Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.03.2020, Az. 8 C 17/19

8. Senat | REWIS RS 2020, 3902

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Gegenstand

Insolvenzrechtliche Einordnung des Beitrags einer Kapitalgesellschaft zur Industrie- und Handelskammer


Leitsatz

Beitragsforderungen einer Industrie- und Handelskammer, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer kammerzugehörigen Kapitalgesellschaft entstehen, stellen sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO dar.

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich als Insolvenzverwalter über das Vermögen der E. (haftungsbeschränkt) gegen die vorläufige Festsetzung eines Beitrags zur beklagten Industrie- und Handelskammer für das [X.].

2

Geschäftsgegenstand der E. (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) war die Reinigung von Baustellen. Seit Beginn des Jahres 2013 wurden sämtliche Aufträge und Arbeitsverhältnisse der Insolvenzschuldnerin auf ein anderes Unternehmen übertragen. Zum 19. August 2013 meldete sie ihr Gewerbe ab. Am 20. August 2013 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen und setzte den Kläger als Insolvenzverwalter ein. Mit an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichtetem Bescheid vom 27. Mai 2014 setzte die Beklagte den vorläufigen Grundbeitrag für die Insolvenzschuldnerin für das [X.] auf 180 € fest und legte dabei einen Gewerbeertrag in Höhe von 0 € zugrunde.

3

Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Der Beitragsbescheid sei rechtmäßig. Im Zeitpunkt seines Erlasses sei die Insolvenzschuldnerin Mitglied der Beklagten gewesen. Sie habe dem Grunde nach der Gewerbesteuerpflicht unterlegen, die bei einer Kapitalgesellschaft erst ende, wenn diese jegliche Tätigkeit einstelle. Dazu gehöre nicht nur die werbende Tätigkeit, sondern auch die Verwertungstätigkeit im Rahmen der Abwicklung, die mit der letzten Abwicklungshandlung ende. Die Insolvenzschuldnerin habe auch über eine Betriebsstätte im Bezirk der Beklagten verfügt. Nach dem insoweit maßgeblichen steuerrechtlichen Begriff der Betriebsstätte sei das der Sitz des [X.], weil durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin nach § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung ([X.]) auf ihn übergegangen sei. Die Beitragsforderung stelle eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete sonstige Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 [X.] dar, die gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter geltend zu machen sei. Für diese Einordnung komme es nicht darauf an, ob der Insolvenzmasse ein entsprechender Erlös zugeflossen sei. Im Übrigen habe der Insolvenzschuldnerin auch in der Phase ihrer Abwicklung aus ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten ein Vorteil zugestanden.

4

Zur Begründung der Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht habe die Aufgabe des Insolvenzverwalters verkannt. Seine Kompetenzen seien auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beschränkt. Das Oberverwaltungsgericht gehe unzutreffend davon aus, dass die Verwertung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin mit deren Abwicklung gleichzustellen sei. Diese gehöre jedoch nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters. Seine Aufgabe sei allein die Verwertung der Insolvenzmasse, während Liquidation und Löschung der [X.] vorbehalten blieben. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass sich die Betriebsstätte der Insolvenzschuldnerin an seinem Sitz als Insolvenzverwalter befunden habe, sei ebenfalls unrichtig. Bei der Beitragsforderung handele es sich auch nicht um eine sonstige Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 [X.]. Eine solche liege nur vor, wenn der Masse eine entsprechende Gegenleistung zugeflossen sei. Daran fehle es hier.

5

Der Kläger beantragt,

das Urteil des [X.] für das [X.] vom 18. Juni 2018 und das Urteil des [X.] vom 13. Mai 2015 zu ändern und den Beitragsbescheid der Beklagten vom 27. Mai 2014 aufzuheben.

6

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

9

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt des Erlasses des [X.] gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (Industrie- und Handelskammergesetz - [X.]) vom 18. Dezember 1956 ([X.]) in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes vom 7. September 2007 ([X.]) Kammerzugehörige der Beklagten und daher nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 [X.] beitragspflichtig gewesen ist. Sie wurde als juristische Person des Privatrechts (vgl. §§ 5a, 13 Abs. 1 GmbHG) zur Gewerbesteuer veranlagt (a) und unterhielt eine Betriebsstätte im Bezirk der Beklagten (b).

a) Die Insolvenzschuldnerin wurde im Beitragsjahr 2014 im Sinne des § 2 Abs. 1 [X.] zur Gewerbesteuer veranlagt. Dies begründet ihre Kammerzugehörigkeit.

