Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.10.2023, Az. VIa ZR 468/21

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7630

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Gegenstand

Deliktische Haftung des Kfz-Herstellers in einem sog. Dieselfall: Bemessung des Differenzschadens bei Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht; Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts


Leitsatz

1. Der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kann unter den Voraussetzungen des Senatsurteils vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80, BGHZ 237, 245) gegen seine Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen. In diesem Fall muss er sich bei der Bemessung des Differenzschadens gemäß § 242 BGB so behandeln lassen, als hätte er einen aus dem Software-Update resultierenden Vorteil tatsächlich erzielt.

2. In der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts liegt auch mit Blick auf den Differenzschaden keine Verletzung der Schadensminderungspflicht, weil das verbriefte Rückgaberecht dem Schadensersatzanspruch nicht gleichwertig ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 11. April 2022 - VIa ZR 135/21, juris Rn. 8).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 16. Zivilsenats des [X.] vom 13. Oktober 2021 in der Fassung des [X.] vom 18. November 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb im [X.] von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der [X.] ausgerüsteten Gebrauchtwagen [X.] 350d [X.] zu einem Kaufpreis von 69.700 €. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger teilweise mittels eines Darlehens der M.      [X.], wobei u.a. ein verbrieftes Rückgaberecht vereinbart wurde. Im Oktober 2020 zahlte er die Schlussrate, ohne von seinem Rückgaberecht Gebrauch zu machen. Ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update ließ der Kläger nicht aufspielen.

3

Das [X.] hat die ursprünglich auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen und Freistellung von Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung der Anwartschaft am Fahrzeug und auf Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die nach Zahlung der Schlussrate auf Leistung von Schadensersatz in Höhe von 60.892,15 € (Kaufpreis und Finanzierungskosten von insgesamt 77.119,60 € abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen von insgesamt 16.227,45 €) Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen gerichtete Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 [X.] stehe dem Kläger unabhängig davon nicht zu, ob die haftungsbegründenden Voraussetzungen vorlägen. § 826 [X.] setze neben der Verwendung einer unzulässigen Software zur Motorsteuerung ein [X.] Verhalten des Fahrzeugherstellers voraus. Soweit der Kläger sein Begehren in diesem Zusammenhang auf die Verwendung eines Thermofensters stütze, reiche dies für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der Beklagten ein [X.] Gepräge zu geben. [X.] gelte allerdings für die vom Kläger angeführte [X.]. Insofern könne ein [X.] Verhalten der Beklagten vorliegen, wenn der Prüfstandsbetrieb erkannt und in Abhängigkeit davon der [X.] reduziert werde. Ob das der Fall sei, lasse sich ohne Auskunft des [X.] nicht entscheiden. Jedenfalls habe der Kläger keinen Schaden erlitten, weil er das verbriefte Rückgaberecht nicht ausgeübt habe.

7

Auch eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV scheide aus. Denn die Bestimmungen der [X.] dienten nicht dem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Käufers.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch weder aus §§ 826, 31 [X.] noch aus § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV verneint werden.

9

1. Wie der [X.] nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann die Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts dem Schadensersatzanspruch eines [X.] gemäß §§ 826, 31 [X.] unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt entgegengehalten werden ([X.], Urteil vom 16. Dezember 2021 - [X.], NJW 2022, 1674 Rn. 16 ff.; Urteil vom 11. April 2022 - [X.], juris Rn. 8; Urteil vom 7. November 2022 - [X.], [X.], 403 Rn. 15 ff.). Das Berufungsgericht hätte daher einen Anspruch aus §§ 826, 31 [X.] im Hinblick auf das Rückgaberecht des [X.] nicht verneinen dürfen.

2. Nach Erlass des Berufungsurteils hat der Senat ferner geklärt, dass in den Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 [X.] liegen, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 17).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines [X.]s gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das Berufungsurteil ist gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, § 561 ZPO. Die Sache ist nicht nach § 563 Abs. 3 ZPO zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht hat bislang weder Feststellungen getroffen, die eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 [X.] wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung ausschlössen, noch hat es Umstände festgestellt, die einen Schadensersatzanspruch wegen eines zumindest fahrlässigen Verhaltens gemäß § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ausschlössen. Der Senat verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben insbesondere des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 [X.] und nach § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

Sollte das Berufungsgericht zu einer Haftung der Beklagten (nur) nach § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV gelangen, wird es sich mit der Frage der Vorteilsausgleichung auseinanderzusetzen haben. Zwar kann in der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts auch mit Blick auf den [X.] keine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegen, weil das verbriefte Rückgaberecht dem Schadensersatzanspruch nicht gleichwertig ist (vgl. [X.], Urteil vom 11. April 2022 - [X.], juris Rn. 8 a.E.). Von Bedeutung für eine Vorteilsausgleichung ist aber, in welchem Umfang das Aufspielen des von der Beklagten angebotenen Software-Updates geeignet gewesen wäre, das Fahrzeug nachträglich aufzuwerten. Eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update wäre unter den im Senatsurteil vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259 Rn. 80) genannten Voraussetzungen als Vorteil zu berücksichtigen gewesen. Entsprechend könnte der Kläger, wenn er sich dem Aufspielen eines solchen Software-Updates verschlossen hätte, gegen seine Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 [X.] verstoßen haben. In diesem Fall müsste er sich bei der Bemessung des [X.]s gemäß § 242 [X.] so behandeln lassen, als hätte er einen aus dem Software-Update resultierenden Vorteil tatsächlich erzielt (vgl. [X.]/[X.], [X.], 82. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 70).

[X.]     

      

Krüger     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Wille     

      

Meta

VIa ZR 468/21

23.10.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 13. Oktober 2021, Az: 16 U 361/21

§ 31 BGB, § 242 BGB, § 249 BGB, § 254 Abs 2 S 1 Alt 2 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.10.2023, Az. VIa ZR 468/21 (REWIS RS 2023, 7630)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7630

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