Bundessozialgericht, Urteil vom 06.05.2010, Az. B 14 AS 7/09 R

14. Senat | REWIS RS 2010, 6888

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Übernahme der Umzugskosten - Erforderlichkeit der vorherigen Zusicherung - treuwidrige Verzögerung des Grundsicherungsträgers - veranlasster Umzug - Kostenminimierung durch Selbsthilfe - Ermessensentscheidung


Leitsatz

1. Eine vorherige Zusicherung der Umzugskosten ist nicht erforderlich, wenn die fristgerecht mögliche Entscheidung vom Verwaltungsträger treuwidrig verzögert worden ist.

2. Veranlasst der Träger den Umzug im Sinne des § 22 Abs 3 S 2 SGB 2, so hat er im Regelfall die angemessenen Kosten des Umzugs zu übernehmen.

3. Der erwerbsfähige Hilfebedürftige ist grundsätzlich gehalten, die Kosten eines Umzugs im Wege der Selbsthilfe zu minimieren.

Tatbestand

1

Die [X.]eteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der [X.]eklagte die Umzugskosten des [X.] zu übernehmen hat.

2

Der Kläger ist im Jahre 1942 geboren. Er bezog bis zum 31.12.2004 Leistungen der Sozialhilfe nach dem [X.] ([X.]) von der [X.] [X.] in [X.]. Im November 2004 beantragte er bei dem [X.]eklagten die [X.]ewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites [X.]uch ([X.][X.] II). Der [X.]eklagte forderte im November 2004 den Kläger auf, die Kosten der Unterkunft (KdU) zu senken. Angemessen sei für ihn eine Gesamtmiete von 372,50 Euro. Die tatsächliche Miete in Höhe von bisher 1175,97 Euro werde nur bis zum 31.1.2005 anerkannt und ab [X.] werde nur noch die angemessene Miete gewährt. Durch Schreiben vom 27.12.2004 teilte der Kläger dem [X.]eklagten mit, dass er zum [X.] eine kostengünstigere Wohnung in [X.] gefunden habe. Er beantragte die Übernahme der Umzugskosten und kündigte an, Kostenvoranschläge einzureichen. Mit am [X.] beim [X.]eklagten eingegangenem Schreiben zeigte der Kläger an, dass er eine Wohnung in [X.] bereits angemietet habe, die nach dem [X.][X.] II angemessen sei. Er legte einen Kostenvoranschlag eines Umzugsunternehmens über 3645,07 Euro vor und bat um [X.]ewilligung bis [X.], weil er dann den Auftrag an die Umzugsfirma vergeben müsse.

3

Der [X.]eklagte reagierte auf die Schreiben des [X.] nicht. Dieser führte sodann den Umzug am 26.1.2005 durch und beantragte am 28.1.2005 beim [X.]eklagten unter Vorlage der Rechnung eines Umzugsunternehmens die Übernahme der Umzugskosten in Höhe von 3705,10 Euro. Der [X.]eklagte lehnte den Antrag durch [X.]escheid vom 11.4.2005 ab. Den Widerspruch wies er zurück. In dem Widerspruchsbescheid vom [X.] ist ausgeführt, es müsse eine vorherige Zustimmung zu den Umzugskosten vorliegen. Der Kläger habe aber erst am [X.] den Kostenvoranschlag eingereicht. Von einer treuwidrigen Verzögerung der Entscheidung durch den [X.]eklagten könne daher nicht die Rede sein.

