Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2013, Az. B 11 AL 15/12 R

11. Senat | REWIS RS 2013, 222

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung von Kosten im Vorverfahren - Rechtsanwaltsvergütung - Entstehen der Erledigungsgebühr - Hinweis auf laufendes Strafverfahren und spätere Vorlage des Strafurteils - Geschäftsgebühr


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 14.6.2012 geändert. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des [X.] vom 15.3.2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte dem Kläger nur weitere 285,60 Euro zu zahlen hat. Im Übrigen wird die Revision des [X.] zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger 85 vom Hundert der Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe der von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren.

2

Die Beklagte, die über das zuständige Hauptzollamt von Ermittlungen gegen den Kläger wegen des Verdachts auf [X.] erfahren hatte, erließ dem Kläger gegenüber einen Bescheid vom 11.9.2006, mit dem sie unter Hinweis auf eine angeblich nicht angezeigte selbständige Tätigkeit die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld [X.]) für die [X.] aufhob und Erstattung von [X.] und von Beiträgen in der Gesamthöhe von 9132,32 Euro verlangte.

3

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger durch seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt Widerspruch. Nach Akteneinsicht teilte der Bevollmächtigte des [X.] der Beklagten mit, es sei unzutreffend, dass der Kläger im streitigen Zeitraum eine selbständige Tätigkeit ausgeübt habe; da die Entscheidung im Widerspruchsverfahren nicht unabhängig von dem noch laufenden Strafverfahren, in dem der Kläger durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten werde, getroffen werden könne, werde angeregt, das Verfahren bis zum Ausgang des Strafverfahrens ruhend zu stellen. Die Beklagte ließ daraufhin das Widerspruchsverfahren ruhen. Nachdem der Bevollmächtigte der Beklagten im Oktober 2007 das vollständige Urteil des Amtsgerichts (AG) K. vorgelegt hatte, aus dem sich ergab, dass der Kläger freigesprochen worden war, nahm die Beklagte mit [X.] vom 19.10.2007 den Bescheid vom 11.9.2006 zurück und erklärte sich bereit, die Kosten im notwendigen Umfang zu erstatten. Außerdem teilte die Beklagte dem Bevollmächtigten mit, es sei notwendig gewesen, dass er als Rechtsanwalt bevollmächtigt worden sei.

4

Von den in Rechnung gestellten Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 706,27 Euro, in denen auch eine [X.] von 280 Euro zuzüglich 19 % Umsatzsteuer, insgesamt 333,20 Euro, nach [X.] 1002, 1005 des [X.] (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) enthalten war, erstattete die Beklagte lediglich einen Betrag in Höhe von 373,07 Euro (706,27 abzüglich 333,20 Euro). Der von der Beklagten anerkannte Betrag setzte sich zusammen aus der Geschäftsgebühr nach [X.] 2400 VV in Höhe von 280 Euro, der Postpauschale von 20 Euro nach [X.] 7002 VV, der Dokumentenpauschale von 13,50 Euro nach [X.] 7000 VV und der Umsatzsteuer von 53,97 Euro nach [X.] 7008 VV (Bescheid vom 30.11.2007). Der Widerspruch des [X.], mit dem dieser die Erstattung weiterer 333,20 Euro begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12.12.2007).

5

Das Sozialgericht ([X.]) hat die Beklagte unter Abänderung der ergangenen Bescheide verurteilt, an den Kläger weitere 333,20 Euro zu zahlen (Gerichtsbescheid vom 15.3.2011).

6

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat das [X.] ([X.]) die Berufung gemäß § 144 Abs 2 [X.] 1 Sozialgerichtsgesetz ([X.]) zugelassen (Beschluss vom 9.3.2012). Es hat das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt.

7

Mit Urteil vom 14.6.2012 hat das [X.] den Gerichtsbescheid des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Gründen des Urteils hat das [X.] [X.] ausgeführt: Eine q[X.]lifizierte, die [X.] begründende Tätigkeit liege nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B[X.]) zB vor, wenn der Rechtsanwalt zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert bisher noch nicht bekannte Beweismittel beibringe; vorliegend fehle es aber an entsprechenden besonderen Bemühungen. Durch die Anregung, das Widerspruchsverfahren ruhen zu lassen, habe der Bevollmächtigte keine zusätzlichen Bemühungen entfaltet; er habe vielmehr im Gegenteil die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass er im Widerspruchsverfahren von allen weiteren zur Erfüllung des Auftrags erforderlichen Tätigkeiten habe absehen können. Der Kläger habe auch unter anderen Gesichtspunkten keinen Anspruch auf Erstattung weiterer Auslagen.

