Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.03.2008, Az. 3 StR 38/08

3. Strafsenat | REWIS RS 2008, 4826

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[X.] vom 27. März 2008 in der Strafsache gegen 1. [X.]wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a. - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der Beschwerde-führer und des [X.] - zu 1. und 2. b) auf dessen Antrag - am 27. März 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Die Revision des Angeklagten [X.]gegen das Urteil des [X.] vom 21. August 2007 wird [X.]. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 2. a) Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das vor-bezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. b) Die weitergehende Revision des Angeklagten [X.] wird verworfen. - 3 - Gründe: Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen schwerer räuberi-scher Erpressung in Tateinheit mit schwerem Raub und mit gefährlicher Kör-perverletzung zur Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Anord-nung der Unterbringung des Angeklagten [X.] in einer Entziehungsanstalt hat es abgelehnt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Beide Angeklagte rügen die Verletzung materiellen Rechts, der An-geklagte [X.] beanstandet zusätzlich das Verfahren. Die Revision des Angeklagten [X.] ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Das Rechtsmittel des Angeklagten [X.] führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das [X.] die Anordnung einer Maßre-gel gemäß § 64 StGB gegen diesen Angeklagten abgelehnt hat; im Übrigen ist es ebenfalls offensichtlich unbegründet. 1 1. Ohne Erfolg rügt die Revision des Angeklagten [X.] insbesondere, das [X.] habe unter Verstoß gegen § 261 StPO der Verurteilung dessen (geständige) Einlassung zugrunde gelegt, obwohl er sich in der Hauptverhand-lung nicht (selbst) eingelassen habe. Nach dem insoweit maßgeblichen Inhalt des Protokolls hat die Instanzverteidigerin des Angeklagten nach dessen Erklä-rung, er sei zur Äußerung bereit, "für ihren Mandanten" eine Einlassung abge-geben, deren schriftliche Fassung sie sodann überreicht hat; das Schriftstück ist als Anlage zum [X.] genommen worden. Nach der [X.] und dem Verzicht auf die Einvernahme weiterer Zeugen hat der Angeklagte geäußert, dass er sich der Erklärung seiner Verteidigerin anschließe. Der Einwand der Revision in der Erwiderung auf den Antrag des [X.], dieser [X.] habe sich nicht - wie vom [X.] - 4 - bundesanwalt dargelegt - auf die vor der Beweisaufnahme abgegebene Erklä-rung der Verteidigerin, sondern auf den der Äußerung des Angeklagten [X.] vorausgegangenen Verzicht auf die Vernehmung weiterer Zeugen bezo-gen, überzeugt nicht: Zwar spricht für die Auffassung der Revision die zeitliche Abfolge der [X.] und der sich hieraus ergebende beträchtliche Abstand zwischen der Verteidigererklärung und dem [X.] des Angeklag-ten. Indes ist nach dem Protokollinhalt auf die Vernehmung weiterer Zeugen "allseits" verzichtet worden, demnach auch durch den Angeklagten. Einer (zu-sätzlichen) [X.]erklärung des Angeklagten an den auch von seiner Ver-teidigerin erklärten Verzicht hat es angesichts dessen in diesem Zusammen-hang nicht bedurft. Dies legt nahe, dass sich die dem Verzicht unmittelbar nach-folgende Äußerung des Angeklagten tatsächlich auf die frühere, für den Ange-klagten abgegebene Verteidigererklärung bezogen hat. Danach ist der behaup-tete Verfahrensverstoß zumindest nicht erwiesen. 2. Die Ablehnung der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten [X.] in einer Entziehungsanstalt hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 3 a) Das [X.] hat diese Entscheidung damit begründet, dass zum einen bereits keine Anhaltspunkte dafür bestünden, der Angeklagte habe den Hang, andere berauschende Mittel (Kokain) im Übermaß zu sich zu nehmen. Denn der Angeklagte habe weder ein Rauscherlebnis noch Entzugserscheinun-gen oder tatsächliche Beeinträchtigungen seiner Leistungsfähigkeit im [X.] Leben geschildert. Zum anderen handele es sich bei der vorliegenden Straftat nicht um eine sogenannte [X.], also um eine Tat, die der Ange-klagte im Rausch begangen habe oder die auf seinen Hang im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB zurückzuführen sei. Die Tat sei in [X.] nach ei-4 - 5 - nem Tipp, demzufolge viel Geld seinen Besitzer wechseln sollte, verübt worden. Es habe ein sorgfältiger Tatplan mit entsprechender Vorbereitung - Sturmhauben, Reizgas - zugrunde gelegen. Ein Symptomwert der Tat lasse sich daher nicht feststellen. b) Diese Begründung lässt vom [X.] getroffene andere, in diesem Zusammenhang bedeutsame Feststellungen außer Betracht. 5 Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte bereits ab dem Jahre 1996 an den Wochenenden regelmäßig Kokain konsumierte und im [X.] 1998 nach [X.] fuhr, um eine Therapie zu absolvieren, die aus einer Ent-giftung sowie Hypnose bestehen sollte und auf eine Dauer von vier Monaten angelegt war; der Angeklagte konnte diese Behandlung indes wegen finanziel-ler Schwierigkeiten nicht beenden. Nach einer mehrjährigen Drogenabstinenz konsumierte der Angeklagte ab Mai 2005 erneut Drogen. Er rauchte Haschisch und Marihuana und nahm jeden Tag Kokain zu sich. Die gegenständliche Tat hat der Angeklagte begangen, weil er aufgrund seines Drogenkonsums Schul-den hatte. Vor der Tat hat er ein Gramm Kokain zu sich genommen. Bei der Beweiswürdigung hat die [X.] im Rahmen ihrer Erörterung der - schließlich verneinten - Frage einer erheblich verminderten Steuerungsfähig-keit des Angeklagten zur Tatzeit ausgeführt, dass Drogenabhängigkeit allein eine solche Annahme nicht begründe. Abschließend hat das [X.] darge-legt, dass gegebenenfalls im Rahmen des Strafvollzugs dem Wunsch des [X.] entsprechend nach § 35 BtMG verfahren werden möge. 6 Diese Feststellungen und Erwägungen hat die - nicht durch einen Sach-verständigen beratene - [X.] ersichtlich nicht in die insoweit gebotene Gesamtwürdigung (vgl. [X.], [X.]