Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.03.2016, Az. XI R 9/15

11. Senat | REWIS RS 2016, 15342

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Gegenstand

Zur (zweifachen) Berichtigung der Umsatzsteuer bei und nach der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters


Leitsatz

1. NV: Bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug, ist der Steuerbetrag für die steuerpflichtigen Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen (erste Berichtigung).

2. NV: Eine nachfolgende Vereinnahmung des Entgelts durch den vorläufigen Insolvenzverwalter führt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung des Steuerbetrages und begründet nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 InsO.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Januar 2015  5 K 5182/13 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.] (GmbH).

2

Mit Beschluss vom 14. Mai 2012 ordnete das Amtsgericht (AG) über das Vermögen der GmbH die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestellte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Verfügungen der GmbH wurden nur mit Zustimmung des [X.] wirksam (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Insolvenzordnung --[X.]--). Das AG untersagte der GmbH die Einziehung von [X.], wies Drittschuldner an, ihre Verbindlichkeiten nur an den Kläger zu entrichten und ermächtigte diesen, Bankguthaben und sonstige Forderungen der GmbH einzuziehen sowie eingehende Gelder und Schecks entgegenzunehmen. Das Insolvenzverfahren wurde am 25. Juni 2012 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt (§ 27 [X.]).

3

Die GmbH führte den Geschäftsbetrieb bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort und meldete die in der [X.] vom 14. Mai 2012 bis zum 31. Mai 2012 ausgeführten Umsätze unter ihrer bestehenden Steuernummer an. Mit Bescheid über die Festsetzung der [X.] für den Monat Mai 2012 vom 18. September 2012 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) die für die [X.] vom 14. Mai 2012 bis 31. Mai 2012 angemeldeten Beträge hingegen unter der (vom [X.] neu vergebenen) Steuernummer für die Insolvenzmasse fest.

4

Der hiergegen eingelegte Einspruch des [X.] blieb erfolglos.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt und hob den Vorauszahlungsbescheid für Mai 2012 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung auf. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2015, 1847 veröffentlicht.

6

Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Umsatzsteuerforderung des [X.] stelle eine Insolvenzforderung dar. Das [X.] folge der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) im Urteil vom 24. September 2014 V R 48/13 ([X.]E 247, 460, [X.], 506) insoweit, als es für die Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 [X.] auf die dem vorläufigen Insolvenzverwalter zustehenden rechtlichen Befugnisse ankomme.

7

Entgegen der [X.]-Rechtsprechung führe die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem Recht zum Forderungseinzug nicht zu einer Uneinbringlichkeit der Entgelte für Leistungen der GmbH vor oder nach der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Es entspreche weder dem Wortsinn des Begriffs "Uneinbringlichkeit" noch dem Zweck des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), dass durch bloße Veränderungen in der Gläubigerstellung ohne Zutun des Schuldners eine Berichtigungspflicht auf beiden Seiten der [X.] ausgelöst werde. Sollte keine korrespondierende Berichtigungspflicht für den Schuldner bestehen, so widerspreche dies dem in Art. 167 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) vorgegebenen Korrespondenzprinzip. Das [X.] schließe sich der vom 7. Senat des [X.] im Urteil vom 2. April 2014  7 K 7337/12 (E[X.] 2014, 1427) vertretenen Auffassung an, dass die Qualifizierung offener Steuerforderungen als bevorrechtigte Masseverbindlichkeiten (sog. Fiskus-Privileg) einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedürfe. Diese liege nicht in der Korrekturvorschrift des § 17 UStG, denn diese auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL beruhende Bestimmung bezwecke lediglich die Sicherstellung der Besteuerung des tatsächlich erhaltenen Entgelts. Dass der [X.] im Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506 einen Verstoß gegen Unionsrecht verneint habe, sei vor diesem Hintergrund nicht überzeugend.

8

Mit seiner Revision rügt das [X.] die Abweichung des [X.] von der Rechtsprechung des [X.] in den Urteilen vom 9. Dezember 2010 V R 22/10 ([X.]E 232, 301, BStBl II 2011, 996) und in [X.]E 247, 460, [X.], 506.

9

Das [X.] beantragt,
das [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält die Vorentscheidung für zutreffend.

Die Rechtsprechung des [X.] führe zu einem nicht ausdrücklich gesetzlich geregelten Rangvorrecht des Fiskus, das nicht durch richterrechtliche Rechtsfortbildung geschaffen werden dürfe und deshalb verfassungswidrig sei. Im Fall der [X.] würden Insolvenzforderungen in den Rang von Masseverbindlichkeiten erhoben. Die zur Masse fließenden Umsatzsteuerbeträge würden separiert und dem Fiskus zulasten der übrigen Gläubiger --ähnlich einem Aussonderungsrecht-- zugewiesen.

