Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2017, Az. 3 StR 421/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16857

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:240117B3STR421.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 421/16
vom
24. Januar 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am
24. Januar 2017
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 6.
Juni 2016 mit den Feststellungen -
aus-genommen diejenigen zu den rechtswidrigen Taten, die [X.] bleiben -
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückver-wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.]
hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psy-chiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge ge-stützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel er-sichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1
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1. Das [X.] hat festgestellt:
a) Im Zeitraum von Juni 2010 bis September 2015 bedrängte der gering-fügig wegen Beleidigung und Hausfriedensbruch vorbestrafte Beschuldigte den Nebenkläger mit einer Vielzahl von Telefonaten, um ein persönliches Gespräch über seine vom Nebenkläger weitergeleitete, letztlich aber erfolglose Bewer-bung für ein Praktikum zu erzwingen und diesem eine Lektion zu erteilen. Zu diesem Zweck suchte der Beschuldigte wiederholt auch das Wohnhaus der Familie des [X.] auf, beobachtete dieses und bedrängte in einem Fall die Tochter der Ehefrau des [X.], ihm Einlass zu gewähren. Auch andere Angehörige und Kontaktpersonen des [X.] rief der Beschul-digte an und suchte sie auf, um sein Anliegen vorzubringen oder sie zu "ner-ven". Er ließ sich weder durch den stationären Aufenthalt in einer psychiatri-schen Klinik noch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewalt-schutzgesetz und die Verhängung eines Ordnungsgeldes von weiteren Kon-taktaufnahmeversuchen abhalten. Die beharrlichen Handlungen des [X.] veranlassten den Nebenkläger und seine Ehefrau im März 2013, einen ohnehin geplanten Wohnsitzwechsel vorzuziehen. Dem Beschuldigten gelang es zwar trotz intensiver Bemühungen im Umfeld des [X.] nicht, die neue Anschrift herauszufinden; da der Nebenkläger aber auch weiterhin seine Mobilfunknummer nicht wechselte, konnte der Beschuldigte ihn noch bis zum September 2015 telefonisch belästigen.
b) Am 4. Dezember 2012 reagierte der Beschuldigte aggressiv auf das Erscheinen der von seinem Betreuer herbeigerufenen Polizeibeamten und ver-suchte, den Zeugen PK S.

von seiner Wohnungstür wegzustoßen und ihn zu schlagen. Den Zeugen POK G.

beleidigte er und schlug ihm mit der rechten Hand ins Gesicht, sodass dieser eine schmerzhafte Rötung erlitt. 2
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4
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Schließlich spuckte er dem Zeugen PK S.

ins Gesicht und wehrte sich ge-gen das Anlegen von [X.].
2. Das [X.] hat -
dem Gutachten des psychiatrischen Sachver-ständigen folgend -
festgestellt, dass der Beschuldigte zur Tatzeit aufgrund [X.] bei ihm bestehenden paranoiden Schizophrenie und der damit einherge-henden Denk-
und Wahrnehmungsverzerrungen durchweg nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen. Es sei zu erwarten, dass er in Zukunft Taten begehen werde, die denen zum Nachteil der Familie des [X.] ähnlich und von so erheblicher Bedeutung seien, dass der Beschuldigte gefährlich für die Allgemeinheit ist.
3. Der [X.] hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Der [X.] hat § 63 StGB in der seit 1. August 2016 geltenden Neufas-sung anzuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO), mit der im Wesentlichen die Konkretisierungen der Anordnungsvoraussetzungen durch das Bundesver-fassungsgericht und die höchstrichterliche Rechtsprechung kodifiziert worden sind (vgl. BT-Drucks. 18/7244, [X.]; [X.], Beschluss vom 3. August 2016
-
4 [X.], [X.], 35).
Zwar hat das [X.] rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der [X.] aufgrund eines überdauernden psychischen De-fekts schuldunfähig war und die [X.] auf diesem Zustand beruhen. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet aber durchgreifenden Bedenken. Der [X.] hat dazu ausgeführt:
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8
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5
-
"Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die [X.] der Nachstellung, die die [X.] als Grundlage für die Annahme der Gefährlichkeits-prognose herangezogen hat, als erheblich im Sinne des §
63 StGB n.F. einzustufen ist. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die die Gesetzesbegründung der Neufassung des §
63 StGB übernom-men hat, vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurech-nen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. [X.] Beschluss vom 24.
Juli 2013 -
2 BvR 298/12; [X.] NJW 2013; 3383; [X.] NStZ-RR 2016, 41; [X.], 64.
Aufl.,]
§
63 Rn.
16;
[X.].
18/7244, S.
18). Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind dabei nicht mehr 'ohne weiteres' dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen ([X.] aaO; [X.] aaO; [X.]. aaO). Das [X.] stellt insofern tragend auf die Nachstellung zum Nachteil der Familie T.