4

Auf die Klage hat das Sozialgericht ([X.]) [X.]raunschweig durch Urteil vom [X.] die angefochtenen [X.]escheide "aufgehoben" und den [X.]eklagten verpflichtet, dem Kläger Umzugskosten in Höhe von 951,25 Euro zu bewilligen. Zur [X.]egründung hat es ausgeführt, die vorherige Zusicherung gemäß § 22 Abs 3 [X.][X.] II sei hier entbehrlich gewesen, weil die Entscheidung über die Umzugskosten in treuwidriger Weise verzögert worden sei. Das Leistungsermessen des [X.]eklagten sei auch eingeschränkt gewesen, weil der kommunale Träger den Umzug veranlasst habe. Der Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten beschränke sich jedoch auf die notwendigen und angemessenen Kosten. Der [X.]eklagte sei nicht grundsätzlich verpflichtet, die Kosten eines professionellen Umzugsunternehmens zu tragen. Vielmehr sei auf Grund der Obliegenheit, die eigene Hilfebedürftigkeit zu verringern, der Umzug vorrangig in Eigenregie durchzuführen. Ausnahmen würden nur bei Alter oder Gebrechlichkeit gelten. Der Kläger sei jedoch körperlich in guter Verfassung gewesen. Es habe auch keine medizinische Notwendigkeit bestanden, gerade nach [X.] umzuziehen. Unter [X.]erücksichtigung der Gesamtumstände seien die Umzugskosten angemessen, die bei einem selbst organisierten Umzug unter Heranziehung von studentischen Hilfskräften angemessen wären. Hier seien lediglich die Kosten der Anmietung eines Umzugsfahrzeugs, [X.]enzinkosten, Kosten für drei studentische Hilfskräfte als Umzugshelfer und Fahrer, Kosten für eine Haftpflichtversicherung für die Umzugshelfer, Kosten für Umzugskartons und Verpackungsmaterial angemessen. Unter Heranziehung von Quellen aus dem [X.] hat das [X.] sodann für diese Positionen die ausgeurteilten Umzugskosten in Höhe von 951,25 Euro ermittelt.

5

Hiergegen hat lediglich der Kläger [X.]erufung eingelegt. Das [X.] (L[X.]) [X.]-[X.]remen hat die [X.]erufung durch [X.]eschluss gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz ([X.]G) vom [X.] zurückgewiesen. Zur [X.]egründung hat es gemäß § 153 Abs 2 [X.]G auf die Gründe des Urteils des [X.] verwiesen und ergänzend ausgeführt, dem Kläger sei ein selbst organisierter Umzug zumutbar gewesen. Der Kläger sei im [X.]esitz einer Fahrerlaubnis und habe nach eigenen Angaben zusammen mit Freunden die Gegenstände in der bisherigen Wohnung ein- und in der neuen Wohnung selbst wieder ausgepackt. Es sei daher nicht erkennbar, wieso er aus medizinischen Gründen gehindert gewesen sein sollte, den Umzug selbst durchzuführen. Darüber hinaus sei der weite Umzug des [X.] von [X.] nach [X.] weder aus medizinischen noch aus besonderen persönlichen Gründen erforderlich gewesen, sodass diese Kosten nicht der Allgemeinheit in Rechnung gestellt werden dürften. Dies gelte insbesondere auch für den auf dem Weg erfolgten Möbeltransport zu dem in [X.] lebenden [X.] des [X.].

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision. Er rügt eine Verletzung des § 22 Abs 3 [X.][X.] II. Zwar werde auch in der Literatur vertreten, dass nur angemessene bzw notwendige Umzugskosten zu erstatten seien, allerdings finde diese Auffassung im Gesetzeswortlaut keinen Anhalt. § 22 Abs 3 Satz 1 [X.][X.] II spreche ausdrücklich nicht von "angemessenen" Umzugskosten, sodass eine solche Einschränkung nicht möglich sei, was auch die Rechtsprechung des [X.]undessozialgerichts ([X.][X.]) zu § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 [X.][X.] II zeige. Dort habe es der erkennende Senat abgelehnt, das Kriterium der Angemessenheit in den Rechtsanspruch auf Übernahme der Kosten einer mehrtägigen Klassenfahrt hineinzulesen. Es sei zweifelhaft, ob die Obliegenheit in § 2 Abs 1 [X.][X.] II "die Hilfebedürftigkeit zu verringern", soweit gehe, dass auch die kostensparende Selbstorganisation eines Umzugs von Hilfebedürftigen gefordert werden dürfe. Jedenfalls finde sich für die Rechtsansicht des L[X.], dass ein Umzug grundsätzlich selbst organisiert werden müsse, es sei denn, dies sei für den Hilfebedürftigen unzumutbar, kein gesetzlicher Anhalt. Die tatsächlichen Feststellungen des L[X.] trügen im Übrigen nicht den rechtlichen Schluss, dass er - der Kläger - tatsächlich in der Lage gewesen sei, den Umzug auch selbst zu organisieren. Zu mehr als einer Mithilfe bei der Umzugsfirma sei er gesundheitlich nicht in der Lage gewesen. Hinsichtlich der Notwendigkeit nach [X.] umzuziehen sei § 33 Sozialgesetzbuch Erstes [X.]uch ([X.][X.] I) zu berücksichtigen, nach dem bei der Ausgestaltung von [X.] Rechten die persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen seien.

