Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.05.2012, Az. 5 C 17/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 6079

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rücknahme einer Spätaussiedlerbescheinigung; deutsche Staatsangehörigkeit


Leitsatz

1. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ist ein statusfeststellender Verwaltungsakt, der die Rechtsstellung als Ehegatte eines Spätaussiedlers feststellt.

2. Die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ist nur dann an § 48 Abs. 2 VwVfG auszurichten, wenn und soweit im Einzelfall feststeht, dass der Inhaber der Bescheinigung aufgrund des dadurch nachgewiesenen Status konkrete Geld- oder Sachleistungen erhalten oder sein Vertrauen im Hinblick auf den Erhalt solcher Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betätigt hat.

3. Wirkt sich die Rücknahme der Bescheinung nach § 15 Abs. 2 BVFG nur auf die dort getroffene Feststellung (hier: Ehegatte einer Spätaussiedlerin zu sein) aus, ist die Ermessensentscheidung allein an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG zu messen.

4. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 7 StAG a.F. setzt voraus, dass der Inhaber der Bescheinigung bei deren Ausstellung die Eigenschaft als Statusdeutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG besitzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der ihm erteilten Bescheinigung, Ehegatte einer Spätaussiedlerin zu sein.

2

Er wurde 1960 in [X.] geboren, ist seit 1988 verheiratet und hat mit seiner ebenfalls in [X.] geborenen Frau zwei Kinder. Sein Schwiegervater ist [X.] und seine Schwiegermutter [X.] Nationalität.

3

Im Dezember 2002 siedelte der Kläger gemeinsam mit seiner Familie aufgrund der Einbeziehung in den Aufnahmebescheid seines Schwiegervaters in die [X.] um. Während seine Ehefrau und Kinder als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers aufgenommen wurden, reiste er als sonstiger Familienangehöriger ein.

4

Am 21. September 2004 stellte der Rechtsvorgänger des Beklagten eine Bescheinigung nach § 15 des [X.] ([X.]) aus. In dieser Bescheinigung wurde die Ehefrau des [X.] nunmehr selbst als Spätaussiedlerin bezeichnet und der Kläger als Ehegatte einer Spätaussiedlerin. Die der Ehefrau des [X.] erteilte Bescheinigung wurde inzwischen rechtskräftig zurückgenommen, da sie - wie das Verwaltungsgericht feststellte - mangels [X.] Volkszugehörigkeit keine Spätaussiedlerin ist.

5

Mit Schreiben vom 4. Juli 2006 hörte der Rechtsvorgänger des Beklagten den Kläger zur beabsichtigten Rücknahme der ihm erteilten Bescheinigung an. Der Kläger machte daraufhin mit einem am 14. Juli 2006 bei der Behörde eingegangenen Schreiben geltend, die Bescheinigung begründe bei ihm die [X.] Staatsangehörigkeit. Deren Entzug komme allenfalls bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung oder bewusst falscher Angaben in Betracht. Beides sei in seinem Fall nicht gegeben.

6

Mit Bescheid vom 12. September 2006 nahm der Rechtsvorgänger des Beklagten die dem Kläger erteilte Bescheinigung, Ehegatte einer Spätaussiedlerin zu sein, zurück. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage abgewiesen.

7

Auf die Berufung des [X.] hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Rücknahme der Bescheinigung aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Rücknahme sei zwar fristgerecht erfolgt. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) habe erst nach der Durchführung des Anhörungsverfahrens im Juli 2006 zu laufen begonnen und sei somit am 12. September 2006 noch nicht abgelaufen gewesen. Rechtsgrundlage der Rücknahme sei die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Rücknahmevorschrift. Die mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in [X.] getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 Bundesvertriebenengesetz ([X.]) sei mangels einer entsprechenden Übergangsregelung nicht anwendbar. Die Behörde habe allerdings das ihr hinsichtlich der Rücknahme zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Sie sei von einem falschen Ermessensrahmen ausgegangen, da sie zu Unrecht angenommen habe, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der zurückgenommenen Bescheinigung infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Abgesehen davon habe sie nicht beachtet, dass sie die Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung allein zu verantworten habe. In einem solchen Fall komme nur eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft in Betracht. Schließlich habe die Behörde auch nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass die Rücknahme Folgen haben könne, die der Entziehung der Staatsangehörigkeit ähnelten.