Die Auslegung des [X.] sei auch nicht mit Unionsrecht vereinbar. Der Fall der Insolvenzeröffnung sei in Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL, auf dem § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG beruhe, nicht vorgesehen. Im [X.] und im [X.] Recht sei für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen einerseits und Masseforderungen andererseits allein entscheidend, ob die Leistung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden sei. Die Auslegung des Begriffs der Uneinbringlichkeit durch den [X.] führe damit zu einer unterschiedlichen Erhebung der Umsatzsteuer in verschiedenen Mitgliedstaaten, weshalb der erkennende Senat zu einer Vorlage an den [X.] verpflichtet sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.] und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Entgegen der Auffassung des [X.] sind im streitgegenständlichen Voranmeldungszeitraum Mai 2012 insolvenzrechtliche Masseverbindlichkeiten entstanden. Die Entgelte für die von der GmbH vor der Bestellung des [X.] zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug erbrachten steuerpflichtigen Leistungen sind durch seine Bestellung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich geworden (erste Berichtigung). Die nachfolgende Vereinnahmung der Entgelte für diese Leistungen durch den Kläger führt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung und begründet Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 Abs. 4 [X.]. Die vom [X.] geäußerte Kritik an der Rechtsprechung des [X.] greift nicht durch.

1. Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Steuerbetrag für steuerpflichtige Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt für eine uneinbringliche Forderung nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG). Diese erneute Berichtigung ist nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 7 UStG erst im [X.]punkt der Vereinnahmung vorzunehmen.

a) [X.] ist ein Entgelt i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare [X.] rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 20. Juli 2006 V R 13/04, [X.]E 214, 471, [X.], 22, Leitsatz 1; vom 12. August 2009 XI R 4/08, [X.]/NV 2010, 393, Rz 20; vom 24. Oktober 2013 V R 31/12, [X.]E 243, 451, [X.], 674, Rz 19).

b) Nach der Rechtsprechung des [X.] des [X.] werden noch ausstehende Entgelte für zuvor erbrachte steuerpflichtige Leistungen eines Unternehmers gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich, wenn über sein Vermögen gemäß § 27 [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Denn gemäß § 80 Abs. 1 [X.] geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten oder über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Folglich ist der Unternehmer dann aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem eigenen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da sie im Rahmen der Masseverwaltung und [X.] zu vereinnahmen sind und damit zum Bereich der Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 [X.] gehören (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 30; vom 24. November 2011 V R 13/11, [X.]E 235, 137, [X.], 298, Rz 51 ff.; in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 27).

c) Auch wenn das Insolvenzgericht --vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 [X.])-- gemäß § 21 [X.] einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug bestellt, ist der Steuerbetrag für die steuerpflichtigen Leistungen, die der Unternehmer vor oder nach der Verwalterbestellung bis zum Abschluss des [X.] erbracht hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Leitsatz 2).

Zwar ergibt sich das Recht zum Forderungseinzug hier nicht aus den einem Insolvenzverwalter gemäß §§ 80 ff. [X.] zustehenden Befugnissen. [X.] das Insolvenzgericht aber entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 3 [X.] bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]) das Verbot an Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, und ermächtigt es den vorläufigen Insolvenzverwalter, Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (§ 22 Abs. 2 [X.]), wird damit das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und dem vorläufigen Insolvenzverwalter gegenüber [X.] gemäß § 24 Abs. 1 [X.] in einer Weise geregelt, die § 80 Abs. 1 und § 82 [X.] entspricht (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 28, m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen sind die Entgelte für von der GmbH vor der Bestellung des [X.] zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug ausgeführte steuerpflichtige Leistungen durch seine Bestellung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich geworden. [X.] der Kläger danach Entgelte für diese Leistungen, ist die Umsatzsteuer (zum zweiten Mal) zu berichtigen. Die dadurch entstehende Umsatzsteuer stellt eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 [X.] dar.

a) Die Umsatzsteuer für die von der GmbH ausgeführten steuerpflichtigen Leistungen ist mit Ablauf des [X.] entstanden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG). Die Steuerbeträge sind allerdings durch die Bestellung des [X.] zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug uneinbringlich geworden und nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen (vgl. dazu [X.]-Urteile in [X.]E 235, 137, [X.], 298, Rz 52; in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 26 ff.; [X.]-Beschluss vom 11. März 2014 V B 61/13, [X.]/NV 2014, 920, Rz 6).

b) Die Vereinnahmung der zuvor uneinbringlich gewordenen Entgelte durch den Kläger führt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung (vgl. z.B. [X.]-Urteile in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 31; in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 33).

c) Die aufgrund dieser Vereinnahmung entstehende Umsatzsteuer stellt eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 [X.] dar.

aa) Nach § 55 Abs. 4 [X.] gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.

