Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.08.2022, Az. VIa ZR 24/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 4095

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Gegenstand

Berechnung des Anspruchs auf Restschadensersatz im sogenannten Dieselskandal


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9a. Zivilsenats des [X.] vom 3. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte [X.] wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte im [X.] bei einem Autohaus ein Neufahrzeug des Typs [X.] zum Preis von 35.600 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der [X.] hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgestattet. Die verwendete Motorsteuerungssoftware erkannte das Durchfahren des [X.] (NEFZ) und bewirkte für diesen Fall einen geringeren [X.] als im Normalbetrieb, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Am 25. Oktober 2016 wurde ein Software-Update zur Beseitigung dieser vom [X.] als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandeten Funktion aufgespielt.

3

Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Verurteilung der [X.] zur Zahlung von 24.326,67 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels verurteilt, an den Kläger 19.438,45 € nebst [X.] um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

5

Die unbeschränkt zugelassene (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 16 ff., zur [X.] bestimmt in [X.]Z) und auch im Übrigen zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ([X.], Urteil vom 3. Dezember 2021 - 9a [X.], juris), soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7

Der Kläger habe einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB. Der Anspruch sei auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des erlangten [X.] um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtet. Der Nutzungsvorteil sei gemäß § 287 ZPO auf 16.161,55 € zu schätzen, woraus ein Anspruch in Höhe von 19.438,45 € resultiere. Allerdings berufe sich die Beklagte zu Recht auf Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist habe jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen, da der Kläger spätestens mit Erhalt eines an ihn gerichteten Rückrufschreibens der [X.] Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten "Dieselskandal" erlangt habe. Gleichwohl könne der Kläger gemäß § 852 Satz 1 BGB Restschadensersatz in der genannten Höhe von 19.438,45 € beanspruchen. "[X.]" im Sinne der Vorschrift habe die Beklagte den ihr als Herstellerin des Fahrzeugs zugeflossenen Kaufpreis, also den vom Kläger gezahlten Preis abzüglich der [X.]. Bei einer Neufahrzeugbestellung durch den Endkunden über einen (Vertrags-)Händler wie im vorliegenden Fall erlange die Beklagte den Kaufpreis bei wirtschaftlicher Betrachtung - auch wegen des nicht vorhandenen Absatzrisikos des Händlers - nicht auf Kosten des Händlers, sondern des Endkunden. Die genaue Höhe des der Beklagten zugeflossenen Kaufpreises könne dahinstehen, da dieser Betrag jedenfalls höher liege als der Schadensersatzanspruch des [X.] aus § 826 BGB (19.438,45 €), der die Obergrenze des Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB bilde.

II.

8

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

9

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte allerdings die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 24 ff. [X.]). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten "Dieselskandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen der Ansicht der Revision nicht - einen Anspruch des [X.] ausschließend - teleologisch zu reduzieren (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 12).

3. Als frei von [X.] erweist sich auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte aus dem Fahrzeugkauf des [X.] im Sinne des § 852 Satz 1 BGB "etwas erlangt" habe, nämlich den um die [X.] reduzierten Kaufpreis.

a) Das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des [X.] geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem [X.] und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2022 - [X.], NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 68; jeweils [X.]). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des [X.] erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des [X.] bzw. der Erwerb des [X.] durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 - [X.], [X.], 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes ([X.] erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang ([X.], Urteil vom 21. März 2022, aaO, Rn. 28).

b) Im Streitfall ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang gegeben. Den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge bestellte der Kläger das Neufahrzeug bei einem Händler, der selbst kein Absatzrisiko trug. Die Fahrzeugbestellung des [X.] führte demnach dazu, dass die Beklagte nach entsprechender Bestellung des Händlers einen Anspruch auf Zahlung des [X.] erhielt. Nach Erfüllung dieses Anspruchs hat sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem vom Händler gezahlten Entgelt fortgesetzt (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 13 f. [X.]).

4. Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Restschadensersatzanspruchs des [X.].

a) Der Anspruch des geschädigten Fahrzeugkäufers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 83 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 16). Dabei erschöpft sich die Bedeutung des ursprünglich geschuldeten Schadensersatzes keineswegs in einer bloßen Vergleichsbetrachtung und einer einfachen Limitierung durch den ursprünglichen Zahlbetrag. Vielmehr hat die Rechtsnatur des in § 852 Satz 1 BGB geregelten Restschadensersatzanspruchs eine dreifache Limitierung zur Folge: Zunächst ist der seitens des Fahrzeughändlers vom Geschädigten vereinnahmte Kaufpreis um die [X.] zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten [X.] der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO).

b) Abweichend davon hat das Berufungsgericht den Nutzungsvorteil (16.161,55 €) vom [X.] (35.600 €) abgezogen und den so ermittelten, verjährten Schadensersatzanspruch des [X.] aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 19.438,45 € im Sinne einer Vergleichsbetrachtung dem von der Beklagten erlangten [X.] ([X.] abzüglich [X.]) gegenübergestellt. Den [X.] hat es dabei nicht konkret festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, er liege jedenfalls höher als 20.000 € und damit höher als der Anspruch aus § 826 BGB. Indessen sind zur Ermittlung des Restschadensersatzanspruchs sowohl der Nutzungsvorteil als auch die [X.] vom [X.] abzuziehen und folglich konkret festzustellen.

c) Entgegen der Ansicht der Revision ist der Restschadensersatzanspruch des [X.] hingegen nicht auf den von der Beklagten mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs erzielten Gewinn beschränkt. Die Aufwendungen der Beklagten für die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung des Fahrzeugs bestimmen das nach § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB [X.]e nicht mit. Sie sind auch nicht nach § 818 Abs. 3 BGB berücksichtigungsfähig, weil der Beklagten die Berufung auf eine mögliche Minderung ihrer Bereicherung nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB verwehrt ist (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 731 Rn. 86 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 17). An diesen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmenden Grundsätzen hält der Senat fest.

III.

Das Berufungsurteil ist aufzuheben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif im Sinne von § 563 Abs. 3 ZPO, da die erforderliche Feststellung der [X.] Sache des Tatrichters ist.

[X.]     

      

Krüger     

      

Rensen

      

Wille     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 24/22

01.08.2022

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Dresden, 3. Dezember 2021, Az: 9a U 78/21, Urteil

§ 31 BGB, § 826 BGB, § 852 S 1 BGB, § 818 Abs 1 BGB, § 818 Abs 3 BGB, § 818 Abs 4 BGB, § 819 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.08.2022, Az. VIa ZR 24/22 (REWIS RS 2022, 4095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4095

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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