Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.03.2018, Az. 4 StR 158/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 13064

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:010318U4STR158.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL

4
StR
158/17

vom
1. März 2018
in der Strafsache
gegen

wegen fahrlässiger Tötung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom 1. März
2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am [X.]
Sost-Scheible,

[X.] am [X.]
Cierniak,
[X.],
[X.],
Dr. Quentin

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

in der Verhandlung

,
Oberstaatsanwältin beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreter des
[X.]s,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 1.
Dezember 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a)
soweit der Angeklagte im Fall
II.
2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;
b)
im Rechtsfolgenausspruch.
2.
Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichne-te Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen aufge-hoben.
3.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere [X.] des Land-gerichts zurückverwiesen.
4.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird [X.].
Von Rechts wegen
Gründe:
Die [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen Nötigung in Tatein-heit mit Beleidigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Außerdem 1
-
4
-
hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und h-ren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gegen die An-nahme einer fahrlässigen Tötung im Fall
II.
2 der Urteilsgründe und gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel wird vom [X.] ver-treten. Die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten ist auf die Sachrüge gestützt.
Die Rechtsmittel haben den aus der Urteilsformel ersicht-lichen Erfolg.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Am 13.
Januar 2015 fuhr der Angeklagte auf der Bundesstraße
43 in [X.] mit einem Pkw der Marke [X.], Typ
A
3,
sehr dicht auf das vorausfahrende Fahrzeug der Geschädigten B.

auf, nachdem diese zuvor
auf die Abbiegespur in Richtung [X.] gewechselt war. Während des gesamten sich anschließenden [X.] versuchte er die Geschädigte verkehrs-widrig über den Standstreifen zu überholen. Als die Geschädigte danach nach links abbiegen wollte, überholte
sie der Angeklagte rechts, setzte sich vor sie, bremste sie aus
und hielt an der Lichtzeichenanlage an. Sodann stiegen der Angeklagte und sein Beifahrer aus und begaben sich zu der in ihrem Fahrzeug sitzenden Geschädigten, die aus Angst sofort die Fahrzeugtüren verriegelte.
ahrzeug und entfernte sich.
2
3
-
5
-
2.
Am Abend des 22.
April 2015 gegen 22.25
Uhr befuhr der Angeklagte mit einem gemieteten Pkw der Marke [X.], Typ 530d,

n-Tankstelle mit seinen Freunden A.

und Q.

zu treffen. Den Anschnallgurt
hatte er hinter seinem Rücken in das Gurtschloss gesteckt, sodass er unan-Fahrtrichtung des Angeklagten zweispurig ausgebaut; die zulässige Höchst-geschwindigkeit beträgt 70
km/h. In der Gegenrichtung ist die Straße dreispurig ausgebaut, wobei die linke Fahrspur zum Abbiegen auf die Auffahrt zur BAB
A
5 dient und die stadteinwärts verlaufenden Fahrspuren an der späteren
Unfallstelle kreuzt. Ca.
158
Meter vor der [X.] befindet sich
aus der Sicht des Angeklagten
eine weitere (erste) Kreuzung. Beide sind mit Licht-zeichenanlagen versehen. Auf den jeweiligen Fahrspuren sind Detektoren in die Fahrbahn eingelassen, die sich
in der Fahrtrichtung des Angeklagten jeweils 32
Meter vor der Haltelinie
befinden.
Der Angeklagte befuhr mit seinem Fahrzeug die rechte Fahrspur und überholte kurz vor der Lichtzeichenanlage der ersten Kreuzung den auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Pkw der Marke [X.], Typ
A
6,
seiner Freunde A.

und Q.

