Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.10.2022, Az. VIa ZR 406/21

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6185

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Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 18. Oktober 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des [X.] vom 3. Februar 2021 wird hinsichtlich des [X.] zu 3 (vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten) zurückgewiesen.

Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Sie erwarb am 25. April 2013 von einem Händler ein Neufahrzeug [X.] mit einem von der [X.] hergestellten Dieselmotor des Typs [X.], der die bekannte Umschaltlogik (vgl. [X.], Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.]Z 225, 316 Rn. 16 ff.) enthält. Der [X.] von 32.189,51 € wurde auf ein Konto der [X.] gezahlt.

3

Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen die Verurteilung der [X.] zur Zahlung von 20.493,99 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels verurteilt, an die Klägerin 15.853,85 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 € freizustellen und den Annahmeverzug der [X.] festgestellt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7

Zwar habe die Klägerin dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Die Nutzungsentschädigung belaufe sich unter Berücksichtigung einer geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km und einem Kilometerstand des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung von 126.871 km auf 16.335,66 €. Damit errechne sich ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 15.853,85 €. Diesem Anspruch stehe jedoch die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die Verjährungsfrist sei mit Ende des Jahres 2019 abgelaufen, so dass die im Juli 2020 eingereichte Klage die Verjährung nicht mehr habe hemmen können.

8

Trotz der Verjährung stehe der Klägerin indessen ein Restschadensersatz gemäß § 852 BGB zu. Der Anwendungsbereich des § 852 BGB sei nicht teleologisch zu reduzieren. Vielmehr stehe der Klägerin nach §§ 826, 852 BGB grundsätzlich ein Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs zu. Eine etwaige [X.] wäre grundsätzlich bei der Bestimmung des erlangten "Etwas" abzuziehen, da die Beklagte insoweit keinen Vermögenszuwachs zu verzeichnen habe. Dass sie den Kaufpreis nicht zur Gänze erhalten hätte, habe die Beklagte nicht konkret unter Bezifferung einer angefallenen [X.] vorgetragen. Im Übrigen werde die [X.] dahingehend geschätzt, dass sie jedenfalls geringer sei als die abzuziehende Nutzungsentschädigung.

II.

9

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihr für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte allerdings die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. nur [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 24 ff. [X.]). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB bei Neuwagenkäufen in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen der Ansicht der Revision nicht - einen Anspruch des [X.] ausschließend - teleologisch zu reduzieren (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 12).

3. Im Ansatz zutreffend erweist sich auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf der Klägerin im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" habe, nämlich den um die [X.] reduzierten Kaufpreis (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 68; jeweils [X.]; [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 - [X.], [X.], 745 Rn. 27). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Kaufpreis an den Händler oder den Hersteller gezahlt wurde. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang ist jedenfalls gegeben, wenn - wie hier nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts - der Händler selbst kein Absatzrisiko trägt.

4. Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Restschadensersatzanspruchs der Klägerin.

a) Der Anspruch des geschädigten Fahrzeugkäufers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 83 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 16). Dabei erschöpft sich die Bedeutung des ursprünglich geschuldeten Schadensersatzes keineswegs in einer bloßen Vergleichsbetrachtung und einer einfachen Limitierung durch den ursprünglichen Zahlbetrag. Vielmehr hat die Rechtsnatur des in § 852 Satz 1 BGB geregelten Restschadensersatzanspruchs eine dreifache Limitierung zur Folge: Zunächst ist der vom Geschädigten entrichtete [X.] um die [X.] zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten [X.] der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO). Auch für diese Berechnung macht es keinen Unterschied, ob der vom Geschädigten gezahlte [X.] zunächst vom Händler oder vom Hersteller vereinnahmt wird.

b) Abweichend davon hat das Berufungsgericht vom Endkaufpreis (32.189,51 €) den Nutzungsvorteil (16.335,66 €) abgezogen und den so ermittelten, verjährten Schadensersatzanspruch des [X.] aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 15.853,85 € als Restschadensersatz angenommen. Den Abzug der [X.] hat es zwar grundsätzlich erwogen, aber nicht durchgeführt. Die [X.] hat es dabei nicht konkret festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, sie sei geringer als die abzuziehende Nutzungsentschädigung zu schätzen. Indessen sind zur Ermittlung des Restschadensersatzanspruchs sowohl der Nutzungsvorteil als auch die [X.] vom Endkaufpreis abzuziehen und folglich konkret festzustellen. Zudem rügt die Revision zu Recht, das Berufungsgericht hätte die Parteien auf fehlenden Vortrag zu der [X.] hinweisen müssen, nachdem mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung noch angekündigt worden war, dass die [X.] gegebenenfalls zu schätzen wäre.

c) Entgegen der Ansicht der Revision ist der Restschadensersatzanspruch der Klägerin hingegen nicht auf den von der Beklagten mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs erzielten Gewinn beschränkt (vgl. im Einzelnen [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 86 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 17). An diesen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmenden Grundsätzen hält der Senat weiterhin fest (vgl. [X.], Urteil vom 1. August 2022 - [X.], juris Rn. 17).

5. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht verlangen. Die Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB erfasst auch diese Schadensposition. Ein Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB besteht insoweit nicht, da die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit zu keiner Mehrung des Vermögens der Beklagten führte. Die Voraussetzungen eines Anspruchs unter dem Gesichtspunkt des [X.] gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB sind ebenfalls nicht erfüllt (vgl. etwa [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 19 ff. [X.]).

III.

Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Sache - im Sinne einer Zurückweisung der Berufung der Klägerin - zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im übrigen Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). [X.] besteht insoweit nicht, da die erforderliche Feststellung der [X.] Sache des Tatrichters ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. September 2022 - [X.], [X.]).

[X.]     

      

Möhring     

      

Krüger

      

Wille     

      

Liepin     

      

Meta

VIa ZR 406/21

10.10.2022

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 18. Oktober 2021, Az: 3 U 999/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.10.2022, Az. VIa ZR 406/21 (REWIS RS 2022, 6185)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6185

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 365/21

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