7

Der Kläger beantragt,

den [X.]eschluss des [X.]s [X.]-[X.]remen vom 5. Juni 2008 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts [X.]raunschweig vom 6. Juli 2006 zu ändern und den [X.]eklagten zu verurteilen, dem Kläger weitere Umzugskosten in Höhe von 2753,85 Euro zu gewähren.

8

Der [X.]eklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Der [X.]eklagte beruft sich darauf, dass hier eine vorherige Zustimmung zu den Umzugskosten nicht entbehrlich gewesen sei. Eine besondere Eilbedürftigkeit habe nicht vorgelegen, sodass es dem Kläger zumutbar gewesen wäre, eine Entscheidung über die Umzugskosten abzuwarten. Im Übrigen beschränke sich die Revisionsbegründung auf Vorbringen im tatsächlichen [X.]ereich, das einer Überprüfung durch das Revisionsgericht nicht zugänglich sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und einer Verpflichtung des [X.]n zur Neubescheidung begründet. Der [X.] hat den Antrag des [X.] auf Erstattung der am [X.] angefallenen Umzugskosten zu Unrecht wegen fehlender Zusicherung zur Übernahme der Umzugskosten in vollem Umfang abgelehnt (sogleich unter 1.). Er hätte stattdessen gemäß § 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II eine Ermessensentscheidung über die Höhe der zu übernehmenden Umzugskosten zu treffen gehabt, die bislang nicht erfolgt ist. Bei der Nachholung dieser Entscheidung wird der [X.] zu beachten haben, dass dem Kläger zumindest die von den Vorinstanzen zugesprochenen 951,25 Euro zustehen, weil der [X.] hiergegen keine Rechtsmittel eingelegt hat (hierzu unter 3.). Ein Anspruch gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II steht dem Kläger hingegen nicht zu, weil der Umzug nicht als vom [X.]n "veranlasst" oder "aus anderen Gründen notwendig" betrachtet werden kann (vgl unter 2.).

Streitgegenstand ist allein die Frage, inwieweit der [X.] verpflichtet ist, die Kosten des Umzugs des [X.] von B in die Umgebung von [X.] zu tragen. Hierüber ist in den angefochtenen Bescheiden vom 11.4. und 1.8.2005 eine isolierte Regelung getroffen worden. Die Frage, in welcher Höhe dem Kläger im Übrigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff [X.]B II zustehen, ist hiervon nicht berührt. Der Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten hängt allerdings davon ab, dass dem Kläger überhaupt dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehen. Hieran bestehen aber nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen der Vorinstanzen keine Zweifel.

1. Der Anspruch des [X.] scheitert nicht bereits daran, dass vor seinem Umzug keine Zusicherung des bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Trägers über die Umzugskosten vorlag (§ 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II). Entgegen der Rechtsansicht des [X.] hat der [X.] auf eine Prüfung dieses rechtlichen Gesichtspunkts nicht dadurch verzichtet, dass er keine Berufung gegen das Urteil des [X.] eingelegt hat. Die [X.] der Berufung bzw Revision durch den [X.]n hat lediglich zur Folge, dass auf Grund des Verbots der reformatio in peius der Leistungsausspruch des [X.] nicht mehr aufgehoben werden darf. Im Übrigen haben beide Rechtsmittelinstanzen den Anspruch des [X.] aber unter allen möglichen Gesichtspunkten zu prüfen.

