Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.11.2011, Az. B 1 KR 6/11 R

1. Senat | REWIS RS 2011, 1655

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Gegenstand

Krankenversicherung - Kostenerstattung - Sonderrechtsnachfolge - laufende Geldleistung


Tenor

Bei dem 3. Senat des [X.] wird angefragt, ob er an seiner in dem Urteil vom 25. August 2009 - [X.] 25/08 R - vertretenen Rechtsauffassung festhält, dass bei [X.] nach § 13 Abs 3 SGB V eine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 [X.] nicht stattfindet, weil keine "laufende Geldleistung" betroffen ist.

Gründe

1

I. Der erkennende 1. [X.] des B[X.] hat über zwei Revisionen zu entscheiden, die die beklagte [X.] und der Kläger erhoben haben. Sie streiten über die Zahlung von 77 700,92 Euro Kosten für ambulante transarterielle Chemoperfusionen und eine Laserinduzierte Interstitielle Thermotherapie ([X.]) in der [X.] vom 21.6.2005 bis 8.11.2007 nebst Fahrkosten. Der Kläger war Ehemann und ist Erbe der 1927 geborenen und am 24.3.2008 verstorbenen Dr. K. M. (im Folgenden: Versicherte). Er lebte zur [X.] ihres Todes mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Die Versicherte, eine ehemalige Zahnärztin, war als Bezieherin einer Regelaltersrente bei der beklagten [X.] freiwillig versichert. Sie erhielt die Behandlung infolge eines hepatisch, [X.] und lymphatisch metastasierten, 2003 operierten [X.], das im Juni 2005 einen hepatischen und lymphatischen Progress zeigte. Während Beklagte und [X.] eine Kostenerstattung abgelehnt haben, hat das L[X.] die Beklagte verurteilt, 18 708,87 Euro zu zahlen, die Berufung im Übrigen zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 28.4.2011).

2

Beide Beteiligte haben die vom L[X.] zugelassene Revision eingelegt und rügen [X.] die Verletzung des § 13 Abs 3 [X.]B V.

3

II. Der erkennende [X.] beabsichtigt, die Klagebefugnis des [X.] als Sonderrechtsnachfolger zu bejahen und nach § 193 [X.]G über die Kosten zu entscheiden. Daran sieht sich der [X.] allerdings gehindert, weil er dabei in entscheidungstragender Weise von der Rechtsprechung des 3. [X.]s des B[X.] abweichen würde. Er legt dem 3. [X.] daher die im [X.] enthaltene Frage zur Beantwortung vor (vgl § 41 Abs 2 und 3 [X.]G).

4

1. Der 3. [X.] des B[X.] ist weiterhin für die Beantwortung der Anfrage zuständig, obwohl seit seinem Urteil vom [X.] (B[X.] [X.]-2500 § 37 [X.]) sich seine Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan teilweise geändert hat. Nach § 41 Abs 3 Satz 1 [X.]G ist eine Vorlage an den Großen [X.] nur zulässig, wenn der [X.], von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden [X.]s erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Der [X.], von dessen Entscheidung der 1. B[X.]-[X.] abweichen will, ist der 3. B[X.]-[X.].

5

Eine Ausnahme von der Regel des § 41 Abs 3 Satz 1 [X.]G liegt nicht vor. § 41 Abs 3 Satz 2 [X.]G bestimmt: "Kann der [X.], von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befasst werden, tritt der [X.] an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre." Die Voraussetzungen dieser Regelung sind nicht erfüllt, weil der 3. [X.] weiterhin mit der vom erkennenden [X.] aufgeworfenen Rechtsfrage befasst werden kann. Er kann auch künftig über die Rechtsnachfolge bei [X.] im Rahmen von Revisionen entscheiden. In solchen Fällen verbleibt es bei der regelmäßigen Zuständigkeit gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 [X.]G. Das entspricht bereits dem klaren Wortlaut, aber auch Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck der Regelung (vgl B[X.] Beschluss vom 16.12.2008 - [X.] KR 69/08 B - Rd[X.] 6 mwN).