. vom 11. Januar 2005 - 3 StR 474/04) einbezogen. Dies lässt besorgen, dass das [X.] bereits deshalb bei der 7 - 6 - Beurteilung, ob bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliegt, zu einem rechtlich unzutreffenden Ergebnis gelangt ist (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 64 Rdn. 10 f., 13 f.). Dies gilt insbesondere auch für die Bewertung des [X.]s des Angeklagten, die das [X.] vorgenommen hat. Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten sowie bei der Befürwortung eines Vorgehens nach § 35 BtMG geht es von einer Drogenabhänigkeit des Angeklagten aus. Dies ist mit der Verneinung eines Hangs des Angeklagten, im Sinne des § 64 StGB Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht vereinbar. 8 c) Aber auch im Übrigen ist die Ablehnung der [X.] rechtlich nicht tragfähig begründet. Denn die [X.] hat bei der Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen für sich gesehen unzutreffende Maßstäbe angelegt. 9 Dies gilt zunächst, soweit sie einen Hang des Angeklagten zu übermäßi-gem [X.] unter Hinweis darauf abgelehnt hat, der Angeklagte habe keine Entzugserscheinungen geschildert. Das Fehlen von Entzugserscheinun-gen ist im Hinblick auf den [X.] des Angeklagten für das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nur begrenzt aussagefähig; denn bei [X.] treten nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnis körperliche Entzugserscheinungen kaum auf (vgl. [X.], [X.]. vom 30. Januar 2001 - 1 StR 542/00 m. w. N.). Im Übrigen kennzeichnen beim Ab-setzen eines Rauschmittels auftretende Entzugserscheinungen die physische Abhängigkeit. Diesen Grad der Neigung zum Rauschmittelmissbrauch muss der Täter für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aber nicht erreicht haben (vgl. [X.] in [X.]. 19). 10 - 7 - Ferner kommt auch dem weiteren zur Begründung herangezogenen [X.], dass der Angeklagte keine Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit im alltäglichen Leben geschildert hat, für die Beurteilung der Anordnungsvoraus-setzungen keine tragfähige Bedeutung zu. Denn ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist es bereits, dass der Betroffene aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. [X.] NStZ 2005, 210). Dies kommt - entgegen der Ansicht des [X.]s - nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit oder Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden (vgl. [X.] NStZ 2004, 384; NStZ-RR 2003, 106 f. jew. m. w. N.), sondern unabhängig hiervon auch bei so genannter Beschaffungskriminalität. 11 Insoweit hat das [X.] bei seiner Beurteilung, das gegenständliche Delikt sei nicht als "[X.]" im Sinne des § 64 StGB anzusehen und ein Symptomwert der Tat für den Hang lasse sich nicht feststellen, nicht bedacht, dass der Angeklagte sich mit seiner Tat Geld zur Tilgung von Schulden aus seinem [X.] verschaffen wollte. Unabhängig davon, dass die vom [X.] als Argument für seine Ansicht herangezogene sorgfältige Planung der Tat jedenfalls für sich nicht gegen das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der Tat und einem Hang im Sinne des § 64 StGB spricht, ist für die Bejahung eines solchen Zusammenhangs ausreichend, dass der Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter die Tat begangen hat. Ein solcher Zusammenhang ist typi-scherweise bei der so genannten Beschaffungskriminalität von Rauschgiftsüch-tigen gegeben, wenn also die Straftat unmittelbar oder - wie hier - mittelbar der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum dient (vgl. [X.] aaO § 64 Rdn. 32 f.). 12 - 8 - d) Schließlich konnte die Ablehnung der Unterbringungsanordnung auch nicht tragfähig damit begründet werden, dass - dem Wunsche des Angeklagten entsprechend - die Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG in [X.] gekommen ist. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB geht dieser dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Maßnahme vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist (vgl. [X.]R StGB § 64 Ablehnung 7 und 8; [X.] StraFo 2003, 100 m. w. N.). Hieran hat sich durch die Neufassung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychi-atrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 ([X.] 1327) grundsätzlich nichts geändert [X.] 64 Rdn. 23, 26). 13 3. Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Ent-ziehungsanstalt muss nach alledem - unter Hinzuziehung eines Sachverständi-gen (§ 246 a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nicht gefährlich im Sinne dieser Vorschrift ist oder keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, ihn durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt von seinem Hang zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB), sind nicht er-sichtlich. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachho-lung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; [X.]St 37, 5; [X.] NStZ-RR 2008, 107). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. [X.]St 38, 362 f.). 14 - 9 - Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Un-terbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben. 15 4. Der neue Tatrichter wird im Falle der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB über die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel zu befinden haben (vgl. [X.] NStZ 2008, 28; NStZ-RR 2008, 74). Bei [X.] eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe wird es für dessen Berechnung notwendig sein, die für den Angeklagten voraussichtlich erforderli-che Therapiedauer zu bestimmen. 16 Ri[X.] Dr. [X.] ist wegen

Urlaubs an der Unterzeichnung gehindert [X.] [X.] [X.] [X.]

Meta

3 StR 38/08

27.03.2008

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.03.2008, Az. 3 StR 38/08 (REWIS RS 2008, 4826)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 4826

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