. Anschließend missachtete er die Lichtzeichenanlage der
ersten Kreuzung, die

wie der Angeklagte auch wahrnahm

seit dem [X.] des zugehörigen Detektors Rotlicht zeigte und zuvor fünf Sekunden Gelb-licht gezeigt hatte. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca.
142
km/h fuhr der Angeklagte sodann auf gerader Strecke auf der rechten Fahrspur [X.] in Richtung der [X.]. Deren Lichtzeichenanlage zeigte für den Angeklagten
bereits seit sieben Sekunden Rotlicht, nachdem sie zuvor fünf [X.] gezeigt hatte. Der Angeklagte passierte
die Lichtzeichenanla-ge unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei Rotlicht, 4
5
-
6
-
was er auch wahrnahm. Anschließend stieß er mit dem Pkw der Marke [X.], Typ
A
4,
des Geschädigten H.

zusammen, der aus der Gegenrichtung
kommend bei [X.] in Richtung der Autobahnauffahrt abbiegend [X.] war und vorfahrtsberechtigt die Fahrbahn des Angeklagten
kreuzte. Dabei fuhr der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von ca.
142
km/h ungebremst in die rechte Seite des Fahrzeugs des Geschädigten, der noch an der Unfallstelle seinen dadurch erlittenen Verletzungen erlag. Sein Fahrzeug wurde vollständig zerstört. Der Angeklagte wurde bei dem Unfall nur leicht verletzt.
Dem Angeklagten war beim Passieren der Rotlicht zeigenden Lichtzei-chenanlage an der [X.] und beim Einfahren in den Kreuzungsbe-reich zwar bewusst, dass möglicherweise vorfahrtsberechtigter Verkehr in die [X.] einfahren könnte. Er vertraute aber aufgrund des wenigen [X.] sowie seiner hohen Geschwindigkeit fest darauf, dass es ihm gelingen würde, die Kreuzung vor Einfahren eines möglichen [X.] bereits geräumt zu haben. Das Herannahen des Fahrzeugs des Geschädigten H.

nahm er aufgrund der räumlichen Verhältnisse bis zu dessen unmittel-
baren Einfahren in den Kreuzungsbereich nicht wahr.
3.
Die [X.] hat die unter II.
1 der Urteilsgründe festgestellte Tat als Nötigung (§
240 StGB) in Tateinheit mit Beleidigung (§
185 StGB) ge-wertet. Wegen der unter II.
2 festgestellten Tat hat sich der Angeklagte nach Meinung des [X.] der fahrlässigen Tötung (§
222 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs

315c Abs.
1 Nr.
2a StGB)
schuldig gemacht.
6
7
-
7
-
II.
Die auf die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vor-sätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs im Fall
II.
2 der Urteilsgründe und den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1.
Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Verurteilung im Fall
II.
2 der
Urteilsgründe und den Rechtsfolgenausspruch
beschränkt.
a)
Ob der Rechtsmittelführer nur einzelne abtrennbare Teile eines Urteils angreifen will, ist eine Frage, die im Zweifelsfall im Wege der Auslegung seiner Rechtsmittelerklärungen zu beantworten ist (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Februar 2017

4
StR
481/16, [X.], 105, 106; Beschluss vom 21.
Oktober 1980

1
StR
262/80, [X.]St 29, 359, 365
[zu §
318 StPO]). Dabei kann die Auslegung der Revisionsbegründung auch bei einem unbeschränkten Revisi-onsantrag eindeutig zu dem Ergebnis führen, dass der Beschwerdeführer

im Wi[X.]pruch zu seinem Antrag

bestimmte [X.] von seinem Rechtsmit-telangriff ausnehmen will. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem [X.] um die Staatsanwaltschaft handelt (st. Rspr.;
vgl. [X.], Urteile
vom 18.
Dezember 2014