6

2. Der erkennende [X.] geht davon aus, dass bei [X.] nach § 13 Abs 3 [X.]B V eine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 [X.]B I stattfinden kann, weil eine "laufende Geldleistung" betroffen sein kann. Der Kläger ist danach Sonderrechtsnachfolger der Versicherten hinsichtlich des geltend gemachten [X.] aus § 13 Abs 3 Satz 1 [X.]B V. Das folgt aus § 56 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 [X.]B I. Danach stehen beim Tode des Berechtigten fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen an erster Stelle dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur [X.] seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. So lag es beim Kläger. Zur [X.] des Todes der Versicherten lebte er als Ehegatte mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Bei dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch handelt es sich auch um einen fälligen Anspruch auf laufende Geldleistungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden [X.]s ist der Kostenerstattungsanspruch auf Geldleistungen gerichtet (vgl B[X.]E 97, 6 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 13 mwN). Bestand ein Kostenerstattungsanspruch, war er mit seinem Entstehen fällig (§ 41 [X.]B I).

7

Der Kostenerstattungsanspruch ist im Rechtssinne auf "laufende" Geldleistungen gerichtet. § 56 [X.]B I ist in diesem Sinne bei Todesfällen in der [X.] ab dem [X.] auszulegen. Die Regelung ist einer weiten Auslegung zugänglich. Sie kann sogar als Basis einer Analogie dienen (vgl dazu B[X.] SozR 1500 § 75 [X.]). Den Begriff der laufenden Geldleistungen, dem der Begriff der "einmaligen" Geldleistung gegenübersteht, definiert das Gesetz nicht. Nach den Gesetzesmaterialien (Entwurf der Bundesregierung zum [X.]B I, BT-Drucks 7/868 S 31 zu § 48) handelt es sich um Leistungen, die regelmäßig wiederkehrend für bestimmte [X.]abschnitte gezahlt werden; sie verlieren ihren Charakter nicht dadurch, dass sie verspätet oder als zusammenfassende Zahlung für mehrere [X.]abschnitte geleistet werden. Das kommt auch für alle [X.] nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) bei [X.] in Betracht (§ 13 Abs 3 Satz 1 [X.]B V; § 15 Abs 1 [X.]B IX). Sie knüpfen daran an, dass der Berechtigte regelmäßig zu einer Vorfinanzierung für mehrere [X.]abschnitte gezwungen ist (vgl B[X.]E 97, 112 = [X.]-2500 § 31 [X.], Rd[X.] 11). Dem Zweck der Sonderrechtsnachfolge in § 56 [X.]B I wird es in besonderem Maße gerecht, diesen Kostenerstattungsanspruch als einen Anspruch auf laufende Geldleistungen anzusehen. Es beschränkt in aller Regel die Lebensführung nicht nur des Leistungsberechtigten, sondern aller Familienangehörigen, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn Ansprüche auf laufende Geldleistung nicht rechtzeitig erfüllt werden (vgl Entwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 7/868 [X.] zu den §§ 56 bis 59). Das gilt in gleicher Weise regelmäßig für die Fälle, in denen die Krankenkasse ihre Pflicht zur Naturalleistungsgewährung (§ 2 Abs 2 und § 13 Abs 1 [X.]B V) nicht erfüllt, der Versicherte sich deshalb die zu beanspruchende Leistung selbst beschafft, vorfinanziert und später die Kostenerstattung von der Krankenkasse erstreitet. Um die dadurch entstandene Benachteiligung auszugleichen, sieht § 56 [X.]B I in Abweichung vom Erbrecht, aber in Übereinstimmung mit Vorschriften des bis zum Inkrafttreten des [X.]B I geltenden Rechts und mit der Funktion solcher Leistungen eine Sonderrechtsnachfolge vor. Der Schutzbedarf der durch die Vorschriften der Sonderrechtsnachfolge erfassten Personen hat zwischenzeitlich noch dadurch zugenommen, dass § 183 Satz 1 [X.]G (hier idF durch Art 1 [X.] des Sechsten [X.]G-Änderungsgesetzes <6. [X.]GÄndG> vom 17.8.2001, [X.] 2144) seit dem [X.] allein Sonderrechtsnachfolger hinsichtlich der Gerichtskosten privilegiert, während sonstige Rechtsnachfolger nach § 183 Satz 2 [X.]G Kostenfreiheit nur in dem Rechtszug haben können, in dem sie das Verfahren aufnehmen.

