Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.02.2011, Az. 4 StR 654/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 9249

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[X.] 4 StR 654/10 vom 22. Februar 2011 in dem Sicherungsverfahren gegen - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 1. September 2010 mit den Fest-stellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg. [X.] Nach den Feststellungen ist Ausgangspunkt der verfahrensgegenständli-chen Taten ein Nachbarschaftsstreit. Der Beschuldigte warf seinen Nachbarn, dem Ehepaar [X.] , vor, 1993 seine Zustimmung zur Eintragung einer Baulast auf seinem Grundstück unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen zu haben. Es kam in der Folgezeit zu zahlreichen gerichtlichen [X.], Unterlassungsverfügungen und Strafanzeigen. Der Beschuldigte ver-legte sich im Lauf der [X.] zunehmend darauf, die Zeugen [X.] zu beleidigen 2 - 3 - und zu drohen, deren Haus anzuzünden, wodurch deren Lebensführung massiv beeinträchtigt wurde. Der Unterbringungsanordnung liegen insgesamt sechs Vorfälle zu [X.]. [X.] 1 der Urteilsgründe stand der Rechtsanwalt der Eheleute [X.] mit ihnen auf deren Terrasse. Der Beschuldigte lief hinzu und bezeichnete den Rechtsanwalt u.a. als Kriminellen und Verbrecher und drohte, das Haus der Familie [X.] anzuzünden und in Schutt und Asche zu legen. [X.] 2 warf der Beschuldigte mit einem Hammer in Richtung von Frau [X.] , als sie an der Grundstücksgrenze [X.] schnitt. Der Hammer blieb im etwa zwei Meter hohen Maschendrahtzaun an der Grundstücksgrenze hängen. In einem Straf-verfahren (Fall [X.] 3) und in einem Zivilverfahren (Fall [X.] 4) vor dem Amtsge-richt [X.]redete sich der Beschuldigte jeweils in [X.] und drohte, das Haus der Familie [X.] anzuzünden. [X.] 5 war der Beschuldigte mit dem Zeugen [X.]in Streit geraten, als sich dieser mit dem Zeugen [X.] auf der Straße unterhielt. Auf die Äußerung des Zeugen [X.] , dass der Be-schuldigte "eh am Ende sei" und sein Haus verlieren werde, entgegnete der Beschuldigte —dass er an dem Tag, an dem bekannt werde, dass sein Haus versteigert werde, den Schweinestall anzünden werdefi. [X.] 6 führte der Beschuldigte nach einem Gerangel mit dem Zeugen [X.] , das von dem Zeugen [X.] beendet wurde, mit einem Klappmesser Stichbewegungen in Richtung der Körpermitte der Zeugen [X.]und [X.] aus. 3 Das [X.] hält die Voraussetzungen des § 63 StGB für erfüllt, da die Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen worden seien und [X.] mit weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten des Beschuldigten zu rechnen sei. 4 - 4 - Es hat [X.] sachverständig beraten [X.] eine anhaltende wahnhafte Störung (Ziffer F 22.0 der [X.]) bejaht. Der Beschuldigte habe seit Mitte der 90er [X.] eine Verschwörungstheorie aufgebaut, dass alle ihm nur Böses wollten. In seinem Kampf gegen die empfundene Ungerechtigkeit ignoriere er jegliche Konsequenzen für sich und andere. Bei einem Kontakt mit einer Person aus seinem Verschwörungskonstrukt sei die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sicher und vollständig aufgehoben. 5 II. Der [X.] hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Fest-stellungen sind nicht geeignet, die Anordnung der Unterbringung in einem psy-chiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu tragen. 6 Diese setzt neben der positiven Feststellung einer auf einem länger an-dauernden, nicht nur vorübergehenden geistigen Defekt beruhenden Schuldun-fähigkeit (§ 20 StGB) oder erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) voraus, dass die unterzubringende Person eine rechtswidrige Tat be-gangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist, d.h. mit diesem in einem ursächlichen und symptomatischen Zusammenhang steht. Schließlich muss die Gesamtwür-digung von Tat und Täter ergeben, dass - auf Grund des zur Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderten Schuldfähigkeit führenden Zustandes - eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (st. Rspr.; z.B. [X.], Urteil vom 6. März 1986 [X.] 4 StR 40/86, [X.]St 34, 22, 27; [X.], Beschluss vom 14. Juli 1999 [X.] 3 StR 160/99, [X.]R StGB § 63 Zustand 34; [X.], Beschluss vom 23. November 2010 - 3 [X.]). 7 - 5 - 1. Die Feststellungen zu den zu Grunde liegenden Delikten tragen in den Fällen [X.] 2 bis 6 der Urteilsgründe nicht die vom [X.] vorgenommene rechtliche Würdigung. Das [X.] hat im Fall [X.] 2 eine Nachstellung ge-mäß § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB bejaht, in den Fällen [X.] 3 bis 5 jeweils Bedrohung und Nachstellung und im Fall [X.] 6 eine versuchte gefährliche Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung und Nachstellung. 8 a) Die Feststellungen belegen nicht, dass der Tatbestand der Nachstel-lung erfüllt ist. Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstel-len durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens um-schreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mit-telbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich ein-zugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 19. November 2009 [X.] 3 [X.], [X.]St 54, 189, 193; [X.] in [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl. § 238 Rn. 6; [X.], StGB, 58. Aufl. § 238 Rn. 9; BT-Drucks. 16/575 S. 7). 