4
StR
468/14, [X.], 88; vom 11.
Juni 2014

2
StR
90/14,
NStZ-RR 2014, 285; vom 7.
August
1997

1
StR
319/97, [X.], 210).
b)
Zwar hat die Staatsanwaltschaft die uneingeschränkte Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt.
Die Auslegung ihrer Revisionsbegründung ergibt aber, dass lediglich die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung u.a. im Fall
II.
2 der Urteilsgründe und der Rechtsfolgenausspruch angegriffen werden. 8
9
10
11
-
8
-
Die von der Beschwerdeführerin zum Schuldspruch erhobenen Einzelbean-standungen betreffen ausschließlich die Annahme einer fahrlässigen Tötung im Fall
II.
2 der Urteilsgründe und die damit verbundene Verneinung eines beding-ten Tötungsvorsatzes. Außerdem wird beanstandet, dass eine rechtskräftige Vorverurteilung bei der Prüfung schädlicher Neigungen unberücksichtigt geblie-ben und in Bezug hierauf eine Einbeziehung nach §
31 Abs.
2 und 3 [X.] nicht geprüft worden
sei.
Gegen den Schuldspruch wegen Nötigung und Beleidigung im Fall
II.
1 der Urteilsgründe werden hingegen keine Einwendungen erhoben. Diese Beschränkung der Revision ist auch wirksam; es
liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung zwischen beiden Schuldsprüchen ergeben könnte. Die [X.] ist, obgleich auch sie nicht ausdrücklich beanstandet worden ist, vom Rechtsmittelangriff umfasst, weil sie an die Verurteilung im Fall
II.
2 der Urteilsgründe anknüpft.
2.
Die Erwägungen, mit
denen die [X.] im Fall
II.
2 der Ur-teilsgründe die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint und be-wusste Fahrlässigkeit bejaht hat, halten auch unter Berücksichtigung des ein-geschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. [X.], Urteile
vom 12.
Januar 2017

1
StR
360/16, juris Rn.
10; vom 18.
September 2008

5
StR
224/08, [X.], 401, 403; vom 20.
Juni 2013

4
StR
159/13, juris Rn.
19) einer Überprüfung nicht stand.
a)
In rechtlicher Hinsicht ist ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende
Folge seines Handelns erkennt

Wissenselement

und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der [X.] auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein

Willenselement

(vgl. [X.], Urteil vom 27.
Juli 2017

3
StR
172/17, [X.], 37, 38; vom 8.
Dezember 12
13
-
9
-
2016

1
StR 351/16, [X.], 277, 279; vom 7.
Juli 2016

4
StR
558/15, [X.]R StGB §
212 Abs.
1 Vorsatz, bedingter
67; vom 14.
August 2014

4
StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3383; vom 22.
März 2012

4
StR
558/11, [X.]St 57, 183, 186;
jeweils mwN). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einver-standen ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. [X.], Urteile
vom 14.
Januar 2016

4
StR
72/15, [X.], 211, 215; vom 30.
April 2014

2
StR
383/13, [X.], 300, 301; vom 22.
März 2012

4
StR
558/11, [X.]St 57, 183, 186; vom 16.
Oktober 2008

4
StR
369/08, [X.]R StGB §
212 Abs.
1 Vorsatz, bedingter 63).
b)
Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdi-gung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. [X.], Urteile vom 7.
Juli 2016

4
StR
558/15, [X.]R StGB
§
212 Abs.
1 Vorsatz, bedingter
67; vom 16.
September 2015

2
StR
483/14, [X.], 25, 26).
Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs-
oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der [X.] regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des [X.] auseinan[X.]etzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände

insbesondere die konkrete Angriffs-weise

mit in Betracht zieht (vgl. [X.], Urteile
vom 14.
Januar 2016

4
StR 84/15, [X.], 79, 80; vom 18.
Oktober 2007

3
StR
226/07,
NStZ 2008, 93
f.; vom 22.
März 2012

4
StR
558/11, [X.]St 57, 183, 186
f.). Dabei 14
15
-
10
-
ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens-
als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes (vgl. [X.], Urteile
vom 14.
Januar 2016

4
StR
84/15, [X.], 79, 80; vom 16.
Mai 2013

3
StR
45/13, [X.], 242, 243; Beschluss vom 26.
April 2016

2
StR
484/14, [X.], 22, 23). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines [X.]s sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit be-dingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. [X.], Urteil vom 15.
Oktober 1986