8

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt [X.] vor, der Bevollmächtigte habe das Ruhen des Widerspruchsverfahrens zur Vermeidung eines Gerichtsverfahrens vorgeschlagen; hierzu sei er nicht verpflichtet gewesen. Das Ruhen habe der Beklagten weitere Ermittlungen erspart.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 14.6.2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des [X.] vom 15.3.2011 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist teilweise begründet (§ 170 Abs 2 [X.] SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung einer [X.] im geltend gemachten Umfang; Anspruch auf eine Geschäftsgebühr besteht allerdings nur in Höhe von 240 Euro. Dem Kläger stehen deshalb noch weitere 285,60 Euro zu; das angefochtene Urteil ist entsprechend zu ändern.

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Revision und die Berufung sind jeweils zugelassen, woran der Senat gebunden ist. Die genannten Rechtsmittel sind auch nicht nach § 144 Abs 4 SGG iVm § 165 [X.] SGG ausgeschlossen, weil in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens gestritten wird (stRspr, ua [X.], 30 = [X.]-1935 § 14 [X.] 2; Urteile des Senats vom [X.] - B 11 [X.] 24/08 R - [X.], 21 = [X.]-1300 § 63 [X.] 12, und vom [X.] [X.] 14/09 R - Juris). Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage; der Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Bestimmung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts nach § 63 Abs 3 [X.] Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ([X.]) bedarf es nicht, weil die Beklagte diese Notwendigkeit ausdrücklich anerkannt hat.

2. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht die Erstattung einer [X.] nach [X.] 1005 [X.] iVm [X.] 1002 [X.] abgelehnt. Unter den Umständen des vorliegenden Falls, die den tatsächlichen Feststellungen des [X.] zu entnehmen sind, hat der Kläger Anspruch auf Erstattung einer [X.].

a) Rechtsgrundlage für die geltend gemachte [X.] ist [X.] 1005 [X.] iVm [X.] 1002 [X.] ([X.] 1 zum RVG). Danach erhält der Rechtsanwalt eine Gebühr für die Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG); die Gebühr umfasst einen Rahmen von 40 bis 520 Euro. Die Gebühr entsteht, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt (vgl Erläuterungen zu [X.] 1002 [X.]).

Nach der Rechtsprechung des BSG zu [X.] 1005 bzw 1002 [X.] kann eine Gebühr für die Mitwirkung an der Erledigung eines isolierten Vorverfahrens nur beansprucht werden, wenn der Rechtsanwalt eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat (ua BSG [X.]-1300 § 63 [X.] 8 Rd[X.] 20 ff; Urteile des Senats vom 21.3.2007 - B 11a [X.] 53/06 R - Rd[X.] 16, und vom [X.] [X.] 14/09 R, Rd[X.] 22). Erforderlich ist eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung, die über das Maß hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im Widerspruchsverfahren abgegolten wird (vgl BSG [X.]-1300 § 63 [X.] 8 Rd[X.] 22). Eine solche qualifizierte, eine [X.] begründende Tätigkeit liegt beispielsweise vor, wenn der Rechtsanwalt zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue Beweismittel, etwa während des Vorverfahrens neu erstattete Befundberichte oder fachliche Stellungnahmen, beibringt (BSG [X.]-1935 [X.] [X.] 1002 [X.] 1 Rd[X.] 15; BSG Urteil vom [X.] - B 13 R 63/09 R, Rd[X.] 28).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] liegt unter den Umständen des vorliegenden Falles eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts vor, die ursächlich für die (unstreitige) Erledigung des Vorverfahrens durch [X.] gewesen ist. Denn der Bevollmächtigte des [X.] hat den Widerspruch nicht nur eingelegt und begründet, sondern darüber hinaus weitere Tätigkeiten entfaltet, die zur Erledigung beigetragen haben. Er hat zunächst von sich auf das laufende Strafverfahren verwiesen, was die Beklagte veranlasst hat, das Widerspruchsverfahren ruhen zu lassen. In der Folgezeit hat der Bevollmächtigte des [X.] die Beklagte über den Stand des Strafverfahrens informiert und er hat der Beklagten schließlich das vollständige Strafurteil mit Gründen vorgelegt, das die Beklagte im Wege des [X.] verwertet und dem es entnommen hat, dass der angefochtene Bescheid nicht aufrechterhalten bleiben kann. Das Beibringen entscheidungserheblicher Informationen über den Ablauf des Strafverfahrens ist vergleichbar mit der Vorlage von [X.] oder fachlichen Stellungnahmen (vgl BSG Urteil vom [X.] - B 13 R 63/09 R, Rd[X.] 28). Die Tätigkeit des Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren geht somit über das Maß hinaus, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im Widerspruchsverfahren abgegolten ist.

