Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2017, Az. 1 StR 456/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 2654

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Absehen von einer Entscheidung über den Vorwegvollzug der Strafe


Leitsatz

Wird nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen würde, kann von der Entscheidung über einen Vorwegvollzug abgesehen werden.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Juni 2017 aufgehoben, soweit der [X.] der Strafe angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung anderer rechtskräftiger Strafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Neben einer Einziehung hat es die in einem anderen rechtskräftigen Urteil angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten und angeordnet, dass vor der Maßregel ein Jahr und neun Monate Freiheitsstrafe einschließlich der im Verfahren beim [X.] Würzburg erlittenen Untersuchungshaft zu vollstrecken sind. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.

2

Das auf den Ausspruch über den [X.] der Strafe beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.

3

1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Anordnung des [X.]s beschränkt.

4

a) Nachdem der Verteidiger des Angeklagten am 15. Juni 2017 die Revision unbeschränkt eingelegt hatte, hat der Angeklagte noch innerhalb der [X.] eigenhändig ebenfalls Revision eingelegt. Diese stützt er darauf, dass seine erneute Inhaftierung und die damit einhergehende Unterbrechung der Therapie seine „Resozialisierung“ gefährde. Er hat ausgeführt: „Aus diesen Gründen bitte ich Sie Ihr Urteil betreffs des [X.]s noch einmal zu überdenken“. Damit hat der Angeklagte aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er das Urteil nur im Hinblick auf den [X.] von der [X.] überprüfen lassen möchte.

5

Dieser erklärte Wille des Angeklagten geht dem Willen des Verteidigers, das Urteil umfassend überprüfen lassen zu wollen, vor (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 297 Rn. 3). Denn nach der gesetzlichen Wertung des § 297 [X.] ist der einer umfassenden Nachprüfung entgegenstehende Wille des Angeklagten über den auf die Einlegung des Rechtsmittels abstellenden Wortlaut hinaus auch bei einem später eintretenden Widerspruch zu beachten (vgl. SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 297 Rn. 14), z.B. für die nachträgliche Beschränkung des Rechtsmittels ([X.], Beschluss vom 17. Juli 2015 – [X.] – 2 Ws 300/15; KK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 297 Rn. 3).

6

b) Die Beschränkung ist auch wirksam. Eine Revisionsbeschränkung ist nur möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 10. August 2017 – 3 [X.]/17; Beschluss vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, [X.], 107 mwN). Dies setzt bei der Anfechtung des [X.]s einer Unterbringung voraus, dass die Maßregel als solche rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, [X.], 107 und vom 14. Februar 2012 – 3 StR 7/12, [X.], 587).

7

Die Voraussetzungen der Maßregel nach § 64 StGB sind hinreichend belegt, auch die von der sachverständig beratenen [X.] angenommene Therapiedauer von zwei Jahren ist nicht zu beanstanden.

8

2. Das so beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg. Das [X.] hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob entgegen der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB auf eine Anordnung des [X.]s verzichtet werden kann.

9

a) Die [X.] hat zutreffend die im Urteil des [X.]s Würzburg vom 13. März 2017 angeordnete Maßregel aufrechterhalten. Denn die jetzt abgeurteilte Tat wurde vor der früheren, die Maßregel anordnenden Verurteilung des Angeklagten begangen, weswegen die Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung Vorrang vor der Regelung des § 67f StGB haben (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 27. September 2016 – 5 [X.], [X.], 575 mwN und vom 25. November 2010 – 3 [X.], NStZ-RR 2011, 105; Urteil vom 11. September 1997 – 4 StR 287/97, [X.]R StGB § 64 Anordnung 4).

b) Die [X.] ist jedoch rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein auf die neue Gesamtstrafe zugeschnittener [X.] vor der Maßregelvollstreckung erfolgen „muss“. Sie hat dabei außer [X.] gelassen, dass die Vorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, um dem Gericht im Einzelfall, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit des Betreffenden, die Möglichkeit zu eröffnen, es beim [X.] der Maßregel zu belassen (vgl. BT-Drucks. 16/1110, [X.]; vgl. auch [X.], Beschluss vom 9. August 2007 – 4 [X.], [X.], 371). Ob Anlass besteht, ausnahmsweise von der Anordnung abzusehen, ist von der [X.] danach nicht geprüft worden.

Dazu hätte aber vorliegend Anlass bestanden. Ausweislich der Urteilsfeststellungen ist gegen den Angeklagten zum Zeitpunkt des Urteils bereits die Maßregel vollstreckt worden. Durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist eine Gesamtstrafe in einer Höhe gebildet worden, dass eine – wie vorliegend geschehen – nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am [X.] orientierte Anordnung des [X.]s zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen würde. Unter diesen Voraussetzungen kann aber von der Entscheidung über einen [X.] abgesehen werden (hierzu neigend schon [X.], Beschluss vom 25. November 2010 – 3 [X.], NStZ-RR 2011, 105; vgl. auch Beschluss vom 27. September 2016 – 5 [X.], [X.], 575: keinen [X.] wegen vollstreckungsrechtlicher Besonderheiten). Denn eine bereits begonnene Behandlung in der Entziehungsanstalt kann aktuell dringende Therapiebedürftigkeit begründen, um die bereits angelaufenen therapeutischen Maßnahmen durch eine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt nicht wieder zunichte zu machen (vgl. hierzu BT-Drucks. 16/1110, [X.]). Da die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge aber auch der Sicherung des [X.] dienen ([X.], Beschlüsse vom 24. Juni 2014 – 1 [X.], [X.], 368 und vom 21. August 2007 – 3 [X.]) muss diese vollstreckungsrechtliche Folge bei der Entscheidung über die Anordnung des [X.]s bedacht werden, woran es vorliegend fehlt.

3. Anhaltspunkte dafür, dass das [X.] vorliegend auch unter Einbeziehung der drohenden Herausnahme aus dem bereits begonnenen Maßregelvollzug auf eine Entscheidung über einen [X.] nicht verzichtet hätte, sind dem Urteil nicht zu entnehmen, weswegen ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist.

Der Senat kann schon deswegen nicht selbst über die Anordnung eines [X.]s entscheiden, da dem Tatgericht vorbehaltene Wertungen und Beurteilungen zu treffen sind. Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es angesichts des reinen Wertungsfehlers nicht. Das neu zuständige Tatgericht kann ergänzende Feststellungen insbesondere zum Stand der Therapie treffen.

Raum     

      

Jäger     

      

Cirener

      

Radtke     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 456/17

09.11.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Heidelberg, 14. Juni 2017, Az: 1 KLs 250 Js 30243/16

§ 64 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2017, Az. 1 StR 456/17 (REWIS RS 2017, 2654)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2654

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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