2
StR
311/86, [X.]R StGB §
15 Vorsatz, bedingter
1

Willenselement; Beschluss vom 7.
März 2006

4
StR
25/06, [X.], 446). Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. [X.], Urteil vom 26.
November 2014

2
StR
54/14, [X.], 516, 517; Beschluss vom 10.
Juli 2007

3
StR
233/07, [X.], 307; Beschluss vom 27.
August 2013

2
StR
148/13, [X.], 35).
Ein wesentlicher vorsatzkritischer Gesichtspunkt ist in Fällen, in denen dies

wie hier

naheliegt, die Eigengefährdung des [X.]. Dabei ist von fol-genden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der
Vornahme einer fremdgefährden-den Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht (vgl. [X.], Urteil vom 20.
Juni 2000

4
StR
162/00, [X.], 583, 584; Urteil vom 20.
Dezem-ber
1968

4
StR
489/68, [X.], Nr.
44). Bei riskanten [X.] im
Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer ande-ren Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat (vgl. BayObLG,
NJW 1955, 1448, 1449 für 16
-
11
-
den alkoholisierten Autofahrer; [X.], AT
I,
4.
Aufl.,
§
12 Rn.
23
ff.; [X.]., FS
Rudolphi, 2004, 243, 255; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S.
219; [X.], JA
2017, 786, 788; [X.],
NJW 2017, 1350
f.). Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen [X.] auseinan[X.]etzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des [X.] auf-grund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integri-tät drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven [X.] ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien. So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des [X.] zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.
c)
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht in jeder Hinsicht gerecht.
aa)
Die [X.] hat mit Rücksicht auf die äußerst riskante Fahr--

Vom Vorliegen auch des [X.] hat sie sich trotz des Passieren von zwei Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlagen, deutlich überhöhte Geschwindigkeit, sieben Sekunden Rotlicht an der [X.]) jedoch nicht zu überzeugen vermocht. Für ein ernsthaftes Vertrauen des Angeklagten in das Ausbleiben einer Kollision mit tödlichem Ausgang spreche neben anderen Umständen (ge-ringes Verkehrsaufkommen, keine Sicht auf den herannahenden Geschädigten, zur Unterschätzung von Gefahren und zur Überschätzung der eigenen [X.] neigende ), dass er nicht angeschnallt gewesen sei. Da der genaue Verlauf einer abstrakt für möglich gehaltenen Kollision für ihn 17
18
-
12
-
nicht abschätzbar gewesen sei, hätte der Angeklagte bei Billigung einer Kollisi-on mit tödlichen Folgen für einei-nen eigenen Tod billigend in Kauf genommen, insbesondere da die Gefährlich-keit für ihn selbst aufgrund des Nichtanlegens des Anschnallgurtes gegenüber einem angeschnallten Fahrzeugführer noch einmal deutlich erhöht gewesen sei.
Dass der Angeklagte seinen eigenen Tod in Kauf genommen
habe, sei aber auszuschließen.
bb)
Damit hat die [X.] zwar die dem Angeklagten drohende Ge-fahr für seine eigene körperliche Integrität zutreffend als vorsatzkritischen [X.] in ihre
Betrachtung
einbezogen. Die hierzu angestellten Erwägungen greifen aber zu kurz, weil sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, welche konkreten Unfallszenarien der Angeklagte, der den Tod anderer als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge
seines Handelns erkannte
(Wissenselement des bedingten Vorsatzes),
tatsächlich im Blick hatte. Damit fehlt es für die [X.], der Angeklagte hätte bei Billigung einer Kollision mit tödlichen Folgen für en eigenen Tod billigend in Kauf genommen

