Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2005, Az. IX ZR 184/04

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 1569

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Entscheidungstext


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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/04
Verkündet am: 29. September 2005 [X.] als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

[X.] § 131 Abs. 1 Nr. 2; [X.] § 222

a) Eine in der [X.] mit dem Schuldner getroffene Vereinbarung, nach der dieser berechtigt ist, sich durch eine andere als die eigentlich geschuldete Leis-tung von seiner Schuld zu befreien, ist inkongruent. b) Eine Stundungsvereinbarung der Finanzbehörde mit einem zahlungsunfähigen Schuldner, nach der Stundung gegen Abtretung einer Kundenforderung gewährt wird, ist auch dann inkongruent, wenn sich die Forderung des [X.] gegen einen Träger hoheitlicher Gewalt richtet.

[X.], Urteil vom 29. September 2005 - [X.]/04 - [X.] - 2 -
[X.]

- 3 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2005 durch [X.] Ganter, [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.]

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 19. August 2004 wird auf Kosten des beklagten [X.] zurückgewiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.], das auf Antrag vom 17. Dezember 2002 am 1. März 2003 eröffnet wurde.

Am 15. November 2002 trat die schon zahlungsunfähige Schuldnerin alle ihr noch zustehenden Forderungen aus einem Vertrag mit dem [X.] über Elektroarbeiten an einer Schule an das beklagte Land ab. Die Abtretung wurde dem Drittschuldner angezeigt. Am 4. Dezember 2002 stundete das beklagte Land der Schuldnerin Umsatzsteuer, Verspätungs-zuschlag hierauf, Zinsen und Säumniszuschläge aus dem Zeitraum von [X.] bis Oktober 2002 in einer Gesamthöhe von 14.380,33 •. Die Stundung erfolgte "gegen Sicherheitsleistung vom [X.] an bis zur [X.] - lung der abgetretenen Forderung durch den Landkreis". Bis zum 18. Dezember 2002 erhöhte sich der gestundete Betrag auf 19.884,57 •. Der Drittschuldner zahlte lediglich 16.353,09 •. Daraufhin widerrief das beklagte Land die [X.] des übersteigenden Betrages von 3.531,48 •.

Der Kläger hat die Forderungsabtretung in Höhe von 16.353,09 • als inkongruente Deckung angefochten. Die Vorinstanzen haben der auf [X.] gerichteten Zahlungsklage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt das beklagte Land die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg; die Anfechtungsklage ist begründet.

[X.]

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-führt: Der geltend gemachte Zahlungsanspruch sei gegeben, weil die Abtretung innerhalb der Frist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 [X.] und zu einem Zeitpunkt vorge-nommen worden sei, in dem die Schuldnerin objektiv zahlungsunfähig gewesen sei. Die gewährte Deckung sei inkongruent. Allerdings habe bei Abschluss des [X.] gegen die Schuldnerin eine fällige Steuerforderung des beklagten [X.] bestanden. Der Anspruch sei jedoch auf Erfüllung durch Zahlung gerichtet gewesen. Auf die Abtretung der Forderung erfüllungshalber oder an [X.] Statt habe das beklagte Land keinen Anspruch gehabt. Die - 5 - Stundung der Steuerforderung nach § 222 [X.] stehe dem nicht entgegen. Zum einen sei die Stundung erst nach der Abtretung erfolgt. Zum anderen gewähre § 222 Satz 2 [X.] keinen unmittelbaren Anspruch auf Sicherheitsleistung. Die Vorschrift hindere die Finanzbehörden im Rahmen der nach § 222 Satz 1 [X.] zu treffenden Ermessensentscheidung nicht daran, einer Insolvenzlage Rech-nung zu tragen.

I[X.]

Das Berufungsgericht hat die Abtretung der Werklohnforderung der Schuldnerin an das beklagte Land mit Recht als nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 [X.] anfechtbar angesehen.

1. Die Abtretung vom 15. November 2002 liegt, weil der [X.] am 17. Dezember 2002 gestellt wurde, innerhalb der Frist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. [X.] war im Zeitpunkt der Abtretung objektiv zah-lungsunfähig. Hiergegen wendet sich die Revision nicht.