aa) Dafür ist allein die dem Grunde nach bestehende Gewerbesteuerpflicht maßgeblich, der die Insolvenzschuldnerin als Kapitalgesellschaft (vgl. §§ 5a, 13 Abs. 1 GmbHG) im Beitragsjahr 2014 unterlag, auch wenn sie nicht tatsächlich zur Zahlung von Gewerbesteuer herangezogen wurde. § 2 Abs. 1 [X.] knüpft an die objektive Gewerbesteuerpflicht an und stellt nicht auf den Umfang der Gewerbesteuerpflicht ab. Die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft wie der Klägerin gilt nach § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Gewerbesteuergesetz ([X.]) stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb und unterliegt damit der Gewerbesteuer. Ob ein Unternehmen tatsächlich zur Zahlung dieser Steuer herangezogen wird, wirkt sich auf die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer nicht aus (vgl. [X.], Urteile vom 19. Januar 2005 - 6 C 10.04 - [X.]E 122, 344 <346> und vom 7. Dezember 2016 - 10 C 11.15 - [X.] 430.5 [X.] Nr. 4 Rn. 12).

bb) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin hat ihre Gewerbesteuerpflicht nicht beendet. Diese knüpft bei Kapitalgesellschaften allein an die Rechtsform an. Der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 1 [X.] erfordert zwar auch bei Kapitalgesellschaften ausdrücklich eine "Tätigkeit" für die gesetzliche Einstufung als Gewerbebetrieb. Aus dieser Vorschrift folgt aber zugleich, dass eine Kapitalgesellschaft "stets und in vollem Umfang" allein gewerbliche Tätigkeiten ausübt. Sämtliche von der Kapitalgesellschaft entfalteten Aktivitäten fallen daher unterschiedslos in den Bereich gewerblicher Betätigung, unabhängig davon, ob es sich um werbende Tätigkeiten oder um Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Betriebsveräußerung oder -beendigung handelt (vgl. [X.], Urteile vom 8. August 2001 - [X.]/00 - juris Rn. 10 und vom 5. September 2001 - [X.]/01 - [X.]E 196, 293 Rn. 9 f.). Anders als bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften endet die Gewerbesteuerpflicht einer Kapitalgesellschaft erst, wenn diese jegliche Tätigkeit einstellt, also nicht nur die eigentliche (werbende) Tätigkeit, sondern auch die Verwertungstätigkeit im Rahmen der Abwicklung, die ihrerseits mit der letzten Abwicklungshandlung endet. Das ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem das Vermögen der [X.] verteilt worden ist (vgl. [X.], Urteil vom 29. November 2000 - [X.]/00 - juris Rn. 8 f. und Beschluss vom 25. September 2012 - [X.]/12 - juris Rn. 8 f.; s.a. Ziff. 2.6 Abs. 2 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009 vom 28. April 2010).

Dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf den Zeitpunkt der [X.] nach § 196 [X.] abgestellt hat, in dem frühestens die Abwicklung des Gewerbebetriebs und damit die Gewerbesteuerpflicht einer Kapitalgesellschaft ende, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Annahme knüpft an den gesetzlich vorgesehenen Ablauf des Insolvenzverfahrens an. Danach setzt die [X.] nach § 196 Abs. 1 [X.] die Verwertung der Insolvenzmasse voraus und dient dazu, die gesamte noch verfügbare Masse an die Insolvenzgläubiger auszuschütten. Sobald die [X.] vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht gemäß § 200 Abs. 1 [X.] die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Ob - wie der Kläger geltend macht - eine andere Betrachtung geboten ist, wenn es in der [X.] "nichts mehr zu verteilen" gibt, bedarf hier keiner Erörterung. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) befand sich die Insolvenzschuldnerin im [X.] noch in der insolvenzrechtlichen Abwicklung; eine [X.] hatte noch nicht stattgefunden. Auch der weitere Einwand des [X.], das Berufungsgericht habe die Stellung des Insolvenzverwalters verkannt und die ihm obliegende Verwertung des Vermögens zu Unrecht mit der Abwicklung der Insolvenzschuldnerin gleichgesetzt, ist nicht berechtigt. Die vom Kläger angesprochene Zuständigkeitsverteilung war für das Berufungsgericht nicht entscheidungserheblich. Es hat nicht auf die Aufgabenverteilung zwischen Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss und amtierenden organschaftlichen Vertretern im Rahmen des Insolvenzverfahrens, sondern allein auf die Beendigung der Abwicklung der Insolvenzschuldnerin abgestellt.

cc) Endet die Gewerbesteuerpflicht einer Kapitalgesellschaft erst, wenn diese jegliche Tätigkeit einstellt, steht der im Beitragsjahr 2014 fortbestehenden Gewerbesteuerpflicht der Insolvenzschuldnerin schließlich nicht entgegen, dass sie nach den Feststellungen der Vorinstanz schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre unternehmerische (werbende) Tätigkeit eingestellt und ihr Gewerbe abgemeldet hatte.