trotz des zu Recht herangezogenen Aspekts des Nichtange-schnalltseins

an einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Eine generelle Regel, wonach bei [X.] im Straßenverkehr die Risiken unter den Insassen der beteiligten Fahrzeuge nahezu gleichmäßig verteilt sind und deshalb die Inkaufnahme tödlicher Folgen für andere Unfallbeteiligte notwendig die Billigung eines entsprechenden Eigenrisikos einschließt, besteht in dieser Allgemeinheit nicht. Der Umstand, dass der Geschädigte infolge der Kollision noch an der Unfallstelle verstarb, während der Angeklagte weit
gehend
unver-letzt blieb, spricht dagegen.
19
-
13
-
d)
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entschei-dung. Die Aufhebung betrifft auch die
tateinheitliche Verurteilung wegen vor-sätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß §
315c Abs.
1 Nr.
2a StGB und zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs nach sich.
3.
Dessen ungeachtet, erweist sich der Strafausspruch auch für sich ge-nommen als rechtsfehlerhaft, weil das [X.] bei der Erörterung schäd-licher Neigungen im Sinne des §
17 Abs.
2 Satz
1 [X.] die nach den verfah-rensgegenständlichen Taten ergangene rechtskräftige Verurteilung des Ange-klagten durch das Amtsgericht [X.]

Außenstelle Höchst

vom 6.
Juli 2016 nicht in Betracht gezogen und eine Einbeziehung dieses Urteils gemäß §
31 Abs.
2 Satz
1, Abs.
3, §
32 Satz 1 i.V.m. §
105 [X.] nicht geprüft hat.
a)
Das [X.] hat die Verhängung der Jugendstrafe nur auf die Schwere der Schuld gestützt, bei dem Angeklagten jedoch keine schädlichen Neigungen gemäß §
17 Abs.
2 Satz
1 [X.] festzustellen
vermocht. Dabei hat es neben den verfahrensgegenständlichen Taten lediglich die Vorahndungen aus den Jahren 2010 bis 2013 in seine Erwägung einbezogen.
Damit hat die [X.] die Feststellungen nicht ausgeschöpft. Schädliche Neigungen im Sinne des §
17 Abs.
2 Satz
1 [X.] sind erhebliche Anlage-
oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer
Straftaten begründen. Sie müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 4.
Mai 2016

3
StR 78/16, [X.], 682; Beschluss vom 17.
Juli 2012

3
StR
238/12, [X.], 287; Beschluss vom 10.
März 1992

1
StR
105/92, [X.]R [X.] §
17 Abs.
2 Schädliche Neigungen
5 mwN). Wird der Täter nach der
verfahrensge-genständlichen Tat zeitnah erneut straffällig, kann dies sowohl ein Indiz für be-20
21
22
-
14
-
reits im Tatzeitpunkt entwickelte [X.], als auch für deren Fortbestand sein und deshalb für die Annahme schädlicher Neigungen spre-chen (vgl. [X.], Beschluss vom 9.
Juni 2009

5
StR
55/09, [X.], 280, 281; weitere Nachweise bei [X.] in: [X.] z. StGB, 3.
Aufl., §
17 [X.] Rn.
42
ff.).
Das [X.] hätte sich an dieser Stelle daher auch damit
auseinan[X.]etzen müssen, dass der Angeklagte am 12.
Juli 2015 einen [X.] im beson[X.] schweren Fall

beging, wofür er am 6.
Juli 2016 vom Amts-gericht [X.]

Außenstelle
Höchst

verurteilt wurde.
b)
Das
Urteil des Amtsgerichts [X.]