Eine vorherige Zusicherung der Umzugskosten ist nicht erforderlich, wenn eine fristgerecht mögliche Entscheidung vom [X.] treuwidrig verzögert worden ist (vgl [X.] in LPK-[X.]B II, 3. Aufl 2009, § 22 Rd[X.]06, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). So lagen die Verhältnisse hier. Der [X.] hatte den Kläger bereits im November 2004 in Form eines Bescheides aufgefordert, seine bisherige Wohnung aufzugeben, weil diese unangemessen hohe Mietkosten verursache. In dem Aufforderungsschreiben des [X.]n wird zudem deutlich gemacht, dass eine Übernahme der bisherigen Mietkosten nur bis [X.] gewährleistet werde. Dementsprechend enthält der Bewilligungsbescheid vom 16.12.2004 über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab [X.] nur noch eine im Verhältnis zur bisherigen Miete stark reduzierte Bewilligung von [X.] Der Kläger hat auch in seinem nachfolgenden Schreiben an den [X.]n zum Ausdruck gebracht, dass er die vom [X.]n angedrohte Reduktion der gewährten KdU um monatlich 803,47 Euro nicht aus eigenen Mitteln abfangen könne. Von daher war durch den [X.]n selbst ein starker, möglicherweise sogar rechtswidriger, Druck gesetzt worden, zum [X.] die Wohnung zu wechseln. Unter diesem zeitlichen Aspekt hat das [X.] zu Recht entschieden, dass die Verzögerung bzw das [X.] einer Entscheidung über die Zusicherung der Umzugskosten seitens des [X.]n nach dem gesonderten Antrag des [X.] vom [X.] als treuwidrig einzustufen ist.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II, weil der konkrete Umzug nicht vom [X.]n "veranlasst" wurde oder aus "anderen Gründen notwendig" war. § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II bestimmt, dass die Zusicherung erteilt werden soll, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Hieraus ergibt sich für den Regelfall eine Pflicht des Trägers, eine Zusicherung zu erteilen. Der Anspruch des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen geht dabei auf die "angemessenen" Kosten des Umzugs iS des § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II. Der erkennende Senat leitet dies aus der Überlegung ab, dass die Kosten eines Umzugs, der auf Veranlassung des Trägers stattgefunden hat, ohne die Sonderregelung des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II bereits als KdU von § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II umfasst wären. Eine ähnliche Überlegung hat der 4. Senat des B[X.] bereits in einem obiter dictum angestellt (B[X.]E 102, 194 = [X.]-4200 § 22 [X.], Rd[X.]5). Auf solche Umzugskosten bestünde dann - die Regelung des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II hinweggedacht - gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II ein Rechtsanspruch bis zur Grenze der Angemessenheit. Könnte der Umzug des [X.] hier also im Sinne der Norm des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II als vom kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen als notwendig betrachtet werden, so stünden dem Kläger gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II die angemessenen Umzugskosten (wie in § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II) zu.

a) Der Umzug in die Umgebung von [X.] kann nicht iS des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II als vom Träger veranlasst betrachtet werden. Denn der vom Kläger konkret durchgeführte Umzug wäre, wenn der [X.] vor dem Umzug über den Antrag entschieden hätte, nicht "zusicherungsfähig" gewesen im Sinne dieser Norm. [X.] ist ein Umzug grundsätzlich nur dann, wenn er zur Verminderung der tatsächlichen KdU oder zur Eingliederung in Arbeit geboten ist. Danach könnte hier der Auszug des [X.] aus seiner Wohnung als vom [X.]n veranlasst zu betrachten sein, denn der [X.] hat auf Grund der zu hohen Kosten der bisherigen Mietwohnung durch sein Verwaltungshandeln (Aufforderungsschreiben) den Kläger zur Aufgabe der Wohnung veranlasst. Keinesfalls kann jedoch davon ausgegangen werden, dass auch der Umzug in die konkrete neue Wohnung in der Nähe von [X.] vom [X.]n veranlasst worden ist iS des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II. Anders als ein Auszug umfasst der Umzug schon begrifflich auch das Endziel (die neue Wohnung). Mithin müsste gerade auch das konkrete Ziel des Wohnungswechsels (der Bezug der neuen Wohnung) veranlasst worden sein.

Dient der Umzug der Verminderung der bisherigen KdU, so ist grundsätzlich nur ein Umzug innerhalb des "räumlichen Vergleichsraums" im Sinne der Rechtsprechung zu den angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (zusammenfassend zur Rechtsprechung des B[X.] zum sog schlüssigen Konzept zuletzt [X.], Das [X.]B II in der Praxis der Sozialgerichte, 2010, [X.] ff) "zusicherungsfähig". Ein Umzug innerhalb des maßgeblichen räumlichen Vergleichsraums des § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II dürfte dabei im Regelfall als vom Träger veranlasst auch iS des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II gelten können. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II die Unzumutbarkeit eines Umzugs aus der bisherigen Wohnung begründen. Dies könnte etwa bei besonderen Behinderungen oder besonderen medizinischen oder gesundheitlichen Gründen der Fall sein (vgl B[X.] Urteil vom 17.12.2009 - [X.] AS 27/09 R - RdNr 33 ff; vgl bereits Urteil vom 19.2.2009 - [X.] AS 30/08 R - B[X.]E 102, 263). Hierzu haben die Vorinstanzen bindend festgestellt (§ 163 [X.]G), dass keine gesundheitlichen oder sonstigen Gründe vorliegen, die einen Umzug des [X.] gerade über diese Distanz geboten erschienen ließen.