2. Die Abtretung ist auch inkongruent im Sinne von § 131 Abs. 1 [X.]. Denn sie hat dem beklagten Land eine Sicherung gewährt, die es in dem Zeit-punkt der Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 Abs. 1 [X.]) nicht zu [X.] hatte. Gemäß § 222 Satz 1 und 2 [X.] konnte das beklagte Land zwar sein Ermessen dahin ausüben, dass es die Steuerschuld nur gegen Sicher-heitsleistung stundete. Denn die in § 222 Satz 1 [X.] eingeräumte Möglichkeit, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise zu stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner - 6 - bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet [X.], soll nach § 222 Satz 2 [X.] in der Regel nur "gegen Sicherheitsleis-tung" gewährt werden. Worin diese Sicherheitsleistung bestehen kann, lässt die Bestimmung offen. Danach stand dem beklagten Land wenn überhaupt, so jedenfalls kein Anspruch auf eine bestimmte Sicherheit und somit auch kein Anspruch auf die Forderung gegen den [X.] zu.

a) [X.] gemäß § 222 Satz 2 [X.] als inkongruent entspricht - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung in der Litera-tur (vgl. FK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 131 Rn. 21; [X.]/Prütting/[X.], [X.] § 130 Rn. 8; MünchKomm-[X.]/Kirchhof, § 131 Rn. 23; [X.]/[X.], [X.] 12. Aufl. § 131 Rn. 24; zur Konkursordnung s. ferner [X.]/[X.], [X.]. § 30 Rn. 223; [X.]/[X.], KO 11. Aufl. § 30 Rn. 53). Soweit [X.] (NJW 1985, 3001, 3003) von der Revision als Vertreter einer Gegenmeinung zitiert wird, ist dies nicht richtig. [X.] stellt lediglich die Gläubigerbenachteili-gung durch die für eine Stundung von den Finanzbehörden geforderte Sicher-heitsleistung in Frage, wenn die andernfalls durchgeführte Vollstreckung nicht zur vollständigen Zahlung der fälligen Steuern geführt, etwa den [X.] ausgelöst hätte und selbst anfechtbar gewesen wäre.

Im übrigen sind die Ausführungen von [X.] nicht auf den hier vorliegen-den Fall zugeschnitten, dass die Abtretung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Steuerschuldner bereits zahlungsunfähig ist. In diesem Fall wird den Gläu-bigern durch die Zession ein gegebenenfalls werthaltiges Zugriffsobjekt entzo-gen. Daher ist die Gläubigerbenachteiligung auch nach der Auffassung von [X.] hier nicht zu bezweifeln.
- 7 - b) Da die Absprache zwischen dem beklagten Land und der Schuldnerin in die Drei-Monats-Frist des § 131 [X.] und damit in die kritische Zeit fällt, ist sie unabhängig davon inkongruent, ob die Vereinbarung inhaltlich als Gewäh-rung einer Sicherheit oder als die Einräumung einer Ersetzungsbefugnis aus-zulegen ist.

[X.]) War die Abtretung als Einräumung einer Sicherheitsleistung zu [X.], wurde dem beklagten Land nachträglich eine Sicherheit gewährt, auf die es keinen Anspruch hatte und die deshalb inkongruent ist (vgl. Münch-Komm-[X.]/Kirchhof, § 131 Rn. 23; [X.]/[X.], [X.]O § 131 Rn. 24, 26).

[X.]) War die Schuldnerin aufgrund der Vereinbarung vom 15. November 2002 ermächtigt, sich durch eine andere als die eigentlich geschuldete Leis-tung zu befreien, stand ihr also eine Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) zu, gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar ist eine Leistung nicht schon deshalb inkongruent, weil der Schuldner von einer Ersetzungsbefugnis Gebrauch macht, obschon der Gläubiger keinen Anspruch auf die ersetzende Leistung hat (vgl. [X.] 70, 177, 183 f). [X.] ist in diesem Fall aber nur die vor der [X.] getroffene Vereinbarung einer Ersetzungsbefugnis (vgl. [X.] [X.]O; [X.]/[X.], [X.]O § 30 Rn. 213; MünchKomm-[X.]/Kirchhof, § 131 Rn. 12; HK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 131 Rn. 9). An einer in unkritischer Zeit getroffenen Vereinbarung fehlt es im vorliegenden Fall. Sie ergibt sich insbe-sondere nicht aus der angeblichen "ständigen Praxis" der Finanzverwaltung (vgl. dazu unter c [X.]).

[X.]) Bei dem von der Revision aufgegriffenen Einwand, ohne die [X.] gegen Sicherheitsleistung hätte sich die Zugriffslage der Gläubiger im - 8 - Endergebnis nicht anders dargestellt, handelt es sich um eine hypothetische und deshalb unzulässige Betrachtung (vgl. [X.], Urt. v. 2. Juni 2005 - [X.] ZR 263/03, [X.], 1712, 1714; HK-[X.]/[X.], [X.]O § 129 Rn. 63). Im Übrigen ist sie auch unzutreffend. Wenn die Schuldnerin ihre Kundenforderung nicht an das beklagte Land abgetreten hätte, wäre sie Bestandteil der Masse geworden. Die Frage, ob die Abtretung gegen Stundung auch dann anfechtbar wäre, wenn sich das beklagte Land durch Aufrechnung hätte befriedigen können (§§ 94, 95 [X.]), stellt sich nicht. Eine Aufrechnung war mangels Gegenseitig-keit der beiderseitigen Forderungen nicht möglich.

c) Der besondere Umstand, dass die Stundung durch die Finanzbehörde gewährt wurde, weil die Schuldnerin ihrerseits einen Zahlungsanspruch gegen einen Träger öffentlicher Gewalt, nämlich den [X.] geltend machen konnte, steht der Anfechtbarkeit der Abtretung nicht entgegen.

