Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2017, Az. 4 StR 516/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 13200

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:290317B4STR516.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 516/16

vom
29. März
2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 29.
März 2017 gemäß §
206a Abs.
1, §
349 Abs.
2 und 4
[X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 2.
Juni 2016 wird
a)
das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall
2 der Urteilsgründe (Tat vom 8.
September 2013) verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des [X.] zur Last;
b)
der
Ausspruch über die erste Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und
drei Monaten aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Land-gerichts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen we-gen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung der Ein-zelstrafen aus dem Urteil
des Amtsgerichts [X.] vom 15.
Juli 2014, aus 1
-
3
-
dem Strafbefehl des [X.] vom 13.
September 2013, aus dem
Urteil des [X.] vom 17.
Dezember 2013 und aus dem Urteil des [X.] vom 23.
Januar 2014 zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es ihn we-gen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in [X.] mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, zu einer weiteren Gesamt-freiheitsstrafe
von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Von den erkannten Gesamtfreiheitsstrafen gelten jeweils drei Monate als vollstreckt. Dagegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revi-sion des Beschwerdeführers, der zudem das
Fehlen einer Anklage in den Fäl-len
2 und 3 der Urteilsgründe beanstandet. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 [X.].
1.
Soweit das [X.] den Angeklagten im Fall
2 der Urteilsgründe wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt hat, fehlt es an der [X.] einer Anklageerhebung und demzufolge auch an der eines [X.], so dass das Verfahren gemäß §
354 Abs.
1, §
206a Abs.
1 [X.] einzustellen ist.
a)
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage
war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, die Nebenklägerin ab dem 30.
August 2013 für ca. eine Woche in seiner im dritten Stock gelegenen [X.] eingesperrt und täglich und fortwährend geschlagen zu haben, um sie einzuschüchtern und am Verlassen der Wohnung zu hindern. Unter anderem habe er der
Nebenklägerin am 31.
August 2013 mehrfach kräftig mit Fäusten ins Gesicht geschlagen, weil er Sex mit ihr habe haben wollen, dann jedoch seinen Entschluss, sexuell mit ihr zu verkehren, wieder aufgegeben. Zu einem 2
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-
nicht mehr genau bestimmten Zeitpunkt in diesem Tatzeitraum sei es der [X.] schließlich gelungen, aus der Wohnung zu fliehen.
b)
Nach den Feststellungen des [X.]s hielten sich der Angeklagte und die Nebenklägerin am 8.
September 2013 in der Wohnung des Angeklag-ten auf. Es kam unter anderem zu Streitigkeiten darüber, dass der Angeklagte seine frühere Wohnung nach einer Strafanzeige der Nebenklägerin verloren hatte. Der Angeklagte schlug der Nebenklägerin mindestens einmal mit der Faust auf ihr rechtes Auge und mit der flachen Hand oder der Faust auf ihr [X.] Auge,
gegen den linken Oberarm und den unteren Rücken, wodurch sie Schmerzen erlitt.
c)
Die auf diese Feststellungen gestützte Verurteilung des
Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung hat keinen Bestand; das Verfahren ist insoweit einzustellen. Das von der [X.] festgestellte Geschehen weicht so deutlich von dem in der Anklageschrift geschilderten geschichtlichen Vor-gang ab, dass es sich nicht mehr als eine von der Anklage
bezeichnete Tat im Sinne von §
264 Abs.
1 [X.] darstellt. Hierzu gilt:
Gegenstand der Urteilsfindung ist nur die in der Anklage
bezeichnete Tat im Sinne des §
264 Abs.
1 [X.]. Allerdings hat das Gericht die angeklagte Tat im verfahrensrechtlichen Sinne erschöpfend abzuurteilen; zur Tat in diesem Sinne gehört das gesamte Verhalten des
Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der [X.] einen einheitlichen Vorgang darstellt. In diesem Rahmen muss das Tatge-richt seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 20.
Novem-ber 2014

4
StR
153/14, [X.], 68; Beschlüsse vom 27.
November 4
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6
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5
-
2011

3
StR
255/11, [X.], 168, 169; vom 10.
November 2008

3
StR
433/08, [X.], 146, 147). Diese Umgestaltung der Strafklage darf aber nicht dazu führen, dass die Identität der von der Anklage umfassten Tat nicht mehr gewahrt ist, weil das ihr zugrunde liegende Geschehen durch ein anderes ersetzt wird ([X.], Urteil vom 30.
Oktober 2008

