Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.03.2018, Az. 4 StR 158/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 13010

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Gegenstand

Abgrenzung der bewussten Fahrlässigkeit von dem dolus eventualis: Durch sog. "Raser" verursachten tödlichen Verkehrsunfall


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 1. Dezember 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;

b) im Rechtsfolgenausspruch.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Die [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von „weiteren“ zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gegen die Annahme einer fahrlässigen Tötung im Fall [X.] 2 der Urteilsgründe und gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel wird vom [X.] vertreten. Die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten ist auf die Sachrüge gestützt. Die Rechtsmittel haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Am 13. Januar 2015 fuhr der Angeklagte auf der [X.] in [X.] mit einem Pkw der Marke [X.], [X.], sehr dicht auf das vorausfahrende Fahrzeug der Geschädigten [X.]auf, nachdem diese zuvor auf die Abbiegespur in Richtung [X.] gewechselt war. Während des gesamten sich anschließenden [X.] versuchte er die Geschädigte verkehrswidrig über den Standstreifen zu überholen. Als die Geschädigte danach nach links abbiegen wollte, überholte sie der Angeklagte rechts, setzte sich vor sie, bremste sie aus und hielt an der Lichtzeichenanlage an. Sodann stiegen der Angeklagte und sein Beifahrer aus und begaben sich zu der in ihrem Fahrzeug sitzenden Geschädigten, die aus Angst sofort die Fahrzeugtüren verriegelte. Der Angeklagte beleidigte die Geschädigte mit den Worten „Hure“ und „Ich fick dich“. Anschließend stieg er mit seinem Begleiter wieder in sein Fahrzeug und entfernte sich.

4

2. Am Abend des 22. April 2015 gegen 22.25 Uhr befuhr der Angeklagte mit einem gemieteten Pkw der Marke [X.], Typ 530d, die Straße „[X.] Ufer“ in [X.] in Fahrtrichtung Stadtmitte, um sich an einer Tankstelle mit seinen Freunden [X.]und [X.]zu treffen. Den Anschnallgurt hatte er hinter seinem Rücken in das Gurtschloss gesteckt, sodass er unangeschnallt war. Die Straße „[X.] Ufer“ ist in diesem Bereich in der Fahrtrichtung des Angeklagten zweispurig ausgebaut; die zulässige [X.]geschwindigkeit beträgt 70 km/h. In der Gegenrichtung ist die Straße dreispurig ausgebaut, wobei die linke Fahrspur zum Abbiegen auf die Auffahrt zur [X.] dient und die stadteinwärts verlaufenden Fahrspuren an der späteren Unfallstelle kreuzt. [X.]. 158 Meter vor der [X.] befindet sich aus der Sicht des Angeklagten eine weitere (erste) Kreuzung. Beide sind mit Lichtzeichenanlagen versehen. Auf den jeweiligen Fahrspuren sind Detektoren in die Fahrbahn eingelassen, die sich in der Fahrtrichtung des Angeklagten jeweils 32 Meter vor der Haltelinie befinden.

5

Der Angeklagte befuhr mit seinem Fahrzeug die rechte Fahrspur und überholte kurz vor der Lichtzeichenanlage der ersten Kreuzung den auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Pkw der Marke [X.], [X.], seiner Freunde [X.]und [X.]. Anschließend missachtete er die Lichtzeichenanlage der ersten Kreuzung, die - wie der Angeklagte auch wahrnahm - seit dem Überfahren des zugehörigen Detektors Rotlicht zeigte und zuvor fünf Sekunden Gelblicht gezeigt hatte. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 142 km/h fuhr der Angeklagte sodann auf gerader Strecke auf der rechten Fahrspur weiter in Richtung der [X.]. Deren Lichtzeichenanlage zeigte für den Angeklagten bereits seit sieben Sekunden Rotlicht, nachdem sie zuvor fünf Sekunden Gelblicht gezeigt hatte. Der Angeklagte passierte die Lichtzeichenanlage unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei Rotlicht, was er auch wahrnahm. Anschließend stieß er mit dem Pkw der Marke [X.], [X.], des Geschädigten [X.]     zusammen, der aus der Gegenrichtung kommend bei [X.] in Richtung der Autobahnauffahrt abbiegend losgefahren war und vorfahrtsberechtigt die Fahrbahn des Angeklagten kreuzte. Dabei fuhr der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von ca. 142 km/h ungebremst in die rechte Seite des Fahrzeugs des Geschädigten, der noch an der Unfallstelle seinen dadurch erlittenen Verletzungen erlag. Sein Fahrzeug wurde vollständig zerstört. Der Angeklagte wurde bei dem Unfall nur leicht verletzt.

