Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.02.2012, Az. 1 BvR 289/12

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2012, 9307

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verfristete und damit unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen die in einem Strafverfahren ergangene sitzungspolizeiliche Anordnung, das Gesicht des Angeklagten auf Bildaufnahmen, die im Sitzungssaal bis zum Beginn, während den Pausen und nach Ende der jeweiligen Sitzung gefertigt werden, unkenntlich zu machen


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die in einem Strafverfahren ergangenen sitzungspolizeilichen Anordnungen des Vorsitzenden des 5. Strafsenats des [X.] vom 5. August 2011 und vom 9. August 2011, bekanntgegeben mit Pressemitteilung vom 24. August 2011, mit denen unter anderem die [X.] nicht anonymisierter Lichtbilder des Angeklagten [X.], dem sogenannten "[X.] [X.]", untersagt wurden.

2

1. Die Beschwerdeführerin, die in denselben Anordnungen zur Poolführerin der Presseberichterstattung bestimmt worden ist, beabsichtigt, nichtanonymisierte Bildaufnahmen des Angeklagten zu veröffentlichen. Sie legte deshalb mit Schreiben vom 24. Januar 2012 gegen diese Verfügungen ausdrücklich insoweit Widerspruch ein, als ihr dort auferlegt wurde, dass auf Bildaufnahmen, die im Sitzungssaal bis zum Beginn, während den Pausen und nach Ende der jeweiligen Sitzung gefertigt werden, das Gesicht des Angeklagten unkenntlich zu machen sei.

3

2. Mit Beschluss vom 27. Januar 2012 verwarf [X.] des [X.] zum einen den Widerspruch als unstatthaft und wies zum anderen, soweit der Widerspruch als Gegenvorstellung gegen die sitzungspolizeilichen Verfügungen anzusehen sei, diese als unbegründet zurück.

4

Die Urteilsverkündung im Verfahren erfolgt voraussichtlich am 10. Februar 2012.

5

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde vom 3. Februar 2012, eingegangen am 6. Februar 2012, rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt.

7

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht gemäß § 93 Abs. 1 [X.] binnen eines Monats erhoben worden ist.

8

a) Die angegriffenen Anordnungen sind mit Pressemitteilung vom 24. August 2011 bekannt gegeben worden. Es ist davon auszugehen - und von der Beschwerdeführerin ist insoweit auch nicht gegenteilig vorgetragen -, dass auch die Beschwerdeführerin als Poolführerin der Presseberichterstattung diese Presseerklärung am [X.] zur Kenntnis genommen hat, sie spätestens aber zum Beginn der ersten mündlichen Verhandlung am 31. August 2011 über den Inhalt der angegriffenen Verfügungen informiert worden ist. Damit aber hat die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen die angegriffenen Verfügungen vermutlich bereits mit Ablauf des 24. August 2011, spätestens jedoch mit Ablauf des 31. August 2011 begonnen. Die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde endete damit spätestens mit Ablauf des 30. September 2011.

9

b) Hieran ändern auch der Rechtsbehelf der Beschwerdeführerin vom 24. Januar 2012, mit dem sie ausdrücklich Widerspruch gegen die angegriffenen Anordnungen eingelegt hat, und der hierauf ergangene Beschluss des Vorsitzenden des [X.]27. Januar 2012 nichts.

aa) Der eingelegte Rechtsbehelf war nicht geeignet, die Monatsfrist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde erneut in [X.]zu setzen. Denn, wie das [X.] zutreffend festgestellt hat, ist ein Widerspruch gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung offensichtlich unstatthaft (vgl. zur Unstatthaftigkeit [X.] 91, 125 <133>; vgl. zur Fristwahrung [X.] 5, 17 <19 f.>; stRspr). Und auch der gesetzlich nicht normierte Rechtsbehelf der Gegenvorstellung wird unabhängig davon, dass dieser vorliegend auch nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 [X.] erhoben worden wäre (vgl. hierzu [X.] 19, 198 <200>; 76, 107 <115 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. November 2009 - 1 BvR 2464/09 -, juris, Rn. 2), grundsätzlich nicht als fristwahrend anerkannt ([X.] 122, 190 <199 ff.>).

bb) Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin kann der Beschluss des [X.]s vom 27. Januar 2012 auch nicht als erneute sitzungspolizeiliche Anordnung aufgefasst werden, so dass gegen diesen Verfassungsbeschwerde unter erneutem Beginn der Monatsfrist hätte erhoben werden können. Denn Tenor und Begründung des Beschlusses lassen erkennen, dass das [X.] ausschließlich den eingelegten Rechtsbehelf bescheiden nicht jedoch auch eine erneute Anordnung treffen wollte. Zu einer erneuten Bescheidung bestand auch kein Anlass, da die Beschwerdeführerin entgegen ihrem Beschwerdevorbringen mit dem Rechtsbehelf zum [X.] nur solche Umstände gerügt hat, die bereits zum Zeitpunkt der angegriffenen Anordnungen von Bedeutung waren, und der ebenfalls noch gestellte "Antrag" auf Änderung der sitzungspolizeilichen Anordnung nicht derart hinreichend substantiiert formuliert war, dass man ihn zwingend hätte bescheiden müssen.

c) Der Beschwerdeführerin, die in der Sache insbesondere geltend macht, dass die angegriffenen sitzungspolizeilichen Anordnungen insofern im Hinblick auf das Grundrecht der Pressefreiheit unverhältnismäßig seien, als sie für den Tag der Urteilsverkündung auf den Fall eines Freispruchs hätten beschränkt werden müssen, hätte es mithin entweder oblegen, diesen Aspekt mit fristgemäßer Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen die ursprünglichen Anordnungen geltend zu machen oder durch hinreichend bestimmten Antrag unter substantiierter Schilderung einer veränderten Sachlage eine neue sitzungspolizeiliche Anordnung herbeizuführen.

2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 289/12

09.02.2012

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

§ 93 Abs 1 BVerfGG, § 169 S 2 GVG, § 176 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.02.2012, Az. 1 BvR 289/12 (REWIS RS 2012, 9307)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9307

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