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Insolvenzschuldnerin habe im Zeitpunkt des Erlasses des [X.] über eine Betriebsstätte im Bezirk der Beklagten verfügt, verletzt ebenfalls kein Bundesrecht.

aa) Das Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern enthält keine eigene Definition des Begriffs der Betriebsstätte. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ergibt sich aus systematischen Erwägungen, dass im Rahmen des § 2 Abs. 1 [X.] der steuerrechtliche Betriebsstättenbegriff des § 12 [X.] maßgebend ist. Die Kammerzugehörigkeit setzt die Veranlagung zur Gewerbesteuer voraus. Damit soll im Interesse einer einfachen Handhabung die entsprechende Feststellung der Steuerbehörden nutzbar gemacht werden. Die Veranlagung zur Gewerbesteuer erfordert grundsätzlich die Feststellung einer Betriebsstätte im Inland (§ 2 Abs. 1 [X.]). Danach kann nicht angenommen werden, das Kammerrecht knüpfe außer an die Veranlagung zur Gewerbesteuer an einen abweichenden Begriff der Betriebsstätte an. Dies würde einer möglichst einfachen Ausgestaltung und Handhabung des Kammerrechts widersprechen (vgl. [X.], Urteile vom 27. Oktober 1998 - 1 C 19.97 - [X.] 451.09 [X.] Nr. 13 S. 14 f. und vom 19. Januar 2005 - 6 C 10.04 - [X.]E 122, 344 <347>).

Betriebsstätte im Sinne des § 12 [X.] ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Als Betriebsstätte ist nach § 12 Satz 2 Nr. 1 [X.] insbesondere anzusehen die Stätte der Geschäftsleitung, die § 10 [X.] als den Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung definiert. Bei einer [X.] befindet sich die Geschäftsleitung regelmäßig an dem Ort, an dem die zur Vertretung der [X.] befugte Person die ihr obliegende geschäftsführende Tätigkeit entfaltet ([X.], Urteil vom 23. Januar 1991 - [X.] - [X.]E 164, 164 Rn. 18). Über die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der Betriebsstätte im Bezirk der Kammer erfüllt ist, entscheiden die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an Feststellungen der Steuerbehörde ([X.], Urteil vom 27. Oktober 1998 - 1 C 19.97 - [X.] 451.09 [X.] Nr. 13 S. 15).

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht das Berufungsurteil davon aus, dass sich die Betriebsstätte der Insolvenzschuldnerin im Beitragsjahr 2014 am Sitz des [X.] befunden habe, da das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über ihr Vermögen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf ihn als Insolvenzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 [X.] übergegangen und sie bereits zuvor nicht mehr werbend tätig gewesen sei. Die Vereinbarkeit dieser Auffassung mit Bundesrecht muss hier nicht abschließend geklärt werden. Ob der mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundene Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse gemäß § 80 Abs. 1 [X.] stets oder jedenfalls bei faktischer Einstellung der werbenden Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin auch zu einem Übergang der Geschäftsleitung auf den Verwalter führt, kann ebenso offen bleiben wie die daran anknüpfende weitere Frage, ob der Ort der Geschäftsleitung in diesen Fällen nach dem Sitz des vertretungsbefugten Organs oder nach demjenigen des Insolvenzverwalters zu bestimmen ist. Gegen eine ausnahmslos eintretende Verlagerung der Betriebsstätte auf den Sitz des Insolvenzverwalters könnte sprechen, dass sich der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners beschränkt (Mock, in: [X.], [X.], 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 8), die gesetzliche Vertretungsbefugnis und damit möglicherweise die Geschäftsleitung der zur Vertretung der [X.] befugten Person aber nicht beendet. Indessen kommt es hierauf im vorliegenden Fall nicht an. Nach jeder denkbaren Betrachtungsweise erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, eine Betriebsstätte im Bezirk der Beklagten liege vor, als zutreffend. Sowohl der Sitz der Insolvenzschuldnerin und ihres vertretungsberechtigten Organs wie auch derjenige des [X.] befanden sich nach den Feststellungen der Vorinstanz an demselben, zum Bezirk des Beklagten gehörenden Ort.

2. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Jahresbeitrag zur Industrie- und Handelskammer um eine sonstige Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 [X.] handelt.

a) Die Einordnung des [X.]s als Insolvenzforderung im Sinne des § 38 [X.] hat das Berufungsgericht zutreffend verneint. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung ([X.], Urteil vom 3. August 2016 - [X.]/14 - [X.], 218 Rn. 27). Ist der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen, liegt eine Insolvenzforderung vor, auch wenn sich eine Forderung des Gläubigers daraus erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergibt. Nur die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein. Unerheblich ist, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist ([X.], Beschluss vom 6. Februar 2014 - [X.]/12 - juris Rn. 10). Die Beitragspflicht der Insolvenzschuldnerin für das [X.] entstand nach § 3 Abs. 1 der für dieses Geschäftsjahr maßgeblichen Beitragsordnung der Beklagten zum 1. Januar 2014, mithin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so dass eine Qualifizierung des Jahresbeitrags als Insolvenzforderung ausscheidet.

b) Zu Recht zählt das Berufungsurteil die streitige Beitragsforderung zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 [X.]. § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] setzt voraus, dass die betreffende Forderung durch eine Handlung des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet wurde, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Die Insolvenzmasse erfasst nach § 35 Abs. 1 [X.] das gesamte Vermögen, das dem Insolvenzschuldner im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Das Berufungsgericht hat eine Begründung der Beitragsverbindlichkeit durch eine Handlung des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 [X.]), an der es hier fehlt, zutreffend verneint.

Indessen sind Abgabenforderungen, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen, den "in anderer Weise" durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 [X.]) zuzuordnen. Dafür kommt es nicht darauf an, ob der Abgabentatbestand durch ein Verhalten des Insolvenzverwalters oder durch andere Tatsachen erfüllt ist. Vielmehr genügt, dass die Abgabenforderung selbst einen Bezug zur Insolvenzmasse aufweist und erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde ([X.], Urteil vom 16. Dezember 2009 - 8 C 9.09 - [X.] 451.65 [X.] Nr. 6 Rn. 14; [X.], Urteile vom 13. April 2011 - [X.]/09 - [X.], 828 Rn. 13 und vom 1. August 2012 - I[X.]/11 - [X.]E 238, 319 Rn. 16; [X.], Urteil vom 12. Januar 2017 - [X.]/16 - [X.], 228 Rn. 19). Zu den Masseverbindlichkeiten zählen danach insbesondere kraft Gesetzes entstehende oder durch Verwaltungsakt angeordnete Abgabenforderungen, soweit sie selbst einen konkreten Bezug zur Insolvenzmasse aufweisen ([X.], MünchKomm-[X.], 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 67; [X.], in: [X.], Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2004, § 55 Rn. 35).

Dieser Bezug ist für den Beitrag zur Industrie- und Handelskammer zu bejahen. Der [X.] wird für den Vorteil geleistet, den ein Gewerbebetrieb aus der Kammermitgliedschaft zieht. Dieser Vorteil besteht darin, dass die Industrie- und Handelskammer die ihr nach § 1 Abs. 1 [X.] gesetzlich übertragenen Aufgaben erfüllt, insbesondere das Gesamtinteresse der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrnimmt und für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft wirkt. Er kommt allen Mitgliedern zugute. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der Beitrag einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil ausgleicht, der sich bei dem einzelnen Kammerangehörigen messbar niederschlägt. Die Kammern haben in erster Linie die [X.] ihrer Mitglieder zu wahren, so dass sich diese Tätigkeit regelmäßig nur mittelbar bei den einzelnen Mitgliedern auswirken kann ([X.], Urteil vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - [X.] 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 Rn. 14). Der mit der Kammerzugehörigkeit verbundene Vorteil besteht unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungskraft des Kammermitglieds. Deshalb ist nicht nur die Beitragspflicht ertragsschwacher Betriebe gerechtfertigt (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 8 [X.] - [X.] 430.3 Kammerbeiträge Nr. 32 Rn. 5), sondern auch solcher Unternehmen, die sich - wie die Insolvenzschuldnerin - bereits in der Abwicklung befinden. Bis zu deren Beendigung profitieren sie von der Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer und deren Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft. In diesem Vorteil liegt zugleich die der Masse zugute kommende Gegenleistung, die das Äquivalent für den aus der Insolvenzmasse aufzubringenden [X.] darstellt (vgl. [X.], MünchKomm-[X.], 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 14).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

8 C 17/19

11.03.2020

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 18. Juni 2018, Az: 17 A 1258/15, Urteil

§ 10 AO 1977, § 12 S 2 Nr 1 AO 1977, § 2 Abs 1 S 1 GewStG 1997, § 2 Abs 2 S 1 GewStG 1997, § 2 Abs 1 IHKG, § 3 Abs 2 S 1 IHKG, § 3 Abs 3 S 1 IHKG, § 55 Abs 1 Nr 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.03.2020, Az. 8 C 17/19 (REWIS RS 2020, 3902)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3902

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Zitiert

IX ZR 87/16

II R 28/11

II R 49/09

IX ZB 57/12

X R 25/14

I B 29/12

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