3
StR
375/08, juris Rn.
8).
So verhält es sich indes hier im Fall
2 der Urteilsgründe. Die Feststellun-gen der [X.] weichen hinsichtlich der Tatzeit, des Anlasses und der Umstände der Tatbegehung so erheblich vom [X.] ab, dass mit ihnen eine andere als die angeklagte Tat beschrieben ist.
2.
Demgegenüber ist im Fall
3 der Urteilsgründe die Identität der ausge-urteilten mit der angeklagten Tat gewahrt.
a)
Nach der Anklageschrift verlangte der Angeklagte am 24.
September 2013 von der Nebenklägerin Sex zu dritt mit der Zeugin [X.], die er zu diesem Zweck in seine Wohnung bestellt hatte. Die Nebenklägerin lehnte dies ab, [X.] sie der Angeklagte in Anwesenheit der Zeugin über mehrere Stunden kör-perlich misshandelte, insbesondere mehrfach mit den Fäusten ins Gesicht und gegen die Rippen schlug.
b)
Nach den Urteilsfeststellungen verbrachten der Angeklagte, die [X.] und die Zeugin [X.] am Abend des 24.
September 2013 einige Stunden gemeinsam in der Wohnung des Angeklagten. Ob es dabei zu [X.] kam, konnte die [X.] nicht feststellen. Nachdem die Zeugin die Wohnung verlassen hatte, schlug der Angeklagte der
Nebenklägerin mindestens zweimal mit der Faust ins Gesicht, wodurch sie Schmerzen und Hämatome erlitt.
7
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9
10
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6
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c)
Dieser Sachverhalt wird entgegen der Auffassung der Revision von der zugelassenen Anklage erfasst. Änderungen im Tatsächlichen, die nicht zu einer Auswechslung des durch Anklage und Eröffnungsbeschluss konkretisier-ten geschichtlichen Sachverhaltes durch einen neuen führen und die daher die Individualisierung des Sachverhalts als ein bestimmtes,
von anderen [X.] historisches Ereignis nicht betreffen, bewirken nicht, dass dieser in der Hauptverhandlung festgestellte Sachverhalt nicht mehr von der Anklage erfasst würde.
Um eine solche die Individualisierung des geschichtlichen Vorgangs nicht berührende Änderung handelt es sich bei dem Umstand, dass die [X.] am 24.
September 2013 erst nach Verlassen der Wohnung durch die Zeugin [X.] und nicht in deren Beisein geschah.
3.
Die Einstellung des Verfahrens im Fall
2 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, wann die Strafe aus dem Urteil des [X.] vom 3.
Mai 2013 vollstreckt worden ist.
Sollte die Strafe nach dem 15.
Juli 2014 vollstreckt worden sein, wären die Strafen für die fünf Taten des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 6.
Februar 2013 bis zum 5.
März 2013 aus dem Urteil des
Amtsgerichts [X.] vom 15.
Juli 2014 mit der Strafe aus dem Urteil des [X.] gesamtstrafenfähig und nicht in eine im hiesigen Verfahren zu bildende Gesamtstrafe einzubezie-hen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17.
Juli 2007

4
StR
266/07, [X.], 369, 370; vom 18.
Dezember 2013

4
StR
356/13, [X.], 74;
vom 3.
Juni 2014

4
StR
150/14). In diesem Fall dürften
die beiden neu zu [X.] wegen des Verschlechterungsverbots des §
358 Abs.
2 Satz
1 [X.] allerdings nur so hoch bemessen werden, dass sie zusammen die 11
12
13
-
7
-
Summe der bisherigen ersten Gesamtfreiheitsstrafe und der Strafe aus dem Urteil des [X.] vom 3.
Mai 2013 nicht übersteigen (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
Dezember 2013

4
StR
356/13 mwN).
Die Aufhebung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe erfasst nicht die (auch) insoweit angeordnete Kompensation der bis zur revisionsgerichtlichen Ent-scheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (vgl. [X.], Urteil vom 27.
August 2009

3
StR
250/09, [X.]St 54, 135, 137
f.).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Bender
Feilcke
14

Meta

4 StR 516/16

29.03.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.03.2017, Az. 4 StR 516/16 (REWIS RS 2017, 13200)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13200

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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