Die vorstehend beschriebene Bewertung der Tätigkeit des Bevollmächtigten des [X.] steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Senats vom [X.] [X.] 14/09 R -, in dem die Übersendung des Protokolls eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs als nicht ausreichend angesehen worden ist. In dem der Entscheidung vom [X.] zugrunde liegenden Fall war der Bevollmächtigte selbst als Rechtsanwalt im arbeitsgerichtlichen Prozess tätig, weshalb der Senat angenommen hat, dass sich seine besonderen Bemühungen nicht auf das konkret zu beurteilende Widerspruchsverfahren bezogen und deshalb der Übersendung des [X.] im Widerspruchsverfahren nur untergeordnete Bedeutung zukam (vgl Urteil vom [X.] [X.] 14/09 R - Rd[X.] 23, 24). Im vorliegenden Fall war der Bevollmächtigte im Strafprozess nicht tätig, weshalb auch nicht die Rede davon sein kann, seine Bemühungen hätten sich auf ein anderes Verfahren als das Widerspruchsverfahren bezogen.

c) Die Höhe der [X.] von 280 Euro ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht der [X.] gemäß [X.] 1005 [X.] ([X.] zwischen 40 und 520 Euro; zur Berechnung vgl [X.], 30 = [X.]-1935 § 14 [X.] 2, Rd[X.] 23).

3. Der vom Kläger geltend gemachte Gesamtbetrag von 706,27 Euro, der sich aus der Geschäftsgebühr und der [X.] in Höhe von jeweils von 280 Euro, der Postpauschale, der Dokumentenpauschale sowie der Umsatzsteuer zusammensetzt, ist allerdings noch zu reduzieren, weil die Geschäftsgebühr gemäß [X.] 2400 [X.] nur in Höhe von 240 Euro beansprucht werden kann. Die Überprüfung des [X.] der Beklagten beschränkt sich nicht nur auf die Höhe der [X.] (vgl BSG Urteil vom [X.] - B 13 R 63/09 R, Rd[X.] 20 mwN).

Voraussetzung für eine den Betrag von 240 Euro übersteigende Geschäftsgebühr ist nach ausdrücklicher Regelung in [X.] 2400 [X.], dass die Tätigkeit des Bevollmächtigten umfangreich oder schwierig war. Dies wird vom Kläger bzw seinem Bevollmächtigten selbst nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Insgesamt sind somit im Widerspruchsverfahren Gebühren in Höhe von 658,67 Euro angefallen (240 + 280 + 20 + 13,50 + Mehrwertsteuer 105,17). Es besteht Anspruch auf weitere 285,60 Euro (658,67 abzüglich gezahlte 373,07 Euro).

4. [X.] beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 11 AL 15/12 R

17.12.2013

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Konstanz, 15. März 2011, Az: S 2 AL 722/08, Gerichtsbescheid

§ 63 Abs 1 S 1 SGB 10, § 63 Abs 2 SGB 10, § 2 Abs 2 S 1 RVG, § 3 RVG, Nr 1002 RVG-VV, Nr 1005 RVG-VV, Nr 2400 RVG-VV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2013, Az. B 11 AL 15/12 R (REWIS RS 2013, 222)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 222

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 13 R 63/09 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsanwaltsvergütung - Entstehen der Erledigungsgebühr - keine Erforderlichkeit eines beiderseitigen Nachgebens


B 11 AL 14/09 R (Bundessozialgericht)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Rechtsanwaltsvergütung - isoliertes Vorverfahren - erstattungsfähige Kosten - Geschäftsgebühr - Schwellengebühr - …


B 14 AS 62/12 R (Bundessozialgericht)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung von Kosten im Vorverfahren - Rechtsanwaltsvergütung - Erledigungsgebühr - Erforderlichkeit einer …


L 7 AS 830/16 NZB (LSG München)

Keine Erledigungsgebühr bei unwesentlicher Handlung des Bevollmächtigten


B 4 AS 155/10 R (Bundessozialgericht)

(Erstattung von Kosten im Vorverfahren in sozialrechtlichen Angelegenheiten - Rechtsanwaltsvergütung - Gebührenerhöhung bei Beauftragung des …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.