8

Der Vorbehalt abweichender Regelungen (§ 37 [X.]B I; vgl dazu B[X.]E 97, 112 = [X.]-2500 § 31 [X.], Rd[X.] 12) steht dem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Allerdings hatte das vor Inkrafttreten des [X.]B I geltende Recht der [X.] für die [X.] - anders als für das Recht der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung (vgl hierzu § 630 und § 1288 [X.], dementsprechend § 65 Angestelltenversicherungsgesetz und § 88 [X.]) - keine Regelung zur Sonderrechtsnachfolge enthalten. Deshalb nahm auch die Rechtsprechung des B[X.] zum alten Rechtszustand an, der galt, wenn ein Sozialleistungsberechtigter vor dem Inkrafttreten des [X.]B (1.1.1976) gestorben war (vgl [X.] § 19 [X.]B I idF vom 11.12.1975, [X.] 3015), dass ein Erstattungsanspruch im Wege der Rechtsnachfolge auf die Erben übergeht (vgl B[X.] Urteil vom 10.10.1978 - 3 RK 11/78 - [X.] 78126). Die bewusst umfassend getroffene Regelung des § 56 [X.]B I erfasst dagegen auch das Recht der [X.]. Die Besonderheiten dieses Rechtsgebiets erfordern es nicht, [X.] von der Sonderrechtsnachfolge nach dem [X.]B I auszuschließen. Besondere Überlegungen, die im Recht der Sozialhilfe für den Ausschluss der Sonderrechtsnachfolge in Betracht kommen können (vgl dazu [X.], 18, 22 ff = [X.] 435.11 § 58 [X.]B I [X.] 2), greifen insoweit für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 [X.]B V und § 15 Abs 1 [X.]B IX nicht durch.

9

Der vorliegende Fall unterscheidet sich durch den Tod der Versicherten in der [X.] ab dem [X.], dem Tag des Inkrafttretens des 6. [X.]GÄndG, auch wesentlich von jenem, der dem Urteil des 9. [X.]s des B[X.] vom 10.12.2003 (vgl B[X.]E 92, 42 = [X.]-3100 § 35 [X.] 3) zugrunde lag. Jener Rechtsstreit betraf die Erstattung von bis zum Tode des [X.] verauslagten Aufwendungen entsprechend § 18 Abs 3 und 4 [X.] ([X.]) mit Blick auf Heimpflege nach § 35 Abs 6 [X.]. Er war schon vor Inkrafttreten des 6. [X.]GÄndG rechtshängig geworden, sodass nach dem Übergangsrecht (Art 17 Abs 1 Satz 2 6. [X.]GÄndG) noch altes Kostenrecht anzuwenden war.

3. Der erkennende [X.] vermag sich der abweichenden Auffassung des 3. B[X.]-[X.]s nicht anzuschließen (vgl B[X.] [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 15; B[X.] [X.]-2500 § 37 [X.] Rd[X.] 11). Dieser stützt sich insbesondere darauf, der Kostenerstattungsanspruch sei nicht von vornherein auf eine wiederkehrende Zahlung gerichtet, sondern habe lediglich eine einmalige Geldleistung zum Gegenstand.

4. Diese Rechtsauffassung trägt nach Überzeugung des erkennenden [X.]s der gebotenen Auslegung der Regelungen über die Sonderrechtsnachfolge im Hinblick auf ihren Schutzzweck sowie der Funktion des betroffenen [X.] als [X.] (vgl dazu auch B[X.]E 98, 257 = [X.]-6928 Allg [X.] 1, Rd[X.] 23; B[X.]E 104, 1 = [X.]-2500 § 13 [X.] 23, Rd[X.] 17 mwN) nicht hinreichend Rechnung. Sie sichert nicht ausreichend, dass die Inhaber des betroffenen [X.] Stammrechts als der Sache am nächsten Stehende das Gerichtsverfahren betreiben (vgl B[X.]E 97, 6 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 13 ff).

Meta

B 1 KR 6/11 R

08.11.2011

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Frankfurt, 17. November 2008, Az: S 25 KR 279/06

§ 13 Abs 3 S 1 SGB 5, § 56 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.11.2011, Az. B 1 KR 6/11 R (REWIS RS 2011, 1655)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1655

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