9 [X.] 2 der Urteilsgründe könnte zwar in dem Hammerwurf die An-drohung einer Verletzung von körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit (§ 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB) gesehen werden. Angesichts des Ausgangspunkts der Tätlichkeit [X.] Verhinderung des Brennesselschneidens [X.] erscheint jedoch zweifelhaft, ob der Beschuldigte hiermit die Zielrichtung des Eindringens in den persönlichen Lebensbereich der Nachbarin im Sinne der Nachstellung verfolgt hat. Die Feststellungen schildern zudem keine konkreten gleichartigen [X.] Vorfälle, durch die ein tatbestandliches beharrliches Handeln [X.] würde. In den Fällen [X.] 3 und 4 lässt das [X.] offen, welche Tatva-riante es durch die Drohung des [X.] als erfüllt ansieht, et-wa eine Bedrohung von Leib und Leben im Sinne von § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB 10 - 6 - oder eine andere vergleichbare Handlung im Sinne von § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, ob die Eheleute [X.] zum [X.]punkt der Äußerungen des Beschuldigten im Gerichtssaal anwesend und die Drohungen an sie gerichtet waren. Dies lässt auch die Erfüllung des [X.] zweifelhaft erscheinen. Gleiches gilt hinsichtlich der Äußerung des Beschuldigten im Fall [X.] 5: insoweit lässt sich den [X.] bereits nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, welches Haus er mit —Schweinestallfi gemeint hat. Auch im Fall [X.] 6 hat das [X.] nicht näher dargelegt, durch welches Verhalten des Beschuldigten es den Tatbestand der Nachstellung als erfüllt ansieht. Einer näheren Darlegung hätte es hier aber an-gesichts der letztlich vom Zeugen [X.] ausgelösten [X.] bedurft. Des Weiteren setzt der Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB voraus, dass die Tathandlung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der [X.] führt. Insofern zeigen die Urteilsgründe nicht hinreichend auf, dass dieser Erfolg bereits jeweils durch die verfahrensgegenständlichen einzel-nen Handlungen des Beschuldigten eingetreten ist (vgl. [X.], Beschluss vom 19. November 2009 [X.] 3 [X.], [X.]St 54, 189, 196 f.). 11 b) [X.] 6 enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen zum [X.] des Beschuldigten. Ein [X.] kann auch dem Ge-samtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, denn sie ent-halten keine Angaben, wie dicht die Zeugen [X.] und [X.] bei dem Beschuldigten standen, ob er sie mit dem Messer erreicht hat oder hätte [X.] können und ob die Zeugen den Stichen ausgewichen sind. [X.] 2 hat bereits das [X.] eine versuchte gefährliche Körperverletzung ausge-schlossen; die insoweit getroffenen Feststellungen würden auch in diesem Fall einen entsprechenden Vorsatz des Beschuldigten nicht belegen. 12 - 7 - 2. Auch die Beweiswürdigung des [X.] zum Vorliegen einer an-haltenden wahnhaften Störung begegnet durchgreifenden rechtlichen Beden-ken. Das [X.] setzt sich nicht erkennbar damit auseinander, dass die Überzeugung des Beschuldigten, alle wollten ihm nur Böses, im Ausgangspunkt einen realen Ansatzpunkt hatte; die möglicherweise unter Vorspiegelung [X.] Tatsachen erschlichene Eintragung einer Baulast auf seinem Grundstück und in der Folgezeit zahlreiche verlorene Prozesse. Die tatsächlichen [X.]und dessen Begründung für das Vorliegen eines Wahns teilt das Urteil nicht explizit mit. Die [X.], dass auch sonstige Umstände —wie das männliche Geschlecht, das fortgeschrittene Alter und die fortwährende Isolation des [X.], seine Sprunghaftigkeit und die Ablehnung jeglicher Medikamentefi für das Vorliegen eines Wahns sprächen, sind nicht ohne Weiteres nachvoll-ziehbar. Einer näheren Begründung für das Vorliegen einer wahnhaften Störung hätte es hier auch deshalb bedurft, weil der Zeuge Dr. A. bei dem [X.] keine psychiatrische Erkrankung festgestellt hat. Dieser Zeuge hat die [X.] des Beschuldigten als angelerntes Verhalten betrachtet. Für diese Annahme könnte, was das [X.] ersichtlich nicht bedacht hat, die Aussage des Zeugen [X.] ([X.]) sprechen. Danach habe der Beschuldigte anfangs Beleidigungen nur geäußert, wenn es sonst niemand hö-ren konnte. Als er dann gemerkt habe, dass ihm nichts passiere, habe er Dro-hungen und Beleidigungen auch im Beisein Dritter ausgesprochen. Die [X.] und Intensität dieser Äußerungen habe sich nach [X.] weiterer ver-nommener Zeugen immer mehr gesteigert. Schließlich sei er auch nicht mehr davor zurückgeschreckt, sie vor Gericht zu wiederholen. Soweit das [X.] darauf abstellt, dass der Beschuldigte erst seit Mitte der 90er Jahre [X.] zeige, steht dies einem angelernten Verhalten infolge des 13 - 8 - gestörten Nachbarschaftsverhältnisses ebenso wenig entgegen wie der Ent-wicklung einer wahnhaften Störung. 3. Im Hinblick auf die einschneidende Maßregel der Unterbringung in ei-nem psychiatrischen Krankenhaus wird der neue Tatrichter auch Gelegenheit haben, die Gefährlichkeit des Beschuldigten eingehender als bisher darzulegen. Hinsichtlich der Tat [X.] 1 weist der Senat im Übrigen auf die Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 10. Januar 2011 hin. 14 [X.] Roggenbuck [X.] Bender

Meta

4 StR 654/10

22.02.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.02.2011, Az. 4 StR 654/10 (REWIS RS 2011, 9249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9249

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