6

Dem Angeklagten war beim Passieren der Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage an der [X.] und beim Einfahren in den Kreuzungsbereich zwar bewusst, dass möglicherweise vorfahrtsberechtigter Verkehr in die [X.] einfahren könnte. Er vertraute aber aufgrund des wenigen Verkehrs sowie seiner hohen Geschwindigkeit fest darauf, dass es ihm gelingen würde, die Kreuzung vor Einfahren eines möglichen [X.] bereits geräumt zu haben. Das Herannahen des Fahrzeugs des Geschädigten [X.]     nahm er aufgrund der räumlichen Verhältnisse bis zu dessen unmittelbaren Einfahren in den Kreuzungsbereich nicht wahr.

7

3. Die [X.] hat die unter [X.] 1 der Urteilsgründe festgestellte Tat als Nötigung (§ 240 StGB) in Tateinheit mit Beleidigung (§ 185 StGB) gewertet. Wegen der unter [X.] 2 festgestellten Tat hat sich der Angeklagte nach Meinung des [X.]s der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB) schuldig gemacht.

[X.]

8

Die auf die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs im Fall [X.] 2 der Urteilsgründe und den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

9

1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Verurteilung im Fall [X.] 2 der Urteilsgründe und den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

a) Ob der Rechtsmittelführer nur einzelne abtrennbare Teile eines Urteils angreifen will, ist eine Frage, die im Zweifelsfall im Wege der Auslegung seiner Rechtsmittelerklärungen zu beantworten ist (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, [X.], 105, 106; Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 [X.], [X.]St 29, 359, 365 [zu § 318 StPO]). Dabei kann die Auslegung der Revisionsbegründung auch bei einem unbeschränkten Revisionsantrag eindeutig zu dem Ergebnis führen, dass der Beschwerdeführer - im Wi[X.]pruch zu seinem Antrag - bestimmte Urteilsteile von seinem Rechtsmittelangriff ausnehmen will. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Beschwerdeführer um die Staatsanwaltschaft handelt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, [X.], 88; vom 11. Juni 2014 - 2 [X.], [X.], 285; vom 7. August 1997 - 1 [X.], [X.], 210).

b) Zwar hat die Staatsanwaltschaft die uneingeschränkte Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt. Die Auslegung ihrer Revisionsbegründung ergibt aber, dass lediglich die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung u.a. im Fall [X.] 2 der Urteilsgründe und der Rechtsfolgenausspruch angegriffen werden. Die von der Beschwerdeführerin zum Schuldspruch erhobenen Einzelbeanstandungen betreffen ausschließlich die Annahme einer fahrlässigen Tötung im Fall [X.] 2 der Urteilsgründe und die damit verbundene Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Außerdem wird beanstandet, dass eine rechtskräftige Vorverurteilung bei der Prüfung schädlicher Neigungen unberücksichtigt geblieben und in Bezug hierauf eine Einbeziehung nach § 31 Abs. 2 und 3 [X.] nicht geprüft worden sei. Gegen den Schuldspruch wegen Nötigung und Beleidigung im Fall [X.] 1 der Urteilsgründe werden hingegen keine Einwendungen erhoben. Diese Beschränkung der Revision ist auch wirksam; es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung zwischen beiden Schuldsprüchen ergeben könnte. Die [X.] ist, obgleich auch sie nicht ausdrücklich beanstandet worden ist, vom Rechtsmittelangriff umfasst, weil sie an die Verurteilung im Fall [X.] 2 der Urteilsgründe anknüpft.