Diese Vorschrift findet Anwendung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter - mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]) --wie im [X.], auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 [X.], § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] übergegangen ist (sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter s. zur Abgrenzung: [X.]-Urteil vom 28. Februar 2008 V R 44/06, [X.]E 221, 415, [X.], 586, unter [X.], Rz 52 ff.; vgl. [X.] in [X.], Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 55 Rz 108; MünchKomm[X.]/Hefermehl, 3. Aufl., § 55 Rz 242; Schreiben des [X.] --BMF-- vom 20. Mai 2015, [X.], 476, Rz 2).

bb) Die aufgrund der Vereinnahmung der ausstehenden Entgelte durch den Kläger (als vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Vorsteuerabzug) gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG entstehende Umsatzsteuer stellt eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 [X.] dar. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 32, m.w.N.). Zu diesem [X.]punkt ist die umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 [X.] "begründet". Das gilt jedenfalls dann, wenn --wie im [X.] der Forderungseinzug zu den rechtlichen Befugnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters gehört (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Leitsatz 1).

3. Die vom [X.] und vom Kläger an dieser Rechtsprechung geübte Kritik dringt nicht durch.

a) Entgegen der Auffassung des [X.] kommt es nach der Rechtsprechung des [X.] für den Eintritt der [X.]keit nicht auf den (formellen) Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter an. Maßgeblich ist vielmehr das damit einhergehende rechtliche Unvermögen der GmbH (als Gläubigerin und spätere Insolvenzschuldnerin), die ausstehenden Forderungen für die von ihr ausgeführten Leistungen einzuziehen. Das rechtliche Unvermögen des Gläubigers, seine Forderung durchzusetzen, steht [X.] als das [X.] und der Kläger meinen-- wirtschaftlich der Zahlungsunfähigkeit oder dem mangelnden Zahlungswillen des Schuldners gleich, die die Hauptanwendungsfälle des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG bilden (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 10. März 1983 V B 46/80, [X.]E 138, 107, [X.] 1983, 389, unter 3., Rz 14; vom 7. Januar 1998 V B 106/97, [X.]/NV 1998, 1003; Abschn. 17.1 Abs. 5 Satz 2 des [X.]; s. auch [X.]-Beschluss vom 26. Februar 2008 XI B 169/07, [X.]/NV 2008, 830, unter 3., Rz 10 f.).

Der Senat folgt deshalb nicht der Auffassung, der Begriff der "[X.]keit" beziehe sich nur auf die Nichtzahlung durch den Forderungsschuldner (Leistungsempfänger) aufgrund von dessen Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit ([X.], [X.] --DStR-- 2011, 921, 925, und [X.], 1485, 1486; Welte/Friedrich-Vache, [X.]schrift für Wirtschaftsrecht und [X.] --ZIP-- 2011, 1595, 1600; [X.], [X.]schrift für das gesamte Insolvenzrecht 2014, 309, 310; [X.], [X.], Beilage zu Heft 42, 1, 5; [X.] in [X.]/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 11. Aufl., Rz 1977; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 251 [X.] Rz 382; [X.] in [X.], [X.] § 251 Rz 114.1).

b) Diese --hier allein maßgebliche-- Auslegung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG verstößt entgegen der Auffassung des [X.] weder gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 [X.]) noch führt sie zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Fiskus (vgl. dazu [X.]-Urteile vom 29. Januar 2009 V R 64/07, [X.]E 224, 24, [X.] 2009, 682, unter [X.], Rz 20 ff.; in [X.]E 235, 137, [X.], 298, Rz 54; [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2014, 920, Rz 7).

Soweit das [X.] der Auffassung ist, eine Qualifizierung offener Steuerforderungen als bevorrechtigte Masseforderungen (sog. Fiskus-Privileg) bedürfe einer eindeutigen gesetzlichen Regelung, die nicht in § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu sehen sei, vermag sich der erkennende Senat dem nicht anzuschließen.

