von der nicht mehr tarifgebundenen Arbeitgeberin mit der überwiegenden Zahl der Arbeitnehmer vereinbarte [X.]ewinnbeteiligung war Teil der vertraglich vereinbarten [X.]esamtvergütung. [X.]iese setzte sich ab diesem Zeitpunkt aus der [X.]rundvergütung, [X.]unktionszulagen, [X.], [X.] und [X.]inmalzahlungen zusammen. Zu Letzteren gehörte die [X.]ewinnbeteiligung. [X.]iese von der [X.] Arbeitgeberin festgesetzte [X.]esamtvergütung stellte ab November 2004 einen betrieblichen [X.]ntlohnungsgrundsatz dar. [X.]urch die Aufhebung des Anspruchs auf [X.]ewinnbeteiligung im Januar 2010 hat sie einen [X.]ntgeltbestandteil dieser [X.]esamtvergütung beseitigt und damit die bis dahin geltenden [X.]ntlohnungsgrundsätze geändert (vgl. dazu BA[X.] 15. April 2008 - 1 [X.] - Rn. 25, BA[X.][X.] 126, 237). [X.]iese Änderung der für die Verteilung der [X.]esamtvergütung aufgestellten [X.]ntlohnungsgrundsätze erfolgte abstrakt-generell für alle Anspruchsinhaber gegen Zahlung eines [X.]. Sie hatte damit einen kollektiven Bezug. [X.]ie Besonderheiten einzelner Arbeitsverhältnisse spielten keine Rolle. [X.]ür das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] kommt es auch nicht darauf an, ob der Betriebsrat an dem im Jahre 2004 aufgestellten [X.]ntlohnungsgrundsatz mitgewirkt hat oder nicht. [X.]ie fehlenden [X.]eststellungen des [X.]s hierzu stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. [X.]ür die Mitbestimmung bei der Änderung bestehender [X.]ntlohnungsgrundsätze ist nicht maßgeblich, auf welcher rechtlichen [X.]rundlage deren Anwendung erfolgte (BA[X.] 22. Juni 2010 - 1 [X.] - Rn. 22, BA[X.][X.] 135, 13).

bb) [X.]ntgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht der Zuordnung der [X.]ewinnbeteiligung zur [X.]esamtvergütung nicht entgegen, dass über die Verteilung des Jahresüberschusses bislang noch keine gesonderte Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden und mangels ausgewiesenem Jahresüberschuss auch noch keine Auszahlung erfolgt ist. [X.]ie Arbeitgeberin berücksichtigt insoweit nicht genügend, dass die Arbeitnehmer nach den Änderungsverträgen vom November 2004 unabhängig vom Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung einen Anspruch auf die [X.]ewinnbeteiligung hatten. [X.]ie Verteilung eines in der Bilanz ausgewiesenen [X.]ewinns hätte die Arbeitgeberin in [X.]rmangelung einer kollektiven Regelung gemäß § 315 Abs. 1 B[X.]B nach billigem [X.]rmessen vornehmen müssen (vgl. dazu BA[X.] 12. Oktober 2011 - 10 [X.] - BA[X.][X.] 139, 283).

b) [X.]as Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin unabhängig davon, ob die anstelle der [X.]ewinnbeteiligung angebotene [X.]inmalzahlung in Höhe von 3.000,00 [X.]uro für den einzelnen Arbeitnehmer günstiger ist. [X.]as [X.]ünstigkeitsprinzip steht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] nicht entgegen (vgl. BA[X.] 26. August 2008 - 1 [X.] - Rn. 21, BA[X.][X.] 127, 297). Hierbei handelt es sich um eine [X.]ollisionsregel für die [X.]älle, in denen Betriebsvereinbarungen und individualrechtliche Absprachen denselben [X.]egenstand unterschiedlich regeln. [X.]as [X.]ünstigkeitsprinzip führt dabei nicht zur Unwirksamkeit der kollektiven Regelung, sondern nur dazu, dass sich der Arbeitnehmer trotz des Bestehens einer unmittelbar und zwingend wirkenden Regelung auf eine ihm günstigere einzelvertragliche Abrede berufen kann ([X.]itting 27. Aufl. § 77 Rn. 196).

III. Nachdem bereits der Hauptantrag begründet ist, fällt der Hilfsantrag des Betriebsrats dem Senat nicht zur [X.]ntscheidung an. [X.]er Hilfsantrag ist nur für den [X.]all gestellt, dass der Betriebsrat nicht bereits mit dem Hauptantrag durchdringt.

        

    Schmidt    

        

    [X.]och    

        

    Linck    

        

        

        

    Schäferkord    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 ABR 57/12

14.01.2014

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Hannover, 11. Oktober 2011, Az: 10 BV 9/11, Beschluss

§ 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 4 Abs 3 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.01.2014, Az. 1 ABR 57/12 (REWIS RS 2014, 8782)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8782

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