2. Die Erwägungen, mit denen die [X.] im Fall [X.] 2 der Urteilsgründe die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint und bewusste Fahrlässigkeit bejaht hat, halten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. [X.], Urteile vom 12. Januar 2017 - 1 [X.], juris Rn. 10; vom 18. September 2008 - 5 [X.], [X.], 401, 403; vom 20. Juni 2013 - 4 StR 159/13, juris Rn. 19) einer Überprüfung nicht stand.

a) In rechtlicher Hinsicht ist ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt - Wissenselement - und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der [X.] auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein - Willenselement - (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 [X.], [X.], 37, 38; vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 351/16, [X.], 277, 279; vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 14. August 2014 - 4 [X.], NJW 2014, 3382, 3383; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183, 186; jeweils mwN). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. [X.], Urteile vom 14. Januar 2016 - 4 StR 72/15, [X.], 211, 215; vom 30. April 2014 - 2 [X.], [X.], 300, 301; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183, 186; vom 16. Oktober 2008 - 4 [X.], [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 63).

b) Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. [X.], Urteile vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 16. September 2015 - 2 StR 483/14, [X.], 25, 26).

Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des [X.] auseinan[X.]etzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (vgl. [X.], Urteile vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15, [X.], 79, 80; vom 18. Oktober 2007 - 3 [X.], [X.], 93 f.; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183, 186 f.). Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes (vgl. [X.], Urteile vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15, [X.], 79, 80; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, [X.], 242, 243; Beschluss vom 26. April 2016 - 2 StR 484/14, [X.], 22, 23). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines [X.]s sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. [X.], Urteil vom 15. Oktober 1986 - 2 [X.], [X.]R StGB § 15 Vorsatz, bedingter 1 - Willenselement; Beschluss vom 7. März 2006 - 4 StR 25/06, [X.], 446). Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. [X.], Urteil vom 26. November 2014 - 2 StR 54/14, [X.], 516, 517; Beschluss vom 10. Juli 2007 - 3 [X.], [X.], 307; Beschluss vom 27. August 2013 - 2 [X.], [X.], 35).

Ein wesentlicher vorsatzkritischer Gesichtspunkt ist in Fällen, in denen dies - wie hier - naheliegt, die Eigengefährdung des [X.]. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht (vgl. [X.], Urteil vom 20. Juni 2000 - 4 StR 162/00, [X.], 583, 584; Urteil vom 20. Dezember 1968 - 4 StR 489/68, [X.], [X.]). Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat (vgl. BayObLG, NJW 1955, 1448, 1449 für den alkoholisierten Autofahrer; [X.], [X.], 4. Aufl., § 12 Rn. 23 ff.; [X.]., [X.], 2004, 243, 255; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, [X.]; [X.], JA 2017, 786, 788; [X.], NJW 2017, 1350 f.). Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinan[X.]etzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des [X.] aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien. So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des [X.] zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.

c) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht in jeder Hinsicht gerecht.

aa) Die [X.] hat mit Rücksicht auf die äußerst riskante Fahrweise des Angeklagten das Wissenselement des bedingten Vorsatzes „unproblematisch“ als gegeben erachtet. Vom Vorliegen auch des [X.] hat sie sich trotz des „extrem rücksichtslosen“ Verhaltens (Passieren von zwei Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlagen, deutlich überhöhte Geschwindigkeit, sieben Sekunden Rotlicht an der [X.]) jedoch nicht zu überzeugen vermocht. Für ein ernsthaftes Vertrauen des Angeklagten in das Ausbleiben einer Kollision mit tödlichem Ausgang spreche neben anderen Umständen (geringes Verkehrsaufkommen, keine Sicht auf den herannahenden Geschädigten, zur Unterschätzung von Gefahren und zur Überschätzung der eigenen Fähigkeiten neigende „Raserpersönlichkeit“), dass er nicht angeschnallt gewesen sei. Da der genaue Verlauf einer abstrakt für möglich gehaltenen Kollision für ihn nicht abschätzbar gewesen sei, hätte der Angeklagte bei Billigung einer Kollision mit tödlichen Folgen für einen der Unfallbeteiligten „zwangsläufig“ auch seinen eigenen Tod billigend in Kauf genommen, insbesondere da die Gefährlichkeit für ihn selbst aufgrund des Nichtanlegens des Anschnallgurtes gegenüber einem angeschnallten Fahrzeugführer noch einmal deutlich erhöht gewesen sei. Dass der Angeklagte seinen eigenen Tod in Kauf genommen habe, sei aber auszuschließen.

