Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.07.2016, Az. 1 StR 607/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 7594

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:260716U1STR607.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
1
StR
607/15
vom
26. Juli 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 26.
Juli 2016, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf,
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. Mosbacher
und [X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],

Oberstaatsanwalt
beim Bundesgerichtshof
-
in der Verhandlung -,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
-
bei der Verkündung -

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -,
Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -

als Verteidiger,

Justizobersekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2015 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten im Revisionsverfahren entstandenen notwendi-gen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Antrag der Staatsanwaltschaft, den [X.] im Wege des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, abgelehnt. Die zuungunsten des Beschuldigten eingelegte Re-vision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Dem Beschuldigten war
nach der Antragsschrift der [X.] vom 14. Januar 2015 zur Last
gelegt worden,
dass er in einem nicht mehr genau nachvollziehbaren Zeitraum zwischen dem 12. Mai 2014, 14.01 Uhr, und dem Morgen des 13. Mai 2014 dem Ge-schädigten

[X.]

in dessen Wohnung in [X.]

zahlreiche 1
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stumpfe Verletzungen sowie Stich-
und Schnittwunden zugefügt habe, wobei letztlich die insgesamt 24 Stich-
und Schnittverletzungen in Hals-
und Kopfbe-reich
nach Eröffnen
der Halsschlagader zum Tode führten. Anlass zur Tötung des
Geschädigten [X.]

sei gewesen, dass
dieser ihn etwa ein Jahr zuvor durch die Polizei aus der Wohnung hatte entfernen lassen.
Kurz nach diesem Vorfall war der Beschuldigte in Strafhaft gekommen und erst kurz vor dem tödlichen Geschehen wieder entlassen worden.
Der Beschuldigte leide, so die Antragsschrift,
an einer schizophrenen Psychose, ADHS im Erwachsenenalter und einer Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen, [X.] und dissozialen Merkmalen, weshalb im [X.] seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar aufgehoben, sicher jedoch erheblich vermindert gewesen sei. Infolge seines Zustandes seien er-hebliche rechtswidrige Taten zu erwarten und er sei deshalb für die Allgemein-heit gefährlich.
2. Das [X.] hat demgegenüber festgestellt,
dass der Beschuldigte nach seiner Haftentlassung am 24. April 2014
zu-nächst
in einer fremden Gartenhütte
nächtigte, in der Folge dann
in einer öffent-lichen Toilette in [X.]

, wo er auch duschen konnte.
Nachdem der Beschuldigte am 12. Mai 2014 den größeren Teil seines Gepäcks bei der [X.].

deponiert hatte, fuhr er mit dem Zug nach [X.]

, ließ sich beim Friseur die Haare schneiden und begab sich dann zu einem Lebensmittelgeschäft.
Dort kaufte
er eine Halbe Bier

und
traf
auf den Geschädigten [X.]

, der ihn auf ein (weiteres) Bier einlud. Anschließend gingen beide in die Wohnung von [X.]

, in der
der Beschuldigte duschen 4
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5
-
konnte. Dort tranken sie jeder ein weiteres Bier. Sie verließen dann die [X.] wieder, kauften nochmals einige Bier und tranken diese teilweise [X.]. Gegen 17.00 Uhr an diesem Tag ging [X.]

alleine in seine [X.] zurück. Am nächsten Morgen erschien der Beschuldigte bei der [X.].

, holte dort bis auf einen Schlafsack seine Gepäckstücke ab und fuhr dann mit dem Zug über verschiedene Stationen nach S.

, wobei er die Fahrkarten jeweils im Zug löste.
3. Das [X.] hat sich von einer Täterschaft des Beschuldigten nicht zu überzeugen vermocht. Zwar sei im Ergebnis eine Täterschaft des [X.] möglich, wobei zahlreiche Umstände auch für dessen Tatbegehung sprechen würden, jedoch seien Zweifel verblieben, weshalb nach dem Grund-bezüglich der Täterschaft des Beschuldigten seien für die Kammer vernünftige Zweifel verblieben.
II.
Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler auf.
1.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil
es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der [X.]. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des [X.] durch seine eigene zu ersetzen. Die revisionsgerichtliche Prüfung be-schränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung [X.] unterlaufen sind.
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-

Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. [X.], Urteile
vom 6. November 1998 -
2 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 16 mwN
und
vom 17. Juli 2014 -
4 [X.]). In der Beweiswürdigung selbst muss sich der Tatrichter mit den festgestellten Indizien auseinandersetzen,
die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen ([X.], Urteile vom 14. August 1996 -
3 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 11 und vom 16. Ja-nuar 2013 -
2 StR 106/12, [X.] 2013, 209). Dabei dürfen
die Indizien nicht nur isoliert betrachtet werden, sie müssen vielmehr in eine umfassende Ge-samtwürdigung aller bedeutsamen Umstände eingebracht werden ([X.], Urteile vom 23. Juli 2008 -
2 StR 150/08, [X.], 2792, 2793
f.
und vom 13. [X.] -
4 StR 33/12, [X.], 195, 196 mwN). Der Tatrichter darf insoweit keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforder-liche Gewissheit stellen ([X.], Urteile vom 14. Januar 2015 -
1 [X.], [X.], 146; vom 26.
Juni 2003 -
1 [X.], [X.], 35, 36; vom 10. August 2011 -
1 [X.], [X.], 110 f.; vom 18. Januar 2011
-
1 [X.], [X.], 302, 303 und vom 2. Oktober 2013 -
1 [X.], [X.], 43).
2.
Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil gerecht. Das [X.] hat in einer umfassenden Beweiswürdigung die wesentlichen für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert. Dies genügt den oben dargelegten revisionsrechtlichen Anforderungen an eine umfassende Gesamtwürdigung sämtlicher Indizien unter Zugrundelegung der rechtlich zutreffenden Maßstäbe.
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a) So hat das Schwurgericht
ausführlich dargelegt, dass im [X.] mit dem Aufenthalt des Beschuldigten am Abend des 12. Mai 2014 viele
Fragen offen geblieben sind und seine Schilderung einer Taxifahrt an diesem Abend nach Tr.