ab (UA S.
21). Diese ist für sich gesehen jedoch nicht als erhebliche Straftat an-zusehen, da sie -
im Höchstmaß mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht
-
nicht der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist. Auch gingen die gegen-ständlichen Nachstellungshandlungen nicht mit derart aggressiven Über-griffen einher, dass dies eine andere Beurteilung zulässt ([X.], [X.] vom 18.
März 2008 -
4
StR 6/08). Während des gesamten [X.] belästigte der Beschuldigte die Familie T.

im Wesentli-chen telefonisch und durch Beobachtung des Anwesens. Das bloße [X.] Nahekommen bei dem Vorfall mit dem Zeugen Dr.

T.

im Sommer 2012 (UA S.
8) stellt keinen aggressiven Übergriff dar. Auch bei dem nicht näher beschriebenen Bedrängen der

B.

an der Haustür (UA S.
7, 23) wurde keine Gewalthandlung festgestellt. Überdies wurden die Opfer durch die Nachstellung weder seelisch noch körperlich erheblich im Sinne des §
63 S.

Zwar kommt auch bei der Begehung von nicht erheblichen [X.] die Anordnung einer Unterbringung gemäß §
63 StGB n.F. in Betracht. Dies setzt nach §
63 S.
2 StGB n.F. aber voraus, dass besondere Um-stände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines [X.] erhebliche Straftaten im Sinne des §
63 S.
1 StGB n.F. begehen -
6
-

e-gründet wird, dass von dem Beschuldigten nicht nur gleichwertige Taten wie die [X.] zu erwarten sind, sondern mit erheblichen aggressiven Übergriffen zu rechnen ist, durch welche die Opfer seelisch oder körper-lich erheblich geschädigt oder gefährdet werden, wie es bei der [X.] ausweislich der Urteilsgründe (UA S.
17) nicht der Fall war. Die bloße Verwirklichung des Tatbestandes des §
238 Abs.
1 StGB, der bereits als Taterfolg eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung voraussetzt, ist nicht ausreichend. Die [X.] hat zwar
-
sachverständig beraten
-
festgestellt, dass der Beschuldigte zu der Gruppe psychisch kranker Menschen gehört, die andere Menschen auch anfassen und bei dieser Gruppe das Risiko für Gewalttaten deutlich hö-her [ist] als in der Normalbevölkerung oder
[bei]
den psychisch Kranken, die Dritte nicht anfassen (UA S.
23), doch mangelt es insofern an der Darstellung der besonderen Umstände, aufgrund derer gerade vom [X.] erhebliche Taten im Sinne des §
63 S.
1 StGB n.F., d.h. solche durch die das Opfer körperlich oder seelisch erheblich geschädigt oder gefährdet wird, zu erwarten sind. Insofern hätte sich das [X.] auch mit den naheliegenden gegen eine Gefährlichkeit sprechenden Umständen auseinandersetzen müssen ([X.], Beschluss vom 10.
September 2008 -
2
StR 291/08), wie damit, dass die Nachstel-lungshandlungen des Beschuldigten über den längeren Zeitraum gerade nicht zu einer erheblichen körperlichen oder seelischen Schädigung der Tatopfer geführt haben."
Dem schließt sich der [X.] an.
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7
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4. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des [X.]. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten sind von dem [X.] nicht berührt und können daher aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen sind möglich,
soweit sie den bisherigen nicht
widersprechen.
[X.] Tiemann

Berg Hoch
10

Meta

3 StR 421/16

24.01.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2017, Az. 3 StR 421/16 (REWIS RS 2017, 16857)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16857

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3 StR 421/16

4 StR 305/16

2 BvR 298/12

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