bb) Damit hat die [X.] zwar die dem Angeklagten drohende Gefahr für seine eigene körperliche Integrität zutreffend als vorsatzkritischen Umstand in ihre Betrachtung einbezogen. Die hierzu angestellten Erwägungen greifen aber zu kurz, weil sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, welche konkreten Unfallszenarien der Angeklagte, der den Tod anderer als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkannte (Wissenselement des bedingten Vorsatzes), tatsächlich im Blick hatte. Damit fehlt es für die Annahme, der Angeklagte hätte bei Billigung einer Kollision mit tödlichen Folgen für einen der Unfallbeteiligten „zwangsläufig“ auch seinen eigenen Tod billigend in Kauf genommen - trotz des zu Recht herangezogenen Aspekts des Nichtangeschnalltseins - an einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Eine generelle Regel, wonach bei [X.] im Straßenverkehr die Risiken unter den Insassen der beteiligten Fahrzeuge nahezu gleichmäßig verteilt sind und deshalb die Inkaufnahme tödlicher Folgen für andere Unfallbeteiligte notwendig die Billigung eines entsprechenden Eigenrisikos einschließt, besteht in dieser Allgemeinheit nicht. Der Umstand, dass der Geschädigte infolge der Kollision noch an der Unfallstelle verstarb, während der Angeklagte weit gehend unverletzt blieb, spricht dagegen.

d) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung betrifft auch die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB und zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs nach sich.

3. Dessen ungeachtet, erweist sich der Strafausspruch auch für sich genommen als rechtsfehlerhaft, weil das [X.] bei der Erörterung schädlicher Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] die nach den verfahrensgegenständlichen Taten ergangene rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht [X.] - Außenstelle [X.] - vom 6. Juli 2016 nicht in Betracht gezogen und eine Einbeziehung dieses Urteils gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 [X.] nicht geprüft hat.

a) Das [X.] hat die Verhängung der Jugendstrafe nur auf die Schwere der Schuld gestützt, bei dem Angeklagten jedoch keine schädlichen Neigungen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] festzustellen vermocht. Dabei hat es neben den verfahrensgegenständlichen Taten lediglich die Vorahndungen aus den Jahren 2010 bis 2013 in seine Erwägung einbezogen. Damit hat die [X.] die Feststellungen nicht ausgeschöpft. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 4. Mai 2016 - 3 [X.], [X.], 682; Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 238/12, [X.], 287; Beschluss vom 10. März 1992 - 1 StR 105/92, [X.]R [X.] § 17 Abs. 2 Schädliche Neigungen 5 mwN). Wird der Täter nach der verfahrensgegenständlichen Tat zeitnah erneut straffällig, kann dies sowohl ein Indiz für bereits im Tatzeitpunkt entwickelte [X.], als auch für deren Fortbestand sein und deshalb für die Annahme schädlicher Neigungen sprechen (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Juni 2009 - 5 StR 55/09, [X.], 280, 281; weitere Nachweise bei [X.] in: [X.] z. StGB, 3. Aufl., § 17 [X.] Rn. 42 ff.). Das [X.] hätte sich an dieser Stelle daher auch damit auseinan[X.]etzen müssen, dass der Angeklagte am 12. Juli 2015 einen Diebstahl „im beson[X.] schweren Fall“ beging, wofür er am 6. Juli 2016 vom Amtsgericht [X.] - Außenstelle [X.] - verurteilt wurde.