aufgrund der mitgeteilten Umstände und Kosten dieser Fahrt unwahr sein dürfte. Das [X.] hat auch bedacht, dass der Beschul-digte ein gewisses Motiv für eine Tatbegehung haben könnte, weil der [X.] ihn etwa ein Jahr zuvor durch die Polizei aus seiner Wohnung hatte ent-fernen lassen. Ein mögliches weiteres Motiv wurde darin gesehen, dass der Beschuldigte den Geschädigten für einen [X.] hielt und sich einmal da-hin
geäußert hatte, dass für ihn eine Pädophilie schon ein Motiv zur Tötung wä-re.
b) Das Schwurgericht hat demgegenüber auch bedacht, dass der Ge-schädigte sich bereits seit Anfang Mai 2014 massiv bedroht fühlte und dies an-deren gegenüber berichtete. Ob der Umstand, dass der Schließzylinder der
Wohnungstür ausgewechselt wurde, damit zusammenhängt, konnte das [X.] nicht feststellen. Nach Aussage einer Zeugin habe der Zeuge Sc.

eine Bedrohung gegenüber dem Geschädigten [X.]

ausgesprochen. Dementsprechend habe sich auch ein Tatverdacht gegen den Zeugen
Sc.

gerichtet, der herumerzählte, dass der Geschädigte in der Dusche aufgefunden wurde. Auch habe Sc.

ein Fahndungsplakat an der eigenen Wohnungstür aufgehängt und einen
Kratzer am rechten Handgelenk aufgewie-sen.
c) Weiterhin wurde in die Beweiswürdigung des [X.]s einbezo-gen, dass in der Wohnung des Geschädigten DNA-Spuren festgestellt wurden, für welche neben dem Geschädigten auch der Beschuldigte in Betracht kommt, 14
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wobei dies mit Sicherheit zwei Bierflaschen betrifft. Demgegenüber wurden an zwei anderen Bierflaschen Merkmale eines fremden Mannes ebenso sicherge-stellt wie an der vom Opfer getragenen Motorradjacke. Am Schraubverschluss der Essigessenzflasche, mit deren Inhalt
Reinigungsbemühungen unternom-men worden waren,
wurden Mischspuren von mindestens drei Verursachern festgestellt, wovon eine Hauptkomponente dem
Geschädigten
zuzuordnen ist, aber
auch der Beschuldigte als Mitverursacher nicht ausgeschlossen werden kann.
d) Schließlich hat das [X.] in seine Überzeugungsbildung einbe-zogen, dass die Abreise des Beschuldigten, der ursprünglich im Bereich Tr.

bleiben wollte, unerwartet und überraschend war.
3.
Das Schwurgericht hat nicht nur die den Beschuldigten belastenden Indizien und
die ihn entlastenden Umstände aufgelistet und gewürdigt, sondern auch die erforderliche Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise in ausrei-chendem Umfang vorgenommen. Es hat die wesentlichen Gesichtspunkte auf-geführt, einander gegenübergestellt und deren jeweiligen Beweiswert vor dem Hintergrund der Einlassung des Beschuldigen im Ermittlungsverfahren und sei-ner
vereinzelten Äußerungen in der Hauptverhandlung gewürdigt.
Die
DNA-Spuren auf dem Schraubverschluss der
Essigessenzflasche sind
Mischspuren, bei denen der Beschuldigte nur nicht ausgeschlossen wer-den konnte; außerdem könnten diese -
wie vom [X.] dargelegt -
auch durch eine Sekundärübertragung entstanden sein. Die vom Schwurgericht
in-soweit gezogenen Schlüsse sind möglich; darauf, ob sie naheliegend oder gar sicher sind, kommt es für die revisionsrechtliche Beurteilung nicht an.
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4.
Aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ergeben sich [X.] Hinweise für die Besorgnis, das
[X.] habe überspannte Anforderun-gen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 14. Januar 2015 -
1 [X.], [X.], 146). Soweit die Revision demgegenüber der Auffassung ist, psychische Auffälligkeiten des Beschuldigten und dessen Vorverurteilung seien nicht ausreichend in die Erör-terung einbezogen worden, liegt eine revisionsrechtlich unbeachtliche eigene Beweiswürdigung vor. Das
Revisionsgericht hat aber die tatrichterliche Über-zeugungsbildung sogar dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdi-gung der Beweise näherliegend gewesen wäre ([X.], Urteile
vom 5. November 2015 -
4 [X.], [X.], 54 und
vom 11. November 2015 -
1 [X.], [X.], 47, 48).
VRi[X.] Dr. Raum ist infolge
Urlaubs an einer Unterschrift
gehindert.

Graf Graf [X.]

Mosbacher [X.]
20

Meta

1 StR 607/15

26.07.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.07.2016, Az. 1 StR 607/15 (REWIS RS 2016, 7594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7594

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