8

Mit seiner Revision macht der Beklagte eine Verletzung des § 48 VwVfG geltend. In Fällen, in denen - wie hier - die Rücknahme allein die Feststellung betreffe, dass der Inhaber der Bescheinigung Ehegatte einer Spätaussiedlerin sei, sei § 48 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG anzuwenden. Demzufolge komme es auf die Frage, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bescheinigung grob fahrlässig nicht erkannt habe, nicht an. Abgesehen davon habe das Oberverwaltungsgericht eine grob fahrlässige Unkenntnis des [X.] auch zu Unrecht verneint.

9

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.]eklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt [X.] (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) (1.). Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2.).

1. Zwar ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Rücknahme der [X.]escheinigung nicht auf die mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in [X.] getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 [X.] ([X.]) in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2011 ([X.]) - n.F. - gestützt werden kann, sondern ihre Rechtsgrundlage in der allgemeinen verfahrensrechtlichen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i.V.m. § 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für den [X.] ([X.]) in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 10. September 2003 (GV[X.]l S. 614) findet (a). Des Weiteren hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht nicht in Frage gestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erfüllt sind (b) und es sich bei der dem Kläger am 21. September 2004 gemäß § 15 Abs. 2 [X.] in der insoweit anzuwendenden Fassung der [X.]ekanntmachung vom 2. Juni 1993 ([X.]) - a.F. - ausgestellten [X.]escheinigung um einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG handelt (c). Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht auch angenommen, dass die Rücknahme fristgerecht erfolgt ist (d). Jedoch hat es bei der Prüfung der behördlichen Ermessensentscheidung einen fehlerhaften Maßstab angewandt, soweit es auf die Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 2 VwVfG abgestellt hat (e). Da der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 VwVfG nicht eröffnet ist, greifen die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision nicht durch (f).

a) Die durch das Achte Gesetz zur Änderung des [X.] vom 6. Juli 2009 ([X.] 1694) eingeführte und mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in [X.] getretene spezielle Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 [X.] n.F. ist mangels einer entsprechenden Übergangsregelung nicht auf eine - wie hier - vor ihrem Inkrafttreten ausgesprochene Rücknahme anwendbar.

b) Nach der allgemeinen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 [X.], auf die mangels einer speziellen Rücknahmeregelung zurückzugreifen ist, kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die dem Kläger erteilte [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] a.F. stellt einen wirksamen Verwaltungsakt dar (aa), der in seinem Sachausspruch von Anfang an rechtswidrig war ([X.]).

aa) Die [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] ist ein statusfeststellender Verwaltungsakt, der die Rechtsstellung als Ehegatte eines [X.] feststellt. Dies ist bislang - unter [X.]ezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Erteilung des [X.] - ausdrücklich nur für die [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 1 [X.] entschieden worden (vgl. Urteil vom 24. Februar 2005 - [X.]VerwG 5 [X.] 10.04 - [X.]VerwGE 123, 101<103> = [X.] 412.3 § 15 [X.] Nr. 30 S. 11 m.w.N.). Für die [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] gilt jedoch nichts anderes.

[X.]) Für die [X.]eurteilung der Rechtmäßigkeit der [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten [X.]ehördenentscheidung maßgeblich, hier also der Zeitpunkt, in dem die [X.]escheinigung ausgestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nicht Ehegatte einer Spätaussiedlerin.

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 137 Abs. 2 VwGO) wurde die Klage der Ehefrau des [X.] gegen die Rücknahme der ihr am 21. September 2004 erteilten [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 1 [X.] a.F. durch das Verwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen. Dabei wurde - soweit hier von Interesse - in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass die Ehefrau des [X.] mangels [X.] Volkszugehörigkeit keine Spätaussiedlerin sei. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Klarstellung des [X.]tatus - [X.]tatusgesetz ([X.]) - vom 30. August 2001 ([X.] 2266), da sie sich bis zum Verlassen der [X.] nicht durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung zum [X.] Volkstum bekannt, sondern ausweislich der 1989 erfolgten Eintragung der [X.] Nationalität in ihren [X.] ein Gegenbekenntnis zum [X.] Volkstum abgegeben habe. Aus diesem Grund sei auch ein [X.]ekenntnis zum [X.] Volkstum auf vergleichbare Weise im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 [X.] ausgeschlossen. Ebenso wenig gehöre die Ehefrau des [X.] gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 [X.] nach dem Recht des Herkunftsstaates zur [X.] Nationalität. Auch könne ein [X.]ekenntnis der Ehefrau des [X.] zum [X.] Volkstum nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 5 [X.] unterstellt werden, weil diese nicht substanziiert und in sich stimmig dargelegt habe, dass ein [X.]ekenntnis zum [X.] Volkstum mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen sei.