b) Das Urteil des Amtsgerichts [X.] - Außenstelle [X.] - vom 6. Juli 2016 kam zudem auch für eine Einbeziehung gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 [X.] in Betracht. Die Tatsache, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der dort abgeurteilten Tat das 21. Lebensjahr bereits vollendet hatte, steht dem nicht entgegen.

aa) Nach der Rechtsprechung kann in entsprechender Anwendung von § 31 Abs. 2 Satz 1, § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 [X.] in eine einheitliche Jugendstrafe auch eine rechtskräftige und noch nicht erledigte Verurteilung zu Freiheitsstrafe einbezogen werden, die wegen einer Tat verhängt worden ist, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Juni 2012 - 4 [X.] [insoweit in [X.], 36 nicht abgedruckt]; vom 21. Dezember 2011 - 4 StR 596/11, juris Rn. 2; vom 12. Dezember 2001 - 4 StR 474/01; vom 23. November 1993 - 5 StR 573/93, [X.]St 40, 1; Urteil vom 2. Mai 1990 - 2 StR 64/90, [X.]St 37, 34, 35 ff.; [X.]/Dölling, [X.], 13. Aufl., § 105 Rn. 39; [X.], [X.], 19. Aufl., § 105 Rn. 44 mwN; krit. [X.] in: [X.] z. StGB, 3. Aufl., § 105 [X.] Rn. 47). Voraussetzung dafür ist, dass eine oder mehrere noch im [X.] begangene Tat(en) zur Aburteilung anstehen, auf die gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 1 [X.] Jugendstrafrecht anzuwenden wäre und eine zusammenfassende, die [X.] einbeziehende Bewertung ergibt, dass das Schwergewicht im Sinne des § 32 Satz 1 [X.] bei den nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat(en) liegt und deshalb einheitlich Jugendstrafrecht gilt (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 1993 - 5 StR 573/93, [X.]St 40, 1 = NStZ 1994, 132 f. mit Ausführungen zur Prüfungsreihenfolge [insoweit in [X.]St 40, 1 nicht abgedruckt]; Urteil vom 2. Mai 1990 - 2 StR 64/90, [X.]St 37, 34, 35 ff.). Liegt das Schwergewicht dagegen bei der [X.], ist entsprechend § 32 Satz 2 i.V.m. § 105 Abs. 2 [X.] einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 1993 - 5 StR 573/93, [X.]St 40, 1, 2). Schließlich kann die [X.] aber auch nach § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 [X.] von einer Einbeziehung absehen, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 1993 - 5 StR 573/93, [X.]St 40, 1, 2).

bb) Das [X.] hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass auf die von dem Angeklagten im [X.] begangenen abzuurteilenden Straftaten gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 1 [X.] Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Es hat sich jedoch zu der Frage einer möglichen Einbeziehung des rechtskräftigen und ersichtlich noch nicht erledigten Urteils des Amtsgerichts [X.] - Außenstelle [X.] - vom 6. Juli 2016 nicht verhalten. Der Strafausspruch muss daher auch aus diesem Grunde aufgehoben werden.

I[X.]

Die Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Strafausspruch nur insoweit Erfolg, als die [X.] - wie dargelegt - eine Einbeziehung des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts [X.] - Außenstelle [X.] - vom 6. Juli 2016 nicht geprüft hat. Dadurch kann der Angeklagte auch beschwert sein. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

[X.]     

      

Cierniak     

      

[X.]

      

Bender     

      

Quentin     

      

Meta

4 StR 158/17

01.03.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 1. Dezember 2016, Az: 5/8 KLs 1/16

§ 15 StGB, § 222 StGB, § 315c Abs 1 Nr 2 Buchst a StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.03.2018, Az. 4 StR 158/17 (REWIS RS 2018, 13010)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13010

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