b) Der Umzug gerade nach [X.] wäre auch nicht als "aus anderen Gründen notwendig" "zusicherungsfähig" iS des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II gewesen, wenn der [X.] rechtzeitig über den Antrag des [X.] entschieden hätte. Eine solche Notwendigkeit aus anderen Gründen könnte etwa bei Pflegebedürftigkeit oder beim Vorhandensein kleiner Kinder vorliegen, wenn erwerbsfähige Hilfebedürftige auf Grund dieser Umstände gerade auf ein bestimmtes räumliches Umfeld in der Nähe von Verwandten und deren Betreuung angewiesen wären. Der bloße Wunsch des [X.] hingegen, sich räumlich wieder in die Nähe seiner erwachsenen Kinder zu bewegen, fällt dem rein privaten Bereich zu. Im Rahmen eines Fürsorgesystems vermag auch insofern die Argumentation des Revisionsklägers nicht zu verfangen, § 33 [X.]B I gebiete eine besondere Berücksichtigung der persönlichen Belange des [X.]. Es ist nicht Aufgabe des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die grundsätzlich das Ziel hat, Erwerbsfähige wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, Umzüge zu finanzieren, die einem rein privaten Zweck dienen. Mithin liegen keine Gründe vor, die im Sinne des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II für eine Notwendigkeit des Umzugs des [X.] gerade nach [X.] sprechen könnten. Anhaltspunkte dafür, dass der Umzug zur Eingliederung in Arbeit geboten gewesen wäre, sind ebenfalls nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

3. Da es sich hier mithin nicht um einen vom Träger veranlassten oder aus anderen Gründen notwendigen Umzug iS des § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II handelte, greift zu Gunsten des [X.] lediglich die Auffangnorm des § 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II ein, die grundsätzlich für den Fall des nicht notwendigen bzw veranlassten Umzugs einschlägig ist (vgl B[X.]E 102, 194 = [X.]-4200 § 22 [X.], Rd[X.]5). § 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II räumt dem Leistungsträger bei der Übernahme der Umzugskosten Ermessen ein (vgl [X.] in LPK-[X.]B II, 3. Aufl 2009, § 22 Rd[X.]04). Das Ermessen betrifft sowohl das "ob" der Übernahme der Umzugskosten als auch die Höhe der Umzugskosten. Dies folgt aus der Verwendung des Wortes "können", das sich nach dem Wortlaut der Norm sowohl auf das "ob" als auch auf die Höhe der Bewilligung der Umzugskosten bezieht. Der [X.] hat eine solche Ermessensentscheidung bislang nicht getroffen. Gemäß § 54 Abs 2 Satz 2 [X.]G war er daher zunächst zu verpflichten, eine entsprechende Entscheidung nachzuholen. Dabei darf der [X.] allerdings nicht hinter dem bereits von den Vorinstanzen zugesprochenen Betrag von 951,25 Euro zurückbleiben, weil lediglich der Kläger Rechtsmittel eingelegt hat.