Die Rechtskraft des gegenüber der Ehefrau des [X.] ergangenen Urteils erzeugt im vorliegenden Verfahren zwar keine [X.]indungswirkung (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2002 - [X.]VerwG 5 [X.] 40.01 - [X.] 412.3 § 1 [X.] Nr. 57 S. 7). Das Oberverwaltungsgericht hat aber offensichtlich die vom Verwaltungsgericht in dem Verfahren der Ehefrau des [X.] vorgenommene Würdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für das vorliegende Verfahren übernommen. Hiergegen sind weder erhebliche Gesichtspunkte vorgetragen noch ist diese Würdigung sonst revisionsgerichtlich zu beanstanden.

c) Ein Verwaltungsakt, der einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nach § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Statusfeststellung nach § 15 Abs. 2 [X.] begründet oder bestätigt im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil. Die [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] a.F. wird zum Nachweis erteilt, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 [X.] vorliegen, d.h. dass der Inhaber der [X.]escheinigung Ehegatte (oder Abkömmling) des [X.] ist, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 oder 2 [X.] nicht erfüllt, aber die [X.] im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen hat (Satz 1). Der rechtliche Vorteil liegt darin, dass diese Feststellungen für alle [X.]ehörden und Stellen, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach dem [X.] oder einem anderen Gesetz zuständig sind, im Einzelfall verbindlich sind.

d) Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist, wenn die [X.]ehörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Diese Frist wird in Lauf gesetzt, sobald die [X.] die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr sämtliche für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Hierzu gehören auch alle für eine Ermessensbetätigung wesentlichen Umstände. Die [X.]ehörde erhält Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Prüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter positive Kenntnis erlangt. Ein einzelne Fachfragen begutachtender Mitarbeiter einer [X.]ehörde ist kein zur rechtlichen Prüfung berufener Amtswalter. Diente eine Anhörung des [X.]etroffenen nach § 28 Abs. 1 VwVfG - wie hier - der Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen, beginnt die Jahresfrist erst danach zu laufen (stRspr, vgl. z.[X.]. [X.]eschlüsse vom 19. Dezember 1984 - [X.]VerwG [X.] 1 und 2.84 - [X.]VerwGE 70, 356 <362 ff.> = [X.] 316 § 48 VwVfG Nr. 33 S. 19 ff. und vom 7. November 2000 - [X.]VerwG 8 [X.] - [X.] 316 § 48 VwVfG Nr. 99 S. 18; Urteile vom 24. Januar 2001 - [X.]VerwG 8 [X.] 8.00 - [X.]VerwGE 112, 360 <362 ff.> = [X.] 316 § 49 VwVfG Nr. 40 S. 4 ff. und vom 30. Juni 2010 - [X.]VerwG 5 [X.] 3.09 - [X.] 436.36 § 27 [X.] Nr. 6 Rn. 25).

Das Oberverwaltungsgericht hat sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung von diesen Rechtsgrundsätzen leiten lassen. Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat, ist seine rechtliche Würdigung, dass die Frist erst nach Durchführung des Anhörungsverfahrens im Juli 2006 zu laufen begonnen hat und demzufolge im Zeitpunkt der Rücknahme am 12. September 2006 noch nicht verstrichen war, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn für die Ermessensentscheidung über die Rücknahme waren notwendig auch die Aspekte zu berücksichtigen, die der Kläger - insbesondere im Hinblick auf eine etwaige [X.]etätigung schutzwürdigen Vertrauens - auf seine Anhörung vorbringen würde. Dabei kommt es für die vollständige Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen auf die Kenntnis der Leiterin der die [X.]escheinigung ausstellenden [X.]ehörde an. Denn diese war innerbehördlich zur abschließenden Prüfung der Frage zuständig, ob die Erteilung der [X.]escheinigung rechtswidrig erfolgt und zurückzunehmen ist. Entgegen der Auffassung des [X.] kann nicht auf den nach seiner Ansicht "bösgläubigen" Sachbearbeiter abgestellt werden, der bereits zum Zeitpunkt der Ausstellung der [X.]escheinigung die maßgeblichen Tatsachen für eine Rücknahmeentscheidung gekannt habe.

e) Das angefochtene Urteil steht aber mit [X.]undesrecht nicht in Einklang, soweit das Oberverwaltungsgericht die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der [X.]escheinigung an der Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 2 VwVfG gemessen hat.