Vielmehr erfolgt die angegriffene "Umqualifizierung von Steuerforderungen im Insolvenzeröffnungsverfahren" durch § 55 Abs. 4 [X.]. Darin liegt entgegen der Auffassung des [X.] keine verfassungswidrige Privilegierung des Fiskus, sondern im Gegenteil eine Beseitigung einer vom Gesetzgeber gesehenen Benachteiligung des Fiskus. Vor Inkrafttreten des § 55 Abs. 4 [X.] wurden durch Umsätze von einem sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters [X.] als Insolvenzforderungen begründet, die die Insolvenzmasse angereichert haben, ohne dass der Gläubiger --hier der Fiskus-- darauf Einfluss hatte. Diese nach Ansicht des Gesetzgebers ungerechtfertigte Benachteiligung wurde durch § 55 Abs. 4 [X.] i.d.[X.] 2011 vom 9. Dezember 2010 ([X.], 1885) beseitigt. Gleichzeitig dient die Regelung der Verhinderung von Missbrauch (vgl. BTDrucks 17/3030, S. 43).

Soweit sich der Kläger auf den Beschluss des [X.] ([X.]) vom 19. Oktober 1983  2 BvR 485/80, 2 BvR 486/80 ([X.]E 65, 182) beruft, ist diese Entscheidung zur Konkursordnung ergangen und nicht mit der Rechtslage zur [X.] vergleichbar.

c) Der Auffassung des [X.], der "Kunstgriff der Aufteilung des Unternehmens" sei mit dem Grundsatz der Unternehmeridentität nicht vereinbar, vermag der Senat ebenfalls nicht zu folgen.

Der Grundsatz der Unternehmenseinheit nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG gilt auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort. Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung jedoch aus mehreren Unternehmensteilen (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil, Insolvenzmasse und insolvenzfreies Vermögen), zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können (vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 28 f.; in [X.]E 235, 137, [X.], 298, Rz 11; vom 20. Dezember 2012 V R 23/11, [X.]E 240, 377, [X.] 2013, 334, Rz 9; jeweils m.w.N.).

d) Die unter II.2. dargelegte Rechtsprechung des [X.] ist --entgegen der Auffassung des [X.] und des [X.]-- mit Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL vereinbar. Das hat der [X.] des [X.] bereits im Einzelnen dargelegt (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 38; ebenso [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2014, 920, Rz 12). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

e) Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] (vgl. dazu [X.]-Beschluss vom 30. August 2010  1 BvR 1631/08, Neue Juristische Wochenschrift 2011, 288, unter [X.]; [X.]-Urteil vom 12. Dezember 2012 XI R 36/10, [X.]E 239, 534, [X.] 2013, 412, Rz 39 ff., m.w.N.) besteht trotz der im [X.] Recht möglicherweise abweichenden insolvenzrechtlichen Behandlung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten (vgl. dazu [X.], [X.], 1485, 1488) nicht (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2014, 920, Rz 12).

4. [X.] ist nicht spruchreif. Das [X.] hat keine Feststellungen zur Höhe der vom Kläger im [X.]raum vom 14. Mai 2012 bis zum 31. Mai 2012 vereinnahmten Entgelte getroffen. Das [X.] wird dies im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat darauf hin, dass im [X.]punkt der Bestellung des [X.] zum vorläufigen Insolvenzverwalter nicht nur die noch ausstehenden Entgelte uneinbringlich werden, sondern auch der Vorsteuerabzug aus nicht bezahlten [X.] gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen ist. Die nachträgliche Vereinnahmung der zuvor uneinbringlich gewordenen Entgelte bzw. die mit Zustimmung des [X.] erfolgte Zahlung der Entgelte für bezogene Leistungen begründen jeweils eigene Berichtigungsansprüche (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG), die gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 UStG zur Ermittlung der Masseverbindlichkeit zu saldieren sind (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 40 ff.; zur Berechnung auch BMF-Schreiben in [X.], 476, Rz 32 ff.). Dabei muss die Summe der im Voranmeldungszeitraum Mai 2012 insgesamt entstehenden Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten der sich insgesamt für die GmbH ergebenden Umsatzsteuerschuld entsprechen (vgl. z.B. [X.]-Urteile in [X.]E 232, 301, [X.] 2011, 996, Rz 28; in [X.]E 247, 460, [X.], 506, Rz 45).

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] folgt aus § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 9/15

01.03.2016

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 15. Januar 2015, Az: 5 K 5182/13, Urteil

§ 17 Abs 2 Nr 1 S 1 UStG 2005, Art 90 EGRL 112/2006, § 21 InsO, § 22 InsO, § 23 InsO, § 24 InsO, § 27 InsO, § 38 InsO, § 55 Abs 4 InsO, § 80 InsO, § 82 InsO, § 17 Abs 2 Nr 1 S 2 UStG 2005, § 2 Abs 1 S 2 UStG 2005, UStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.03.2016, Az. XI R 9/15 (REWIS RS 2016, 15342)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15342

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