Die Vorinstanzen haben dabei allerdings Erwägungen angestellt, die der [X.] bei einer Entscheidung im Rahmen des § 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II als Ermessenserwägungen zu Grunde legen kann. Auch Gesichtspunkte, die bei der Prüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit der Umzugskosten eines an sich genehmigungsfähigen Umzugs gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 [X.]B II maßgebend wären, können hier als Ermessenskriterien herangezogen werden. So haben [X.] und [X.] darauf abgestellt, dass den Hilfebedürftigen im [X.]B II grundsätzlich die Obliegenheit trifft, seine Hilfebedürftigkeit zu verringern. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 [X.]B II müssen erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Die in § 2 [X.]B II zum Ausdruck gekommene Obliegenheit zur Eigenaktivität kann als Auslegungshilfe bei der Anwendung und Interpretation aller Regelungen, die Rechte und Pflichten der [X.] normieren, herangezogen werden (vgl [X.] in LPK-[X.]B II, 3. Aufl 2009, § 2 RdNr 8; Spellbrink in Spellbrink/Eicher, [X.]B II, 2. Aufl 2008, § 2 RdNr 5). Hieraus ist abzuleiten, dass der Hilfebedürftige im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems gehalten ist, einen Umzug grundsätzlich selbst zu organisieren und durchzuführen (so bereits [X.] Dresden Beschluss vom [X.] AS 692/05 ER - [X.], 159; Sächsisches [X.] Beschluss vom 19.9.2007 - L 3 [X.]11/06 [X.] -; vgl auch [X.] in juris PK-[X.]B II, 2. Aufl 2007, § 22 Rd[X.]25). Als notwendige Umzugskosten könnten daher bei einer Ermessensentscheidung gemäß § 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II insbesondere die Aufwendungen für einen erforderlichen Mietwagen, die Anmietung von Umzugskartons, die Kosten für Verpackungsmaterial und Sperrmüllentsorgung und die üblichen Kosten für die Versorgung mithelfender Familienangehöriger und Bekannter zu übernehmen sein (vgl [X.] aaO; [X.] aaO; vgl auch [X.]/[X.] in Eicher/Spellbrink, [X.]B II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 84). Lediglich dann, wenn der Leistungsberechtigte den Umzug etwa wegen Alters, Behinderung, körperlicher Konstitution oder wegen der Betreuung von Kleinstkindern nicht selbst vornehmen oder durchführen kann, kann auch die Übernahme der Aufwendungen für einen gewerblich organisierten Umzug in Betracht kommen. Der [X.] wird im Rahmen seiner Ermessensentscheidung daher hier zunächst noch zu ermitteln haben, ob der Kläger gesundheitlich und körperlich in der Lage war, den Umzug selbst zu organisieren und durchzuführen. War dies der Fall, so dürfte der [X.] bei seiner Ermessensentscheidung nach § 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II wohl davon ausgehen, dass Kosten nur in Höhe der Kosten eines selbst organisierten Umzugs zu erstatten sind. Soweit das [X.] und ihm folgend das [X.] diese Kosten beziffert haben, handelt es sich um eine Schätzung im Sinne des § 202 [X.]G iVm § 287 Zivilprozessordnung. Unabhängig davon, ob diese Schätzung im Einzelnen zutreffend war oder nicht, hat jedenfalls der [X.] gegen seine Verurteilung in Höhe von 951,25 Euro kein Rechtsmittel eingelegt, sodass dieser Betrag dem Kläger in jedem Falle zu bewilligen sein wird.

Der [X.] kann in seine Erwägungen auch den Gesichtspunkt einbeziehen, dass sich die Ermessensleistungen nach § 22 Abs 3 Satz 1 [X.]B II insgesamt in den Leistungsrahmen des [X.]B II einpassen müssen. So entspricht der hier vom Kläger geforderte Betrag für Umzugskosten in Höhe von 3700 Euro der Regelleistung gemäß § 20 Abs 2 [X.]B II für einen Alleinstehenden für fast ein Jahr. Ebenso belaufen sich die vom Kläger geltend gemachten Umzugskosten auf zehn Monatsmieten in der Höhe, wie sie der [X.] für den Kläger als KdU für angemessen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II hielt. Insofern wäre eine Übernahme der Umzugskosten in Höhe der Rechnung eines professionellen Anbieters eine Privilegierung gerade dieses Kostenanteils im Gesamtzusammenhang des Leistungssystems des [X.]B II, für den sich weder in den Gesetzesmaterialien noch im Gesetzeswortlaut ein Anhalt findet. Dies unterscheidet die Umzugskosten gerade von den Kosten für mehrtägige Klassenfahrten (zu den rechtlichen Erwägungen im Zusammenhang mit dem Anspruch auf tatsächliche Kostenübernahme gemäß § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 [X.]B II vgl B[X.]E 102, 68 = [X.]-4200 § 23 [X.]), auf die sich der Prozessbevollmächtigte des [X.] im Wege der Analogie beruft.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 7/09 R

06.05.2010

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Braunschweig, 6. Juli 2007, Az: S 21 AS 672/05, Urteil

§ 2 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 20.07.2006, § 22 Abs 3 S 1 SGB 2 vom 20.07.2006, § 22 Abs 3 S 2 SGB 2 vom 20.07.2006

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.05.2010, Az. B 14 AS 7/09 R (REWIS RS 2010, 6888)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6888

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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