Diese Vertrauensschutzregelung ist nur anzuwenden, wenn es um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt geht, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist. Ein derartiger Verwaltungsakt darf nach Satz 1 nicht zurückgenommen werden, wenn der [X.]egünstigte auf den [X.]estand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Dementsprechend ist die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] mit Rücksicht darauf, dass die [X.]escheinigung als solche keine Leistungen der genannten Art gewährt, aber der durch die [X.]escheinigung nachgewiesene Status grundsätzlich Voraussetzung für die Gewährung bestimmter Geld- oder Sachleistungen wie z.[X.]. den finanziellen Hilfen nach § 9 [X.], den Leistungen bei Krankheit nach § 11 [X.], den Leistungen nach der Unfall- und Rentenversicherung nach § 13 [X.] und der Förderung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach § 14 [X.] ist (vgl. Urteil vom 24. Februar 2005 a.a.[X.] <103 f.> = S. 11), nur dann an § 48 Abs. 2 VwVfG auszurichten, wenn und soweit im Einzelfall feststeht, dass der Inhaber der [X.]escheinigung konkrete Geld- oder Sachleistungen erhalten oder sein Vertrauen im Hinblick auf den Erhalt solcher Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betätigt hat. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Ermessensentscheidung über die Rücknahme allein an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG zu messen (vgl. Urteile vom 20. März 1990 - [X.]VerwG 9 [X.] 12.89 - [X.]VerwGE 85, 79 <84 ff.> = [X.] 412.3 § 18 [X.] Nr. 14 S. 22 ff. und vom 17. Februar 1992 - [X.]VerwG 9 [X.] 152.90 - [X.] 412.3 § 18 [X.] Nr. 16 S. 43 ff. sowie [X.]eschluss vom 23. März 1993 - [X.]VerwG 9 [X.] 375.92 - juris Rn. 2). So ist es hier.

Die Rücknahme der [X.]escheinigung des [X.] wirkt sich - worüber der Senat abschließend befinden kann - nur auf die dort getroffene Feststellung aus, dass er Ehegatte einer Spätaussiedlerin ist. Denn das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass dem Kläger auf der Grundlage der ihm erteilten [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] a.F. tatsächlich Geld- oder Sachleistungen gewährt wurden oder er solche etwa beantragt hat. Der Kläger hat derartiges auch nicht geltend gemacht, obwohl ihm insoweit bereits im Verwaltungsverfahren nach Maßgabe des § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 [X.] eine Mitwirkungspflicht oblegen hat, auf die er mit [X.] vom 4. Juli 2006 ausdrücklich hingewiesen wurde.

f) Die von der Revision erhobene Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) hat keinen Erfolg. Sie bezieht sich auf Feststellungen des [X.] (grob fahrlässige Unkenntnis des [X.] im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG; Verursachungsbeitrag der [X.]ehörde), auf die es mangels Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG für die Entscheidung nicht ankommt.

2. Das angefochtene Urteil stellt sich im Ergebnis auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] ist die Entschließung des Rechtsvorgängers des [X.]eklagten, die rechtswidrige [X.]escheinigung zurückzunehmen, gemessen an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (a). Entsprechendes gilt, soweit der Rechtsvorgänger des [X.]eklagten die Rücknahme der [X.]escheinigung zum Ausstellungstag ausgesprochen hat (b).

a) Die an § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG auszurichtende Ermessensentscheidung über das "Ob" der Rücknahme erweist sich als fehlerfrei.