[X.]) Das Vorbringen der Revision, dass die Gewährung von Stundungen in derartigen Fällen einer dauerhaft geübten Praxis der Finanzverwaltung ent-spricht, mag zutreffen. Es kann für die Revisionsinstanz auch unterstellt wer-den, dass die Finanzbehörden in der Ausübung ihres Ermessens insoweit ge-bunden sein können, wenn der Steuerschuldner noch nicht insolvenzreif ist. Die Revision vernachlässigt indes, dass die Finanzbehörden im Streitfall den Zahlungsaufschub zunächst nicht gegen, sondern ohne Sicherheit gewährt und die Sicherheit erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin [X.] haben. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt bestand kein Anspruch der Schuldnerin mehr, einen Stundungsantrag Zug um Zug gegen Abtretung einer werthaltigen Kundenforderung durchzusetzen. Ihre organschaftlichen Vertreter hatten vielmehr ohne schuldhaftes Zögern die Eröffnung des [X.] - [X.] zu beantragen (vgl. § 130a Abs. 1 Satz 2 und 3, § 161 Abs. 2, § 177a Satz 1 HGB). Im Übrigen ist der Schluss, aus dem Rechtsanspruch auf [X.] folge zugleich die Kongruenz der Deckung, auch deshalb nicht zutref-fend, weil § 222 Satz 2 [X.] - wie dargelegt - keinen Anspruch auf eine [X.] Sicherheit gewährt.
[X.]) Auf die von der Revision herausgestellte weitere Besonderheit, dass die Schuldnerin laufende Umsatzsteuern entrichten sollte, die aus öffentlichen Aufträgen herrührten, während die Zahlungen durch die öffentliche Hand nur schleppend erfolgten, kommt es hierbei ebenfalls nicht an. Selbst wenn einem Stundungsbegehren aus dem Gesichtspunkt einer nach den Grundsätzen von [X.] und Glauben gebotenen "Verrechnungsstundung" (im weiteren Sinne) auch ohne Identität der Aufrechnungsbeteiligten entsprochen werden müsste, weil das Beharren der Finanzbehörden auf der juristischen Trennung beim Steuerpflichtigen auf Unverständnis stieße, ist für die Ermessensreduzierung auf Null in diesem Sonderfall kein Raum mehr, nachdem der Steuerschuldner zahlungsunfähig geworden ist. Nach den handelsrechtlichen Bestimmungen darf der organschaftliche Vertreter der Schuldnerin ab diesem Zeitpunkt grund-sätzlich nicht mehr zahlen (vgl. § 130a Abs. 2 Satz 1, § 161 Abs. 2, § 177a Satz 1 HGB). Unter das Zahlungsverbot fällt auch die Hingabe von Sachen und Rechten ohne hinreichende Gegenleistung (vgl. [X.]/[X.], HGB 31. Aufl. § 130a Rn. 9). Sinn und Zweck des mit der Ersatzpflicht des organ-schaftlichen Vertreters bewehrten Zahlungsverbots ist es, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamt-heit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine ihr nachteilige bevorzugte [X.] einzelner Gläubiger zu verhindern (vgl. [X.] 143, 184, 186 zu § 64 Abs. 2 GmbHG; [X.]/[X.], [X.]O). Nach der Person des Drittschuldners wird in § 130a Abs. 2, § 161 Abs. 2, § 177a Satz 1 HGB nicht unterschieden. - 10 - Wenn die Finanzbehörden eine Stundung bei anfechtbarer Annahme einer an-gebotenen Sicherheit ablehnen, kann darin keine "erhebliche Härte" im Sinne des § 222 [X.] liegen. [X.] gegen Abtretung werthaltiger - 11 - Ansprüche begründen deshalb, wenn sie in der [X.] getroffen wer-den, generell den Verdacht einer krisenbedingten Vermögensverschiebung und sind vom Anwendungsbereich des § 131 [X.] nicht auszunehmen.

Ganter [X.] [X.]

[X.] [X.]

Meta

IX ZR 184/04

29.09.2005

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2005, Az. IX ZR 184/04 (REWIS RS 2005, 1569)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1569

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