Außenstelle Höchst

vom 6.
Juli 2016 kam zudem auch für eine Einbeziehung gemäß §
31 Abs.
2 Satz
1, Abs.
3, §
32 Satz
1 i.V.m. §
105 [X.] in Betracht. Die Tatsache, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der dort abgeurteilten Tat das 21.
Lebensjahr bereits vollendet hatte, steht dem nicht entgegen.
aa)
Nach der Rechtsprechung kann in entsprechender Anwendung von §
31 Abs.
2 Satz
1, §
32 Satz
1 i.V.m. §
105 Abs.
2 [X.] in eine einheitliche
Jugendstrafe auch eine rechtskräftige und noch nicht erledigte Verurteilung zu Freiheitsstrafe einbezogen werden, die wegen einer Tat verhängt worden ist, die der Angeklagte als Erwachsener
begangen hat (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 19.
Juni 2012

4
StR
139/12 [insoweit in [X.], 36 nicht abgedruckt];
vom 21.
Dezember 2011

4
StR
596/11, juris Rn.
2;
vom 12.
Dezember 2001

4
StR
474/01;
vom 23.
November 1993

5
StR
573/93, [X.]St 40, 1; Urteil vom 2.
Mai 1990

2
StR
64/90, [X.]St 37, 34, 35
ff.; [X.]/[X.], [X.],
13.
Aufl., §
105 Rn.
39; [X.], [X.],
19.
Aufl., §
105 Rn.
44 mwN;
krit.
[X.] in: [X.] z. StGB, 3.
Aufl., §
105 [X.] Rn.
47). Voraussetzung dafür ist, dass eine oder mehrere noch im [X.] begangene Tat(en)
zur Aburteilung anstehen, auf die gemäß §
1 Abs.
1 i.V.m. §
105 Abs.
1 [X.]
23
24
-
15
-
Jugendstrafrecht anzuwenden wäre und eine zusammenfassende,
die Erwach-senenstraftat einbeziehende Bewertung ergibt, dass das Schwergewicht im Sinne des §
32 Satz
1 [X.] bei den nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat(en) liegt und deshalb einheitlich Jugendstrafrecht gilt (vgl. [X.], Beschluss vom 23.
November 1993

5
StR
573/93, [X.]St 40, 1
=
NStZ 1994, 132
f. mit Ausführungen zur Prüfungsreihenfolge [insoweit in [X.]St 40, 1 nicht abge-druckt]; Urteil vom 2.
Mai 1990

2
StR
64/90, [X.]St 37, 34, 35
ff.). Liegt das Schwergewicht dagegen bei der [X.], ist entsprechend §
32 Satz
2 i.V.m. §
105 Abs.
2 [X.] einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwen-den (vgl. [X.], Beschluss vom 23.
November 1993

5
StR
573/93, [X.]St 40, 1, 2). Schließlich kann die [X.] aber auch nach §
31 Abs.
3 Satz
1 i.V.m. §
105 Abs.
2 [X.] von einer Einbeziehung absehen, wenn dies aus er-zieherischen Gründen zweckmäßig ist (vgl. [X.], Beschluss
vom 23.
November 1993

5
StR
573/93, [X.]St 40, 1, 2).
bb)
Das [X.] hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass auf die von
dem Angeklagten im [X.] begangenen abzuurteilenden Straftaten gemäß §
1 Abs.
1 i.V.m. §
105 Abs.
1 [X.] Jugendstrafrecht [X.] ist. Es hat sich jedoch zu der Frage einer möglichen Einbeziehung des rechtskräftigen und ersichtlich noch nicht erledigten Urteils des Amtsgerichts [X.]

Außenstelle Höchst

vom 6.
Juli 2016 nicht verhalten. Der Strafausspruch muss daher auch aus diesem Grunde aufgehoben werden.
III.
Die Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Strafausspruch nur insoweit Erfolg, als
die [X.]

wie dargelegt

eine Einbeziehung des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts [X.]

Außenstelle 25
26
-
16
-
Höchst

vom 6.
Juli 2016 nicht geprüft hat. Dadurch
kann der Angeklagte auch beschwert sein. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen den [X.] Rechtsfehler ergeben (§
349 Abs.
2 StPO).
Sost-Scheible
Cierniak
Franke

[X.]
Quentin

Meta

4 StR 158/17

01.03.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.03.2018, Az. 4 StR 158/17 (REWIS RS 2018, 13064)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13064

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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