Im Rahmen der Ermessensausübung ist das öffentliche Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes mit dem Interesse des [X.]etroffenen an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes abzuwägen. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind dabei grundsätzlich gleichwertig, sofern dem anzuwendenden Fachrecht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist (vgl. Urteil vom 20. März 2008 - [X.]VerwG 1 [X.] 33.07 - [X.] 402.242 § 54 AufenthG Nr. 5 Rn. 12). Das ist vorliegend nicht der Fall (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1972 - [X.]VerwG 1 [X.] 32.71 - [X.]VerwGE 41, 277 <280> = [X.] 130 § 3 Ru[X.] Nr. 1 S. 3). Erforderlich ist eine umfassende Güterabwägung unter Einbeziehung aller wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls, wozu auch etwaige Vertrauensschutzgesichtspunkte gehören (vgl. [X.]eschlüsse vom 7. November 2000 a.a.[X.] und vom 14. April 2010 - [X.]VerwG 8 [X.] 88.09 - FamRZ 2010, 1250 m.w.N.). Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Rücknahmeentscheidung gerecht.

Der [X.]eklagte hat das ihm durch § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 1 Satz 1 [X.] eingeräumte Ermessen erkannt und das öffentliche Interesse an der [X.]eseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsakts mit dem Interesse des [X.] an der [X.]eibehaltung der rechtswidrigen [X.]escheinigung fehlerfrei abgewogen. Er hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger aufgrund der [X.]escheinigung keine unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile erhalten habe und zu Unrecht ein [X.] Personaldokument (Reisepass oder Personalausweis) besitze, da er nicht die [X.] Staatsangehörigkeit erworben habe. Er hat ferner festgestellt, dass auch keine Vertrauenstatbestände ersichtlich seien, die so stark seien, dass sie einer Rücknahme der [X.]escheinigung entgegenstünden.

b) Der [X.]eklagte durfte gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwVfG die [X.]escheinigung auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen. Dies begegnet im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG keinen verfassungsrechtlichen [X.]edenken. Der Kläger hat durch die Ausstellung der [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] a.F. nicht nach § 7 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der hier maßgeblichen Fassung des [X.] des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 ([X.] 1618) - [X.] a.F. - die [X.] Staatsangehörigkeit erworben, da er - wie unter [X.]) [X.]) dargelegt - nicht Ehegatte einer Spätaussiedlerin und damit kein sogenannter Status[X.] ist.

Nach § 7 Satz 1 [X.] a.F. erwirbt ein [X.] im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, der nicht die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt, mit der Ausstellung der [X.]escheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 [X.] die [X.] Staatsangehörigkeit. [X.] im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen Regelung, wer die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener [X.] Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des [X.] nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 7 [X.] a.F. setzt damit voraus, dass der Inhaber der [X.]escheinigung bei deren Ausstellung die Eigenschaft als Status[X.] im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG besitzt. Hierfür spricht bereits der klare Wortlaut des Gesetzes (aa). Sinn und Zweck der Vorschrift ([X.]) sowie die Gesetzesmaterialien ([X.]) bestätigen dieses Normverständnis.

aa) Der Wortlaut des § 7 Satz 1 [X.] a.F. bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass das ausdrücklich aufgeführte Tatbestandsmerkmal "[X.] im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes" im staatsangehörigkeitsrechtlichen Kontext nicht zu prüfen ist und der gesetzliche Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit nach § 7 Satz 1 [X.] a.F. allein an das formelle Vorliegen einer [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] geknüpft sein soll.

[X.]) Der Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 7 [X.] a.F. soll die Eingliederung von Status[X.], d.h. von [X.] im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ohne [X.] Staatsangehörigkeit, in den [X.] Staatsverband erleichtern. Diese sollen in der Regel die [X.] Staatsangehörigkeit erwerben, ohne ein Einbürgerungsverfahren durchlaufen und die weiteren Voraussetzungen für eine Einbürgerung, die in der Regel wesentlich höher sind, erfüllen zu müssen. Objektiver Rechtfertigungsgrund für den vereinfachten Staatsangehörigkeitserwerb nach § 7 [X.] ist die Rechtsstellung als [X.] im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG. § 7 [X.] will nur denjenigen begünstigen, der tatsächlich [X.] im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist (vgl. [X.], in: [X.], Stand August 2009, [X.] § 7 Rn. 4 und 20; [X.]/Maaßen, in: [X.]/[X.]/Maaßen, [X.], 5. Aufl. 2010, § 7 Rn. 16; s.a. Urteil vom 19. Juni 2001 - [X.]VerwG 1 [X.] 26.00 - [X.]VerwGE 114, 332 <336> = [X.] 11 Art. 116 GG Nr. 30 S. 9 unter [X.]ezugnahme auf [X.]VerfG, [X.] des Zweiten Senats, [X.]eschluss vom 5. Juli 2000 - 2 [X.]vR 865/00 - NVwZ-RR 2000, 836).

Unter welchen Voraussetzungen eine Person "als Vertriebener [X.] Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte (oder Abkömmling)" diesen Status erwirbt, bestimmt sich nach Art. 116 Abs. 1 GG i.V.m. mit § 4 [X.]. Die [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] zählt danach nicht zu den Erwerbsvoraussetzungen. Ihr kommt insoweit auch im Übrigen keine konstitutive Wirkung zu.

[X.]) Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass die Eigenschaft als Status[X.] im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG tatbestandliche Voraussetzung für den Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit nach § 7 Satz 1 [X.] a.F. ist. Nach der Gesetzesbegründung zur Einführung dieser Vorschrift betrifft der Erwerbstatbestand Personen, die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] erfüllen (vgl. [X.]TDrucks 14/533 S. 14; s.a. [X.]TDrucks 16/5065 [X.]). Des Weiteren wird ausgeführt, "dagegen genügt es - entsprechend der bisherigen Praxis - für den Statuserwerb durch den nicht[X.] Ehegatten nicht, wenn er nach dem Spätaussiedler die [X.] verlässt und erst in diesem Zeitpunkt die geforderte Ehedauer vorliegt. In diesen Fällen kann die [X.] Staatsangehörigkeit nur durch Einbürgerung erworben werden" (vgl. [X.]TDrucks 14/533 S. 14 f.). Das zeigt, dass nach der gesetzgeberischen Vorstellung allein die formelle Ausstellung einer [X.]escheinigung nach § 15 Abs. 2 [X.] nicht zum gesetzlichen Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit führen soll. Vielmehr soll der privilegierte Staatsangehörigkeitserwerb nach § 7 [X.] a.F. nur bei einer materiell rechtmäßigen [X.]escheinigung eintreten. Denn käme es allein auf das formelle Vorliegen der [X.]escheinigung an, könnte der Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit nach § 7 [X.] nicht daran scheitern, dass der nicht[X.] Ehegatte die [X.] nach dem Spätaussiedler verlassen und demzufolge nicht die materiellrechtliche Voraussetzung des § 7 Abs. 2 [X.] erfüllt hat.

Die durch die Einfügung des gesetzlichen Erwerbstatbestandes angestrebte Entlastung der Einbürgerungsbehörden (vgl. [X.]TDrucks 14/533 S. 14) entfällt dadurch nicht. Sie ist rein verfahrensrechtlicher Natur und liegt in dem Wegfall des bis dahin erforderlichen Einbürgerungsverfahrens für Spätaussiedler und deren nicht[X.] Ehegatten und Abkömmlinge.

Meta

5 C 17/11

24.05.2012

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 17. Mai 2011, Az: 4 A 661/10, Urteil

§ 15 Abs 1 BVFG vom 02.06.1993, § 15 Abs 2 BVFG vom 02.06.1993, § 48 Abs 1 S 1 VwVfG, § 48 Abs 2 VwVfG, § 48 Abs 3 VwVfG, Art 116 Abs 1 GG, Art 7 S 1 RuStAG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.05.2012, Az. 5 C 17/11 (REWIS RS 2012, 6079)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6079

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 C 18/11 (Bundesverwaltungsgericht)

Rücknahme der Spätaussiedlerbescheinigung; Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit; Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit


1 C 25/14 (Bundesverwaltungsgericht)

Rücknahme der Entscheidung über die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung und Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit


1 C 24/14 (Bundesverwaltungsgericht)

Rücknahme der Entscheidung über die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung


1 C 21/16 (Bundesverwaltungsgericht)

Ausschluss des Erwerbs einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG, wenn die …


1 C 29/14 (Bundesverwaltungsgericht)

Aufenthaltnahme bestimmt maßgebliche Rechtslage für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft auch in Altfällen


Referenzen
Wird zitiert von

AN 4 S 19.02344

AN 4 S 19.02137

AN 4 S 19.01539

AN 4 S 19.02085

14 L 2046/21

3 Kart 114/21

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.